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I 1878. UN- Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen nnd Wüschen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu- vrauu io Freiberg. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom- men und beträgt der Preis sur die gespaltene Zeile oder deren Raum 1ü Pfennige. — 80. Iahe,an,. Freitag, dm 13. Dezemler. A/» b Erscheint ,eden Wochentag Abend» s Uhr für den ^>-11 andern Taa. Preis viertciiührlich 2 Mark 2b Pf., zweimonatlich 1 M. bO Pf. n. nnmonatl. 7bPf. LakeSschau Erfolg der Annahme des Antrags des Abg. Windthorst? Den Opponenten würde eine Belohnung zu Theil und den um die Ausführung verdienten Personen die gebührende Belohnung entzogen. Darin liegt eine Ungerechtig keit. Bezüglich der Schule werde die Regierung keinen Schritt zmückchun (Beifall), bezüglich des Schulaufsicht-- ges tzes würde sie sich keinen denken. (Lebhafter Beifall). Nun wird man sagen, die Regierung wolle den Frieden nicht, indessen sie ist sich bewußt, den Fri-den zu wollen und zu befördern, nur kann sie es nicht auf Grund unan nehmbarer Bedingungen. Sie setzt den Anträgen deS Zentrums ein unbedingtes Nein entgegen. : ie wußten, was Sie thaten, als Sie dir Wiederherstellung der aufgehobenen Verfassungsparagraphen verlangten und damit würden Sie die ganze Gesetzgebung gegen die An griffe der katholischen Kirche über den Haufen werfen. Solche Bedingungen stellt man einem Gegwr, der an Händen und Füßen g knebelt ist, nicht einem, der auf recht steht und in Ewigkeit aufrecht stehen wird. (Beifall). Sie wollen auch keinen Frieden, Sie haben den Kampf geführt und führen ihn nicht um deS Friedens, sondern um des Kampfes willen. Der Fall, daß ein fried liebender Papst regiert, ist eingetreten. Papst Leo hat seine Friedensliebe vielfach bethätigt, die Regierung war und ist zum Frieden bereit, auf einer Basis, die niedergelegt ist in einem Schreiben des Kronprinzen an den Papst. Wenn , nun auf beiden Seiten der Wunsch zur Herstellung deS Friedens vorhanden ist, so muß man nicht glauben, daß es damit so schnell geht. Die Schwierigkeiten sind auf beiden Seiten zu grob und der Frieds muß doch ein staat lich möglicher und dauerhafter sein. Dis Regierung kann nicht unverantwortlich auf jeden Vorschlag eingehen. Der Vorschlag, durch Nichtanwendung der Gesetze die Sachs einschlafen zu lassen, ist unannehmbar und unausführbar und an brauchbaren Vorschlägen über d-e Abänderung dec Maigesitzr fehlt es bis jetzt ganz ich. Die Regierung kann nicht, ohne an solche zu denken, hervortreten, bis der Friede ernstlich und zwar unter Angebot von Garantien gesucht wird. Die Regierung kann und wird nicht nutzlos eine schwer errungene Position aufgsben, ohne sich der Schwäche schuldig zu ^machen Die Uebelstände, welche der Kulturkampf hervorgirufen hat, müssen getragen werden, um die große Ausgabe zu löset«, um welche es sich hier handelt. Der Besitz dieser Gesetze war, ist und bleibt eine Nothwendigkeit für die Regierung, daruin wird sir diese Position festhalten und wenn es sein muß, auch gegen d!e Strömung. (Lebhafter Beifall. Zischen im Zentrum.) Nachdem noch einige R dner für und gegen den Windthorsi'schen Antrag das Wort > rgr ffen, wurde er mit allen gegen die Stimmen des Zentrums abgelehnt. 1- Was man also auch immer über die Verhandlungen zwischen Berlin und Rom gedacht und geschrüben haben mag, nach den Erklärungen des Ministers Or. Falk ist ein Kanossa nicht zu befürchten. Die Friedensliebe Nußlands. > Der russische Botschafter in London, Graf Schuwaloff, l ist vor Kurzem, nachdem er einige Zeit in Livadia beim " Czaren gewesen, über Pest, Wien und Paris auf seinen Posten zurückgekehrt. Anfangs hieß es, er habe von seinem Gebieter den Auftrag erhalten, bei der englischen Regier ' rung energisch gegen den Einfall in Afghanistan zu pro- testiren und eventuell mit der Einmischung Rußlands zu drohen. Dieses Gerücht wurde aber bald auf halbamt lichem Wege dementirt und man fügte sehr tendenziös hinzu, daß ganz im Gegentheil die Beziehungen zwischen England und Rußland die allerbesten seien; alle Streitigkeiten wären ausgeglichen und es stehe zwischen diesen beiden Mächten nichts Schlimmes mehr zu befürchten. In Uebereinstim mung hiermit ei klärte vorgestern im englischen Oberhaus,' (vergleiche unter England) Lord Beaconsfield: Ruß land habe in der afghanischen Frage nicht freimüthiger, prompter und zufriedenstellender sich äußern können, als es in Wirklichkeit gethan. Die Verwunderung über diesen plötzlichen Witterungs umschlag ist allgemein. Wahrscheinlich entspringt daraus das Gerücht von einer Vereinbarung zwischen Petersburg und London wegen endgiltiger Theilung des türkischen Erbes, namentlich Konstantinopels. Die Offiziösen bemühen sich dagegen, einen glaubwürdigeren Grund auszüfinden und denselben an die große Glocke zu schlagen. So wird denn- neuerdings die Behauptung aufgestellt, daß der deutsche Reichskanzler den Czaren ernstlich von einem energischen Äuftreten gegen England abgerathen, ja sich sogar entschieden Mißbilligend über dm Austrag Schuwaloffs ausgesprochen habe, so daß man sich gezwungen sah, dem Botschafter den Befehl zu erteilen, die Protestation zu unterlassen. Ohne auch nur im Mindesten daran zweifeln zu wollen, daß der deutsche Reichskanzler jederzeit bemüht ist, alle den Frieden bedrohende Wolken zu verscheuchen, glauben wir doch, daß der Grund des russischen Einlenkens diesmal an einer ganz anderen Stelle zu suchen ist. Es scheint, als wolle man durch Verschieben dieses Grundes die eigentliche Ursache verdecken. Diese eigentliche Ursache ist nun wahrscheinlich die trost lose Finanzlage des russischen Reiches. Fürst Dondukoff- Korsakoff behauptete zwar nach seiner Rückkehr von Livadia in Adrianopel, Rußland habe Geld genug, um noch eine zehnjährige Kriegsbereitschaft durchzumachen; allein mit dieser echt russischen Prahlerei wollte er der Welt nur Sand in die Augen streuen. Nutzloses Bemühen! Weiß man doch, daß der russische Finanzminister in Europa um- herreiste, um eine Anleihe zu machen, ohne indeß zum Ziele zu gelangen, und daß infolge dieser allgemeinen Ab weisung der russische Kredit noch tiefer gesunken ist, so daß das massenhaft angehäuste russische Papiergeld immer mehr am Werthe verliert. Die Geldnoth ist so groß, daß die russische Heeresleitung das im letzten türkischen Kriege zu Grunde gegangene Material nicht ersetzen kann. Unter solchen Umständen verbietet es sich von selbst, einen neuen größeren Krieg zu wagen. Rußland kann nicht anders, es muß sich nachgiebig und versöhnlich zeigen. Freilich wird es nicht ermangeln, die Friedensmaske abzu- werfen, sobald dem Geldmangel abgeholfen sein wird; denn die Gegnerschaft Englands und Rußlands in Asien ist be reits so weit gediehen, daß ein Zweikampf nur noch eine Frage der Zeit ist. Aber auch auf dem Gebiete der europäisch-orientalischen Frage ist England diejenige Macht, welche Rußland die meisten Hindernisse in den Weg gelegt hat und noch immer in den Weg legt. Schon aus diesem Grunde brennen die Moskowiter darnach, mit John Bull einmal ordentlich abzurechnen. England aber ist von Ruß land nur in Asien zu fassen, sonst nirgends. Und wenn Freiberg, 12. Dezember. Kaiser Wilhelm hat an den deutschen Kronprinzen folgend, s Handschreiben gerichtet: Mein freundlich geliebter Sohn! Als im Laufe des Jahres die veib echerische That eines zu argem Ent schlusse gelangten Vertrrten mir die Nolhwendigtett auf- erlegte, einstweilen auf dir Ausübung meines fürstlichen Berufes zu verzichten, übertrug ich Euer kaiserlichen und königlichen Hoheit m«t Hinblick auf die Bereitwilligkeit, welche ich bei Ihnen kenne, wenn cs gilt, dem Vaterland« zu dienen, an meiner Statt die Leitung der Regierungs» g.schäfte. ES ist mir HerzenSbedürfniß, Ihne» für die mit voller Hingebung und mit sorgsamer Beachtung meiner Grundsätze erfolgreich geführte Vertretung meinen innigen Dank auszusprechen. DieMewrtzheA daß die schwierigen Aufgaben der Regierung in defer tief bewegten Zeit von Eurer kaiserlichen und königliche» Hoheit mit fester Hand zum Heile des Volke« wahrgenommen werden würden, hat mich nicht getäuscht; denn es war mir ver gönnt, mit wachsender Befriedigung den Gang der Regie- rungsgeschäfte während dieser Zett zu beobachten. Der mir dadurch gewordenen Ruhe und Zuversicht verdanke ich es wesentlich, daß meine Genesung so r- sch vorge- schritten ist. Atzt, wo ich mit demüthtgem Danke gegen die göttliche Vorsehung es preise, durch deren Gnade nicht alle Anzeichen trügen, dürfte Rußland wohl kaum die gegenwärtige Gelegenheit d«S afghanischen Krieges unbe nutzt vorübergehen lassen. ES wartet wahrscheinlich nur, bis es wieder Geld hat, »he «S sich rinmengt und bis die Engländer sich in Afghanistan verwickelt und zerstückelt haben. Dann dürfte da- wieder komplettrte Armeekorps den Afghanen zu Hilfe rücken, welche- unter General Abramoff'S Führung am rechten Ufer des Amudarja steht Die russische Presse sinnt ebenso wie die Regierung auf Mittel, wie der Kredit zu steigern und das nöthige Geld schnell zu beschaffen sei. Ein Petersburger Blatt ver langt zn diesem Zwecke eine gründliche Steuerreform. „Der Geldmarkt", sagt dasselbe, „fordere erst den Nachweis der Mittel, mit denen das gestörte Gleichgewicht in dem russischen Einnahme- und Ausgabe-Budget wieder hergestellt werden solle." Wie weit das helfen würde, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Probater aber scheint uns das von anderer Seite vorgeschlagene Mittel: die Einführung einer konstitutionellen Verfassung für das russische Reich, die eine ratiomlle Steuerreform konsequenter Weise in ihrem Gefolge haben würde. Noch wollen wir ansühren, daß eS auch Leute giebt, welche an eine russische Finatzznvth uicht glauben, sondern sie für erheuchelt halten, um die Gegner zu tär schen und ein zuschläfern; namentlich die Tüi kei und England. Allerdings ging auch vor dem letzten russisch-türkischen Kriege das Ge rücht von dem russischen Geldmangel um und war auch damals die Meinung verbreitet, Rußland könne seiner leeren Kaffen wegen keinen Krieg führen. Sollte sich diese Komödie wiederholen und Fürst Dondukoff-Korsakoff in Adrianope! am Ende doch die Wahrheit gesagt haben? Es ist düs kaum glaublich! Kein Kanossa! Diese Gewißheit darf man guten Muthes aus der gestrigen Verhandlung des preußischen Abgeordneten hauses schöpfen. Es handelte sich um den Antrag des Abg. Windthorst-Meppen (Zentrum), die Abänderung des Gesetzes über die geistlichen Orden und Kon gregationen bttr-ffend. Der Wortlaut des Antrags ist folgender: „DaS Haus der Abgeordneten wolle beschließen, folgendem Gesetz-Entwurf seine Zustimmung zu ertbeilen: Die Aus führung der über die Auflösung von Niederlassungen der Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche im 8 1 des Gesetzes vom 31. Mai 1878 enthaltenen Bestimmungen wird in Beziehung auf diejenigen am 1. Dez. l. I. noch nicht aufgelösten Niederlassungen, welche sich mit dem Unterrichte und der Erziehung der Jugend beschäftigen, bis zu anderweiter gesetzlicher Regelung hierdurch sistirt. Urkundlich re." Nach Begründung desselben erklärte Kultusminister vr. Falk, er habe im Namen der Regierung zu bean tragen, den Antrag des Abg. Windthorst zu verwerfen. Sodann fuhr der Minister fort: Für eine unbestimmte Fristverlängerung, wie Wtndthorst dies wolle, bestes t kein Bedürfniß. Von 819 OrdenSnicderlaffuugen seien 764 aufgelöst und nur 52 bestehen noch. Bon diesen sollen indeß nur 8 für Krankenpflege für immer bestehen bleiben. Es gab zweierlei Kategorien von Niederlassungen, und zwar solche, wo an die Stelle klösterlicher Anstalten auch noch andere Anstalten zu setzen wären und solche, wo blos das klösterliche Personal durch weltliches zu ersitzen war. Nach solchen Grundsätzen sei bei Auflösung der Niederlassungen verfahren worden. Ein Ersatz ist fast durchweg beschafft und wurden Anordnungen getroffen, daß bis zum 1. Mai 1879 auch für den Rest der Anstalten Ersatz beschafft werde. Der Antrag Windthorst zeuge von einer schweren Ungerechtigkeit. Die Schwierigkeit der Ausführung des Gesetzes lag nicht in der Aufgabe, Ersatz zu schaffen. Es mangelte zwar zuerst an Lehrerpersonal, aber dem Mangel sei durchgreifend abaeholfen und zahlreiche neue AuSbtl- ' dungsanstalten geschaffen worden und die »öthigen Mittel ' hätte der Landtag gewährt. Was die Ausführung er- l schwerte, war der überall hervortkrtende aktive und passiv« - Widerstand. Ohne diesen Widerstand wär« di« Zahl der > übrig gebltebenrn Anstalten noch geringer. Was wäre der