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und Tageblatt. Amtsblatt für die kömglichen und Wüschen Behörden z« Freiberg und Brand. Berantwortlichrr Redakteur Iuliu- Braun in Freiberg. In Vertretung: Ernst Mauckisch in Freiberg. ^216. Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr sür den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Ps., zweimonatlich 1 M. bO Ps. n.cmmonatl. 7üPs. 30. Jahrgang. Somtag, den 15. September. Inserate werden bis Vormitt igs 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis jür die gespaltene Zeile oder deren Naum 1ü Pfennige. 1878- Der Frieden mit Rom und die römisch- klerikale Presse. Die vom Vatikan inspirirte Presse giebt neuerdings wieder einmal eine Probe jener heuchlerischen Doppelzüngig keit, in welcher sie seit jeher exzellirt. In demselben Au genblicke, wo die „Voes MM vsritr" den bekannten Artikel in die Welt hinaus sandte, welcher die angeblich so ver söhnliche und friedfertige Haltung des Papstes Deutschland ge genüber als die Politik des Evangeliums der christlichen Liebe herausstrich, veröffentlichte die „Oivlltä oattoliea" eine Korrespondenz aus Deutschland, welche an perfider Gehässig keit gegen Kaiser Wilhelm und den Fürsten Bismarck alles nur irgend Lenkbare leistet. Es kann nur zur richtigen Würdigung der gegenwärtigen Haltung der römischen Kurie dienen, wenn von der letztgenannten Leistung wenigstens einige charakteristische Stellen in weiteren Kreisen bekannt werden. Der Artikel beginnt damit, daß die Abreise des Kaisers aus Berlin als eine förmliche Flucht, sein Aufenthalt in Babelsberg als eine Gefangenschaft dargestellt wird: es scheine, als ob der mächtigste Monarch der Welt nur außer halb seines Reiches frei athmen könne, und zwar in einem Lande, welches er und seine Vorfahren durch ungerechtfer tigte Invasionen unglücklich gemacht habe, welches aber katholisch sei! Auch Fürst Bismarck befinde sich außerhalb der Grenzen Preußens ganz wohl, habe es übrigens nicht ver gessen, sich von einer Legion Polizeibeamten umgeben zu lassen. Mit Schadenfreude wird sodann über die große Zahl von Verurtheilungen wegen Majestätsbeleidigungen berichtet — am 6. Juli seien schon 387 Personen mit im Ganzen 666 Jahren Gefängniß bestraft gewesen — und die kolossale Lüge hinzugefügt: seit dieser Zeit (also in etwa 4 Wochen bis zur Abfassung der Korrespondenz!) habe sich diese Zahl „verdoppelt, ja vervierfacht". Bismarck habe schon 2000 Individuen wegen Beleidigungen gegen seine Person bestrafen lassen ; bemerkenswerth sei es aber, daß diese Bestrafungen ganz besonders auf Preußen, und zwar auf Protestanten und Liberale fielen: bis jetzt habe man noch kein einziges Mal von der Verurtheilung eines Ultramontanen gehört!! Die Wilhelmsspende sei nur deshalb so viel ge zeichnet worden, weil Niemand sich der Gefahr habe aus- setzen können, unter die Feinde des Kaisers gerechnet zu werden; in den Schulen sei die Pression geradezu uner träglich gewesen, während Falk die Sammlungen für den Verein der h. Kindheit verboten habe. Mit dem einge- gangenen Gelde wisse man jetzt aber Nichts zu machen! In dem Briefwechsel des Kaisers und des Kronprinzen mit dem Papste glaubt der Berichterstatter ebenso wie seine Kollegen von der deutschen Kaplanspresse ein sicheres Zeug- niß davon zu finden, daß die Regierung die Prinzipien, auf denen die Maigesetze beruhten, aufgegeben habe: nach letzteren sei ja der Papst keine selbständige Macht, mit der man auf dem Fuße der Gleichheit unterhandeln dürfe! Nicht minder wird die in dem kaiserlichen Briefe aus gesprochene Ansicht, daß die Mehrheit der Katholiken mit den Tendenzen der Zentrumsfraktion nicht einverstanden sei, als eine „Fiktion" dargestellt, welche durch die un geheure Zahl der für die Zentrumsmitglieder bei den Wahlen abgegebenen Stimmen hinreichend widerlegt sei. Den Schluß des Ganzen macht ein Bericht über die deutschen „Gnadenorte". Triumphirend wird gemeldet, daß der Besuch Marpingens aller Quälereien seitens der Polizei ungeachtet bedeutend sei, und höhnisch in Aussicht gestellt, daß die katholischen Abgeordneten nächstens den Minister Friedenthal fragen würden, wann es ihm gefallen werde, sein Versprechen zu erfüllen und die „Betrüger" von Marpingen verurtheilen zu lassen? Leider habe jetzt auch in Dietrichswalde die Verfolgung begonnen. Die heilige Jungfrau habe dort aber verheißen, an ihrem Geburtstage, sowie an dem Feste ihrer unbefleckten Empfängniß von Neuem zu erscheinen. So hätten denn die Muttergottes erscheinungen von Marpingen, Dietrichswalde und Metten buch nebst den an diesen Orten erfolgten zahlreichen Wunder heilungen, deren Thatsächlichkeit der Korrespondent als selbstverständlich voraussetzt, den Eifer der Gläubigen so wunderbar belebt, daß sie jetzt Kraft genug hätten, der Verfolgung erfolgreich zu widerstehen! Auf diesen Knall effekt war es natürlich abgesehen: die ganze Welt soll in der Ueberzeugung bestärkt werden, daß die Katholiken „Ver folgung" erleiden, diese selbst über zu kräftigem „Wider stand" gegen ihre Verfolger, die Negierung, aufgestachelt werden. Kann man wohl noch daran zweifeln, daß in den mit- gethetlten perfiden Auslassungen die wahre Gesinnung der päpstlichen Kurte zu Tage tritt und daß dieselbe in einem wahrhaft teuflischen Haß gegen Deutschland, seinen protestantischen Kaiser und seinen Kanzler besteht, die vom Papste augenblicklich zur Schau getragene Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit also nur der Deckmantel ist, unter dem der Vatikan in Rom sein eigentliches Wesen verbirgt? Tagesschau. Freiberg, 14. September. Se. Majestät der Kaiser hat am Donnerstag das letzte Bad genommen. Der Erfolg der Bäder ist ein sehr zu friedenstellender, die Körperkräfte nehmen stetig zu. — Das Wetter ist sehr schön. Bei der Präsidentenwahl im Reichstage trat die Thatsache hervor, daß keine der großen Parteien sich mit dem Zentrum verbünden mochte, wenn auch bei der Stich wahl zwischen Stauffenberg und dem ultramontanen Frankenstein eine Anzahl deutschkonfervativer Stimmen dem letzteren zugefallen sind. Das Zentrum pflegte in früheren Jahren bei der Wahl des ersten Präsidenten für Forckenbeck zu stimmen; diesmal ist es auch bei der ersten Abstimmung gleich seine eigenen Wege gegangen, und Forckenbeck erscheint sonach nicht als Vertrauensmann des ganzen Reichstags, sondern nur der konservativ-liberalen Partei, jedoch vom äußersten deutschkonservativen Flügel bis zur Fortschrittspartei einschließlich. Stauffenberg er schien im ersten Wahlgang als Kandidat der National- liberalen und der Fortschrittspartei gegenüber dem konser vativen Kandidaten v. Seyscwitz und dem ultramvntanen v. Frankenstein. Bei der Stichwahl fielen die freikonser vativen Stimmen auf Stauffenberg, die Deutschkonservativen stimmten theils für den vom Zentrum ausgestellten Franken stein, theils enthielten sie sich der Abstimmung. Mit der Wahl des Fürsten Hohenlohe-Langenburg zum zweiten Vizepräsidenten wurde endlich den Konservativen ihr Recht, aber freilich nicht im Verhältniß ihrer Stärkt gegenüber den Nationalliberalen. Regierungsrath Wagener erklärt gegen die sozial demokratischen Anschuldigungen, daß er in den Jahren 1863 und 1864 niemals weder direkt noch indirekt durch einen Geheimsekretär die ihm vorgeworfene Unterhandlung mit Sozialdemokraten führte. Eine Unterredung des „Times"-Korrespondenten mit dem Fürsten Bismarck erregt überall großes Auf sehen und werden wohl noch weitere Erklärungen Hervor rufen. Der Pariser Berichterstatter der „Times", Blowitz, der zum Kongreß in Berlin anwesend war, berichtet nach träglich über dieses Gespräch, das am 2. Juli stattgefunden und über die Periode des Jahres 1875, wo Deutschland der Absicht eines neuen Krieges gegen Frankreich be schuldigt wurde, wie folgt: „Ich würde jetzt «in Bezug auf den damals tagenden Berliner Kongreß) nicht den Frieden erstrebt haben, wäre ich der Bösewicht gewesen, den Gvrtschakoff aus mir im Jahre 1875 machen wollte. Die ganze Geschichte, die damals Europa ausschreckte und der ein Brief in der „Timeö" einen so großen Wiederhall verlieh, war nichts als ein von Gvrtschakoff und Gontaut-Biron geschmiedeter Plan. Es war ein Plan Gontaut's und Gortschakofs s, der begierig war, bas Lob der französischen Zeitungen einzuhcimsen und „Retter Frankreichs" genannt zu werden. Sie hatten das so abgekartet, daß das Ding gerade am Tilge der Ankunft des Czaren platzen sollte, welcher als ein Huo» egv erscheinen und durch sein einfaches Dazwischentreten Frankreich Sicherheit, Europa den Frieden und Deutschland Ehre verleihen sollte. Ich sah niemals einen Staatsmann un bedachtsamer Hankeln — aus einem Gefühle der Eitelkeit eine Freundschaft zwischen zwei Regierungen in Frage stellen, sich selbst den ernstesten Folgen auösctzen, um sich die Rolle deS Retters anzumaßen, wenn nichts in Gefahr war. Ich sagte dem Czaren und sagte Gortschakoff: „Wenn ihr so große Lust zu einer französischen Apotheose habt, so besitzen wir noch Kredit genug in Frankreich, um im Stande .zu sein, euch auk irgend einer Schaubühne im mythologischen Kostüm, mit Flügeln an den Schultern und von bengalischem Lichte bestrahlt, erscheinen zu lassen. Es war wirklich nicht der Mühe werth, uns als Bösewichte darzustellen, einzig um ein Rundschreiben erlassen zu können." Das berühmte Rundschreiben begann noch dazu mit diesen Worten: „Der Friede ist jetzt gesichert" und als ich mich wegen dieser Redensart beklagte, die alle die beunruhigen den Gerüchte bestätigt haben würde, ward sie abgeändert in: „Die Aufrechterhaltung des Friedens ist jetzt gesichert", was nicht viel weniger bedeutete. Ich sagte dem rufsijchen Kanzler: „Ihr werdet sicher nicht viel Gelegenheit zur Beglückwünschung wegen dessen haben, was ihr gethan, um unscreFreundschait für eine leere Genngthuung auf's Spiel zu fetzen. Ich sage euch un umwunden, daß ich ein guter Freund mit Freunden und ein guter Feind mit Feinden bin." Und Gortschakoff, während er in den letzten zwei Jahren in die Orientwirren verwickelt war, hat das auch gefunden. Wäre es nicht wegen der Geschichte von 1875, so wäre er nicht wo er ist und würde nicht die politische Niederlage erlitten haben, die ihm so eben zu Theil ward." Auch über seine Unterredung mit Thiers während der Friedensverhandlungen, als er "im Zorne deutsch zu sprechen begann, machte Fürst Bismarck ebenfalls Mittheilungen: „Ich besinne mich auf einen Vorfall, den ich nie vergessen werde," sagte er, „wir hatten eine Frage zu erörtern, über die wir uns nicht einigen konnten. Herr ThierS kämpfte wie ein dv-tu diakle. Herr Julcö Favre weinte, machte tragische Gesten und kein Fortschritt ward gemacht. Plötzlich begann ich deutsch zu reden. Thiers blickte mich mit erstaunter Miene an und sagte: „Sie wissen sehr wohl, daß wir kein Deutsch verstehen." „Ganz richtig", erwiederte ich, „wenn ich mit Leuten spreche, mit denen ich schließlich zu einem Einverständnisse zu gelangen hoffe, so spreche ich ihre Sprache; aber wenn ich zu sehen be ginne, daß cs nutzlos ist, mit ihnen zu verhandeln, so spreche ich meine eigene; laßt einen Dolmetscher holen." Die Wahrheit ist, ich war in Eile, die Angelegenheit zu erledigen. Ich batte seit einer Woche auf Dornen gelegen. Ich erwartete jede Nacht durch ein Telegramm aufgeweckt zu werden, das eine englische, russische, österreichische oder italienische Forderung zu Gunsten Frankreichs brachte. Ich weiß zwar, daß ich es unbeachtet ge lassen haben würde, aber es würde nichtsdestoweniger eine mittelbare Einmischung sein, und eine Einmischung in den Zwist zwischen Frankreich und Deutschland. DaS mußte auf alle Fälle vermieden werden, und deshalb war es, daß ich trotz meiner Bewunderung kür Herrn Thiers' patriotische Zähig keit so ohne weiteres deutsch zu sprechen begann. Diese Taktik hatte eine seltsame Wirkung, Herr JuleS Fabre streckte seine langen Arme gen Himmel, seine Haare sträubten sich, er stürzte in eine Ecke des Zimmers, den Kopf gegen die Mauer drückend, alö wenn er nicht Zeuge der Erniedrigung Frankreichs sein wollte, daß man seine Vertreter zwang, die Verhandlungen auf deutsch sortzusührcn. Herr ThierS blickte über seine Brille mit einer entrüsteten Miene, eilte darauf nach einem Ende deS Zimmcrö an einen Tisch und ich hörte seine Feder fieberhaft über das Papier eilen. In kurzer Zeit kehrte er zurück, seine kleinen Augen flammten über die Brille und mit heiserer Stimme sagte er, mir daS Papier gebend: „Ist das, was Sie wünschen?" Ich blickte auf daö, was er geschrieben, cö war ausgezeichnet abgefaßt und fast genau, waö ich brauchte." In Wiener militärischen Kreisen wird behauptet, daß die Zahl der Okkupationstruppen zwar bedeutend verstärkt werden, von einer erhebliche» Erweiterung des Okkupations terrains jedoch vorläufig Abstand genommen werden solle. Der KriegSrath habe beschlossen, vor der Hand zumeist auf die Sicherung der errungenen Positionen Bedacht zu nehmen. Die „Wiener Abendpost" bezeichnet die Nachricht von der Rückverlegung des Hauptquartiers der 2. Armee nach Brod als vollständig unbegründet. Der Oberbefehls haber, Baron Philippovich, bleibt nach wie vor mit seinem Stabe in Serajewo und nur für die Dauer der läags der Save und der nordwestlich n Grenzen Bosniens eing leite ten Operationen Mrd ein Theil des Kommandos der 2. Armee mit dem Stellvertreter des Armee-Kommandanten an der Spitze in Brod etablirt. — Ein Telegramm des „N. Wiener Tgbl." meldet aus Sissek: Viele der dort durch- passirenden Verwundeten sind ents tzlich verstümmelt, einiaen fehlen Nasen und Ohren, zweien sind die Augen ausge- stochsn, auch ein Arzt befindet sich unter den Verwundeten,