Volltext Seite (XML)
159. 1878. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile oder deren Raum 15 Pfennige. 30. Jahrgang. Domerstag, den 11. Juli. ' und TaMM. Amtsblatt sür die königlichen nnd Müschen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr sür den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pf., zweimonatlich 1 M. 50 Pf. u.emmonatl. 75 Pf. Maßregeln gegen die Sozialdemokratie. Innerhalb der freisinnigen Partei hat die Meinungs verschiedenheit über die Mittel zur Bekämpfung der Sozial demokratie auch unter dem Eindrücke der jüngsten schmerz lichen Ereignisse nicht aufgehört. Während die Einen nach wie vor eine Scheu und Abneigung gegen alle aus dem Rahmen der Verfassung heraustretende Gesetzgebung hegen, sind die Anderen heute n cht mehr dieses Sinnes, sondern gewillt, für ein Ausnahmegesetz zu stimmen. An und für sich ist dieser Zwiespalt von Meinungen ohne Berührung politischer Prinzipien, wenigstens unter der Voraussetzung, daß die Bekämpfung der Sozialdemo kratie als eines allgemeinen Unheils für berechtigt und ge boten erkannt wird. Ist man der Meinung, in der Sozial demokratie eine politische Partei zu haben, deren Wirken zwar auf radikale Ziele ausgehe, doch in seinem ideellen Antrieb nichts Verwerfliches habe, so kann man eine Aechtung Derselben durch ein Gesetz, durch eine nur gegen sie gerichtete Ausnahmemaßregel, unmöglich billigen. Das wäre eine Untreue gegen Prinzipien, die auf der Ueber- zeugung von der Nothwendigkeit eines gleichen Rechts für Alle im Staate beruhen. Es giebt heute noch freisinnige, weitaus aber mehr konservative und ultramontane Männer, welche dieser Auffassung huldigen, weil ja nicht allein die Regierung lange Jahre das Treiben der Sozialisten still schweigend anerkannte und selbst unterstützte, sondern weil die wirthschaftliche Seite derselben ja gewiß nicht ohne Berechtigung und sittliche Bedeutung wäre, würde sie eben nicht nur der Deckmantel eines gesellschaft lich todtfeindlichen Anarchismus sein. Eine solche Erkenntniß aber hat nach und nach die Offenherzigkeit der deutschen Sozialistenpresse hervorgerufen; diese selbst hat kein Hehl aus ihren Umsturzideen gemacht und macht sie auch heute noch nicht. Wer hören und sehen will, der kann die Sozialdemokratie nicht als eine radikale politisch-wirthschaftliche Partei gelten lassen, mit der ein geistiger Kampf möglich und ausgleichend für die Allge meinheit der Ideen wäre, sondern er muß sie als eine Sekte von geschworenen Feinden der gesammten Gesellschaftsord nung nach ihrer ganzen historischen, sittlichen und bildungs vollen Entwicklung begreifen, als eine Wühlerei in der großen Masse des Arbeiterstandes für Utopien, zu deren Verwirklichung dieselbe durch Verrohung und bratale Ver nichtung des Bestehenden zu gelangen hofft. Auch der Jesuitenorden ist ein religiöser; aber unter dieser Firma birgt er so zerstörende Tendenzen für Staat und Gesellschaft, daß er schon seit einem Jahrhundert und länger von fast allen Regierungen in den ihnen zuständigen Staaten verboten, ja von Papst Clemens XIV. gänzlich aufgehoben wurde, ohne daß er freilich unter dem heimlichen Schutz mächtiger Gönner und nach wieder erlangter Macht beim Papstthum seinen Untergang gefunden hätte. Preußen und Deutschland haben nicht Anstand genommen, wenigstens sein offenes Treiben im Lande durch ein Verbotsgesetz un möglich zu machen und allgemein hat man diese Aus nahmsmaßregel für berechtigt und nothwendig ge funden. Und anders als wie der Jesuitenorden ist die sozialdemokratische Organisation bezüglich ihrer Gemein schädlichkeit nicht aufzufaflen. Wie der Religion und der Freiheit ihrer Ausübung durch ein Verbot der Jesuiten Wühlerei nicht zu nahe getreten wird, so wenig der politi schen Freiheit durch eine Aechtung der sozialdemokratischen Agitation, die unter dem Schutze der Gesetze eine Ver schwörung gegen das Wesen der bestehenden Gesellschaft unternommen. Ganz richtig sagte der Stadtsyndikus Zelle in Berlin in seiner neulichen Wahlrede, daß die Sozialdemokiatie keine politische Partei sei, sondern eine reine Interessen vertretung, die als solche nicht ins Parlament gehört. Er charakterisirte sie als aus drei Schichten bestehend: aus Schwärmern, die von ihren wunderbaren Lehren wirklich überzeugt oder Agitatoren von Profession sind; ferner aus der großen Masse der Arbeiter und Gesellen, welche diesen Führern anhängen und ihnen willenlose Folge leisten; endlich aus jener Masse energie- und charakterloser, arbeits scheuer, unzufriedener, verlumpter Kreaturen, die als Winkel agitatoren und Kolporteure sich durchfressen wollen und bei einer Revolution nichts zu verlieren, sondern mit ihrem weiten Gewissen Alles zu gewinnen haben. Das Urbild dieses Anhängsels, Einer aus dieser Meute, war die ver- thierte Jammergestalt Hödels, dessen Prozeß heute vor dem Berliner Staatsgerichtshof seinen Anfang genommen. Bei einer solchen und durch die Thatsachen vollauf sich rechtfertigenden Auffassung der Sozialdemokratie kann Nie mand ein prinzipi elles Bedenken darin finden, daß gegen diese Partei ein Ausnahmegesetz gerichtet werde. Das englische Parlament erließ mehr als eins gegen die etwa gleich gemeinschädlich auftretenden Fenier. Wenn aber einer unheilvollen, bestimmt erkennbaren Wühlerei wegen für das ganze Volk eine Beeinträchtigung seiner verbrieften Freiheiten durch Abänderung der allgemeinen Gesetzgebung beabsichtigt sein sollte, so wäre dies eine ebenso ungerechtfertigte wie zweischneidige Maßregel, mit der leichter und mehr Mißbrauch getrieben werden könnte, als mit einem genau und korrekt abgefaßten Ausnahmegesetz gegen die, welche davon getroffen werden sollen. Tagesschau. Freiberg, lO. Juli. Die gestrige 16. Kongretzfitznug begann um 21 Uhr und schloß gegen 5 Uhr Nachm. In ihr wurde eine weitere An zahl von Grenzfragen erledigt. Bezüglich der Grenzen bei Batum fand eine lange minutiöse Diskussion statt, die zu einem befriedigenden Abschlusse führte. Es bestätigt sich völlig, daß die Entfestigungsfrage in keiner Weise berührt wurde. Heute glaubt man den Rest der dem Kongresse vorliegenden Fragen zu erledigen und vielleicht schon arti kelweise die Lesung des Vertrages beginnen zu können. Dieselbe dürfte am Donnerstag fortgesetzt und voraussicht lich beendigt werden, alsdann würde am Freitag keine Sitzung stattfinden und am Sonnabend die Unterzeichnung erfolgen dürfen Ebenso ist für Sonnabend zu Ehren der Kongreßbevollmächtigten ein Diner im Weißen Saale des Königsschlosses festgesetzt. Wie gestern bereits telegraphisch erwähnt wurde, sind die Vertreter Italiens und Frankreichs auf dem Kongresse durch die Mtttheilung über den englisch türkischen Defensiv-Vertrag betreff Cyperns sehr überrascht worden. Man meint, daß die gegenwärtige Publikation der Konvention erfolgt ist, um die Stimmung des engli schen Publikums, welche sich für Batum zu engagiren be gann, durch anderweitige Erfolge zu befriedigen. Die Er klärung, welche die Londoner Regierung im dortigen Par lament abgab, lautet: Im Hinblick auf den Umstand, daß Rußland einen Theil deS astatischen Gebietes des Sultans behalten würde, gingen die Königin und der Sultan am 4. Juni eine Konvention folgenden Inhalts ein: Falls Rußland Batum, Ardahan und Kars, oder einen dieser Plätze erhält, und falls Rußland irgendwie in Zukunft versuchen sollte, Besitz von einem weiteren Theile des astatischen Gebiets des Sultans zu ergreifen, als durch den definitiven Friedensvertrag festgesetzt ist, so verpflichtet sich England, dem Sultan in der Verteidigung seines Gebietes betzustehen. Der Sultan verpflichtet sich seiner seits, die Besetzung Cyperns durch England zu gestatten. Falls Rußland je der Pforte das durch den jüngsten Krieg in Asien erworbene Gebiet zurückgiebt, so solle die Kon vention aufhören und England die Insel Cypern wieder räumen. Da die Bedingungen, auf denen die Konvention basirt, jetzt eingetreten seien, so habe die Pforte einen Ferman erlassen, durch welchen England zur sofortigen Besetzung von Cypern ermächtigt wird. England werde sofort von Cypern Besitz ergreifen; Wolseley sei die Verwaltung der Insel übertragen worden. — Außer dem wurde gestern dem englischen Parlament die diplomatische Korrespondenz vorgelegt, welche eine vom 30. Mai o. datirte Depesche Lord Salisbury's an den Botschafter Layard enthält, worin es heißt, es sei evident, daß Rußland von den Bestimmungen des Vertrages von San Stefano in Bezug auf Batum und die Festungen nördlich vom Araxes nicht abgehen wolle Es sei unmöglich, daß England diesen Vereinbarungen gleichgiltig zusehe, selbst wenn England der Ueberzeugung sein sollte, daß Batum, Ardahan und Kars nicht zu solchen Punkten werden würden, von denen Emissäre ihren Ausgang nähmen, denen dann Jnvasionshecre nachfolgen würden. Unter allen Um ständen würde der Besitz dieser Plätze durch Rußland einen großen Einfluß auf die Zerstückelung der asiatischen Türket ausüben. Das einzige Mittel, der Stabilität der türkischen Herrschaft in Asien eine reelle Sicherheit zu verschaffen, würde sein, wenn eine hinlänglich starke Macht es über nehme, jeden Angriff Rußlands auf türkisches Gebiet mit den Waffen zu verhindern. Die Nähe englischer Offiziere und, wenn nöthig, englischer Truppen würde das geeig netste Sicherheitsmittel sein und die Insel Cypern erscheine als der beste Ort zur Erreichung dieses Zieles. Die Insel Cypern werde fortfahren, einen Theil des türkischen Reiches zu bilden und der Ueberschuß der Einnahmen über die Ausgaben der Insel werde an den Schatz des Sultans abgeliefert werden. Lord Salisbury ersuche Daher Layard, der Pforte die — bereits gemeldete — Konvention vorzu schlagen. Layard zeigt dann unterm 5. Juni o. an, daß die gedachte Konvention zwischen ihm und Savfet Pascha abgeschlossen und unterzeichnet worden sei. Den österreichischen Kongreß-Delegtrten stehen gerücht weise hohe Auszeichnungen bevor; Andrassy soll zum Für sten erhoben werden, Karolyi wird das Grobkreuz des Stefansordens erhalten, Haymerle ist das Großkreuz des Leopoldordens zugedacht, Teschenberg erhält die zweite Klasse des Ordens der eisernen Krone, mit welcher die Erhebung in den Freiherrnstand verbunden ist. — Die Neue Presse meldet aus Serajewo: L>eit der Nachricht des bevorstehenden österreichischen Einmarsches herrscht hier große Aufregung. Die Bazars wurden geschlossen, die Türken versammelten sich am Freitag bewaffnet, die Chri sten fraternisirten mit ihnen; vor der Kaserne fand eine große Demonstration gegen den Militär-Kommandanten statt, dessen Abdankung erzwungen wurde. Vorläufig sind keine Exzesse vorgekommen, aber die Lage ist bedrohlich. In Frankreich will man sich noch immer nicht zu friedengeben mit der Stellung, welche die diplomatischen Vertreter des Landes auf dem Kongreß gespielt haben. Der Regierung erwächst daraus die unbequeme Aufgabe, sich und ihre Repräsentanten zu rechtfertigen und ihren Antheil bei den internationalen Ausgleichsarbeiten hervor zuheben. — Auch die alten Verdächtigungen Deutschlands tauchen wieder auf. Der „Soleil" sagt in einem Kom mentar zu dem Werke des Kongresses: „Mit Ausnahme von Frankreich und Deutschland nimmt, empfängt, erstrebt oder fordert jeder Einzelne einen direkten oder indirekten Antheil an der Ernte. Die Interesselosigkeit Frankreichs ist nothwendig, aber die Interesselosigkeit Deutschlands überrascht und beunruhigt uns. Bismarck habe Europa nicht an ein so chevalereskcs Vorgehen gewöhnt. Was mag er sich als Antheil Deutschlands Vorbehalten haben?" Nach englischen Blättern wird Wolseley in einigen Tagen nach Cypern abrcisen. Eine Atheilung indischer Truppen soll gleichzeitig dahin abgehen. Alle Zeitungen, mit Ausnahme der „Daily News", sprechen sich in sehr günstiger Weise über die mit der Türkei abgeschlossene Konvention aus und bezeichnen sie als einen kühnen poli tischen Schritt, der sehr wohl geeignet sei, die englischen Inte ressen in Indien und am Suezkanal zu schützen. Die „Daily News" sprechen sich gegen die Konvention aus und heben die große Verantwortlichkeit hervor, welche England dadurch für die asiatische Türkei übernommen habe. Der Umschwung in Belgien, das dem Liberalismus wieder erobert worden, zeitigt kühne Pläne, über deren thatsächlichen Hintergrund wir uns noch kein Urtheil bilden können. Freiherr d'Anethan, der Gesandte beim Vatikan, soll nämlich einen längeren Urlaub erhalten haben. Welcker als der Vorläufer der Aufhebung der belgischen Ge-