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mkMIyeigex md Tageblatt ! 30. Jahrgang. den _ Hx j Sonnabend, den 1. Ium 1878 berufenen Vertretungskörper beehrt sich die Regierung, zu machen, daß sich das unter Mitwirkung der hierzu Vorsorge zu treffen/' Diesem Beschlusse entsprechend, der Delegation die Mittheilunq gemeinsame Ministerium wegen der Bedeckung des bewillig ten Kredits an die beiderseitigen Finanzminister gewendet hat, und daß die Regierung einen Theil dieses Kredits nunmehr thatsächlich zu verwenden gedenkt. Die Regierung hat die Gründe, welche die Bewilligung des Kredits moti- viren, seinerzeit erschöpfend dargelegt. Die Konstellation, für welche damals der Kredit als nothwendig erachtet wurde, war keine andere als diejenige, für welche die Regierung heute die Verwendung in Aussicht nimmt. Die Regierung mußte die Bedeckung und theilweise Verwendung des Kre dits in dem Momente verlangen, wo es klar geworden war, daß die Entscheidung über die Frage, ob die Krise zu einem Kongresse oder zu neuen Konflikten führen würde, nicht mehr auf sich warten lassen könne. Wie immer diese Ent scheidung ausfallen möchte, in keinem Falle konnten die nöthigsten militärischen Vorkehrungen länger verschoben werden. Die Monarchie darf nicht in eine Lage gerathen oder in einer Lage verbleiben, welche uns die moralische Abhängigkeit von dem einen oder dem andern der mit- betheiligten Staaten bringen müßte. Diese Staaten haben die größten Opfer für die Aufrechterhaltung ihrer Interessen gebracht, und die österreichisch-ungarische Monarchie kann auf einem Kongresse oder auch ohne denselben als gleich berechtigter und gleich machtvoller Faktor erscheinen. Wir bedürfen gewisser militärischer Vorkehrungen, wenn der Kongreß zu einem europäischen Einvernehmen führt, weil damit der Moment gekommen sein wird, wo sich die Um gestaltung aller Verhältnisse an unserer Grenze erst faktisch vollziehen soll, und weil in diesem Falle noch Komplikatio nen entstehen können, die auch nach erfolgter Einigung über die allgemeinen europäischen Interessen unsere speziellen Interessen in Frage stellen können. Wir bedürfen solcher Vorkehrungen auch für den Fall, als es dem Kongresse nicht gelingen sollte, eine Einigung zu erzielen, um dann in der Lage zu sein, den Ereignissen gegenüber Stellung zu nehmen. Ueber die militärischen Maßnahmen, zu deren Aus führung ein Theil des bewilligten Kredits verwendet werden soll, kann die Regierung nur im Allgemeinen Aufschluß geben. Sie ist überzeugt, daß ein Eingehen ins Detail nicht von ihr verlangt werden wird. Es sind dies Vor kehrungen, welche vom Standpunkte der militärischen Ver antwortlichkeit nothwendig erschienen sind. Der Zweck der selben ist die Verstärkung der k. k. Truppen dort, wo sie auf dem Friedensfuße ihren jetzigen oder eventuellen Auf gaben nicht entsprechen könnten, wie beispielsweise in Dal matien und Siebenbürgen; ferner die Herstellung der Bereitschaft einiger Truppenkörper, damit dieselben dort, wo es nothwendig erscheinen sollte, nach Bedarf verwendet werden können; endlich, da Oesterreich-Ungarn an seinen Grenzen weniger befestigte Punkte besitzt, als irgend ein anderer Staat, die Instandsetzung einiger Vertheidigungs- posittonen, verbunden mit Maßnahmen, welche für den Fall des Aufmarsches die Sicherung unserer Kommunika tionen erfordert. Was die politischen Zwecke anbelangt, welche die Re gierung im Auge hat, so sind sie unverändert die nämlichen, die sie vom Anfang an geleitet haben. In der Ueber- ^eugung, daß die durch den Krieg entstandenen Fragen nur m Vereine mit Europa eine friedliche Lösung erhalten önnen, hat die Regierung die Initiative zur Einberufung eines Kongresses ergriffen. Als die Delegation zuletzt tagte, waren die einzelnen Stipulationen des Präliminar vertrages von San Stefano noch nicht bekannt. Die spätere Veröffentlichung derselben hat Zwischenfälle und Verhandlungen zwischen den einzelnen Mächten hervorge rufen, welche das Zustandekommen des Kongresses eine Zeit lang in Frage zu stellen schienen. Heute ist die Aussicht näher gerückt,daß derKongreß inkurzer Zeit zu Stande kommen werde. Als ihre Aufgabe diesem Kongresse gegenüber hat es die Regierung bezeichnet, nach wie vor für die Erhaltung des europäischen Friedens zu wirken, zugleich aber für die Wahrung der österreichisch- ungarischen, sowie der allgemeinen Interessen mit Ent schiedenheit einzutreten. Die Regierung hat diesen Stand punkt schon vor dem Bekanntwerden des Präliminar friedens von San Stefano eingenommen, sie hält daran auch heute fest. Indem die Regierung konstatirt, daß die Situation, in der sie den verlangten Kredit in Anspruch nimmt, genau diejenige ist, in deren Voraussicht sie die Bewilligung des selben begehrt hat, ferner, daß ihre Politik in keiner Weise eine Aenderung erfahren hat, bittet sie die Delegation, die Mittheilung, wonach die Regierung den ihr für den Fall der Nothwendigkeit der Entwicklung der Wehrkraft in der Sitzung vom 21. März l. I. votirten Kredit zur theil- weisen Verwendung in Anspruch nimmt, in Ausführung >es mit allerhöchster Entschließung vom 24. März l. I. sanktionirten Beschlusses zur Kenntniß nehmen zu wollen. (Beifall.) Auf eine Anfrage des Abgeordneten Sturm über die- enigen Punkte im San Stefano-Vertrage, welche öster reichische Interessen berührten, erklärte Graf Andrassy, es et nicht möglich, eine detaillirte Auskunft darüber zu geben. Er wolle aber die Hauptpunkte mitthetlen. Die Regierung verlange einen wirklichen Frieden und nicht einen solchen, welcher den Keim neuer Komplikationen in sich trage. Die Ausdehnung der Grenzen Bulgariens errege begründete Besorgnisse. Die freie Entwickelung der christlichen Völker m Orient sei nicht gegen die Interessen Oesterreichs und Europas. Anders stehe es um die Konstituirung eines Staates, welcher andere Nationalitäten unterdrücken könne. Keine Regierung habe ein Interesse daran, für die Inte grität des statu» guo in der Türkei einzutreten. Dagegen habe Oesterreich und Europa ein Interesse daran, daß das, was der Türkei verbleibe, auch bleibend erhalten werde. Besorgniß errege ferner die Frage des Ueberganges von dem Kriege zum Frieden. Eine zweijährige Okkupation Bulgariens, sowie die theilweise Besetzung Rumäniens mit dem freien Durchzug der russischen Truppen sei zu lange bemessen. Es sei zu fürchten, daß in Folge dessen das Vertrauen auf eine bleibende Lösung lange auf sich warten lasse und daß die HandelStnteressen io suspenso blieben. Em weiterer Punkt sei die Begrenzung der kleinen Nach barstaaten. Oesterreich wolle der Entwickelung der christ lichen Völker im Orient nicht entgegentreten. Die Kon stantinopeler Konferenz habe auch eine Vergrößerung Mon tenegros in Aussicht genommen. Oesterreich habe im All- gemeinen kein Bedenken gegen einen Gebietszuwachs für Serbien und Montenegro. ES handele sich aber darum, daß die natürlichen Verbindungen Oesterreichs mit dem Oriente nicht abgeschnitten würden und daß keine weiteren Okkupationen und Formationen entstünden. Diese Punkte seien den Mächten und Rußland offen gekennzeichnet worden, für dieselben werde die Regierung auf dem Kongresse offen und ehrlich wirken. Einer der angesehensten Familien Englands entsprossen, trat er, als dritter Sohn des Herzogs von Bedford, kaum 21 Jahr alt, im Jahre 1813 ins Unterhaus, wo er schon nach wenigen Sessionen sich durch den ganz besonderen Eifer bemerklich machte, mit dem er die Sache der Wahl reform betrieb. Diese Wahlreform war ihm dann auch wirkliche Herzensangelegenheit geworden und bei der Fülle geradezu unerträglicher Zustände, welche die alte Wahlge- etzgebung der vereinigten drei Königreiche traditionell mit ich herumschleppte, — Burgflecken, die nur auf der Karte, nicht aber in Wahrheit existirten, hatten das Recht, Abge ordnete zum Parlament zu ernennen, während große Städte, wie Manchester, Leeds u. s. w. dieses Privilegs beraubt blieben — ist die Energie, mit welcher Lord Russell alljährlich seinen Reformantrag, trotz aller Niederlagen, wieder einbrachte, vielleicht weniger zu bewundern, als die Hartnäckigkeit anzustaunen, mit welcher die verblendete Aristokratie sich dieser Reform widersetzte. Endlich nach dreizehnjährigem Ringen gelang es, im Jahre 1832 die Reformbill durchzusetzen und so den bürger lichen Mittelstand zum Parlamentswähler zu gestalten. Von diesem Augenblick wurde Lord Russell der anerkannte Führer (Leader) der Whigpartei und drei Jahre später trat er zum ersten Mal ins Ministerium. Den ver schiedenen whigistischen Kabinetten hat er seit jener Zeit bis zum Jahre 1866 theils als Mitglied, theils als Kabtnetschef angehört, in unermüdlichem Kampfe für die Ausbreitung liberaler Ideen begriffen. Seiner Unterstützung war zum Theil die Abschaffung der Kornzölle zu danken; er war es, der das Freihandels system von der Theorie in die englische Praxis überführte und im Jahr 1860 durch den Handelsvertrag mit Frankreich überhaupt das neue Vertragssystem inaugurtrte, welches seitdem auch dem europäischen Kontinent maßgebend geworden war. Minder glücklich war Lord Russell allerdings in der Leitung der auswärtigen Politik. Hier kann er zuerst als der Vater jenes Nicht-Jnterventtons-Prinzips be trachtet werden, das — in grellem Gegensatz zu den Strebungen seines Parteigenossen — allerdings dazu beitrug, Englands Einfluß im Rathe der Nationen herabzumindern und jene quietistische Anschauung, welche nur auf den Wollsack und den Geldbeutel pocht, zu befördern, von der sich die englische Politik eben erst so mühsam zu erlösen begonnen hat. Seine halbe Parteinahme für Dänemark im Jahre 1864 ist noch in Aller Gedächtniß. Sie hatte zur Folge, daß sich Dänemark, auf Russells Versprechungen bauend, auf einen Krieg einließ, den es wohl vermieden haben würde, wenn es im Voraus geahnt hätte, daß England es schließ lich doch im Stich zu lassen gedächte. Schon vorher hatte der Krimkrieg Russells politische Lorbeeren (1855) auf der Wiener Konferenz nicht vermehrt, und wenn er auch 1850 für Italien Partei ergriff, so steckte er doch 1863 ruhig die famose Gortschakoff'sche Polendepesche ein, die er mit Napoleon III. unvorsichtig genug durch seine maulhelden hafte Parteinahme für die Aufständischen hervorgerufen hatte. Trotz all dieses Mißgeschicks aber bleibt Earl Russell, der sich späterhin für das neue deutsche Reich und seinen Kulturkampf wohl zu erwärmen wußte, dennoch einer der hervorragendsten Männer, welche das moderne England gezeitigt. Freilich darf nicht verschwiegen werden, daß auch von seiner Führung der Niedergang der liberalen Partei in England, wie er später unter Gladstone so grell in die - Erscheinung getreten, mit herdatirt, und in dieser Beziehung wird den sonst so verdienstvollen Mann die Geschichte l dereinst nicht ganz milde beurtheilen. Tagesschau. Freiberg, 31. Mai. Die neuesten Nachrichten über den Zusammentritt des Kongresses sind zur Abwechslung wieder einmal ziemlich widerspruchsvoll. Aus Wien meldet man, offiziell sei eine Einladung zum Kongreß noch nicht ergangen. Auch Ort und Datum des Kongresses wären noch nicht sestgestellt; wahrscheinlich dürfte derselbe am 15. Juni in Baden zu sammentreten. In Berlin wird svear behauptet, daß Gras Schuwalofs's Instruktionen sich als ungenügend er wiesen, um ein befriedigendes Einverständniß mit der eng lischen Regierung zu erzielen; Schuwalvff habe auf tele- Oesterreichs Haltung. Graf Andrassy hat sich über die vielbesprochenen österrei chischen Interessen und deren Schutz vor der Wiener Delega tion mit möglichster Offenheit geäußert. Es geschah dies am Dienstag Abend durch ein Exposö, in welchem er die nunmehrige thatsächliche Inanspruchnahme des auf Oesterreich fallenden Theiles des 60-Millionenkredits be gründete. Dasselbe lautet: Die hohe Delegation hat in ihrer Sitzung vom 21. März 1878 folgenden Beschluß gefaßt: „Für Len Fall, als die weitere Entwickelung der orien talischen Ereignisse behuss Wahrung der wesentlichen Interessen der österreichisch-ungarischen Monarchie die Entfaltung der Wehr kraft zur unabweislichen Nothwendigkeit machen sollte, wird das gemeinsame Ministerium ermächtigt, einverständlich mit den Regierungen beider Staatsgebiete die für diesen Zweck dringend erforderlichen Ausgaben bis zur Höhe von 60 Millionen be streiten zu dürfen. Bei der Inanspruchnahme dieses hiermit bewilligten Kredits ist sofort den Delegationen eingehende Mit- theilung zu machen. Für die Bedeckung dicker Summen ist Lord KusseU -j- Am Abend des 28. Mai ist Earl Russel in seinem 86. Lebensjahre zu London gestorben. Mit ihm scheidet einer jener englischen Staatsmänner aus den Reihen der Lebenden, welche in ihrer Individualität eine ganze Partei richtung zu personifiziren pflegten. Mit Lord Palmerston war er lange Zeit hindurch der Führer der großen liberalen Whigpartei, und wenn ihn auch zeitwerlig persönliche Reibungen mit diesen Gesinnungsgenossen zerfallen ließen, so hat Lord Russell seine liberaien Grundsätze darum doch nie auch nur einen Augenblick lang verleugnet. Amtsblatt für die königlichen nnd Mischen Behörden z« Freiberg nnd Brand Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. Inserate werden bis Vormittags II Uhr angenom men und betragt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum lü Pfennige. 'N Us * Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für V andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 s zweimonatlich I M. 50 Pf. n. einmonatl. 75