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I 30. I-Hrgaug. H > Donnerstag, den 21. November 1878 Andrassy und die Delegationen. Grafen Andrassy schon seit Jahren hervorgerufen — alle diese verstimmenden Momente sind so mächtig geworden, daß sich die Oesterreicher sagen: schlimmer als jetzt kann es nicht werden, sondern nur bester, deshalb lasten wir unserer Opposition gegen Andrasth freien Lauf. Wie gesagt, heute schon das Endergebniß Vorhersagen zu wollen, wäre müßige Arbeit. Möglich, daß sich die ungarische Delegation für, dis österreichische gegen An- drassy erklärt und daß dann entweder Andrasty's Rücktritt oder die Auflösung des Wiener Reichsraths erfolgt; mög lich aber auch; daß sich schließlich beide Delegationen fügen. Jedenfalls ist die Situation gespannter denn je. stellen? Werden sie mit sauer-süßer Miene zu dem Ge schehenen ihr Ja und Amen sagen, oder durch entschiedene Mißbilligung den Reichskanzler zum Rücktritt veranlassen? Von der Beantwortung, welche diese Fragen durch die Ereignisse demnächst erfahren werden, hängt ungemein viel ab; viel nicht nur für die Gestaltung der inneren Zustände der habsburgischen Monarchie, sondern auch für die Lage Europa's. Denn an die Frage, ob Graf Andrasth im Amte verbleibt, knüpft sich sogleich die weitere Frage, wer ihn ersetzen würde, wenn er gehen sollte? Diese Frage läßt zahlreiche schwere Bedenken und Zweifel aufsteigen. Man mag über den österreichischen Reichskanzler und seine von Anfang an merkwürdig ungeschickte und passive Orient- Politik denken wie man will, Eines wird man zugeben müssen: während seiner Amtsführung hatte Oesterreich- Ungarn im Innern erträgliche Ruhe und nach Außen hin freundschaftliche Beziehungen zu seinen natürlichen Bundes genossen Rußland und Deutschland. Der Verbleib des Grafen Andrasth im Amte sichert die Fortdauer dieses zu friedenstellenden Verhältnisses; bei seinem Rücktritt aber stehen wir vor dem Ungewissen und Unberechenbaren. Nach welcher Richtung hin sich der habsburgische Staats wagen bewegen würde, das wäre nicht mit Wahrscheinlich keit voraus zu sagen; aber Mancherlei spricht dafür, daß sich die Dinge nicht günstiger, sondern ungünstig^: für die innere Lage wie für die Verhältnisse zu den auswärtigen Mächten gestalten würden. Im Innern tauchten jedenfalls die staatsrechtlichen Fragen wieder auf und eine centraltstische oder föderalistische Bewegung wäre im Gefolge ; im Aeußeren würde die Drei-Kaiser-Allianz einen argen Stoß erleiden und vielleicht eine Annäherung an die Westmächte eintreten. Nach beiden Richtungen hin sind ja schon mehrfach An strengungen gemacht worden. Unter solchen Verhältnisten wird man also, auch ohne begeisterter Verehrer des Grafen Andrasth zu sein, sich sagen müssen, daß sein Verbleiben im Amte immer noch bester für Oesterreich und für uns wäre, als sein Rücktritt. Inserate werden bis Vormittag- 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile oder deren Raum 1ü Pfennige. würden in der gegenwärtigen Session nicht ein gebracht werden; jedoch gehöre die Durchführung des Reformwerkes für die gesammte Monarchie nach wie vor zu den nächsten Zielen der Staatsregierung. Weiter kündigt sie Thronrede Gesetzentwürfe an, betreffend die Aufbringung der Gemeindeabgaben, die Vorbildung im höheren Ver waltungsdienst, die Reform des sächsischen Domstifts, zur Ausführung des deutschen Justizgesetzes und zur Neuord- nung der Disziplinarverhältntste der Studirenden. Schließ lich sagt die Thronrede eine kräftigere Zusammenfassung und Ordnung des Eisenbahnwesens zu. Eine Ergänzung des vaterländischen Eisenbahnnetzes in verschiedenen Theilen des Staates sei unerläßlich. Sofern die Vorarbeiten für Ueberführung wichtiger Aktienbahnen in die Hände des Staates und für den Bau besonders dringlicher Bahnen noch bei Zeiten zum Abschluß gelangen, würde diebetreffende Vorlage eingebracht werden. — Bei der Eröffnungsfeier lichkeit waren etwa 80 Personen anwesend. Die erste Sitzung des Abgeordnetenhauses wurde vom Präsidenten Bennigsen mit einer Ansprache eröffnet, worin er anknüpfend an das vorgestrige Attentat auf den Mo narchen einer befreundeten Nation, auf die Schreckenstage zu sprechen kam, an welchen das theuere Leben Sr. Maj. des Kaisers und Königs gefährdet gewesen sei. Jene Tage seien eine ernste Mahnung für die Vertreter des preußischen Volkes, mit verdoppelter Kraft in Treue und Hingebung sich um die Monarchie als die feste Grundlage der ge- sammten Staats- und Rechtsordnung um den König und die Dynastie zu scharen. Der Präsident schloß mit einem dreifachen, begeistert aufgenommenen Hoch auf Se. Maj. den Kaiser und König Sodann folgte die Mittheilung der eingetragenen elf Vorlagen und die Berloosung der Mitglieder in Abtheilungen. Heute findet die Präsidenten wahl statt. — Die Sitzung des Herrenhauses wurde von dem Herzog von Rattbor mit einer ähnlichen patriotischen Ansprache wie die Sitzung des Abgeordnetenhauses und einem dreifachen Hoch auf Se. Maj. den Kaiser und König eröffnet. Der Herzog von Rattbor wurde mit 66 von 72 Stimmen zum Präsidenten gewählt. Bei der Wahl des ersten Vizepräsidenten erhielt Abg. von Bernuth 32, Abg. Graf Arnim-Boytzenburg 23 Stimmen. In engerer Wahl wurde Arnim mit 41 gegen 32 Stimmen zum ersten Vize präsidenten gewählt. Hierauf wurde zum zweiten Vize präsidenten mit 70 von 71 Stimmen Hasselbach gewählt. Die vorjährigen Schriftführer wurden durch Akklamation wiedergewählt. Der Präsident wünscht und erhält die Ermächtigung, dem Kaiser durch das Präsidium die Glück wünsche des Hauses zur Errettung und Wiedergenesung darzubrtngen. Tagesschau. Freiberg, 20. November. Der Reichskanzler hat beim Bundesrath die Einsetzung einer Kommission zur Revision des Zolltarifs bean tragt. Wie aus der Motivirung dieses Antrages hervor geht, soll die Frage in zwei Theile zerlegt werden, welche getrennt zu behandeln sein würden, nämlich in die eine Frage, in wieweit aus den Zöllen ein dauernd höherer Ertrag für die Finanzen des Reichs zu erzielen sei, und in die andere Frage, ob nicht den vaterländischen Erzeug nisten in erhöhtem Maße die Versorgung des deutschen Marktes vorzubehalten und dadurch auf die Vermehrung der inländischen Produktion hinzuwirken sei. Der erstere Theil, die Frage der Finanzzölle, ist eine Frage für sich und wird im Zusammenhänge mit der Steuerreform zu erledigen sein. Die noch immer wachsende Agitation auf dem Gebiete der Zollpolitik betrifft lediglich den zweiten Theil, die Schutzzölle. Nach dem Anträge des Reichs kanzlers soll hier eine auf sämmtliche Positionen des Tarifs sich erstreckende Prüfung, wenn nöthig unter Befragung der Interessenten u. s. w., eintreten. Nachdem die Sache in Gang gebracht ist, kann man nur wünschen, daß die Re vision des Tarifs so allseitig und so gründlich wie möglich vorgenommen wird. Es ist bereits gemeldet worden, daß über den genauen Zeitpunkt der Wiederübernahme der Regierung von l Setten des Kaisers noch keine weiteren Beschlüsse gefaßt nd. Wenn jetzt versichert wird, es solle demnächst festge- ellt werden, in welchem Umfange der Kaiser die Regierung ibernehmen werde, so ist dies eine unbegründete Muth- maßung, da eine Theilung der RegierungSgeschäste ketneS- alls stattfinden wird. Wie bereits telegraphisch gemeldet, ist gestern Mittag der preußische Landtag durch den Grafen zu Stollberg als Vizekanzler eröffnet worden. Die Thronrede gedenkt der schmerzlichen Ereignisse, welche seit Schluß der vorigen Session das Vaterland in der Person des Kaisers getroffen, hebt hervor, daß die Tage der Prüfung zugleich Tage vaterländischer Erhebung geworden seien, daß das Herz des Volkes in treuer Liebe bet seinem Könige ist. DaS innige Baud, welches das Volk mit seinem Fürstenhaus« verbindet, habe sich auch in dem zuversichtlichen Vertrauen bewährt, welches dem Kronprinzen bet der einstweiligen Führung der Regierung allerseits entgegengebracht wurde. Die Thronrede betont, daß die abermalige Erhöhung des Matrikularbeitrages den nicht unerheblichen letztjährigen Ueberschuß der Einnahmen fast vollständig in Anspruch nehme, und daß infolge weiteren beträchtlichen Mehrauf wandes die Einnahmen nicht zur Deckung der ordentlichen Ausgaben hinreichten. Die Mittel zur Beseitigung dieses Mißverhältnisses würden auf dem dem Reiche überwiesenen Gebiete der Besteuerung zu suchen sein. Bis dahin werde nöthig sein, Mittel und Wege durch eine Anleihe zu be schaffen. Das Auleihegesetz werde unverzüglich vorgelegt werden. Die Thronrede kündigt sodann einen Gesetzent- wurf zur Regelung einzelner Kompetenzbesttmmungen tn- - folge der Aenderungen in den Nessortverhältniffen einzelner Ministerien an. Weitere Vorlagen über die Wei terführung der inneren Verwaltungsreform I Mit Andrassy wissen wir, wie wir daran sind; mit seinem Nachfolger nicht. Die Ungarn, welche bisher die heftigsten Mts den für de« Mouat Gegner der Andrassy'schen Orientpolitik waren, weil sie von der Okkupation Bosniens und der Herzegowina eine I anheim Tag. Prri« vierteljährlich 2 Mark 2d i »er b'S NE'» »»"' T^"»' mttttztichoetm SrpMtt» »»» de« bekannte« «US- EtnfluM sNrchten, haben die!- Sachlage denn auch zabeftellen in Arctberg »«» «ran» zum Prelle «»«fl-retts richtig erkannt. St« kgm: Andralsh tft wmigfteiü 7L Pl-nnlg- angenommen. "» «-»d-mann UM NN«; « wkd l-d-q-ti da-m „«Hal. "... - .. . . .. I ten, daß unseren verfassungsmäßigen Rechten nicht zu nahe Lxpvomon NS8 „frviosrgsr kurviger, l getreten wird ; geht aber Andrassy, so wird sein Nachfolger entweder ein Zentralist sein, der den Ausgleich zu Gunsten eines einheitlichen Staatswesens beschneiden will, oder ein Bekanntlich ist der Mechanismus des österreichisch-! Föderalist, der den Slaven die gleiche Stellung einräumen ungarischen Staatswesens ein sehr komplizirter; die Ver- will, wie den Magyaren. Von beiden haben wir also noch tretung der auswärtigen Politik wie überhaupt der gemein- weniger zu erwarten, als vom Andrassy; deshalb wollen samen Angelegenheiten beider Reichshälften gehört nicht vor wir ihm mit seiner Orientpoltttk ruhig durch die Finger eine Gesammt-Volksvertretung derselben oder vor die sehen, denn unter zwei Uebeln muß man das kleinere Parlamente beider Reichshälften, sondern vor die von diesen wählen. Parlamenten gewählten zwei Ausschüsse, die sogenannten So rechnen viele Magyaren; es ist sehr wahrscheinlich, Delegationen. Diese Delegationen haben also jetzt über daß sich die ungarische Delegation diesem Gedankengange die Orientpolitik des Grafen Andrassy zu befinden; anschließt und die Politik >es Reichskanzlers nicht miß- fie find dazu ganz allein kompetent, da die Parlamente billigt. Ob die österreichische Delegation, also die Vertre beider Reichshälften sich in dieser Hinsicht nicht einmal an iung Cisleithantens, in ähnlicher Weise Stellung nimmt ihre Ministerien halten können. Haben doch sowohl das muß abgewartet werden. Man behauptet allerdings heute cisleithanische wie das transleithanische Ministerium durch ^on, daß die Majorität auch dieser Delegation für An- Einreichung ihrer Abschiedsgesuche (die allerdings noch drassy gewonnen sei, allein so sehr wahrscheinlich düntt immer der definitiven Erledigung harren) angedeutet, daß dies nicht, wenn wir auch weit entfernt sind, die Möglich fit mit der Vertretung der Orientpolitik nichts zu thun ^it einer solchen Thatsachs in Abrede zu stellen. Die Un haben wollen, sondern dieselbe dem Reichskanzler Grafen iufriedenheit mit den schweren Opfern, welche die Okkupa- Andrassy überlassen. tion der Monarchie auferlegt, zu denen Cisleithanien — Wie werden sich nun die Delegationen zu Andrassy dem Ausgleich — das Meiste beizutragen hat; ferner die Unbehaglichkeit, welche die schwankende Politik des MTaMaü. Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden zn Freiberg «nd Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu» Braun iu Freiberg.