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1878 — 80. J«hr«ax,. Dimsta«, den 12. November. f «rjcheixt jeden Wochentag Abend« S Uhr sür den ü andern Taa. Preis viertchShrltch 2 Mark 2d Pf., zwetmonaüich 1 M. dv Pf. u.nnmonatl. 7dPf. Inserate werden bis Vormittag« 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1ü Pfennige. und Tageblatt. Amtsblatt für die kömglichm uud städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Berautwortlicher Redakteur Julia« Brauu iu Freiberg. Tagesschau. Freiberg, 11. November. Ueber allen Gipfeln Ist Ruh; In allen Wipfeln Spürest Du Kaum einen Hauch; Die Vöglein schweigen im Walde. Mit diesem Wort des Dichters ist die Signatur des Tages gekennzeichnet. Während in der Natur die November- stürme einherbrausen, ist's in der politischen Welt, wo doch sonst so viel Wind gemacht wird, still und ruhig; fast schwül, wie vor einem Gewitter. Im Orient wetterleuchtet es noch immer und es scheint, der vorsichtige Feuerwehr mann in Berlin hat seine Leute bereits an die Spritze geschickt, um nöthigenfalls mit einem „kalten Strahl" auf- warten zu können. Der russische Finanzminister hat sich in ähnlicher Weise nützlich und angenehm zu beschäftigen gesucht; er machte Pumpversuchs, aber es heißt, er sei auf dem Trockenen geblieben, wie vordem. Ob eS seinem Freunde Schuwaloff wohl bester gehen Wird? Dieser hät seine Rolle als Friedensengel wieder ausgenommen und bemüht sich, durch einen großartigen Kompromiß die Gegensätze zwischen England und Rußland auszugleichen. Der Czar soll wünschen, die Balkanpässe nicht in der Hand der Türken, sondern unter dem Schutze der ostrumelischen Milizen zu sehen. Ginge England auf diesen Vorschlag ein, nun dann werde Rußland als Aequivalent dajüc be müht sein, in Kabul eine für England ehrenvolle Begleichung der Differenzen mit dem Emir von Afghanistan zu erwirken' Seltsame Illusion! Gerade England war es, welches die Einigung Bulgariens und Ostrumeliens, wie sie der San Stefano-Frieden hergestellt, dadurch zerriß, daß es im Berliner Vertrag die Balkanpässe den Türken rettete. In dem Augenblicke, da England darauf ausgeht, den russischen Einfluß in Afghanistan zu vernichten, kann es den Vorschlag doch unmöglich ernstlich aufnehmen, durch russischen Einfluß sich aus dem afghanischen Handel loszuwickeln. Da wird der nordische Bär schon fettere Bisten mit seiner Angel auswerfen müssen, um den Walfisch zu ködern. Vielleicht Konstantinopel! Daß zwischen den Westmächten ein herzlicheres Ein vernehmen über die orientalische Frage angebahnt ist, wird jetzt von allen Seiten bestätigt. Man sieht es namentlich daraus, daß Frankreich, welches bisher sich ganz still und reservirt verhielt, jetzt mit einem Male sich zu regen beginnt und ein Rundschreiben an die Mächte erlassen hat, um zur Regelung der griechischen Frage auszufordern Frankreich fühlt sich wieder; dagegen läßt sich nichts sagen, wenn nur Andere es nicht zu fühlen bekommen. Mehrere Zeitungen behaupten, es würden Versuche gemacht, auch Oesterreich für das Bündniß der Westmächte zu gewinnen und es sähe das den Franzosen sehr ähnlich. Ihr Streben geht ja längst dahin, Deutschland so viel als möglich zu isoliren. Bei den Ungarn würden solche Bestrebungen vielleicht auf guten Boden fallen, denn sie sind aus Deutsch land schlecht zu sprechen, weil sie meinen, Deutschland habe den armen unschuldigen Andrasty verführt, daß er sich au die Okkupations-Unternehmung etnließ, die dem Uebergewich der Magyaren in Transleithanien ein Ende zu machen droht. Ihr Landsmann Kossuth hat ihnen zwar jetzt haar scharf das Gegentheil bewiesen, allein was hilft's, ein Karnickel muß doch einmal sein. Jedenfalls bereitet sich in der politischen Sphäre aller hand vor, was mit der Zett von hoher Wichtigkeit werden kann. Man sieht dies schon daraus, daß Fürst Bismarc wieder nach Varzin zurückkehren will, wo er sich sein eigenes diplomatisches Bureau zu etabiiren beabsichtigt. Wenn er mit Jemand ein Hühnchen zu pflücken hatte, suchte er stets mit Vorliebe Varzin auf, weil er dort ungestört und ungenirt arbeiten kann. In den letzten Jahren ist mehr iu Varzin als in Berlin von ihm entschieden worden. Neben diesen Fragen beschäftigen jetzt Buschs Mitthei- lungen über den Reichskanzler während des deutsch-franzö- rschen Krieges das Interesse der Politiker. Mit Recht, denn solche Urthetle über Zeitgenossen aus solchem Munde sind immer interessant; und in diesem Falle weiß man ja, wen man hinter dem Busch zu suchen hat. Wer ist Busch? wird mancher unserer Leser fragen, vr. Busch befand sich während des letzten Krieges in der nächsten Umgebung des Fürsten Bismarck und hatte also Gelegenheit, manche Aeußerungen desselben anzuhören, die er jetzt in einem zweibändigen Werke von nahezu 800 Seiten veröffentlicht hat. Hier einige Proben daraus: Fürst Bismarck äußerte über Napoleon: „Ich habe schon vor sechzehn Jahren gesagt, wo mir's Niemand glauben wollte, er ist dumm und sentimental; eigentlich viel gulmüthiger, als man gewöhnlich glaubt, und viel weniger der kluge Kops, für den man ihn gehalten hat." — „Das ist ja", wirst Lehndorsf ein, „wie mit dem, waS einer vom ersten Napoleon geurtheilt hat: eine gute Haut aber ein Dummkopf." — „Nein", erwiderte der Kanzler, „im Ernst, Louis Napoleon ist trotz dem. was man über den Staatsstreich denken mag, wirklich gutmülhig, gefühlvoll, ja senti mental, aber mit seiner Intelligenz ist es nicht weit her, auch mit einem Wissen nicht. Besonders schlecht bestellt ist's mit ihm in der Geographie, obwohl er in Deutschland erzogen worden und auf die Schule gegangen ist: er lebt in allerhand phantastischen Vorstellungen. Im Juli (1870) ist er drei Tage umhergetaumclt, ohne zu einem Entschlusse zu kommen, und noch jetzt weiß er nicht, was er will. Seine Kenntnisse sind der Art, daß er bei unS nicht einmal das Refcrendar-Eramen machen könnte. Von der Eugen-e ist mittelbar die Rede. Sie erscheint als eine Frau ohne Geist, ja, ohne jedes geistige Interesse. Sie halte das Malheur, von unserm preußischen Gesandten v. d. Goltz ge liebt zu werden, ohne daß sie ihn wieder liebte. Von diesem Goltz sagt Bismarck auf die Frage, ob er gescheit und bedeutend gewesen: „Gescheit, ja, in gewissem Sinne, ein rascher Arbeiter, unterrichtet, aber unbeständig in seiner Auffassung von Personen und Verhältnissen, heute sür diesen Mann, diesen Plan einge nommen, morgen sür einen anderen, mitunter sür'S Gegenthcil. Und dann war er immer in die Fürstinnen verliebt, an deren Hole er beglaubigt war, erst in Anialien von Griechenland, dann in Eugenie. Er war Ler Ansicht, was ich das Glück gehabt hätte, Lurchzusetzen, das könnte er mit seinem größeren Verstände auch und noch besser. Daher intriguirte er fortwährend gegen mich, obwohl wir Jugenl bekannte waren, schrieb Briese an den König, in denen er mich verklagte und vor mir warnte. Das hall ihm nun zwar nichts; denn der König gab mir die Briefe und ich beantwortete sie. Es ist intertssant, waS Busch über den Einfluß von hohen Damen andeutet, der sich im Hauptquartier gellend gemacht hat. Man weih nicht, welche Damen gemeint sind, aber sie gehören zu Deutschland: sie werden nicht müde, dem Könige Las Bombarde ment auf Paris zu widerrathen, das BiSmarck energisch verlangt, ohne indeß durchzudringen. Die hohen Militärs lassen ihn im Stich; sie versehen ihn nicht mit Nachrichten; er ist oft rathloS. Dieser Stimmung giebt der Minister wiederholt in lauten Klagen Ausdruck. Unser Chronist ist nicht in der Lage, Alles zu sagen, waS er weiß, seine amtliche Stellung im auswärtigen Amt legt ihm Schweigen aus, und doch läßt er durchblicken, daß durch „Schürzen" Vieles verschleppt, vieles verdorben wird. Ueber ThierS fällt Bismarck daS Urtheil, er sei „ein ge scheiter und liebenswürdiger Alaun, witzig, geistreich, aber kaum eine Spur von Diplomat, zu sentimental sür Las Gewerbe. Er ist ohne Zweiscl eine vornehmere Natur als Favre: aber er paßt nicht zum Unterhändler — nicht einmal zum Pferdehändler. Er läßt sich zu leicht verblüffen, er verrälh, waS er empfindet, er läßt sich ausholen. So habe ich Allerlei von ihm herauSgekriegt, unter Anderem, daß sie drin (in Paris) nur noch sür drei oder vier Wochen vollen Proviant haben." Merkwürdig, Fürst Bismarck ist eigentlich ein Kollege von uns Zeitungsschreiber» ; mehr als ein anderer hat er das Be- dürfniß, seine Meinung über hervorragende Persönlichkeiten der Welt mitzutheilen. '1o»t eomwo ods- nou«! Kaiser Wilhelm traf am Sonnabend Nachmittag vou Koblenz in Wiesbaden ein, wo er bis zum 30. November zu bleiben gedenkt; von dort begeben sich dann die kaiser- ichen Majestäten nach Karlsruhe, um der Konfirmation ihrer Enkelin, der Prinzessin Viktoria von Baden, beizu wohnen. DaS Befinden des Kaiser- ist fortdauernd er- reulich; der Gebrauch der Arme derart, daß der Monarch mit dem linken jede Hilfe sich verschaffen, mit dem rechten wreits grüßen kann, obwohl er ihn noch in der Binde trägt. Aber dieses ist nach Aussage der Aerzte jetzt mehr eine Gewohnheit, welcher der Kaiser nachgiebt, wie eine Nothwendigkeit. Die Behandlung durch Anwendung von Elektrizität hat dieses günstige Resultat hervorgebracht. Weiter wird aus Koblenz gemeldet: „Die täglichen Aus fahrten mit der Kaiserin, auch die Spaziergänge an den Tagen, an denen die Gunst des Wetters diese erlaubten, die Bewegung in frischer Luft haben ebenfalls ihren wohl- thätigen Einfluß geübt, so daß das Aussehen des Kaisers jetzt wie in gesunden Tagen ist. Mit wieder völlig regem Interesse folgt derselbe in den Zeitungen der Entwickelung der öffentlichen Dinge und die vollständige Wiederherstellung bekundet sich, wie man aus der Umgebung des Monarchen vernimmt, eben in dieser Theilnahme und in dem steten Verlangen nach der wie früher geregelten rastlosen Thätiz- keit. Seit der Kaiser die Regierung angetreten, kam er nur immer auf kurze Zeit nach Koblenz, um seine erlauchte Gemahlin zu besuchen. Der diesjährige Aufenthalt ist der längste, den der Monarch seit Jahren in dem Koblenzer Schlöffe genommen hat. Wie bereits mitgetheilt, hat der Reichskanzler in Form eines Rundschreibens bei den Bundesregierungen die Frage der Revision des Tarifs angeregt. Man schreibt der Weser Zeitung darüber noch Folgendes: „Der Reichskanzler hat den Vorbehalt hinzugefügt, im Falle die Regierungen gewillt seien, dieser Angelegenheit näher zu treten, werde der Antrag an den Bundesrach gerichtet werden, eine aus Vertretern der Bundesstaaten bestehende Kommission ein zusetzen, welcher die Aufgabe gestellt werden solle, den bestehenden Tarif zu prüfen und Vorschläge wegen Ab änderung desselben auszuarbeiten. Ob der Reichskanzler bereits bestimmte Vorschläge bezüglich der Richtung, in welcher sich die Tarifrevision zu bewegen habe, gemacht hat, darüber hat Bestimmtes noch nicht verlautet; ebenso wenig wie über die Ausnahme, welche der Vorschlag des Reichskanzlers bei den Regierungen gefunden hat." In den zustehenden Ausschüssen des Bundesrathes ist, auf Grund von Beschlüssen aus allerjüngster Zeit, ein Schriftstück festgestellt und zunächst an die Mitglieder ver- therlt worden, welches den Titel führt: „Grundzüge für die Einführung des Tabaksmonopols in das deutsche Reich." Die „Germania" lenkt ein, mit ihr wahrscheinlich auch das Centrum. In ihrer letzten Nummer sagt das Jesuiten organ: „DaS Centrum wird glücklich sein, wenn die Kämpfe, die es Jahre lang führen mußte, aufhören, und es ihm vergönnt ist, in innerem Frieden an den großen Aufgaben mitzuarbeiten, deren Lösung die nächste Zukunft gebieterisch verlangt." Woher plötzlich diese sentimentale friedfertige Sprache? Der „Standard" meldet nämlich aus Rom: Der Vatikan will nicht länger die Berliner Germania als sein Organ in der deutschen Presse anerkennen. Die von Baron Lo« gegründete Neue Zeitung in Mainz wird das päpstliche Organ sein. Im Vatikan herrscht starkes Mißfallen gegen die deutsche Centrumspartet, und es sind den tonangebenden Katholiken Weisungen gesandt worden, mit ihr zu brechen. — So geht's, wenn man päpstlicher sein will, als der Papst selbst ist. Die „Post" leitartikelt über das vom vr. Busch heraus gegebene Buch: „Graf Bismarck und seine Leute während des Krieges mit Frankreich." Sie rechnet dasselbe aller dings zu den indiskreten Büchern, meint aber, da die darin enthaltenen Gedanken nun einmal von Bismarck ausge sprochen worden seien, so gehörten sie auch der größeren Oeffentlichkeit an. Damit sei die Herausgabe des Buches gerechtfertigt. Am gestrigen Sonntag Mittag wurde die österreichische Delegation vom Kaiser Franz Josef in Pest empfangen. Der Präsident derselben, Gras Coronini, hielt eine An sprache an den Kaiser, in welcher er unter dem Ausdrucke der Treue und der Ergebenheit versicherte, daß die öfter-