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Amtsblatt str die königlichen vnd Wüschen Behörden zn Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. Abends 6 Uhr für dm jährlich 2 Mark 2b Pf., f. u.emmonatl. 75 Pf. 30. Jahr,»«,. Sonntag, den 10. November. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene geile oder denn Raum 1b Pfennige. 1878. Französische Ansichten über deutsche Finanz- Verhältnisse. Der Reichskanzler Fürst Bismarck trägt bekanntlich schon längst ein Mittel mit sich int Kopf herum, durch welches Deutschlands Finanzen blühend und das arme Volk möglichst steuerfrei gemacht werden kann. Indirekte Steuern und Tabaksmonopol sollen dies bewirken. Im deutschen Reiche, man kann es wohl sagen, sind zur Zeit noch sehr wenige Kreise darüber begeistert. Um so inte ressanter, ja auffälliger ist eS, daß in Frankreich diese Idee nicht nur gutgeheißen, sondern ihre Verwirklichung geradezu als die Rettung aus aller Noth der Staaten, aus der ganzen europäischen Finanzkrisis gepriesen wird. Es geschieht dies sehr ernsthaft in einer längeren Ab handlung Leroy-BeaulieuS im Journal des Debats und da die Frage bei uns bald wieder auf das Tapet kommen wird, so hat es seinen Reiz, dem Gedankengange des fran zösischen Publizisten zu folgen. Man begegnet damit viel leicht Ueberraschungen für später. Deutschlands Finanzen erscheinen jenem Franzosen gar nicht besonders gut in Ordnung; sie sind ihm gar nicht ebenbürtig in dieser Hinsicht denen Frankreichs, welches doch mit seinen fünf Milliarden gleichsam die Einrichtungs kosten für das deutsche Reich bezahlte. Nun haben wir zwar eigentlich noch gar keine Defizit's gehabt; indessen gleichviel, Deutschland kann doch ein Defizit und damit sehr üble Verlegenheiten bekommen. Seine Schuld, sagt Leroy, warum schont es seine Bevölkerung übertrieben. Wir zahlen also nach dieser Lesart zu wenig Steuern, woran wir immer noch nicht glauben wollten; und die Re gierung ist zu gutmüthig gegen das deutsche Volk. So denkt man also im Auslande. Zwar will der französische Steuerschwärmer durchaus nicht für gleichgiltig oder geringschätzend gegen die Steuer pflichtigen angesehen sein. Indessen — wenn ein Land einen sehr großen Heeresaufwand sich gestatte und dabei noch große öffentliche Arbeiten ausführen wolle, so müsse es sich auch schwere Steuern gefallen lassen. — Diese Logik geht von einer falschen Prämisse aus; wenigstens möchte Wohl die Mehrzahl des deutschen Volkes keinen so großen Heeresstand. Thatsächlich jedoch ist es, daß auch bei uns große Arbeiten unternommen werden, die Millionen kosten. Für deren Deckung, so behauptet der Pariser, bezahlen wir zu wenig Steuern. „Die direkten Auflagen mögen schwer sein oder vielmehr scheinen, aber die indirekten sind so zu sagen gar nicht vorhanden." Damit sind wir bei der Trefflichkeit der indirekten Steuern angelangt, denen Frankreich sein Finanzglück ver dankt, deren praktische Nützlichkeit trotz aller theorethischen Jnmoralität heute wieder mehr und mehr Anklang findet und auf welche sich die reichstanzlerischen Reformen richten. Ganz in diesem Sinne heißt es nun in jenem Aufsätze weiter: Nichts wär« leichter, als blos mit Hilfe des Tabaks monopols die Defizits Deutschlands in feste Ueberschüffe zu verwandeln. Wir tragen nicht das geringste Bedenken, allen Nationen, die es noch nicht haben, das System des Tabaksmonopols anzuempfehlen. Die Einführung dieses ausgezeichneten Regimes wäre die Rettung mehr als eines kleinen und großen Staates. ES ist unglaublich, daß ein großer Staat wie Deutschland mit seinen 43 oder 44 Millionen Einwohnern, wo die Gewohnheit des Rauchens so verbreitet ist, von der Tabakssteuer nur 17 oder 18 Millionen Franks erzielt, während das Monopol in Frank reich 260 oder 270 Millionen Franks netto einbringt. Deutschland, die Schweiz, Rußland sollten ohne Zaudern das französische System bei sich einführen. Selbst mit vielen Schonungen und die ersten bedeutenden Anlagekosten mit eingerechmt, würden die beiden Kaiserstaaten mit dieser Maßregel jeder ein Mthrerträgniß von 100 bis 150 Millionen und die kleine helvetische Republik mindestens ein solches von 10 Millionen Franks erwirken. Wir ver hehlen uns keineswegs, daß die Einführung des Tabaks monopols in den Ländern, wo es noch nicht besteht, auf ernstlichen Widerstand und bedeutende Schwierigkeiten stoßen wird. In Deutschland und Rußland wird man die Fabrikanten expropriiren, den Tabaksbau reglementiren, den Kleinverkauf reorgauisicen, ungeheuere Summen, 100 auch 150 Millionen oder noch mehr als Abfindung zahlen, einige Jahre gegen den Schmuggel kämpfen und von den Rauchern nichts als Tadel und Klagen hören müssen: allein diese Uebelstände sind vorübergehend und der Gewinn dauernd, sogar mit jedem Jahre wachsend. Da sollte man sich, offen gesagt, nicht be denken. Wenn man die für Rußland durch den Krieg er wachsene Zunahme seiner Lasten, wie wahrscheinlich, aus 400 Millionen diesjährig berechnen kann, so könnten die selben durch das Tabaksmonopol, die Einkommensteuer einige Auflagen aus die tziseabahnfrachten und einige Stempelgebühren ziemlich vollständig eingrbracht werben. So der Pariser Publizist in dem angesehnsten franzö sischen Journal. Man kann sich unmöglich besser als einen Finanzminister für Rußland empfehlen, auch unsert wegen für Deutschland. Wie glatt diese Steuerschraube ginge! Wie leicht und schnell käme man dann aus aller Noth und die Regierung hätte Geld in Hülle und Fülle, ohne daß das Parlament es ihr knapp zuzumeffen ver möchte! Besseres kann man unmöglich für das System der indirekten Steuern sagen; ob aber dieser Gold macher nicht doch arg auf dem Holzwege ist? Warum denkt er gar nicht an Oesterreich, welches doch auch ein Tabaksmonopol seit alten Zeiten hat und dabei seit einem Menschenalter nichts als Defizits? So sicher ist also die Rettung damit vor Finanzklemmen nicht, dafür giebt es Beweise in dieser großen Thatsache. Wie gern würde man als Raucher das Kraut und die Steuer des Monopols auf sich nehmen, wenn ein solcher Staats sozialismus aller Finauznoth, und wo möglich für immer, ein Ende machte! Eine weitverzweigte Industrie, wie sie in Deutschland auf dem Tabakhandel beruht, kann außer dem nicht so einfach vom Staate konfiszirt werden, wie dies in Frankreich vor einem Jahrhundert ohne viel Be denken möglich war. Dem Pariser Schriftsteller sind dies Alles freilich nur Kleinigkeiten, „vorübergehende Uebel stände" und wir glauben, der Reichskanzler ist ebenfalls dieser Meinung. Man kann aber trotzalledem dagegen doch auch seine bescheidenen Zweifel haben.' Woher stammt der Gedanke an einen Llassenkampf?*) So lange Völker diese Erde bewohnen, hat es Herren und Knecht«, Befehlende und Gehorchende, Lenker und Ar beiter gegeben, und so wird es auch bleiben trotz jeder Um wälzung und Veränderung. Dir Grenzen der wirklichen Berechtigung beider Theile lassen sich unmöglich haarscharf ziehen, und Uebergriffe von beiden Seiten liegen im Wesen des Menschen begründet. Wo und wie aber auch sie immer vorgekommen sind, sie haben sich stets bitter gerächt. Wie schwer hat das stolze und gesegnete Amerika seine Sklavenwirthschaft gebüßt! Wie theuer haben die Pariser *) Wir cntnebmen diesen Artikel einem soeben erschienenen Merkchen: „Soziale Fragen und Antworten". Hest 1. Einzel preis 30 Ps.; im Abonnement <12 Hefte) 2 Mark 50 Pf. Bremen, Nordwestdeutjcher Volksschriften-Verlag. Dies treff liche Werk, in welchem der Verfasser Sozialisten wie Nicht sozialisten zur Versöhnlichkeit mahnt, glauben wir unseren Lesern am besten durch die Wiedergabe einiger Kapitel empfehlen zu können. Die Red. Kommunisten von 1871 ihren kurzen Rausch bezahlt! Aber eider ziehen wir aus der Geschichte meistens grade nur di» Lehren, nach denen uns die Ohren jucken. Die eigenen Leiden und Cchm rzen wirken mächtiger als fremde Er- ahrungen. ES läßt sich nicht läugnen, daß auch in unserer; Tagen die Lage vieler Arbeiter bedauernSwerth ist. Es giebt kurzsichtige und engherzige Arbeitgeber, welche ihre Nebenmensche» auSnützen möchten bis auf's Aeußrrste, des eignen augenblicklichen Vortheils willen. ES giebt Stockungen und Schwankungen im Geschäftsleben, von einem Einzelnen verschuldet, welche Tausende zeitweilig brotlos zu machen drohen. Daneben häuft sich, durch Glück und Geschick, in einzelnen Händen großes Vermögen an. Wenn nun tausend wackere Männer bei allem Fletße sich einschränken oder gar daiben müssen, und sehen einen Einzigen in ihrer Mitte im Ueberfluß leben, so liegt der Gedanke nahe: „die Güter dieser Welt find doch sehr un gleich vertheilt". Vertauscht „ungleich" mit „ungerecht", und sofort tritt die Versuchung an die Armen heran: „Wir wollen's bessern, wir wollen anders theilen!" Den schlechten Rechenmeistern, denen dergleichen in den Sinn kommt, möcht' ich ein altes Geschichtchen mittheilen, und zwar mit den Worten eines Mannes, der besser zu er zählen versteht als ich, mit den treuherzigen Worten des lieben I P. Hebel: „Zu dem Großsultan der Tücken, als er eben an einem Freilag in die Kirche gehen wollte, trat ein armer Teufel von seinen Unterthanen mit schmutzigem Bart, zerfetztem Nock und durchlöcherten Pantoffeln, schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte: „Glaubst du auch, großmächliger Sultan, was der heilige Prophet sagt?" Der Sultan, so ein gütiger Herr war, sagte: „Ja, ich glaube, was der Prophet sagt/ Der arme Teufel fuhr fort: „Der Prophet sagt im Alkoran: Alle Muselmänner sind Brüder. Herr Bruder, sei so gut und theile mit mir das Erbe." Dazu lächelte der Kaiser und dachte: das ist eine neue Art, ein Almosen zu betteln, — und giebt ihm einen Löwenthaler. Dcr Türke beschaut das Geldstück lange auf der einen Sette und auf der andern Seite. Am Ende schüttelt er den Kopf und sagt: „Herr Bruder, wie komme ich zu einem schäbigen Löwenthaler, so du doch mehr Silber und Gold hast, a^s hundert Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz zuwachsen. Heißt das getheilt mit einem Bruder?" Der gütige Sultan aber hob warnend den Finger in die Höhe und sagte: „Herr Bruder, sei zufrieden, und sage ja niemand, wie viel ich dir gegeben habe, denn unsere Familie ist groß, und wenn unsere Brüder alle auch kommen und wollen ihr Erbtheil von mir, so wird's nicht reichen, und du mußt noch herausgeben." Das begriff der Herr Bruder, ging zum Bäckermeister Abu TIengi und kaufte ein Laibletn Brot, der Kaiser aber begab sich in die Kirche und ver richtete sein Gebet." Herr Bruder, will sagen geneigter Leser, begreifst du die alte Wahrheit auch? Aber andere Leute, als arme Arbeiter, haben in gewissen Augenblicken an's Theilen, an den Klassenkampf gedacht. Lassalle bereits, der geistreiche und liebenswürdige Plauderer mit dem großartigen Ehr geiz, wie Fürst Bismarck ihn im Reichstage bezeichnete, hat dem deutschen Bürgerthum „den drohenden Tritt W Arbeiter-Bataillone" angelündigt, unter dem sein Bißchen Glück und Macht dereinst zerstieben werde. Er stellte leichtfertig und verwegen dem Arbetterstande „die Revolu tion als die Göttin hin mit dem flammenden Lockenhaar, eherne Sandalen an den Füßen", von der er seine Befrei ung zu hoffen und zu erflehtn habe. Hochklingende Worte, wie man den Teufel wohl Luctfer, aus deutsch den Licht bringer, nennt. Ach, die Flammenlocken würden Paläste und Hütten zugleich versengen, die Erzsandalen Reiche und Arme zertreten ohne Unterschied! Aber seitdem der Meister so gesprochen, beten verblen dete Jünger in maßloser Uebertreibung die schreckltchen Worte eifrig nach. Sie sehen sich nach Beispielen um, und wer sucht, der wird finden. Durch rothe Brillengläser ge sehen, erscheint alles roth. In der Weltgeschichte kommen Klassenkämpse vor. Flugs erklären Vorgänger und Nach folger von Lassale die ganze Geschichte für einen großen Klassenkampf. Weil in der ersten französischen Revolution, die 1789 anhub, das Bürgerthum dem Adel und der Priesterschaft ihre Vorrechte entriß, soll in Deutschland unausbleiblich eine andere gewaltige Umwälzung bevor-