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Erscheint jeden andem Tag. is * zweimonatlich Wochentag Abends 6 Uhr für den 1878 Lg. Preis viertcMhrlich 2 Mark 2b Pf., Lich 1 M. bO Pf. n. cinmonatl. 7b Pf. diplomatisch anständige Liquidation auferlegt Denn das wird doch der Inhalt und des Kongresses sein, soll er eine fruchtbare Die bisher von den Türken unterjochten Se. greß der aller San wieder abgesetzt. Jeden Tag kann Gleiches dem Sultan selbst passiren, dessen Unfähigkeit ja nicht einmal im Stande ist, ein paar Gesandte auszusuchen, die als wirklich impo- nirende Staatsmänner an dem Kongreß theilnehmen. Wenn ein Staat in solche Elendiglichkeit und Unfähigkeit gerathen ist — warum soll er auf Anderer Kosten noch leben? Wen wird es grämen, wenn ihm auf dem Kongreß eine wird? das Erqebniß Arbeit leisten. Völkerschaften Die Türkei und der Kongreß. Einer der wichtigsten politischen Vorgänge, wie der Zu- . sammentritt des Berliner Kongresses ist, hat das merk würdige Geschick, gar nicht im Vordergründe des politischen Interesses zu stehen. Ganz Europa, kann man wohl mit Recht behaupten, ist durch das letzte Attentat auf den Kaiser Wilhelm und die Wahrscheinlichkeit eines damit zu sammenhängenden KomplotS der modernen Gesellschafts- barbaren viel mehr in Anspruch genommen, als durch den Kongreß, welcher im Grunde nur der Türkei den Prozeß machen wird. Die Türkei aber hat dermaßen an Kredit, Interesse und Ansehn verloren, daß selbst ihre schwärmerischen Freunde vom vorigen Jahre Mühe haben, noch etwas Ritterlichkeit für sie aufzubieten. Größer konnte allerdings die Blamage für unsere Türkenfreunde nicht werden, als wie sie geworden ist. Nicht dadurch, daß Rußland schließ lich gesiegt und die Türkei zu Boden geworfen hat, sondern daß sich diese militärische Niederlage nur als ein Theil des politischen und moralischen Bankerotts enthüllte, den die Osmanenwirthschaft jetzt aufweist und an den die Türken in der deutschen Presse, die weisen und hochmüthigen Staatsbeschauer in der Augsburger Allgemeinen, Kölnischen und manch anderer Zeitung nicht glauben wollten. Alles, was jetzt schamlos dastehende Thatsache ist und vorher nur dürftig verhüllt werden konnte, war ja nach diesen klugen Leuten nicht wahr. Wie Strategen von der Zwerg haftigkeit des Herrn von Widecke den Professoren der Augsburger Allgemeinen in spaltenlangen Artikeln vor rechneten, daß die Türkei auch hinter dem Balkan noch lange nicht besiegt sein würde, Konstantinopel gar nicht zu Falle kommen könne, so haben andere Weise und Super kluge von der unverwüstlichen Lebensfähigkeit der Türkei, ihrem Reformernst, ihrem Parlamentssegen tausend und ein Märchen erzählt, die heute noch einmal zu hören ihnen selber die Haare zu Berge triebe. Aus eitler Russenfurcht hatten sich diese Türkenfreunde eben nicht nur geirrt, was ja bei Betrachrung der Zeitereignisse das Menschenmöglichste ist, sondern in ein falsches und haltloses Prinzip sich ver rannt. Dies Prinzip war die Nothwendigkeit der Er haltung der Türkei für Europa's Ruhe und Wohl. Sie haben mit dieser Schwärmerei freilich auch sonst wenig Glück gemacht, von der Berliner Volkszeitung an bis zu der Kölnischen; doch jetzt giebt es faktisch kaum eine Hand voll Menschen, welche für jenes Prinzip noch einen Kosaken oder ein Pfund Sterling opfern möchten. eilens des Fürsten Bismarck bis jetzt eine Präsidialanordnung, )aß Anträge vorher schriftlich einzureichen seien, nicht vor- q,kommen, obschon früher davon die Rede gewesen war. Daß die Konferenzen in Wien als Fortsetzung der hiesigen zur Sprache, wenn auch nur privatim, unter Bevollmäch- igten gebracht sei, wird gleichfalls bestritten; daß die glück- ich beendigten hiesigen Verhandlungen alsdann den Kom missionen und Delegationen an Ort und Stelle folgen Wer sen, liegt eher in der Natur der Sache. Jedenfalls liegt bei allen Bevollmächtigten, dem Ernst der Aufgabe ent» sprechend, der Wille vor, die Verhandlungen des Kongresses nicht durch anderweitige Fragen als die nächstliegenden zu kompliziren. Wenn übrigen» von einem von England oder sonst einer Großmacht verlangten Anschluß Kceta's an Griechenland in Zeitungen die Rede ist, so ist es unrichtig. Bezüglich Rumäniens steht noch nicht fest, ob die rumäni schen Delegirten nur wegen Bessarabien Protest erlassen, oder ei« längeres Memorandum unterbreiten werden. Die Anträge auf Zulassung der betheiligten Staaten zweiten und dritten Ranges sind bis jetzt formell nicht zur Sprache gebracht. Für die Sache oer Gleichstellung der Juden in Rumänien werden sich verschiedene Vertreter im Kongresse erheben und soll auch Fürst Bismarck den Wünschen der Alliance Jsraelite geneigt sein, wenn schon es unrichtig ist, daß er deren Vertreter besonders in einer Audienz empfangen habe. Die Tage bis zur nächsten Sitzung werden vorzugs weise den Besprechungen einzelner Kongreßbevollmächttgter untereinander in Bezug auf Erörterung von Einzelinteressm der bezüglichen Staaten gewidmet sein. Es verlautet in dieser Beziehung, daß schon jetzt mannigfache Abklärung zwischen Rußland und Oesterreich gewovnen sei. Bei dem Gala - Diner, welches den Mitgliedern d»S Kongresses vorgestern Abend im Weißen Saal» de» kaiser- Jämmerlicher als wie die Türkei sich zum Kongreß «in- - gestellt, wo eS über ihre Haut hergehen soll, wo sie die eigentliche Hauptsache darstellt, kann man sich doch auch nichts denken. Militärisch hat sie sich als Staat lebens- ! unfähig erwiesen; selbst ihrer Aufstände konnte sie nicht Herr werden. Irgend ein moralisches Aufraffen des Volks der Türken angesichts der Niederlagen ihrer Armeen ist nirgends zu einer solchen Thatsache geworden, daß ihre Verehrer damit Thetlnahme sür sie hätten werben können. Alle Hattischerifs wegen Reformen und Verbesserungen der Regierung sind eitel Papier oder Eselshaut geblieben. Nichts ist geschehe«, was eine StaatSkrast verriethe, die das Unglück zwar heimsucht, aber die für die Zukunft sich zu sammeln weiß, wie Preußen nach Jena, Frankreich nach Sedan, Italien nach Navarra. Die Experimente mit dem osmanische« Parlamentarismus haben sich nicht so sehr als Flunkerei erwiesen, wie als ein Versuch, der an der stumpftn Gleichgiltigkeit der Türken selber kläglich scheiterte. Die alte Palastwirthschaft und die Harems iutrtguen spielen auch noch in diesem Augenblick fort, da »s sich um Sein oder Nichtsein des osma- «tschen Kaiserreichs handelt. Kaum ist ein neuer Mr nister oder Großwürdenträger ernannt, wird er s^on müssen befreit werden; sie haben ein Recht dazu, weil sie leben und nicht auf einem Leichnam mit verfaulen wollen. Haben sie bisher gegen diese Türkei gekämpft, als sie nur erst als ein kranker Mann galt, so werden sie, bleiben sie ihr angeschmiedet, sich erst recht mit erwachtem, größerem Selbstgefühl von dem Kadaver losreißen. Der Kongreß verhütet dies, indem er ihr Recht anerkennt und sie befreit ; unterläßt er dies, so ist sein Nachspiel sicherlich wieder so ein „Bischen Herzegowina", aus welcher der letzte russische Krieg hervorging. Aber wir hoffen, er wird reinen Tisch da unten am goldenen Horn machen. Betrachtet man ihn doch als Unterpfand des Friedens. Wie müßte das allgemeine Urtheil lauten, wenn die leitenden Staatsmänner Europas sich nur versammeln würden, um schließlich bei einem ne gativen Resultate anzulangen, wenn nur neue Enttäuschungen, neue Gefahren aus einem Kongresse hervorgingen, dessen Leistungen als Probe der modernen Staatskunst gelten sollen. Man hat Recht, wenn man ein solches Resultat als eine Unmöglichkeit ansieht, man kann und dars nicht daran glauben, daß die europäische Staatskunst sich selber eine Niederlage bereiten will. Ist es gelungen, die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche den Kongreß unmöglich zu machen schienen, so muß man auch an die Bewältigung derjenigen Schwierigkeiten glauben, welche etwa noch auf dem Wege der Berathungen lauern. Graf Andrassy ergriff nun das Wort, um als Vertreter derjenigen Macht, welche den Kongreßqedanken zuerst ange regt hatte, die Uebertragung des Präsidiums auf Fürst Bismarck zu befürworten. Begründet wurde der Vorschlag mit dem Hinweis darauf, daß es Deutschlands Hauptstadt sei, welche dem Kongreß Gastfreundschaft gewähre, und daß deshalb dem ersten Bevollmächtigten Deutschlands der Vorsitz gebühre. Doch sei in diesem Falle nicht nur die Gewohnheit maßgebend, sondern es handle sich um eine Anerkennung der Verdienste des großen Staatsmannes. Wie verlaute», wurde darauf Fürst Bismarck ohne Debatte und einstimmig zum Präsidenten des Kongresses und die im vorhinein designirt gewesenen Herren für das Bureau gewählt. So wurde'Herr vou Radowitz zum Protokollführer, Geheimer Rath Bucher zum Archivar des Kongresses, Graf Mvuy zum Sekretär und die Herren vr. Busch und Graf Herbert Bismarck zu Hilfssekretären ernannt. — Hierauf ergriff um 3 Uhr 10 Minuten Graf Andrassy nochmals das Wort und gab im Namen des Kaisers von Oesterreich der allgemeinen Freude Ausdruck, daß die Frevelthaten der letzten Wochen auf das Leben des deutschen Kaisers durch Gottes Fügung vereit-lt worden seien, und der hohe Herr, Dank der göttlichen Vorsehung, die kritischsten Phasen der Rekonvaleszenz überstanden habe. Als Zeichen der Zustimmung erhoben sich stillschweigend sämmtliche Kongreß mitglieder von ihren Sitzen, worauf Fürst Bismarck im Namen des deutschen Kaisers seinen Dank aussprach und mit Zustimmung der berathenden Theilnehmer am Kongresse die erste Sitzung um 3 Uhr 35 Minuten schloß. Die nächste Sitzung findet am Montag statt. Offiziös wird heute aus Berlin gemeldet: Alle Nach richten, welche der Eröffnungssitzung des Kongresses bereits irgend welche politische Verhandlungen oder politische An deutungen zuschrieben, werden zuverlässig als unrichtig be zeichnet, wie denn über solche Dinge bei der proklamtrten Verschwiegenheit von den Theilnehmern nichts zu erfahren sein wird Besonders motivirt ist die Vertagung der Sitzung bis zum Montag nicht worden, es herrschte die allerseittge Neigung, zwischen der ersten und zweiten Sitzung einen größeren Zwischenraum zu Vorbesprechungen eintreten zu lassen. Daß auch für die Folge bereits über die Intervalle zwischen den Sitzungen oder über die Zahl der Sitzungen eine Verabredung getroffen sei, ist unrichtig, ebenso ist auch Tagesschau. Freiberg, 15. Juni. Der Kongretz soll für die profane Welt vorläufig noch in Buch mit sieben Siegeln bleiben, so geheim werden die Zerhandlungen geführt. „Herr Baumeister, ich brauche Thüren ohne Schlüssellöcher" — soll Fürst Bismarck zu einem technischen Beirath geäußert haben, mit dem er die Majestät der deutsche Kaiser hoffe, der Kon werde durch die Autorität der Vertreter befreundeten Regierungen eine glücklich« Lösung heiklen Fragen, welche aus dem Frieden von Stefano hervorgegangen seien, herbeiführen. — Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile oder deren Raum 1b Pscnnigc. UO Jahrgang. Somtag, den 16. Juni. Frage erwog, in welchem Lokale der Kongreß seine Sitz ungen abhalten soll. Indessen, wir leben Alle in demselben Luftmeere, die Kongreß-Diplomaten und die Kongreß- Journalisten, und die Luft ist die Trägerin d«r feinsten körp»rch»n. Was die Könige kochen, das wird gerochen, durch di« feinste Glasglocke wie durch die stärkste Mauer. Nan bedarf dazu keines Schlüsselloches. Sind doch auch Engländer auf dem Kongresse; st» werden stumm bleiben, wenn eS schief geht, aber sie werden sprechen, sehr viel sprechen, wenn sie mit ihren Forderungen reasfiren, wenn sie den Triumph der Sach», welche sie vertreten, werden verkündigen können. Damit warten sie auf offizielle Publikationen sicher nicht und brauchen auch nicht zu warten, denn sie haben andere Traditionen, als diejenigen, denen wir Anderen zu folgen verpflichtet sind. Und trotz der großen Verschwiegenhtit, welche sich die Kongreßmänner gegenseitig auferlegt, bringt« Berliner Blätter über die vorgestrige erste Sitzung schon ziemlich eingehende Berichte. Darnach eröffnete, nachdem die Diplomaten ihre Plätze eingenommen, Fürst Bismarck die Sitzung im Namen des Kaisers mit einer Anrede in französischer Sprache Der erste Theil dieser Ansprache bewegte sich in ceremoniellen Worten der Begrüßung. Den Uebergang bikxte ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des russisch-orientalischen Krieges, an dessen Schluß der FuiedenSzweck des Kongresses besonders htivorgehoben wuroe. Endlich betonte der Kanzler des deutschen Reiches, daß, wie die gesummte ge bildet» Welt mit gespannter Ansmerksamkeit das hoch- MMIiyeiflk und Tageblatt. Amtsblatt sür die königlichen md Wüschen Behörden zv Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg.