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,,>.0 . ^>! Amtsblatt für die königlichen und Wüschen Behörden zv Freiberg vnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. rg Abends 6 Uhr für den eljährlich 2 Mark 2b Ps., Pf. n.cmmonatl. 7üPf. SV. Jahrgang. Mittwoch, dm 23. Oktober. Inserate werdm bis Vormittag- 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile - ' oder deren Raum 1b Pfennige. 1878. Nachbestellungen auf de« für die Monate November, Dezember werden von sämmtlichen Postanstalten wie von der unterzeichneten Expedition und den bekannten Ans gabestelle« in Freiberg nnd Brand zum Preise von 1' Mark 50 Pfennige angenommen. LxpoMon ä68 „fi-eiberger kurviger." Briefe vom Reichstage, v. N. Berlin, 20. Oktober. *) Hatten die Verhandlungen der vorvorigen Woche über das Sozialistengesetz dem Reichstage und dem seinen De batten mit gespannter Aufmerksamkeit lauschenden deutschen Volke ein Bild der größten Eintracht zwischen Konservativen und Nationalliberalen geboten, so änderte sich dieses Bild bereits am ersten Tage der letzt abgelaufenen Woche. Es zeigten sich Differenzen, die zwar von Niemandem für ernst gehalten wurden, deren Folgen aber doch von vornherein nicht zu ermessen waren. Die Debatte über den Preß paragraphen hatte das unerwartete Ergebntß, daß die Oppositionsparteien im Bunde mit der nationalliberalen Fraktion einen Antrag der Konservativen auf Wiederher stellung der Regierungsvorlage, nach welcher sozialdemo kratische Zeitungen mit dem Tage des Inkrafttretens des Gesetzes ohne Weiteres sollten verboten werden können, ablehnten und sodann im Bunde mit den Konservativen auch den milderen Vorschlag der Kommission, nach welchem erst dann, wenn eine Nummer einer Zeitung auf Grund des Gesetzes verboten wird, die Zeitung selbst unterdrückt werden kann, gegen die Stimmen der Nationalliberalen zu Falle gebracht. Das Gleiche wiederholte sich am folgenden Tage bei 8 16, indem die Nationalliberalen den Regie rungen und den Konservativen nicht das Zugeständmß machen wollten, daß ein sozialdemokratischer Agitator auch aus seinem Wohnorte sollte ausgewiesen werden können. Dagegen stimmten die Nationalliberalen, und zwar aus freien Stücken, den Anträgen der Konservativen auf Verschärfung der Kommissionsvorlage über 8 20, den sogenannten kleinen, trockenen oder Zivilbelagerungszustand betreffend, bei. War demnach über einen Hauptpunkt des Gesetzentwurfs auch eine zufriedenstellende Einigung erzielt, so waren doch zwei klaffende Lücken entstanden, deren Aus füllung unumgänglich nvthwendig war. Man konnte billig darauf gespannt sein, welcher Theil bei den Kompromiß verhandlungen den Kürzeren ziehen würde, DaS Schicksal ist diesmal den Nation« Liberalen günstig 'gewesen, es hat ihnen eine Wiederholung des früher mitunter vorgekom menen und ihrem Ansehen bei dem Volke jedenfalls nicht förderlich gewesenen Schauspiels erspart, daß sie Forde rungen des Bundesraths, die sie bei der zweiten Lesung einstimmig zurückgewiesen hatte», bei der dritten, cndgiltigen Berathung unter Achselzucken darüber, daß es nicht anders gehe, bewilligten. Die Nationalliberalen waren diesmal insofern in einer günstigen Lage, als Fürst Bismarck ja bereits angekündigt hatte, er werde das Gesetz auch mit Abschwächungen annehmen, und als gerade auf Setten der Konservativen das Interesse an dem Zustandekommen des Gesetzes das größte war. Die Kosten des Ausgleichs hatten demnach die Konservativen zu tragen. In allen wesentlichen Punkten behielten die Nationalliberalen ihren Willen. Sie setzten ihren Vorschlag bezüglich der periodi schen Presse durch; sie hielten die Bestimmung aufrecht, daß das Gesetz nur auf 2-/, Jahre erlassen werden sollte; sie brachten es dahin, daß diejenigen Mitglieder der Re kursinstanz, welche vom Bundesrathe nicht aus feiner eigenen Mitte gewählt werden, nicht Verwaltungsbeamte, sondern Richter sein müssen; endlich mußten ihnen auch die Konservativen das Zugeständmß machen, daß die Agitatoren bei gewöhnlichen, friedlichen Zeiten nicht aus ihrem Wohnorte ausgewiesen werden dürfen. Das Nach geben der Nationalliberalen erstreckt sich nur auf unwesent liche Dinge. Es wurde nach dem Willen der Konservativen dem Kaiser das Recht zugestanden, den Vorsitzenden der *) Verspätet eingetroffen. Die Red. Rekursinstanz nicht aus den Mitgliedern der Kommission, sondern aus freier Wahl zu bestellen, und es wurde der Begriff des Wohnorts, aus welchem der Agitator nicht ausgewiesen werden kann, dahin eingeschränkt, daß der Agi tator den Wohnort mindestens sechs Monate haben muß Die letztere Bestimmung rechtfertigte sich schon dadurch ohne Weiteres, daß es sonst nach dem jetzigen Stande der Gesetz gebung zulässig sein würde, mehrere Domizile zu haben, daß also ein Agitator nach Befinden vier bis sechs und noch mehr Orte, in welchen er agitiren will, als seine Wohnorte bezeichnen kann und dann vor der Ausweisung aus diesen Orten sicher ist. Mit dem Augenblicke, als die Differenzen zwischen Konservativen und Nationalliberalen zu Tage traten, ge wann die Diskussion einen ganz andern Charakter, sie wurde sachlicher, spezieller. Hatte vorher jeder Redner auf die Generaldebatte zurückgegriffen, so behielt die Debatte von nun an den ihr gebührenden Charakter als Spezial diskussion, allerdings wesentlich durch das Verdienst des Präsidenten, welcher von vornherein erklärte, daß er der Debatte den Charakter der Spezialdiskussion wahren werde. Dank dieser Maßregel wurden die Reden kürzer, die De batten bewegten sich in der Hauptsache nur um den Jn- balt des betreffenden Paragraphen. Gleichwohl nahm die Diskussion immer noch etwa zehn Stunden in Anspruch. Als die dritte Lesung begann und das Kompromißmotiv vorlag, als man somit ganz genau gewußt, in welcher Gestatt das Gesetz schließlich zur Annahme gelangen werde, schwand natürlich vollends die Neigung, lange Reden für nichts zu halten. Es nahmen zwar noch einige Abgeordnete das Wort, welche das Bedürfniß hatte», auf Aeußerungen einzugehe», die während der zweite» Lesung gefallen waren; vor allen Dingen mußte dem Abg. Liebknecht, welcher wäh rend der zweiten Lesung verschiedene Male durch Annahme von Schlußanträgen präkludirt worden war, das Wort verstauet werden, da sonst alle seine Parteigenossen zum Wort gekommen waren; aber das Haus hörte diese Reden,! sie absolut nichts Neues boten, nur mit Widerwillen an. Halb wurde die Generaldebatte geschloffen und die Spezial- berathung hatte das von Jedermann vorausgesehene Ergeb- niß, daß die Beschlüße zweiter Lesung mit den Kompromiß anträgen zur Annahme gelangten. Gesprochen wurde dabei ehr wenig, die Unterzeichner der Kompromißanträge hielten es nicht einmal für nöthig, dieselben zu begründen. Bei einzelnen Paragraphen wurden zwar von mehreren Mit gliedern »och schüchterne Versuche gemacht, in die General diskussion zurückzugreifen, aber der Präsident verhinderte es, und auf das Spezielle einzugehen, wäre müßig gewesen, da die Beredtsamkeit selbst eines Demosthenes die Abgeordneten in ihrem einmal gefaßten Entschlusse nicht wankend gemacht haben würde und der eigentliche Zweck vieler Neichstags- reden, auf das draußen stehende Volk einzuwirken, nur schwer erreicht wird durch Spezialdiskussionen, sondern nur durch allgemeine, das ganze Gebiet einer Vorlage behan delnde Reden. Ist das Gesetz auch im Wesentlichen durch die vereinten Bemühungen der Nationalliberalen und Konservativen zu Stande gekommen, so haben doch auch die oppositionellen Parteien keinen geringen Antheil daran. Fast hatte eS den Anschein, als ob von allen Seiten das Wort des Fürsten Bismarck als wahr empfunden worden wäre: die Wähler sämmtlicher Parteien mit Ausnahme der sozialdemokratischen erwarteten von ihren Vertretern die Förderung von Maß regeln gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial demokratie. Hätte dem Zentrum und der Fortschrittspartei wirklich etwas daran gelegen, das Gesetz zu Falle zu bringen, so hätte ihre Taktik eine ganz andre, gewisser maßen eine diabolische sein müßen. Beide Parteien hätten nicht die Bemühungen der Nationalliberalen unterstützen dürfen, das Gesetz soweit abzuschwächen, als überhaupt möglich war, wenn der beabsichtigte Zweck nicht verfehlt werden sollte; sie hätten vielmehr danach streben müßen, das Gesetz für die Nationalliberalen unannehmbar zu machen. Das wäre wahrscheinlich geschehen, wenn die Nationalliberalen mit ihren Abänderungsanträgen isolirt geblieben wären und dann vor der Frage gestanden hätten, ob sie es verantworten könnten, das Gesetz in seiner vollen Schärfe anzunehmen. Bei der ersten Lefung hatte es in der That beinahe den Anschein, als ob die oppositionellen Parteien eine vollständig ablehnende Haltung bewahren würden. Erklärte doch der fortschrittliche Abgeordnete vr. Hänel das Gesetz nicht nur für unannehmbar, sondem auch für unverbesserlich und jeden Versuch einer Ver besserung oder der Begrenzung der Giltigkeitsdäuer des Gesetzes für einen Fehler. Der Widerspruch zwischen dieser Aeußerung des Abg. vr. Hänel und dem späteren Ver halten seiner Partei ist von keinem Redner, so viele auch sprachen, aufgeklärt worden. Die Nationalliberalen er freuten sich bet ihren Anträgen auf Abschwächung der Vor lage sowohl in der Kommission als im Plenum stets der Unterstützung der Fortschrittspartei und des Zentrums und kamen dadurch in die günstige Lage, die Konservativen und die Regierungen vor die Alternative stellen zu können, ob sie mit der nach den Wünschen der Nationalliberalen ge stalteten Vorlage sich begnügen oder die Verantwortung einer gänzlichen Ablehnung auf sich nehmen wollten. Die Konservativen haben sich gefügt und die Regierungen sind mit dem Ergebntß der Berathungen zufrieden. Auch sie werden das Gesetz, wie der Reichskanzler gestern an kündigte, einstimmig annehmen, wenn auch mit dem Vor behalt, von dem Reichstage in einiger Zeit weitere Voll machten und vor allen Dingen eine Verlängerung der zu gestandenen Giltigkeitsdäuer des Gesetzes zu verlangen. In den nächsten Tagen wird das Gesetz in Kraft treten und die Ausführung wird der Publikation auf dem Fuße folgen. Ob es dem deutschen Volke zum Segen oder zum Fluche gereichen, ob es den so lange ersehnten inneren Frieden bringen oder neue Zwietracht säen wird, das liegt tm Schooße der Zukunft. Hoffen wir das Vestel Tagesschau. Freiberg, 22. Oktober. Kaiser Wilhelm hat auf den Nath der Aerzte vr. v. Lauer, v. Langenbeck und Wilms beschloßen, sich im Monat November nach Wiesbaden zu begeben, um dort, wo das verhältnißmäßig milde Klima auch noch in diesem Monat die Bewegung im Freien gestattet, die Kur, welche unter dem Einflüße der frischen Luft bisher vom guten Erfolge begleitet war, mit hoffentlich gleich günstiger Wirkung fortzusetzen. Demnächst liegt es in der Absicht des Kaisers, in den ersten Tagen des Dezembers (man nennt den 4. Decbr.), mit der Kaiserin nach Berlin zurück zukehren. Der Bundesrath ertheilte gestern dem Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie seine Zustimmung. Den Wortlaut des Gesetzes finden unsere Leser in der heutigen Beilage. Aus Anlaß der vielfachen und mißliebigen Kommentare, mit denen die Ernennung des Grafen Beust zum Botschafter des österreich-ungarischen Kaiserstaats in Paris namentlich von preußischen Blättern versehen worden ist, möchte vielleicht die Frage aufzuwerfen sein, ob nicht die Reichsfeindlichkeit des Grafen Beust ein überwundener Standpunkt ist und vergangenen Zeiten angehört. In der öffentlichen Thätigkeit des Grafen Beust der neueren Zeit erblicken wir manches Moment, welches uns bestimmen könnte, denselben sogar einen neidlosen Freund des deutschen Reiches zu nennen. Vor kurzer Zeit vertrat er in der Jahresfeierlichkeit der deutschen Unterstützungs-Gesellschaft in London seinen gerade abwesenden Kollegen, den deutschen Botschafter, Grafen von Münster. Seine damals gehaltene Lobrede auf Deutschland war von einem warmen Hauche durchweht, der auf die Zuhörer den Eindruck machte, daß Graf Beust aus dem Herzen spreche. Er erklärte, daß heute jeder Deutsche mit Stolz sagen könne: „Oivis Uomkous sum." Wir möchten behaupten, daß die französische Regierung es abgelehnt hätte, den Grafen Beust als Bot schafter anzunehmen, wenn sie hätte befürchten müßen, dadurch ihre günstigen Beziehungen zur deutfchrn Reichs- regierung zu trüben. Heute wird der österreichische Reichsrath eröffnet und das Kabinet Auersperg dürfte nochmals vor demselben er scheinen, um die Annahme der Demission durch den Kaiser, sowie den an Depretis ertheilten Auftrag zur Neubildung des Kabinets zu verkündigen. Hier hat sich in der Person des Finanzministers doch ein muthiger Curtius gefunden, der sich bereit erklärte, in den reichsräthlichen Abgrund zu springen; in Ungarn dürfte es aber wohl noch einmal ge lingen, Tisza und mit ihm Andraßy am Ruder zu erhalten.