Volltext Seite (XML)
'N /* i Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den I andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., * — zweimonatlich 1 M. bv Pf. n.emmonatl. 7b Pf. Mittwoch, den 11. September. 1878. In Vertretung: Ernst Maucktsch in Freiberg. 3». Iahrzavg. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1b Pfennige. und Tageblatt. * Amtsblatt str die königlichen nnd städtischen Behörden z« Freiberg nnd Brand. Berantwortlicher Redakteur Iuliu- Braun iu Freiberg. Die Eröffnung des Reichstages. Dieselbe fand gestern Mittag kurz nach zwei Uhr in programmgemäßer Weise statt. Wenige Minuten vor zwei Uhr waren in dem prächtigen Raum des Weißen Saales an hundert Mitglieder des neuen Reichstages ver sammelt, und unter diesen hundert waren wohl mehr als sechszig neue Mitglieder. Zentrum, Sozialisten und Fort schrittler fehlten gänzlich, von den Nationalliberalen waren nur Wenige vertreten, die Konservativen aber waren fast vollzählig aufmarschirt. Trotzdem war die Zahl der Uniformirten sehr klein: neben dem Pünktlichkeits- muster, dem Feldmarschall Grafen Moltke, zeigten sich nur zwei Generalsuniformen. Der Bundesrath unter Führung des Vize-ReichSkanzlers Grafen Stolberg- Wernigerode erschien recht schwach; er hatte denjenigen Theil seiner Mitglieder, der zugleich ein Reichstagsmandat besitzt, zu der Reichstagsversammlung treten lasten. Unter den neuen Reichstagsmitgliedern erwähnen wir noch den vormaligen Präsidenten des Reichskanzleramtes, Staats minister Vr. Delbrück, der Vos allen.-Seiten auf das Freudigste begrüßt wurde. Graf Stolberg nahm links zu nächst den Stufen des Thrones Stellung, trat sodann einige Schritte vor und verlas nach leichter Verneigung mit kräftiger Stimme die Thronrede, welche folgenden Wort laut hat: Geehrte Herren! Im Allerhöchsten Auftrage haben Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen mich zu ermächtigen geruht, im Namen der verbündeten Regierungen die Sitzungen des Reichstages zu eröffnen. Als die letzte Session geschloffen wurde, befand sich das deutsche Volk noch unter dem Eindruck der tiesen Erregung, welche ein gegen die Person Sr. Majestät des Kaisers gerichteter Mordversuch hervorgerufen hatte. Schon wenige Tage darauf hat sich abermals und mit unheilvollerem Erfolge die Hand eines Verbrechers gegen das Oberhaupt des Reiches erhoben. Gottes Gnade bewahrte zwar auch dies mal das Leben des Kaisers, aber die erlittenen schweren Verwundungen haben Se. Majestät genöthigt, bis zur völligen Genesung sich der Regierungsgeschäfle zu enthalten und die Wahrnehmung derselben Sr. kaisrrl. Hoheit dem Kronprinzen zu übertragen. Schon nach dem ersten Mord ¬ anfall waren die verbündeten Regierungen überzeugt, daß die Frevelthat unter dem Einflüsse der Gesinnungen ent standen sei, welche durch eine auf Untergrabung der be stehenden Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtete Agi tation in weiten Kreisen erzeugt und genährt werden. Sie haben deshalb dem Reichstage den Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, welches diesen gemeingefährlichen Bestrebungen ein Ziel zu setzen bestimmt war. Die Vorlage wurde ab gelehnt. Jetzt, wo der Nation ein erneutes Verbrechen die dem Reich und der ganzen bürgerlichen Gesellschaft drohende Gefahr mehr und mehr zum allgemeinen Bewußtsein ge bracht hat, werden Sie, geehrte Herren, durch Neuwahlen zur Mitwirkung an der Gesetzgebung berufen, aufs Neue zu prüfen haben, ob das bestehende Recht genügende Hand haben zur Unschädlichmachung jener Bestrebungen bietet. Die verbündeten Negierungen haben ihre Ueberzeugung nicht geändert. Sie sind nach wie vor der Ansicht, daß es außerordentlicher Maßregeln bedarf, um der weiteren Aus breitung des eingeriffenen Uebels Einhalt zu thun und den Boden für eine allmälige Heilung zu bereiten. Sie halten ebenso an der Auffassung fest, daß die zu wählenden Mitte die staatsbürgerliche Freiheit im Allgemeinen zu schonen und nur dem Mißbrauch derselben entgegenzuwirken haben, mit dem eine verderbliche Agitation die Grundlagen unseres staatlichen und Kulturlebens bedroht. Ein von diesen Ge sichtspunkten aus ausgestellter Gesetzentwurf wird Ihnen unverzüglich vorgelegt werden. Die verbündeten Regierungen hegen die Zuversicht, daß die neugewählten Vertreter der Nation ihnen die Mittel nicht versagen werden, welche nothwendig sind, um die friedliche Entwickelung des Reichs gegen innere Angriffe ebenso sicher zu stellen, wie gegen äußere. Sie geben sich der Hoffnung hin, daß, wenn erst der öffentlichen Ausbreitung der unheilvollen Bewegung ein Ziel gesetzt ist, die Zurückführung der Irregeleiteten auf den richtigen Weg gelingen wird. Auf Allerhöchsten Befehl erkläre ich im Namen der verbündeten Regierungen den Reichstag für eröffnet. 1. Plenarsitzung. Montag, 9. September. Der Saal gewährt im ersten Augenblick einen nur wenig veränderten Anblick gegenüber der vorigen Session. Die Abgeordneten sind sehr zahlreich vertreten und stehen vor Beginn der Sitzung in Gruppenunterhaltunq umher. Auf den Plätzen auf der äußersten Linken erblicken wir die so zialistischen Abgeordneten Fritzsche, Liebknecht und Bebel. Die Tribünen sind nur schwach besucht. Am Ministertisch ist Staatsminister Hofmann. Um 3'/i Uhr eröffnet das älteste Mitglied des Hauses, Abg. v. Boinn, die Sitzung, indem er zu seiner Legitimation erklärt, daß er am 23. Novbr. 1797 geboren und nach den, angestellten Ermittelungen ein älteres Mitglied im Hause! nicht anwesend ist. Der Alterspräsident beruft hierauf zu Schriftführern die Abgg. Graf Kleist, Weigel, Eysold und Freihern von Soden und richtet an das Haus die Bitte, vor Eintritt in die Geschäfte den Blick auf unseren aller gnädigsten Kaiser und König zu richten, dessen Leben aus, mörderischen Händen durch Gottes Gnade so wunderbar er-i halten worden ist, und das zum Segen des deutschen Reichs f und auch noch länger erhalten bleiben möge. Stimmen Sie, schließt der Präsident, mit mir ein in den Ruk: Se. Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch, nochmals hoch und abermals hoch! (Das Haus stimmt begeistert dreimal in diesen Ruf ein. Nur der Abg. Liebknecht — die Abgg. Bebel und Fritzsche hatten sich vorher aus dem Saale ent fernt — bleibt auf seinem Platze sitzen). Es erfolgt der Namensaufruf, der die Anwesenheit von 271 Mitgliedern ergiebt; das Haus ist somit beschlußfähig. Der Entwurf des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie ist bereits an das Haus gelangt und wird bereits heute Abend zur Vertheilung ge langen. Einige Urlaubsgesuche werden bewilligt, darunter auch ein Gesuch des Abg. Woidtke auf vier Wochen wegen Beinbruchs. Das Bureau wird mit der Verloosung der Mitglieder in die Abtheilungen beauftragt, die nach Schluß der Sitzung erfolgen soll. Der Präsident schlägt hierauf vor, den morgenden Tag für dieKonstituirung frei zu lassen und demnächst soiortnnt den Wahlprüfungen zu beginnen, die Wahl der Präsidenten und der Schriftführer aber erst am Mittwoch 12 Uhr vor- zunehmen. Trotz des im Haus sehr laut gewordenen Widerspruchs wird dieser Vorschlag genehmigt und schließt der Präsident darauf die Sitzung um 4 Uhr. Mehemed Atts Tod. Mit der Autorität Ler Psortenregierung in den meisten euro päischen und vielen asiatischen Provinzen ficht eS bekanntlich recht jämmerlich aus. Die tollste Wirthschast scheint aber in Albanien und den an Astserbien grenzenden Distrikten zu herrschen. Die Pforte hat dies recht deutlich in den letzten Tagen wahrnehmen muffen, denn einer ihrer Generale, der während des letzten Krieges vielgenannte Mehemed Ali Pascha, ein Magdeburger von Geburt, Namens Detroit, ist in Jzek auf schmähliche Weise ermordet worden. Mehemed Ali hatte von Konstantinopel aus die schwierige Mission übertragen erhalten, sich in das Zentrum der albancfischen Bewegung zu begeben, um dort den Vermittler zu spielen. Er sollte die Räumung der an Serbien abzutretendcn Gebietstheile auf friedlichem Wege bewirken und sollte sich nach Erfüllung dieser Aufgabe nach der Südgrenze Montenegros wenden, um dort eben falls beschwichtigend äuf die Muselmänner einzuwirken, welche Podgorizza und Spuz Len Montenegrinern nicht übergeben wollen. Noch unter Lem 21. August schreibt man hierüber aus Skutari: Die telegraphisch angekündigte Ankunft Mehemed Ali Paschas hier scheint sich zu verzögern, da er, wenn die Mission, welche er auch in Prisrend erhalten hat, ernst gemeinr ist, in letzterem Zentrum der albancfischen Bewegung nicht wenig zu thun bekommen dürfte. Die Entwaffnung der dortigen Albanesen, die Auflösung deS KcmitöS, die Uebergabe Gufinjcs an Montenegro und die Pazi- fikalion der Provinz find keine leicht zu bewältigenden Aufgaben. Man zweifelt daher, daß er die ihm auch hier zugesallene, nicht weniger dringliche Mission rechtzeitig werde ausführen können, es wäre denn, daß er die Ausführung der ihm in Prisrend obliegenden Aufgabe in die Hände deS Vali von Kosowo, Nasts Pascha, legen würde, was aber bei dem notorisch inlriguanten Charakter dieses Letzteren mit einer Hintertreibung der Pazistzirung der ihm an- verlrautcn Provinz, zu welcher administrativ auch das Sandschak von Novibazar gehört, nahezu als gleichbedeutend zu erachten wäre. Nasiv Pascha, welcher vor Masar Pascha Bosnien ad- ministrirt hat, ist ganz danach angelegt, um in Allserbien dasselbe Spiel zu treiben, wie eS die türkischen Funktionäre in Bosnien aufgesührt haben. Man darf von diesem Manne gewärtig sein, Latz er, anstatt zu pazisiziren, von dem Distrikte aus, zu dessen Administration er bestellt ist, den Widerstand gegen Len Vor marsch der österreichischen Truppen im Distrikte von Novibazar organisiren und aneisern werde. Im klebrigen betrachtet auch die muselmännische Partei in Skutari in ihrem Widerstand gegen die Kongretzbeschlüsse Lie Mission Mehemed Ali Paschas mit feindlichen Augen. Am 19. August kam es auf Lie Nachricht von seiner bevorstehenden Ankunft zu einer stürmischen Versammlung in der Moschee des dortigen Bazars, in welcher die tollsten Resolutionen gefaßt wurden. Man wollte Mehemed Ali den Eintritt in die Stadt verwehren. Man drohte, den Gouverneur Hussein Pascha, den General Risa Pascha und den Medschliß von Skutari zu er morden. Jndctz gelang cs doch, die wüihendcn Exzedenten vorder hand zu beschwichtigen, indem das dasige Zweigkomits der Prisrender Liga die schriftliche Erklärung adgab, Laß die Abtretung von Podgoritza an Montenegro mit Waffengewalt verhindert werden würde. Gleichzeitig wurden Eilboten an Las Prisrender Komitö mit Ler dringenden Bitte um sofortige Unterstützung durch Hilfs truppen abgesendet. Mittlerweile hat auch das Komits von Pod goritza seinen Entschluß bekannt gegeben, jede Kommission, welche eventuell mit der Uebergabe des Platzes an Montenegro betraut werden sollte, feindlich behandeln zu wollen. Gleichzeitig verlangt es Hille gegen die Montenegriner. Aus dicsem Schreiben ersieht man, welche Hindernisse sich der Mission Mehemed Alls entgegenstellten. Diese scheinen aber immer mehr gewachsen zu sein, denn unter dem 5. September meldete er nach Konstantinopel, daß er, nachdem die Uebergabe von Gusfinje an Montenegro bewerstelligt sei, seine Pazifikations- misfion in Altserbien als gescheitert ansehen müsse und datz er im Begriffe stehe, von Djakovo aus, wo sein Leven in Gefahr ge kommen ist, nach Skutari abzureisen. Er glaube, seine Mission in Albanien habe gleichfalls wenig Aussicht auf Erfolg. Wenige Tage darauf ist Lie ausständige Bevölkerung zu einer förmlichen Revolte gegen ihn »erscheinen. Bei Jatowa wurde er von einer Jnsurgcmenbande überfallen und mußte schleunigst die Flucht nach Ipek (südwestlich von Novi-Bazar gelegen) ergreifen. Aber auch dort war cr vor den ihm nachsetzenden Mördern nicht sicher, denn nach bestätigten Berichten wurLe er in seiner Wohnung in Ipek mit seiner aus 1 Oifizier und 20 Soldaten bestehenden Eskorte ermordet und das Haus sodann mit Petroleum in Brand gesteckt. — Ein weiteres Telegramm mcldci, datz auch der Mutcssarif von Ipek, AVLullah Pascha, nebst 10 höheren Beamten massakrirt wurde. ES ist dies ein sehr trauriges Ereignih, welches wohl geeignet erscheint, die Pforte daran zu mahnen, ernstliche Anstalten zur Unterdrückung der aufständischen Bewegung zu unternehmen. Die Revolte in Albanien und dem Bezirke Novi-Bazar richtet sich eben nicht mehr gegcn die „Fremden", sondern gegen die Autorität der türkischen Regierung. Die Be amten treiben lheilS aus Furcht vor den Insurgenten, th-ils aus Fanatismus ein verrätherisches Doppelspiel und arbeiten dem Auf stand in die Hände. Aus diesem Vorfall erblickt man wieder recht deutlich Lie Ohnmacht der Türkei; wir glauben, datz es ihr nicht gelingen wird, den Ausstand zu bewältigen. Man steht, es geht mit der Pforten Herrschaft zu Ende und es wäre bester gewesen, Las Uebel gleich an der Wurzel anzusasten und mit einem Mal auszurolten, was Loch leine Lebensiähigkeit mehr besitzt und, so lange es noch fortvegi'irl, nur noch schaden kann. Es ist in der That betrübend, daß Ler tapfere, auch vom Feind hochgeachtete Feldherr, Mehemed Ali Pascha, ein solches Ende finden mutzte. Sein Name wird in den Annalen der Weltgeschichte unvergessen sein. —