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und Tageblatt 201. 1878. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und betrügt der Preis für diegcfpaltcne Zeile oder deren Raum 15 Pfennige. 3«. Jahrgang. Donnerstag, den 28. August. Amtsblatt für die königlichen nnd Wüschen Behörden zu Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Iulius Braun in Freiberg. Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pf., zweimonatlich 1 M. 50 Pf. n.emmonatl. 7b Pf. Staat und Sürgerthum. Kein Land der Erde, außer Deutschland, hat politische Parteien auf sozialem Gebiet aufzuweisen. Weder England, noch Frankreich, Italien, Oesterreich sahen je in ihren Parlamenten sozialistische Fraktionen oder hatten im Wahl kampfe mit derartigen Elementen zu ringen. In Deutschland ist dies anders und bet der Neuheit der Erscheinung, daß ein Staat mit einer einflußreichen sozialistischen, im Grunde genommen kommunistischen Partei zu rechnen hat, gewinnen die bevorstehenden Verhandlungen des deutschen Reichstags eine welthistorische Bedeutung. Sie werden allem An scheine nach zu einer Klärung der Begriffe führen, welche für alle Länder und für alle Zeiten von hoher Wichtigkeit sein wird. Woher aber in Deutschland diese Erscheinung? Der Reichstagsabgeordnete Bamberger stellte einmal den Sozialismus bei uns als Modekrankheit hin, von welcher die Sozialdemokratie nur eine besondere Form des Auf tretens bilde. „In allen Kreisen der Gesellschaft," sagte Bamberger, „hat sich ein sozialistisches Streberthum gebildet, welches in den heterogensten Sphären wiederkehrt, von der Aristokratie bis zur Börsenwelt, die mit ihm durch die schutzzöllnerische Agitation in enge Beziehungen getreten ist." Die sozialdemokratische Bewegung ist in der That, ab gesehen von ihrer revolutionären politischen Agitation, auf nichts Anderes gerichtet, als auf eine furchtbare Omnipotenz des Staates, auf ein totales Aufgehen des Bürgerthums in dem Alles besorgenden, für Alle sorgenden Staat. Nur als eine wirthschaftliche Bewegung genommen, geht sie in ihren Hauptzielen darauf aus, das Privatkapital durch das Kollektivkapital zu ersetzen, den Staat zum Gesammtkapita- listen zu machen, welcher die Nationalarbeit vornähme, an der jeder Bürger sich betheiligen müßte und wofür er mit entsprechenden Anweisungen für seine Bedürfnisse auf die Vorräthe in den Staatsmagazinen belohnt würde. In Wahrheit also würde mit dem Privatkapital auch die Konkurrenz und die Freiheit der Arbeit aufgehoben; Jeder würde ohne Geld besoldeter Arbeitsbeamter des Staates, der Staat wäre dann Alles für Alle, während er heute in ähnlicher Art Alles nur für gewisse Beamtengattungen wie z. B. für Soldaten rc. vorstellt. Es ist denn auch ein innerster Zug in der deutschen Sozialdemokratie, der Zentralisation des Staates nach Möglichkeit förderlich zu sein, weil dies ja den Grundprinzipien entspricht, auf denen einmal der sozialistische Staat in Form von selbstherrlichen Kommunen errichtet werden soll. Gerade dieser Zug ist es, welcher zur Erkenntniß unseres Sozialismus als Modekrankheit führt. In allen Kreisen graffirt die Sehnsucht, Alles vom Staat zu fordern, immer nach dem Schutze des Staates und seiner Polizei zu schreien, in ihm den Hort von bürgerlicher Sicherheit, jeder wirth- schaftlichen und kirchlichen Angelegenheit zu sehen und des halb bei jeder Gelegenheit von ihm empirische d. h. nur auf einen Gelegenheitsvorfall zugestutzte Maßregeln zu er warten und zu begehren. Nichts kann mehr die Verirrung des öffentlichen Geistes in Deutschland und den Niedergang des bürgerlichen Vollbewußtseins kennzeichnen als dies. Unsere geistige und politische Trägheit, wie sie sich ja genugsam in der Lästigkeit bei den Wahlen, in mattherziger Aufnahme edelerer, künstlerischer Anregungen beim Volke, im Widerwillen gegen öffentliche Ehrenämter, gegen kommunales Selbstthun und Rührigsein kundgiebt—sie bringt diese Sehnsucht nach größtmöglicher Bevormundung und Leistung durch den Staat hervor. Mag es Manchem als ein hartes Wort erscheinen, aber was ist das anders, als auf dem Lotterbett der sozialistischen Krankheit liegen und über den Wahnsinn der Sozialdemokratie daneben Angst und Bangen empfinden? Wenn der Staat und nur der Staat immer und immer helfen soll, ist dies nicht eine sozialistische Jdeenverwandtschaft, wonach der Staat für die Arbeit und Ernährung Aller sorgen müsse, damit der Einzelne dieser Sorge enthoben werde? Nicht darf herbei verwechselt werden, was nothwendige Aufgabe des Staates ist, was nicht, sondern dem Bürger thum als eigene Angelegenheit, als Bethätigung eigenen freien Lebens und Denkens gebührt und eifersüchtig von ihm als sein Menschenrecht behütet werden soll. Der Staat ist immer nur der Ausdruck seines Bürgerthums und sinkt dasselbe in geistiger und selbständiger Bedeutung, so kann ihm dabei der Staat auch mit den schönsten Gesetzen nicht helfen. Das Niedergehen des Bürgerthums hat sich zu allen Zeiten und in allen Ländern gezeigt in dem Er schlaffen geistiger Regsamkeit, in dem Seufzen nach den Mitteln des alten Polizeistaates, um nur ja die eigenen Hände ruhig in den Schooß legen zu können. Aus dieser Quelle fließt der größte Theil der MisLre, die uns heute drückt und wofür wir gern Andere, nur nicht uns selbst anklagen. Je mehr aber der Bürger wegen seiner Behag lichkeit und seines Besitzes nach Staatsschutz verlangt, je mehr wird auch das Proletariat in Erkenntniß seiner Massenhaftigkeit den Staat als seinen Retter ansehen und ihn für seine Interessen in die Gewalt zu bekommen suchen. Das ist nach unserem Dafürhalten ein Grund vom An wachsen der sozialdemokratischen Bewegung, vielleicht ein Hauptgrund für die Erscheinung, daß gerade Deutschland auf sozialem Gebiete politische Parteien zu bekämpfen hat- Dieser Erscheinung kann der Staat nicht so sehr wie das Bürgerthum selbst Abwehr bieten, indem es wieder zu starken korporativen Verbindungen sich einigt, die außerhalb der einseitigen politischen Parteizugehörigkeiten stehen und gemeinnützig mit selbstbewußtem Geist zu wirken beginnen. Denn welche Gesetze auch der Staat gegen den Sozialismus erlasse, sie werden diesen immer nur an der Oberfläche treffen. Was auf ihr zerstört wird, gewinnt das Innere an Kraft. Eine freiwillige Bekämpfung des Sozialismus aus dem Volke heraus muß unbedingt mit und neben der staatlichen Gesetzgebung so zu sagen Hand in Hand gehen, soll das soziale Uebel gründlich vernichtet werden. Dies dem Staate allein zu überlasten, müßte schließlich dahin führen, entweder die Gewaltmittel unter der wachsenden Gefahr immer mehr zu steigern, oder diese ganze Art von Gesetzgebung wieder zu beseitigen. Der letztere Schritt würde natürlich vom Sozialismus als Sieg ausgebeutet werden und in keinem Falle das Ansehen der Gesetzgebung erhöhen. Je mehr aber das staatsbürgerliche Bewußtsein im Volke sich hebt, je stärker das deutsche Nattonalgefühl zum Ausdruck gelangt, um so eher wird unter uns eine Partei zur Unmöglichkeit werden, die in ihren deutsch feindlichen Bestrebungen ein Hohn auf dieses National- gefühl ist. Tagesschau. Freiberg, 28. August. Der BuudeSrath nahm gestern das Sozialistengesetz wesentlich nach dem Anträge des Ausschusses an. Be kanntlich geht dieser Antrag dahin, daß durch die Ableh nung des Reichsamts für Preß- und Vereinswesen die 88 14 und 19 des Entwurfs eine Aenderung erleiden, und der Entwurf selbst nur noch 22 Paragraphen enthält. Im 8 4 wird der Bundesraths als Beschwerde-Instanz hingestellt; im 8 19 wird bestimmt, daß der Bundesrath zum Entscheid über diese Beschwerden einen Ausschuß von 7 Mitgliedern erwählt, dieser Ausschuß ist an keine In struktionen des Bundesrathes gebunden; er beschließt im Namen des Bundesrath, seine Entscheide sind endgiltig Die übrigen Aenderungen sind unwesentlicher nnd unter geordneter Natur. In dieser Form wird der Entwurf dem Reichstage zugehen. Welches Schicksal erwartet ihn dort? Noch ist es so genau nicht zu bestimmen. Gewiß ist indeß heute schon, daß die Vorlage in eine besondere Kommission verwiesen wird, und daß die Nationalliberalen sie diesmal nicht einfach ablehnen, sondern amendiren und ein Kom promiß herbetzuführen bestrebt sein werden. Die Regie rung wird mit Aufbietung aller Kraft und Energie für die Annahme des Gesetzes eintreten. Es ist sicher, daß Fürst Bismarck in die Diskussion über das Sozialistengesetz eingreifen wird, wenn diese Diskussion in ihrem letzten Stadium sich befindet. Eine Art von Ouvertüre zu seiner Rede klingt nachträglich aus Kisfingen herüber. „Ein netter Reichstag," so soll Fürst Bismarck gesagt haben, als ihm das vollständige Wahlresultat mitgetheilt wurde, „ich bin nur darauf neugierig, wie Stolberg mit ihm fertig wird." Dies Wort wird in parlamentarischen Kreisen eifrig kolportirt und ernstlich besprochen. Denkt Fürst Bismarck daran, von seinem Amte zurückzutreten? Will er einen längeren Urlaub nehmen? Will er die oberste Vertretung der Reichsregierung dem Reichstage gegenüber definitiv dem Grafen Stolberg überlasten und für sich nur das Restort der auswärtigen Politik behalten? Alle diese Fragen werden eifrig besprochen und Niemand ist natür lich in der Lage, sie bestimmt zu beantworten; das Kissinger Wort aber hält man allgemein für weit mehr als eine nebensächliche, bedeutungslose Redensart. Die Verhandlungen zwischen der Reichsregierung und der römischen Kurie kommen nicht vorwärts. In Wirklichkeit liegen die Sachen so, daß, so oft man zu einem greifbaren Resultat gekommen zu sein meint, die Kurie immer wieder durch eine Hinterthür entschlüpft. In Nom sollen nun die in Kistingen angebahnten Verhandlungen fortgeführt werden. Von deutscher Seite hatte man ursprünglich nur den Kardinal Fürsten Hohenlohe als Unter händler designtrt, jetzt soll nun auch der deutsche Botschafter bei dem italienischen Hofe, Herr v. Keudell, mit eingreifen. Sein neulicher Aufenthalt in Berlin hängt damit zusammen; der Botschafter geht nach Gastein, um sich dort Instruktionen zu holen. Außerhalb der Regierungskreise setzt man nur sehr bescheidene Hoffnungen in das Resultat der Verhand lungen. — Der „Reichs-Anzeiger" publizirt eine kaiserliche Verordnung, betreffend die Einberufung der elsaß- lothringischen Bezirkstage und Kreistage; erstere werden am 11. November eröffnet und schließen spätestens am 24. November. Die erste Sitzungsperiode ^er Kreis tage beginnt am 9. September, die zweite am 2. Dezember. Die Dauer jeder Sitzungsperiode wird höchstens fünf Tage währen. — Die „Nordd. Allg. Ztg." erfährt, die Aus wechselung der vom Sultan ratifiztrten sechs Exemplare des Berliner Vertrages durch d n türkischenGeschäftsträger Bagdad- lion werde heute Nachmittag im auswärtigen Amte erfolgen. Die wiederholte Ablehnung der Betheiligung bei der Pariser Münzkonferenz Seitens der deutschen Reichs regierung konnte die Eingeweihten nicht überraschen. Die Regierung hat in der Statistik des Münzverkehrs den sichersten Beweis, daß die Goldwährung von der Bevölke rung mit beiden Händen ergriffen worden ist, und daß es unmöglich sein würde, dieselbe zur Gewöhnung an einen Umlauf von zwei gleichberechtigt nebeneinander stehenden Edelmetallen. Eine in dieser Hinsicht sehr lehrreiche und interessante Thatsache ist die, daß in der Zeit vom 1. Januar 1876 bis Ende vorigen Jahres, also in zwei Jahren, vom Verkehr im Ganzen an Thalern, an Ein thalerstücken, ausgestoßen und in die Reichsbank getragen worden sind 469 Millionen Mark. Wenn nicht gleichzeitig infolge der Durchführung der Münzreform die sehr be deutenden Beträge von 320 bis 330 Millionen aus der Bank entnommen und eingeschmolzen und größtentheilS durch Gold ersetzt worden wären, so würde der Verkehr alles Gold an sich gezogen haben und man würde in den Reservoirs, in welche er diejenigen Münzen ausstößt, die ihm nicht genehm sind, lediglich Thaler finden. Gleichzeitig mit jenem Einströmen der Thaler sind aus der Reichsbonk ca. 385 Millionen an Goldmünzen in den Verkehr geströmt. Die Umwandlung des Silbermünzenumlaufs in einen Goldmünzenumlauf hat sich also mit großer Vehemenz in's Weik gesetzt. Es wurde am 30. September 1876 in den öffentlichen Kasten das Verhältniß der Goldmünzen zu den Thalerstücken festgestellt, und es stellte sich damals heraus, daß in den Kassenbeständen auf je 100 Mark in Thaler stücken 450 Mark in Neichsgoldmünzen kamen. Ein Jahr und einen Monat später, am 31. Oktober v. I., wurde