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1878. 20. Jahrgang. Sonnabend, den 24. August. und Tageblatt. * Amtsblatt sür dic königlichen nnd städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Iulius Braun in Freiberg. Inserate werden bis Vormittags I I Uhr angenom men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile oder deren Raum 1ü Pfennige. » Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr sür den 1 / andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., * zweimonatlich 1 M. bO Pf. n.cinmonatl. 7b Pf. Unsere Gewerbegesetzgebuug. i. Seitdem im Jahre 1869 durch die Reichsvertretung die Gewerbefreiheit, welche in den meisten deutschen Staaten überhaupt schon bestand, zum Gemeingut aller Deutschen gemacht ist, hat es nie an Bestrebungen gefehlt, einen Theil der vor wenigen Jahren aufgehobenen Beschränkungen wieder einzuführen. Davon legte der Kongreß sächsischer Gewerbe- und Handwerker-Vereine zu Pirna in diesen Tagen ein neues Zeugniß ab, indem er u. A. auf Antrag der Vereine Riesa und Bernstadt beschloß, beim Reichstage dahin zu petiren, daß derselbe die Wiedereinführung von Arbeitsbüchern für Gewerbsgehilfen fämmtlicher Alters klassen beschließe. Das heißt mit anderen Worten, die Arbeiter für ihr ganzes Leben als unmündig erklären und der sozialistischen Agitation neue Nahrung zuführen wollen. Wir sind allerdings auch der Ansicht des Vorsitzenden Walter-Dresden, daß der Reichstag derartige Petitionen ruhig »ä »et» legen werde. Immerhin ist es gerade kein erfreuliches Zeichen für das Verständniß unserer Zeit, wenn derartige Wünsche zum Vorschein kommen, ja zum Beschluß erhoben werden. Anstatt zu erkennen, daß die Schwierig keiten, welchen die deutsche Industrie im Wettkampfe mit Nationen begegnet, die sich seit einem Jahrhundert auf dem Boden der gewerblichen Freiheit entwickelt, ihre haupt sächlichste Ursache in der Verkommenheit haben, zu welcher das Handwerk unter den Zunfteinrichtungen herabgesunken war; anstatt die Heilung der hervortretenden Mißstände in der Stärkung der eigenen Kraft und der energischen Selbstthätigkeit des deutschen Gewerbestandes zu suchen, ist das Bestreben großer Parteien nach wie vor darauf gerichtet, kaum beseitigte korporative Einrichtungen wieder herzustellen. So war denn auch der Verlauf der Berathungen über die im letzten Reichstage zur Annahme gelangten Gewerbe- Novelle ein ungemein schwieriger und man darf es als einen Gewinn betrachten, daß das Ergebniß derselben nicht als ein Rückschritt, sondern als eine im Allgemeinen be friedigende Weiterentwicklung des neuen Rechts sich dar stellt. Besonders erfreulich sind diejenigen Aenderungen des Gewerbegesetzes, welche sich auf di» Fabrikarbeiter zu den Unternehmern beziehen und welche Deutschland erst eigentlich in die Reihe der Staaten stellen, welche bemüht sind, durch gesetzliche Vorschriften und sachgemäße Einrich tungen jene Verhältnisse zu ordnen. Das System des Arbeitens in Fabriken wurde zuerst in England eingeführt und dankt seine Entstehung der Einführung des Maschinenbetriebs bei der Baumwolle, Wolle und den anderen Gespinnststoffen sowie der damit in Verbindung tretenden Anwendung der Dampfmaschinen als nahezu ausschließliche Triebkraft. Dieses System hängt mit dieser Betriebseinrichtung zusammen und könnte nur dann beseitigt werden, wenn es möglich gemacht würde, mit dem Maschinenbetrieb den Einzel- und Hausbetrieb zu verbinden. Wie wichtig diese Neuerungen für die wirth- schaftlichen Verhältnisse in England wurden, sagen die Worte Porters in seinem Werke über die Fortschritte Englands seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts: „Die Spinn- und die Dampfmaschine waren die Mächte, welche zumeist die Flotten und Armeen Englands unterstützten, einem großen Theile der rasch zunehmenden Bevölkerung Unterhalt und der landwirthschaftlichen Prosperität die hauptsächlichste Unterlage gegeben haben." Mit diesen günstigen Verhältnissen gingen aber Hand in Hand große Gefahren für das leibliche und geistige Wohl der entstehenden Arbeiterbevölkerung, welche an fänglich aus Personen aller Art, aus armen Kindern und jungen Leuten, zusammengesetzt wurde. Die englische Gesetzgebung beschäftigte sich seit 1802 damit, den aus dem Fabriksystem entstehenden Uebslständen abzuhelfen. Ver schiedene Gesetze beschränkten die Verwendung von Kindern und jungen Leuten in Baumwollenfabriken; allein sie wirkten ungleich, weil ihre Durchführung nicht gesichert war. Erst mit der Faktoryakte vom 20. August 1833 wurde der Anfang einer wirklichen Fabrikgesetzgebung ge macht, indem mit ihr das System besonderer Fabrik inspektoren begann, welchen ausgedehnte Ueberwachungs- befugnisse zugewiesen wurden. An der Hand der Visitationen, der Berichte und Anträge dieser Fabrikinspektoren dehnte man die Gesetzgebung von einem auf andere Industrie zweige aus, während gleichzeitig die englische Industrie sich in einer früher nicht geahnten Weise entwickelte. Die wesentlichsten Bestimmungen der englischen Gesetzgebung haben den Schutz und die Erziehung von in Fabriken zur Verwendung kommenden Kindern im Alter zwischen 10 und 13 Jahren, den Schutz von jungen Personen, d. h. solchen zwischen 14 und 18 Jahren, und denjenigen von Frauen jedes Alters gegen Ausbeutung ihrer Kräfte zum Gegenstände. Sie beziehen sich auf den Arbeitstag, Arbeits pausen und die tägliche Arbeitsdauer, auf die Einrichtung der Werkstätten und die Sicherung gegen Beschädigung der Personen durch Maschinen. Die Durchführung steht unter der Aussicht der vom Staate ernannten Fabrikinspektoren und ihre Unterbeamten. In Frankreich wurde die Arbeit von Kindern in Fabriken durch Gesetz von 1841 beschränkt, dieses Gesetz aber durch das spätere über die Arbeit der in der Industrie beschäftigten Kinder und minderjährigen Mädchen vom Jahre 1874 ersetzt, welches neben dem Schutze gegen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zugleich Vorkehrungen für Abhaltung von Gefährdungen der Gesundheit anordnet und zur Be aufsichtigung des Vollzugs, außer Lokalkommissionen, staat lich angestelUe Inspektoren vorsieht. Besonders ausgebildet ist die Fabrikgesetzgebung der Schweiz. Die Gesetze, welche schon früher in einer Anzahl von Kantonen bestanden, wurden in neuester Zeit theils ergänzt, theils modifizirt durch das mittelst Volksabstimmung zur Annahme gelangte Bundesgesetz über die Arbeit in Fabriken vom 23. März 1877. Die Hauptgrundsätze des selben sind folgende: 1) In jeder Fabrik sind die Arbeits räume, Maschinen- und Werkgeräthschaften so herzustellen und zu unterhalten, daß dadurch Gesundheit und Leben der Arbeiter bestmöglich gesichert werden; Maschinentheile und Treibriemen, welche eine Gefährdung der Arbeiter bilden, sind sorgfältig einzufriedigen. 2) Ueber die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb wird ein Bundesgesetz das Erforderliche ver fügen. 3) Die Fabrikbesitzer sind verpflichtet, über die ge- sammte Arbeitsordnung eine Fabrikordnung anzufertigen, welche der Genehmigung der Kantonsregierung unterstellt ist und von dieser nur genehmigt werden darf, wenn sie nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt und nachdem zuvor den Arbeitern Gelegenheit gegeben ist, sich über den Inhalt auszusprechen. Bußen dürfen die Hälfte des Tage lohns nicht überschreiten. 4) Die Arbeiter sind alle zwei Wochen in baar, in den gesetzlichen Münzsorten, in der Fabrik selbst auszuzahlen. 5) Die Dauer regelmäßiger Arbeit eines Tages darf nicht mehr als elf Stunden be tragen. 6) Nachtarbeit ist nur ausnahmsweise zulässig und es können die Arbeiter nur mit ihrer Zustimmung dazu verwendet werden. 7) Die Arbeit an den Sonntagen ist, Nothfälle ausgenommen, untersagt. Wo ununterbrochener Betrieb nothwendig, muß jedem Arbeiter der zweite Sonn tag frei bleiben. 8.) Frauen sollen unter keinen Umständen zur Sonntags- oder zur Nachtarbeit und dürfen nicht zur Reinigung von im Gange befindlichen Maschinen verwendet werden. 91 Kinder unter 14 Iabrru dürien zur Arbeit in Fabriken gar nicht, junge Leute unter 18 Jahren nur mit Beschränkung verwendet werden. Sonntags- und Nacht arbeit von Personen unter 18 Jahren ist untersagt. 10) Die Kontrole der Durchführung dieses Gesetzes übt der Bundesrath durch von ihm angestellte ständige Inspektoren. Tagesschau. Freiberg, 23. August. Der deutsche Kaiser erließ gestern folgendes Hand schreiben an den Bürgermeister von Teplitz: Nach einer schweren, mir von dem Allmächtigen auferlegten Prüfung war es mir wohlthuend, daß zur Wiederherstellung meiner Gesundheit das mir schon seit meiner Jugend so liebe Teplitz ausgewählt wurde. Hier angelangt, ist mir vor Allem in der Erinnerung meines unvergeßlichen, in Gott ruhenden Königs und Herrn Vaters, dessen Gedächtnis auf eine meinem Herzen so unendlich wohlthuende Weise bewahrt wird, schon beim Empfange und während meines ganzen Aufenthaltes, namentlich auch durch die persönliche Fürsorge einer größeren Anzahl hiesiger Einwohner allep^ Stände, soviel Freundlichkeit und Theilnahme gezeigt worden, daß es ein Her-ensbedürfniß für mich ist, allen Denen, die mir diese Gesinnungen entgegengetragen haben, beim Scheiden von Teplitz meinen tiefgefühlten Dank hier mit auszusprechen, welchen ich Sie, Herr Bürgermeister, ersuche, zur öffentlichen Kenntniß bringen zu wollen. Teplitz, oen 22. August 1878 Wilhelm. — Die großherzoglich badische Familie hat vergangene Nacht Teplitz verlaffen. Zu heute Mittag ist eine Deputation der Bürgerehrenwachr zur Audienz beim Kaiser befohlen. — Der deutsche Kron prinz besichtigte gestern die Hauptkadettenanstalt in Bitter feld und richtete an die Offiziere, die Lehrer und Kadetten folgende Ansprache: Mein erster Gang nach soeben erfolgter Rückkehr gilt der Begrüßung der Offiziere, Lehrer und Kadetten in den vor wenig Tagen bezogenen Räumen der Hauptkadettenanstalt, während die eigentliche Feier ihrer Einweihung erst nach der völligen Wiederherstellung Sr. Majestät des Kaisers erfolgen wird. Möge der Geist, welcher von Alters her die durch meine Vorfahren gegrün dete, stets mir besonderer Vorliebe gepflegte Pflanzstätte ihre Offiziere auszeichnete, in richtiger Eckenntniß der An forderungen unserer Zeit zu reichster Entfaltung gelangen! Und wie ehedem in den kürzlich verlassenen Räumen der Ersatz der preußischen Armee sich heran bildete, so möge hier fortan für das deutsche Heer eine Saat erstehen, welche fern von aller Engherzigkut und den Sinn auf das Ganze gerichtet, als wahre Stütze für Kaiser und Reich immer bereit ist, dem Vaterland zu dienen. Ueber das Sozialistengesetz liegt jetzt ein authentisches und hochbedeutsames Unheil aus nationalltberalen Abge ordnetenkreisen in der Rede vor, welche Herr v. Bennigsen zu Kreiensen zum Zweck der Empfehlung der Kandidatur ves Herrn v. Stauffenberg gehalten hat. H:rr v. Bennigsen geht freilich auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs nicht ein, und diese Zurückhaltung ist sehr gerechtfertigt, da der Entwurf noch keineswegs definitiv festg stellt ist, die Motive nach im Rückstand sind und es ferner auch dem erfahrensten und klarblickendsten Politiker Bedürfniß sein muß, sich in einer für unser gesummtes politisches Leben so überaus wichtigen Angelegenheit zuvor mit Gesinnungsgenoffen zu besprechen und zu verständigen, überdies auch zu einer Kritik der Bestimmungen im Einzelnen eine Volksversamm lung nicht der geeignete Platz ist. Gleichwohl aber haben die Worte des Herrn v. Bennigsen, in denen wir nach der Stellung dieses Mannes in der nationalliberalen Partei im Allgemeinen die überwiegenden Anschauungen der letz teren selbst erblicken dürfen, die größte Bedeutung. Wir greifen die entscheidenden Worte in der nachstehenden Fassung heraus: „Eine Verständigung zwischen Regierung und Reichstag muß gelingen, um den gefährlichen Agitationen der Sozialde mokraten gegen die seltenen Grundlagen des Staates und der Gesellschaft wirksam entgegenzutretcn. Dazu wird eö eines großen MaßeS von Selbstbeherrschung aus allen Seiten be dürfen. Ich hoffe, daß die Verständigung gelingt; jedenfalls werden wir uns redlich dafür bemühen, daß die Ordnung ge sichert und doch dabei dic Freiheit nicht mehr als nöthig be schränkt wird. Das war immer das Streben der national- liberalen Partei und dafür ist sie abwechselnd von rechts und links getadelt worden, daß sie Ordnung und Freiheit mit einan-