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rMlMAeW und Tageblatt 191. 1878. Inserate werden bis Vormittags 1t Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1b Pfennige. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Iulius Brau» in Freiberg. 30. Jahrgang. Sonnabend, den 17. August. Erscheint jeden Wochentag Abends S Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., zweimonatlich 1 M. bO Pf. n.cinmonatl. 7b Pf. Unterlegen! Dir gestrige Stichwahl im IX. Wahlbezirk hat den AuSgang genommen, den wir befürchteten. DieOrdntNgS- parteien sind der Sozialdemokratie unterlegen. Am 29. Juni schrieben wir an dieser Stelle: „Es wäre hoch bedauerlich, wenn es in unserem Freiberger Wahl bezirke auf dem einen oder anderen Wege zu einer Einigung der Ordnungsparteien nicht kommen würde. Man rechne doch nur ein klein wenig mit gegebenen Thatsachen. Bei der letzten Reichstagswahl am 10. Januar vorigen Jahres führten im ersten Treffen die Sozialdemokraten 5147, die Liberalen 5103 und die Konservativen 3913 Stimmen an die Wahlurne. Bei der am 26. desselben Monats folgenden Stichwahl verfügten die Sozialdemokraten bereits über 6987 Stimmen. Sie hatten also innerhalb sechszehn Tagen ihre Bataillone um 1840 Mann verstärkt! Bei der vortrefflichen Organisation dieser Partei und der nach ahmungswürdigen Rührigkeit ihrer Führer und Mitglieder wäre es eine Vogel-Strauß-Politik, zu glauben, die Partei werde bei der bevorstehenden Wahl minder stark vertreten sein. Im Gegentheil, die Sozialdemokratie weiß sehr gut, daß es jetzt für sie einen Kampf um Leben und Tod gilt; deshalb wird auch ihr letzter Mann beim Treffen nicht fehlen, um den Gewinn aus dem Zwiespalt der Gegner zu ziehen, während, wie wir fürchten, die Erntearbeiten die Reihen unserer Wähler sehr lichten werden. Nicht die Sozialdemokratie, sondern uns selbst wird dann die Schuld treffen, aus kindischem Eigensinn die höchsten Interessen des Staates verwegen auf's Spiel gesetzt zu haben." Von dieser Schuld kann uns heute Niemand freisprechen Auch ist eingetroffen, was wir damals in Aussicht stellten: Die Sozialdemokratie hat innerhalb vierzehn Tagen die Zahl ihrer Streiter von 6127 auf 8075 Mann erhöht, während die Ordnungsparteien in derselben Frist von 8313 auf 7089 zurückgegangen sind. Wie das gekommen, welches die Ursachen des Wachsthums auf der einen und des Rückgangs auf der anderen Seite waren, ist zunächst gleichgiltig; denn es würde an der Thatsache nichts ändern, daß wir geschlagen sind. Eine Vergleichung der Ziffern auf der weiter unten folgenden Zusammenstellung der Stichwahl-Ergebnisse giebt überdies jede gewünschte Auskunft. Daß der Troß, welcher verblendet genug ist, der Fahne der Sozialdemokratie zu folgen, sich gerade jetzt nicht ver mindern, sondern eher vermehren werde, ließ sich bei einiger Erfahrung in politischen Dingen wohl vorhersehen, und diejenigen, die es nicht vorhergesehen, sollten sich wenigstens nachträglich darüber nicht wundern. Ist es doch schon unendlich oft beobachtet worden, daß excentrische Neigungen sowohl bei Individuen, wie bei Parteien, sobald ihnen plötzlich ein energischer Widerstand entgegengesetzt wird, sich nicht etwa sofort zurückziehen, sondern auf einige Zeit nur desto leidenschaftlicher und intensiver werden. Ganz das Nämliche war von der Sozialdemokratie zu erwarten, als plötzlich die gesammte öffentliche Meinung im gesellschaftlichen Verkehr, in Preffe, Versammlungin, Gesetzvorschlägen. Polizei- und Regierungsmaßregeln sich gegen sie auflehnte. Aber ihre nur um so wüthiger sich gebührende Heftigkeit und ihr momentan sich vergrößernder Anhang schrecken uns nicht, denn wir sehen voraus, daß dieser Fieberparoxysmus nicht lange vorhalten wird. Ohne Erfolge, seien es nun Erfolge gesetzgeberischer Art, die in völlig loyalem Wege erreicht werden, seien es Akte der Gewaltsamkeit, ohne Erfolge kann keine politische Bewegung auf die Dauer sich erhalten. Die thatsächlichen Erfolge der Sozialdemokratie sind aber, an den Erwartungen ihrer eigenen Anhänger gemeßen, bis jetzt gleich Null, denn von dem, worauf es diesen Leuten vornehmlich ankommt, hat sich nichts, auch nicht das Geringste verwirklicht, was sie ihren praktischen Zielen näher gebracht hätte. An dieser Thatsache ändert der Umstand, daß die Partei ein volles Dutzend Vertreter im Reichstag gehabt, eben so wenig, wie die stete Mitgliederzunahme. Von dem Einen wie von dem Andern haben die Anhänger keine reellen Vortheile, und für eine so ausgesprochene Jntereffenpartei, wie die Sozialdemokratie mit ihrer sogenannten Magenfrage es ist, pflegen gerade die reellen Vortheile der beste Kitt zu sein. Wenn also die Partei nicht zerbröckeln und in sich zerfallen soll, so müßen ihre Führer, nachdem sie jahrelang ihre papiernen Prinzipien nach allen Richtungen hin diskutirt, vorfochten und angepriesen, nothgedrungen über ihre bisherigen Leistungen hinausgehen, sie müssen den Phrasen von Weltbeglückung endlich ein weltbeglückendes Handeln folgen laßen. Dieses ist der Verlegenheitspunkt, vor dem sie stehen und über den sie nach Lage der Verhältnisse schlechterdings nicht hinauskommen können. Denn welcher Art sollte wohl dies Handeln sein? Eine praktische politische Thätigkeit inner halb der gesetzlichen Schranken,, wie die übrigen Parteien, kann die Sozialdemokratie nicht entwickeln, weil sie ja grundsätzlich den Vsrfaffungsstaat, wie er historisch ge worden, verneint und sich außerhalb desselben stellt. So mit bliebe ihr also nur die Möglichkeit, ihr verworrenes Staatsideal durch einen gewaltsamen Akt zu verwirk lichen; kann sie auch dies nicht, bleiben ihre Ideale fort und fort Phrasen und ihre Proteste nichts als ödes Papier, so muß sie an dieser ihrer inneren Unfruchtbarkeit mit Naturnothwendigkeit früher oder später zu Grunde gehen, und hätte sie der Anhänger auch noch so viele. Und daß dieses ihr endliches Schicksal sein wird, ist jetzt schon gewiß. Das neue Sozialistengesetz wird überdies der äußeren Agitation die Flügel stutzen und der literarischen Klopf fechterei engere Grenzen ziehen, so daß der mächtig ange schwollene Strom der Anhängerschaft — unfähig, Ver wüstung und Schaden anzurichten — schließlich ganz von selbst wieder in's Niveau der öffentlichen Meinung zurück sinken wird Je größer der Schweif der Anhänger ist, um so sicherer wird er sich wieder verlaufen, wenn für die Maße die direkte Verbindung mit den immer zu neuen Hoff nungen anspornenden und doch niemals etwas ausrichtenden Führern seltener und spärlicher wird. Und durch die heute früh erfolgte Hinrichtung des Attentäters Hödel hat auch die Reichsregierung den Beweis geliefert, daß ihre Nachsicht und Milde diesen Wühlern gegenüber erschöpft ist. Somit sehen wir trotz unserer Niederlage der Zukunft doch nur hoffnungsvoll entgegen. Es sind ja meist nur unreife mißvergnügte Geister, welche wegen der ungünstigen Wirthschafts- und Erwerbsverhältniße sich der am lautesten schreienden Partei der Sozialdemokraten anschließen. Daß sie aber deshalb mit dieser Partei gemeinsame Ziele verfolgen, ist sicherlich nicht anzunehmen. Im Gegentheil sind wir überzeugt, daß ein sehr großer Theil der Wahl- anhängerschast der Partei sofort den Rücken kehren würde, sobald ein wirthschaftlicher Aufschwung eintritt. So viel ist gewiß, daß dann das so gewaltig drohende Schreckge spenst der Sozialdemokratie wie Nebel im frischen Morgen winde zerfließen wird. Wirsind jetztzwar unterlegen, aber die Zukunst gehört doch den staatserhaltenden Parteien. In diesem stärkenden Bewußtsein laßen wir den Muth nicht sinken, sondern rufen voll guter Zuversicht: Hoch Teutschlaud! Das neue Sozialistengesetz. Obgleich gestern bereits seinem wesentlichen Inhalte nach mitgetheilt. laßen wir nachstehend noch den Wortlaut des neuen Sozialistengesetzes folgen: K 1 Vereine, welche sozialdemokratischen, sozialistischen oder kommunistischen, auf Untergrabung der bestehenden StaatS- oder Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen dienen, sind zu verbieten. Den Vereinen stehen gleich Verbindungen jeder Art, insbesondere genossenschaftliche Kassen? 8 2. Zuständig für das Verbot sind die Zentralbehörden der Bundesstaaten. Dad Verbot ist durch den „Rcichsanzeiger" bekannt zu machen. Dasselbe ist für das ganze Bundesgebiet wirksam und umfaßt alle Verzweigungen des Vereins, sowie jeden vorgeblich neuen Verein, welcher sachlich alö der alte sich darstellt. 8 3. Auf Grund des Verbotes sind die Vereinskasse, sowie alle für Zwecke des Vereins bestimmte Gegenstände durch die Polizeibehörde in Beschlag zu nehmen. Nachdem das Verbot endgiltig geworden, ist das in Beschlag genommene Geld sowie der Erlös der in Beschlag genommenen Gegenstände der Armen kasse des Orts der Beschlagnahme zu überweisen. Gegen die Anordnungen der Polizeibehörde findet nur die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde statt. 8 4. Gegen das Verbot steht dem Vereinsvorstande die Beschwerde an daS Rcichöamt sür Vcreinswescn und Presse offen. Dieselbe ist innerhalb einer Woche nach der Zustellung des Verbotes bei der Zentralbehörde anzubringen, welche dasselbe erlassen hat. Die Beschwerde hat keine auischicbcnde Wirkung. 8 5. DaS Reichsamt für Vcreinswescn und Presse hat seinen Sitz in Berlin und besteht aus neun Mitgliedern, welche ans der Zahl der tm Reichs- oder im Staatsdienste angestelltcn Personen zu berufen sind. Mindestens fünf..Mitglieder müssen ckatomäßig angcstelltc.Richter sein. 8 t>. Der Präsident, der Stellvertreter des Präsidenten, sowie die übrigen Mitglieder des Rcichsamkcö werden für die Zeit der Geltung dieses Gesetzes und für die Dauer des zur Zeit ihrer Ernennung von ihnen bekleideten Reichs- oder Staats- amtö vom Bundesratb gewählt und vom Kaster ernannt. 8 7. Alle Behörden im Reich sind verpflichtet, auf Ersu chen des Rcichöamts die in ihren Gcfchäftokrciö fallenden Er mittelungen vorzunehmcn. 8 8. DaS Rcichöamt entscheidet in der Besetzung von stinf Mitgliedern, von denen mindestens drei zu den richterlichen Mitgliedern geboren müssen. Die Entscheidungen erfolgen nach freiem Ermessen und sind endgiltig. Im Uebrigen bestimmt das Rcichöamt seine Geschäftsordnung selbständig. 8 Vers a mlungen, von denen anzunebmen ist, daß ie Bestrebungen der im 8 t bezeichneten Art dienen werden, sind zu verbieten. Versammlungen, in welchen solche Bestre bungen zu Tage treten, sind auszulösen. Den Versammlungen werden öffentliche Festlichkeiten und Auszüge gleichgestellt. Zu ständig iür das Verbot und die Auflösung ist die Polizeibehörde. Gegen die Anordnungen derselben findet nur die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde statt. 8 10. Dr u ck s chriftcn, welche Bestrebungen der im 81 bezeichneten 'Art dienen, sind zu verbieten. Bei periodischen Drucksachen kann das Verbot sich auch auf das fernere Erschei nen derselben erstrecken. 8 II. Zuständig iür das Verbot ist, wenn cS sich um daS Verbot dcö ferneren Erscheinens einer periodischen Druckschrift handelt, die Zentralbehörde keö Bundesstaates, in welchem die selbe erscheint, in den übrigen Fallen die LandeSpolizcibchörde. Das Verbot der ferneren Verbreitung einer im Auslände er scheinenden periodischen Druckschrift steht kein Reichskanzler zu. DaS Verbot ist in allen Fällen durch den Reichskanzler bekannt zu machen, und für daö ganze Bundesgebiet wirksam. 8 12. Dem Verleger, sowie dem Herausgeber der Druck schrift steht gegen das Verbot, wenn dasselbe von der Zentral behörde erlassen ist, die Beschwerde an daS RcichSamt iür Vereins- wcscn und Presse, wenn daö Verbot von der LandcSpolizei- bebördc erlassen stt, die Beschwerde an die Zentralbehörde und gegen deren Entscheidung die weitere Beschwerde an daS Rcichs- amt offen. Die Beschwerde und die weitere Beschwerde sind innerhalb einer Woche nach der Zustellung des Verbotes oder der Entscheidung bei der Behörde anzubringcn, welche das Verbot oder die Entscheidung erlassen hat. Weder die Beschwerde nocki die weitere Beschwerde haben auischicbcnde Wirkung. 8 13. 'Aus Grund deS Verbotes sind die von demselben be troffenen Druckschriften da, wo sic sich zum Zwecke der Ver breitung vorfinkcn, in Beschlag zu nehmen. Die Beschlagnahme kann sich auf die zur Vervielfältigung dienenden Platten und Formen erstrecken: bei Druckschriften im engeren Sinne hat auf 'Antrag dcö Bctbciligtcn statt Beschlagnahme des Satzcö daS Ablegen deö letzteren zu geschehen. Die m Beschlag genommenen Druckschriiten, Platten und Formen sind, nachdem daö Verbot endgiltig geworden ist, unbrauchbar zu machen. Gegen die 'An ordnungen der Polizeibehörde finket nur die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde statt. ° 8 "-DK Polizeibehörde ist befugt, Druckschriften der im 8 10 bezeichneten Art, sowie die zu ihrer Vervielfältigung dienen den Platten und Formen schon vor Erlaß eines Verbotes vor- laung m Bezchlag zu nehmen. Die in Beschlag genommene Druckichnst ist innerhalb 24 Stunden der Landcspolizcibehörde einzurcichcn. Letztere hat entweder die Wiekerausbebung der Beschlagnahme sofort anzuorkncn oder innerhalb einer Woche ras Verbot zu erlassen. Erfolgt daö Verbot nicht innerhalb dieser Frist, so erlischt die Beschlagnahme, und müssen die einzelnen Stücke, Platten und Formen srcigcgeben werden. 8 15. DaS Einsammcln von Beiträgen zur Förderung der un 8 1 bezeichneten Bestrebungen, sowie die öffentliche Auf-