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UN- TagMall. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Brauu iu Freiberg. -- - » Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den I » andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., » zweimonatlich 1 M. 50 Pf. n. cinmonatl. 75 Pf. U0. Jahrgang. Dienstaa, den 16. Juli. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile oder deren Raum 15 Psennigc. 1878. Der Schluß des Äonyresses.*) „Das deutsche Kaiserreich will den Frieden" — dieses einst von hoher Stelle gesprochene Wort hat seine Bestätigung gefunden. Am Sonnabend ist vom Berliner Kongreß der Friedensvertraq unterzeichnet worden. Die Diplomatie vollendete innerhalb Monatsfrist ein Werk» welches zwar nur eine neue Station in der Orientfrage bildet, uns aber dennoch für die Gegenwart mit Genug- thuung zu erfüllen geeignet ist. Die Aufmerksamkeit, mit welcher man in Deutschland den Kongreßarbeiten folgte, steht allerdings in keinem Verhältniß zur Bedeutung der selben. Vielen wird es erst in diesen Tagen zum vollen Bewußtsein kommen, daß eine hochinteressante Phase zeit genössischer Geschichte nun abgespielt und die für Europa so verhängnitzvolle orientalische Frage wieder einmal zu einem vorläufigen Abschluß gelangt ist. Diese geringe Be achtung, welche die Deutschen dem diplomatischen G-webe geschenkt, zu dem in ihrer eigenen Mitte die Fäden ge sponnen wurd.n, läßt sich nur erklären durch den Drang der Stunde, durch die Nöthen, denen derjenige Theil der Nation ausgesetzt ist, in dem sonst der Stolz über die glücklich beendete Friedens-Mission des Reichs kanzlers am lebhaftesten Ausdruck gefunden hätte. Das deutsche Bürgerthum vertheidigt heute seine parlamentarischen Positionen; von vorn und im Rücken angegriffen, muß es vor Allem an tapfere entschloßene Abwehr denken. In diesem Handgemenge können wir dem Fürsten Bismarck nur flüchtig die gebührende Anerkennung für seine treffliche Durchführung der Rolle eines „ehrlichen Maklers" zollen. Wir empfinden es mit Schmerz, daß mit der Rückkehr des äußeren Friedens der Kampf auf dem Wahlfelde erst recht ent brennen wird. Ja wir empfinden es noch vielmehr mit Schmerz, daß der Mann, dessen diplomatische Schachzüge ebenso sicher als besonnen sind, auf dem Gebiete der staat lichen Organisation, der Fortentwickelung des Reiches, auf dem Felde der konstitutionellen Entscheidungen Bahnen ein- schlägt, die einer für überwunden gehaltenen Parteiregung von Neuem den Weizen blühen läßt. Doch gehen wir zu unserem Thema über. Die letzte Sitzung des Kongresses begann vorigen Sonnabend Nach mittag 3 Uhr. Fürst Bismarck hielt eine längere Ansprache an die Bevollmächtigten der Kongreßstaaten, in welcher er die Arbeit des Kongresses für vollendet erklärte und seiner Hoffnung lebhaftesten Ausdruck gab, daß der Friede durch das Werk des Kongresses eine dauernde Befestigung er halten habe. Darauf folgte die Zeremonie der Unterzeich nung des Aktenstückes, welche so vor sich ging, daß jede vertretende Macht auf demjenigen Exemplar des Vertrages zuerst steht, welches für sie bestimmt ist. Deutschland steht auf den sechs Exemplaren stets als zweiter Unter zeichner. Jedes Exemplar ist in rothsammtenem Einband ! in groß Oktavformat gehalten. Die Unterschriften befinden - sich auf den beiden letzten Seiten des Dokuments, so zwar, r daß auf der vorletzten Seite neun und auf der letzten l Seite elf Namen stehen. Graf Andrassy ergriff nun das Wort und i sprach: Meine Herren! In dem Augenblick, in I dem unsere Anstrengungen zu einem allgemeinen Ver- i ständniß geführt haben, ist es uns unmöglich, dem H bedeutenden Staatsmann unsere Huldigung nicht darzu- j bringen, welcher unsere Arbeiten geleitet hat. Er hat un- : verändert darnach gestrebt, den Frieden zu sichern und zu ° befestigen. Zu diesem Zweck hat er alle seine Kräfte ver- i wendet, um alle Meinungsverschiedenheiten auszugleichen *) Den Brief unseres Herrn Referenten „Aus dem Stand e- I saale ' müssen wir heute für eine der nächsten Nummern zurücklegen, I um die wichtigeren politischen Ereignisse den geehnen Lesern nichl I verspätet zuzuführen. Die Red. und das möglichst baldige Ende der Ungewißheit herbei zuführen, welches so schwer auf Europa lag. Dank der Weisheit und der unermüdlichen Energie, womit unser Präsident unsere Arbeiten leitete, hat er beigetragen in hohem Grade zu dem glücklichen Gelingen des Werkes der Wiederherstellung des Friedens, das wir gemeinsam unter nommen haben. Ich bin daher sicher, dem einstimmigen Gefühl dieser Versammlung zu begegnen, indem ich Ihnen Vorschläge, Sr. erlauchten Hoheit dem bürsten von Bismarck unseren wärmsten Dank auszusprechen. Auf dem Punkt, uns zu trennen, glaube ich am besten Ihren Gefühlen zu entsprechen, indem ich unseren ehrerbietigsten Dank dem großen Wohlwollen bezeuge und der verbindlichen Gast freundschaft, die wir genossen haben von Sr. Majestät dem Kaiser von Deutschland und seiner erhabenen Familie. Hierauf antwortete Fürst Bismarck: Die Worte, welche Graf Andrassy im Namen der hohen Versammlung soeben ausgesprochen hat, haben mich tief ergriffen. Ich danke dem Kongreß herzlich, denselben seine freundliche Zustim mung geschenkt zu haben und spreche allen meinen Kollegen für die Nachsicht und die wohlwollenden Gesinnungen, die Sie mir während des Verlaufs unserer Arbeiten bewiesen haben, meinen vollsten Dank aus. Der Geist der Ver söhnung und des gegenseitigen Wohlwollens, der alle Be vollmächtigten beseelte, hat mir eine Aufgabe erleichtert, die ich bei meinem Gesundheitszustand kaum glaubte zu Ende ühren zu können. In dem Augenblicke, wo der Kongreß das gehoffte Resultat erreicht hat, bitte ich Sie, mir ein reundliches Andenken zu bewahren; was mich betrifft, so wird die denkwürdige Epoche, welche hinter uns liegt, meinem Gedächtnisse unverlöschlich eingeprägt bleiben. Nach der Unterzeichnung des Vertrags ergriff Fürst Bismarck nochmals das Wort und schloß die Verhandlung mit folgender Ansprache: Jch konstatire hiermit, daß die Arbeiten des Kongresses beendet sind. Ich betrachte es als letzte Pflicht des Präsidenten, den Herren Bevollmächtigten, die an den Kommissionen Theil genommen haben, besonders dem Herrn Desprez und dem Herrn Fürsten von Hohenlohe, den Dank des Kongresses auszusprechen. Ebenso danke ich im Namen der hohen Versammlung dem Sekretariat für den Eifer, den es bewiesen hat; derselbe hat wesentlich beigetragen,'die Ar beiten des Kongresses zu erleichtern. In den Ausdruck dieser Dankbarkeit schließe ich die an der Spezialstudie der hohen Versammlung betheiligten Herren Beamten und Offiziere ein. Meine Herren, im Augenblicke der Trennung stehe ich nicht an, die Ueberzeugung auszusprechen, daß der Kongreß sich um Europa verdient gemacht hat. Wenn es nicht möglich war, allen Bestrebungen der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen, so wird die Geschichte doch, auf alle Fälle, unsern Absichten und dem geschaffenen Werke Gerechtigkeit widerfahren lassen und di» Bevollmächtigten werden das Bewußtsein in sich tragen, in den Grenzen des Möglichen Europa die große Wohlthat des so ernstlich bedrohten Friedens wiedergegeben und gesichert zu haben. Dieses Resultat wird durch keine Kritik, welche der Partei, geist der Oeffentlichkeit einflößen könnte, abgeschwächt wer den. Ich habe die feste Hoffnung, daß das gute Einver nehmen Europas mit Gottes Hilfe dauernd sein wird und daß die persönlichen und herzlichen Verhältnisse, die wäh rend unserer Arbeiten sich unter uns gestaltet haben, die guten Beziehungen zwischen unsern Regierungen stärken und befestigen werden. Nochmals danke ich meinen Kollegen für ihr Wohlwollen gegen mich und indem ich das Gefühl hoher Dankbarkeit im Herzen bewahre, schließe ich die letzte Sitzung des Kongresses. Bei dem hierauf folgenden Galadiner im Weißen Saale des königlichen Schlosses brachte der deutsche Kronprinz folgenden Toast aus: Die Hoffnun ¬ gen, mit denen ich vor einem Monat im Namen des Kaisers die erhabenen Staatsmänner zum Kongreß he- grüßte, hab»n glücklicherweise sich bewahrheitet: Das Werk des Friedens, so sehr von Europa gewünscht, wird durch ihre Anstrengungen gekrönt. Als Interpret der Gefühle meines hohen Vaters bin ich glücklich, der Weisheit und dem Geiste der Versammlung zu danken, welche dieses große Resultat herbeigeführt haben. Die soeben vollendete Abmachung wird eine neue Garantie des Friedens und des allgemeinen Wohlbefindens sein; die Beihilfe Deutschlands hat sich von Anfang an auf Alles erstreckt, was dazu beitragen konnte, diese großen Wohlthaten zu sichern und zu erhalten. Im Namen Sr. Majestät trinke ich auf das Wohl der Souveräne und Regierungen, deren Vertreter an diesem denkwürdigen Tage den Vertrag von Berlin unterzeichneten. So schloß der Kongreß zwar mit dem Frieden, aber doch mit einer vielseitigen Verstimmung und es wird sehr geübter diplomatischer Piloten bedürfen, um ohne Zusam menstoß aus diesem Meere von Klagen und Anklagen her auszurudern. Trotzdem kann man dem Kongreß wichtige Erfolge nicht absprechen und wir behalten uns vor, morgen dies näher nachzuweisen. Tagesschau. Freiberg, l5. Juli. Der Friedensverlrag, wie er ans dem Kongreß her vorgegangen, soll erst in vier Wochen der Oeffentlichkeit übergeben werden; wir glauben jedoch, daß man in England die öffentliche Meinung nicht so lange auf die Folter spannen wird. Jedenfalls erfahren wir zuerst aus englischen Blättern, was in der deutschen Residenz stipulirt worden ist. Schon jetzt bringt die „Times" einen Auszug, der mit Ausschluß der Grenzen Ostrumeliens und Serbiens Folgendes enthält: In Artikel 1 des Friedens vertrages heißt es, daß alle Regierungen darüber einig waren, beim Berliner Kongreß den Vertrag von San Stefano zum Ausgangspunkt der Verhandlungen zu nehmen, in Verbindung mit dem Pariser und Londoner Vertrage. Den meisten Raum im Vertrage nehmen die Bestimmungen über die Festsetzung der Grenzen ein. Bulgarien wird ein tributärer und autonomer Staat, er zahlt an die Pforte Tribut, dessen Höhe später definitiv nach den Revenüen des Landes bemessen, von Europa fixirt wird. Die Fürsten wahl durch die Notabeln findet in Tirnowo statt; der Fürst darf aus keiner der großen europäischen Fürsten- familien gewählt werden; unter gewissen Umständen kann, wie es im Vertrage heißt, Bulgarien sogar ein erbliches Fürstenthum werden. — Bei der Bestimmung über die Unabhängigkeit Serbiens, Montenegros und Rumäniens und bei deren Grenzfeststellung ist ausdrücklich in jedem Artikel die Bestimmung über die Gleichstellung der Kulte ausgenommen. Montenegro erhält Antivari, die freie Schifffahrt auf der Bojana, jedoch nicht das Recht, eine eigene KriegSfiagge zu führen und Kriegsschiffe zu halten; die montenegrinisch»» Schiffe segeln unter dalmatinischer Flagge. Was Bosnien betrifft, so heißt es in dem Ver trage, daß Oesterreich die Administration der beiden Provinzen, Bosnien und der Herzegowina, übernimmt, mit Ausnahme einer zwischen Serbien und Montenegro ge legenen Enklave, wo die türkische Verwaltung bestehen bleibt. — WaS Asien betrifft, so erhält Rußland Ardahan, KarS, Batum, Olti und die im Vertrag vorgesehene Grenz- regulirung. Es heißt im Vertrage, daß der Kaiser von Rußland die Absicht hat, aus Batum einen Hafen zu machen, welcher wesentlich dem Handelsverkehr zu dienen bestimmt ist. Die Türkei verpflichtet sich, Armenien eine gute Organisation zu geben, hierüber Europa Mittheilungen zukommen zu lassen und das Interesse der armenischen Bevölkerung wahrzunehmen. Ebenso verpflichtet sich die Pforte, Kreta diejenige Verfassung und Autonomie zu geben, welche die türkische Regierung dieser Insel längst zugesagt hat. — lieber die Regelung der türkischen Schuldfrage enthält der Vertrag nichts, dagegen ist die vom Kongreß beschlossene Resolution wegen der griechischen Grenz berichtigung in den Vertrag ausgenommen. Die Besetzung