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Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. AZ 105. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pf., zweimonatlich 1 M. 50 Pf. n.cinmonatl. 75 Pf. - LV. Jahrgang. Dienstag, den 7. Mai. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 15 Pscnnige. 1878. Wüste oder Inseln im Ozean. Das ist nun bei der ersten Sitzung nach den Ferien nicht gerade etwas Neues; im Gegentheil, man rechnet darauf, daß sich die Mitglieder nicht so geschwind von der trauten Heimath loszureißen vermögen, und setzt darum stets auf die Tagesordnung der ersten Sitzung unbedeutende, mehr oder wenige gleichgiltige Gegenstände. Die Anwesenheit der Wenigen genügte auch vollständig zur Fassung von fachgemäßen Beschlüssen über die genannten maritime« Sachen. Als letzter Gegenstand stand aber auf der Tagesordnung ein zwar kleiner Gesetz entwurf, der indessen schon bet der zweiten Lesung zu tief gehenden Meinungsverschiedenheiten Veranlassung gegeben und das Haus in zwei fast gleiche Hälften gespalten hatte: der Gesetzentwurf über die Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Viehrtnfuhrverbote. Die harten Strafen, mit denen der Entwurf in Rücksicht auf die Gemetngefährltchkeit der Rinderpest den Vieh- rose gespielt und die säumigen Abgeordneten dringend zur Rückkehr ausgefordert hat, die Präsenz nur mit Mühe über der Besch lußsähigkcitszifsir, und geben doch massen haft einlaufende Urlaubsgesuche einen nur allzu deutlichen Beweis, daß eine große Anzahl Abgeordneter der parla- zur Eröffnung zu geben. Wie man sich erzählte, hatte er den Hausinspeklor beauftragt, die in der Garderobe auf gehängten Hüte zu zählen und ihn zu benachrichtigen, so bald die Zahl dieser Hüte die Beschlußfähigkeitsziffer er reicht haben würde. Der getreue Sklave konnte aber keinen günstigen Bescheid bringen; die Hüte wollten durchaus nicht über die Zahl 160 hinausgehen. Nun, es konnte ja sein, daß nicht sämmtliche Abgeordnete ihre Hüte abgegeben hatten, sie saßen vielleicht in Ler Bibliothek, tm Lesezimmer, ober spazierten, durch das schöne Wetter veranlaßt, in dem benachbarten, den Mitgliedern des Reichstags zum Gebrauch überlassenen Garten des Herrenhauses umher, wobei sie selbstverständlich ihrer Hüte nicht entrathen konnten. Auf alle Fälle drängte die Zeit, der Beginn der Sitzung konnte nicht länger aufqeschoben werden, und der Präsident gab mit schwerem Herzen das Glockenzeichen. Die erwartete Katastrophe trat nur zu bald ein. Der Antrag, unter Imstoßung der Beschlüsse zweiter Lesung die Vorschläge der reien Kommission anzunehmen, fand die Unterstützung des Präsidenten des Reichskanzleramts, und nachdem einige Redner dafür, andre dagegen gesprochen hatten, konnte ab gestimmt werden. Wie vorauszusehen war, ergab die Zählung durch Aufstehen und Sitzenbleiben kein unzweisel- »asles Resultat, betrug doch die Majorität, wie sich dann herausstellte, nur 4 Stimmen. Bian mußte also wohl oder übel zum Hammelsprung schreiten, der dasselbe Resultat ergab wie bei der zweiten Lesung - die Beschlußunfähig keit des Hauses. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich am Donnerstag. Zwar wurde durch einen bet Beginn der Sitzung vorge nommenen Namensaufruf festgestellt, daß das Haus bc- und um '/,4 Uhr, als wieder ein Hammelsprung stattfinden mußte, stellte sich wiederum die Beschlußunfähigkett heraus. Die auf diese Weise verlorene Stunde wurde dadurch wieder «ingebracht, daß am nächsten Tage die Sitzung eine Stunde früher, nämlich unerhörter Weike schon um 10 Uhr, begann; aber immerhin war durch die wiederholte Beichlußunfähigkeit mindestens ein ganzer kostbarer Tag verloren gegangen uud die Hoffnung, daß es gelingen werde, in der ersten Woche nach den Ferien die zweite Lesung des Gesetzentwurfs über die Gewerbegerichte und der Novelle zur Gewerbeordnung zu beendigen, vereitelt. Unter solchen Umständen ist es nur natürlich, wenn man daran denkt, die Session sobald als möglich zu Ende zu führen. Zwar liegt noch eine ganze Menge von Vor lagen vor, Gesetzentwürfe sowohl als Anträge von Mit- gliedern des Hauses, so daß viele Wochen dazu gehören würden, alle diese Gegenstände zu erledigen. Aber dazu ist der Reichstag nicht geneigt. Hält sich doch auch jetzt, nackdem der Telegraph nach allen Richtungen der Wind des Hauses vor der Oeffentlichket aufdecken würde. Der Abg. Richter (Hagen) hatte bereits den Zweifel an der Beschlußfähigkeit angeregt, aber die Klippe wurde für dies mal noch umschifft. Der Abg. Wtndthorst, dem offenbar riel daran lag, daß die Beschlußunsähigkeit nicht zu Tage trat, da gerade die Bänke seiner Partei, des Zentrums, die klaffendsten Lücken zeigten, beantragte, den Gegenstand von der Tagesordnung abzusctzen, und der Präsident wie das Haus ergriffen freudig dieses Auskunftsmittel, welches leider das Unglück nicht verhüten, sondern sein Herein- brechen nur um 24 Stunden verzögern konnte. Am folgenden Tage wurde die Sitzung in später Stunde eröffnet. Der Präsident saß zwar mit gewohnter Pünktlichkeit von der Zeit an, für welche der Beginn der Sitzung angesetzt war, auf seinem Sessel und sah, wie in den leeren Saal ein Abgeordneter nach dem andern ein trat, doch zögerte er auffallend, das übliche Glockenzeichen Reichstag sein» Sitzungen schließt, damit sie noch einig; dringende Sachen erledigen können, so daß also den Abge ordneten, die zugleich Mitglieder jener Landtage sind, noch eine Nachsesston in Sommersgluth bevorsteht, so begreift man leicht, daß der Reichstag nur die dringendsten Sachen, nämlich abgesehen von einigen kleineren Gegenständen die Anwaltsordnung, das Gerichtskosteng setz und das Gesetz über die Tabaksenquöte noch erledigen will, um dann den Berliner Staub von den Füßen zu schütteln und seine Thätigkeit für diesmal zu schließen. Die drei letzten Sitzungen der Woche wurden auSgefüllt mit der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs über die Ge- werbegerrchte und des ersten Paragraphen der Grwerbe- ordnungsnovelle. Die Verhandlung über die erstgedachte Vorlage bot kein besonderes Interesse, weder für die Zu hörer noch auch für die Abgeordneten selbst, soweit dieselben nicht Mitglieder der vorberathendrn Kommission waren. Die letzteren legten sich nicht die Selbstbeschränknng auf, die bei andern Vorlagen nicht selten geübt wird, sondern sie hielten es für ihre Pflicht, alle die in der Kommission abgelehnten Amendements wieder einzubringen uud die in der Kommission geführten Debatten zu wiederholen. ES half aber Nichts; die Mehrheitsbeschlüsse der Kommission wurden vom Hause sanktionirt, Nur ein einziges Amende ment sand eine schwache Mehrheit, indem auf Antrag deS sozialdemokratischen Abgeordneten Fritzsche beschlossen wurde, daß den Beisitzern der Gewerbegerichte eine Vergütung für die Zeitversäumniß gezahlt werden muß, nicht nur „kann", wie die Kommission vorgeschlagen hatte. . Mehr Interesse boten die Verhandlungen über die Ge- werbeordnungsnooelle, die gestern begannen und voraus sichtlich noch einige Sitzungen hindurch werden fortgesetzt werden. Die erste Frage, die dabei in Betracht kam, war die Frage der Sonntagsfeier. Der Vorschlag der ver- lündeten Regierungen ging dahin, allgemein auszusprechen, daß die Arbeiter an Sonn- und Festtagen zur Arbeit nicht verpflichtet sein sollten. Dieser Vorschlag genügte aber einer aus der Rechten, dem Zentrum und den Sozial demokraten bestehenden Koalition keineswegs. Sie wollte die Sonntagsarbeit in gewissen Fällen schlechtweg verboten wissen, und Differenzen bestanden nur darüber, wieweit dieses Verbot auSzudehnen sei. Am weitesten ging dabei das Zentrum, welches die Sonntagsarbeit ganz und gar verboten wissen wollte, selbstverständ lich mit den durch die Natur der Sache gebotenen Ausnahmen. Andere wollten das für Fabriken und Bauten von der Kommission, in welcher jene Koalition ihre An sicht durchgesetzt hatte, vorgeschlagene Verbot auch noch auf Werkstätten ausgedehnt sehen. Es nützte nichts, daß der Vertreter des Bundesraths darauf hinwies, daß der Vor schlag der Kommission undurchführbar sei, daß die Macht der Thatsachen sich als stärker erweisen werde, als das Ge setz ; eS nützte nichts, daß mehrere Redner der Linken nach drücklich betonten, daß die SonntagSfeirr nicht durch einen GesetzeSparagraphen anbefohlen, sondern nur durch die Sitte herbeigesührt werden könne; die Koalition ließ sich nicht überzeugen, und da sich mit ihr auch einige National- liberale verbanden, so wurde der Kommiisionsvorschlag mit einer Mehrheit von 6 Stimmen angenommen, wenn auch die weitergebenden Anträge der Ultramontanen und das Verbot der SonntagSarbeit in Werkstätten abgelehnt wurden. Dieser Gegenstand hatte beinahe eine ganze Sitzung bean sprucht. Es war nur noch Zeit, den von dem Sozial demokraten Most gestellten Antrag auf Einführung einer NormalarbeitSzeit für Fabriken abzulehnen. Der Antrag steller rechnete natürlich selbst nicht auf Annahme des An- ! trags, sonst hätte er für denselben nicht eine Fassung gewählt, welche jede Industrie, die mit ununterbrochenem > Feuer arbeitet, wie die Glasfabrikation und die Eisen- > industrie, sofort unmöglich machen muß. ES kam ihm nur l darauf an, eine der beliebten Reden zu halten über die , Ziele der Sozialdemokratie, Reden, die alsdann nach den stenographischen Niederschriften unter dem Schutze der ver- faffungsmäßigm Straflosigkeit in den sozialdemokratischen ! Blättern oder in besonderen Brochüren veröffentlicht wer den. Das Haus hörte die hundert Mal bereits gehörte . Rede mit einer bewundernswürdigen Geduld an in der Hvff.ung, daß sie, einmal gehalten, ooch in dieser Session nicht wiederkehren und den Reichstag abermals um eine r Stunde seiner kostbaren Arbeitszeit bringen werbe. schmuggel bedrohte, waren von einer aus Landwirthen und Juristen bestehenden freien Kommission bereits bedeutend abgemindert worden, insofern eine nicht gerade sehr erhebliche Minimalstrafe zugelaffen wurde. Das genügte aber dem Abg. LaSker noch nicht, welcher seinerzeit bei den Berathungen des deutschen Strafgesetzbuchs eifrig mitgewirkt hat und daher eifersüchtig darüber wacht, daß nie und nimmer durch irgend ein Spezialgesetz die Harmonie des Strafgesetz buchs verletzt, das System desselben durchbrochen wird. Er hatte eS dahin zu bringen gewußt, daß der Reichstag die von der freien Kommission vorgeschlagenen Minimal- strafen auf die Hälfte herabsetzte. Dieser Beschluß wurde aber mit einer so gelingen Majorität gefaßt, daß dieselbe durch eine Abstimmung mittelst Zühlung, einen sogenannten Hammelsprung, konstatirt werden mußte. Bei der ersten derartigen Abstimmung, am 8. April, hatte sich die Be- schlußunfähigkeit des Hauses herausgestellt und erst am nächsten Tage hatte sich die genügende Anzahl von Mit gliedern eingefunden, um die Anträge des Abg. Lasker zum Beschluß erheben zu können. Zur dritten Lesung lag nun der Antrag der Abgg. Or. Beseler und i>r. v. Schwarz vor, die Beschlüsse der zweiten Lesung wieder umzusteßen und die Vorschläge der freien Kommission anzunehmen. Es war vorauszusehen, daß auch diesmal die Majorität, - die sich für oder gegen die Beschlüsse zweiter Lesung ent- mentarischen Thätigkeit für dieses Jahr müde ist. Rechnet schied, nur eine kleine sein und daß auch diesmal ein! man hinzu, daß noch einige Landtage, wie der bairische Hammelsprung nöthig werden und die Beschlußunfähigkeit und der sächsische, mit Schmerzen darauf warten, daß der chlußsähig sei; es waren 232 Mitglieder anwesend und das Schiff des Rinderpestgesetzes konnte demnach endlich einmal mit dem Amendement Beseler-Ichwarze in den rcheren Hafen einlaufen. Aber nachdem die Sitzung vier Stunden gedauert hatte, waren viele Abgeordnete durch die Langweiligkeit der Debatten wieder verscheucht worden Griefe vom Reichstage. >1. Berlin, 5. Mai. Die junge Frühlingssonne, welche die Pflänzchen aus der Erde, die Blätter und Blüthen aus den Bäumen her vorlockt und die Menschen zu Spaziergängen in die schöne freie grüne Natur ruft, erweist sich als ein arger Feind der parlamentarischen Thätigkeit. Während sie sonst überall Freude, Frieden und Fruchtbarkitt verbreitet, macht sie die Gesetzgebung unfruchtbar. Rechte und Gesetze gedeihen an« besten in der unfreundlichen Jahreszeit, im Winter. Wenn draußen eisige stürme wehen, die Schneeflocken sich lustig tummeln oder kalte Regenschauer niederfallen, dann ist es schön im Parlament, dann sitzt der Neichsbote gern auf seinem braunledernen Sessel und kennt nichts Schönres als die Redeschlachten der ersten, die Amendements und die Subamendements der zweiten und die Kompromisse der dritten Lesungen. Leuchtet aber die Maisonne so freundlich durch das Glasdach in den Sitzungssaal hinein, dann er wacht seine Sehnsucht nach Naturgenuß und er flieht aus den Räumen, in denen die Näder der Gesetzgebungsmaschine knarren, in Wiesengrün und Waldeinsamkeit. Natürlich giebt es auch im Reichstage, wie in jeder anderen parlamentarischen Versammlung, eine Anzahl Höchs gewissenhafter Abgeordneter, die, gewissermaßen Stamm gäste, es für ihre Pflicht halten, vom Anfang bis zum Ende einer jeden Sitzung anwesend zu sein und, wenn auch nicht an den Debatten, so doch an den Abstimmungen theilzunehmen, und nur im äußersten Nothfall wegbleiben, dann aber nie ohne Urlaub. Diese Stammgäste halten sich denn auch zur ersten Sitzung nach den Osterferien ein gefunden und lauschten den ungemein interessanten Debatten über den Gewerbebetrieb der Maschinisten auf Seedampf schiffen nnd über die Ausrüstung der Kauffahrteischiffe mit Booten. Außer ihnen waren aber nur wenige anwesend: das Haus zeigte eine wahrhaft erschreckende Leere, die an wesenden Abgeordneten nahmen sich aus wie Oasen in der