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-^-—7 30. Jahrgang. U ! SkMtiig, den 5. Mai. 'N /» a Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für I 11 I/R. andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b s 'E zweimonatlich 1 M. bO Pf. n. einmonatl. 7b 1878. —— -7"" Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1b Psennigc. BergerM^ und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen Md Wüschen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. Vas Gefängnißwesen in Lachsen. Seit einem Vierteljahrhundert hat unser Gefängniß- wesen eine vollständige Umwandlung erfahren. Der großen Masse des Volks fehlt der klare Einblick in das „Sonst" und „Jetzt" und das volle Verständniß für die Wandlungen, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet des Gefängnißwesens vollzogen haben. Aus dieser Unkennt- niß aber entspringt die mitunter sehr ungerechte Beurtheilung der Leistungen der Strafanstalren, wie die oft uns ent gegentretende, aller christlichen Liebe und aller pädagogischen Einsicht entbehrende Behauptung, welcher zufolge die Ge fangenen Viet zu mild behandelt und viel zu gut verpflegt werden. Recht viele solcher unberufenen Beurthriler halten die Kost der Gefangenen für zu reichlich und wohlschmeckend, die großen, Hellen, mit guter Ventilation versehenen Arbeits- und Schlafsäle für zu splendid, die Lagerstätten für zu be quem und erachten die Prügel und abermals die Prügel als das einzig wirksame Erziehungsmittel, das in den Strafanstalten zur Anwendung zu bringen sei. Wie ost hört man: „so essen, so wohnen und schlafen viele Arme nicht; — mit den Kerlen werden viel zu viel Umstände gemacht" u. s. w. Soweit sich die eben angeführten landläufigen Redens arten auf die Nahrung, Kleidung und Wohnung, überhaupt auf die körperliche Verpflegung beziehen, kann die Wahrheit derselben nicht in Abrede gestellt werden. Nur erwägt man nicht, daß die Wahrnehmung dieser nicht wegzuläug- nenden Thatsache mehr das Mitleid für die Armen wecken, als den Wunsch in uns erzeugen soll, es möchte den Sträf lingen eine menschenwürdige Behandlung und Verpflegung versagt bleiben. Wenn nun gar — wie das ja leider dann und wann vockommt — ein sittlich völlig verkommener, alles bessern Gefühls verlustig gewordener Mensch seine Rückfälligkeit damit zu erklären und zu entschuldigen sucht, daß er vor dem Untersuchungsrichter aussagt, „er habe das Verbrechen begangen, um nur wieder ins Zuchthaus zu kommen", so erblickt die schnell urtheilende Menge in einer derartigen, von der Presse mit besonderer Vorliebe kolportirten Aussage einen unumstößlichen Beweis für die Hyperhumani tät, mit welcher die Strafanstalten geleitet und die Deti- nirten behandelt werden Es ist klar, daß die Erfolge, welche unsere Strafanstalten erzielen, eben so wenig ge würdigt werden, wie die schwere, aufreibende und verant- wortungsreiche Arbeit der in dergleichen Anstalten fungiren- den Beamten. Von den günstigen Resultaten der Straf anstalten wird im großen Ganzen nie, — von den Miß erfolgen, um die Rückfälligkeit mit diesem Wort zu bezeich nen, über die Gebühr gesprochen. Wenn wir den Versuch wagen, in einer kurzen Dar legung, die selbstverständlich auf Ausführlichkeit einen An spruch durchaus nicht machen kann, der man vielmehr die rein aphoristische Darstellungsweist anmerken wird, die jetzige Organisation des Gefängnißwesens vor Augen zu führen, so leitet uns dabei keine andere Absicht als die, den weitverbreiteten irrigen Vorstellungen über Straf anstalten entgegen zu treten und bemerken, um Mißverständ nissen vorzubeugen, daß wir bei unserer Besprechung nur jene bestimmte Kategorie von staatlichen Anstalten im Sinne haben, in welchen der nach dem Strafgesetzbuch verurtheilte Gefangene seine ihm rechtskräftig zuerkannte Freiheitsstrafe verbüßt, Anstalten, die wir mit den Namen Zuchthäuser, Strafanstalten überhaupt oder Centralgefängnisse zu be nennen pflegen. Ausgeschlossen sind demnach alle polizei lichen und Untersuchungs- sowie Gertchtsgefängnisse. Die Aufmerksamkeit der Leser soll zunächst auf die Verpflegungseinrichtungen gelenkt werden. Grund satz ist, den Gefangenen das zu geben, was zur Erhaltung des Lebens, der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit noth wendig ist. Die Gefangenen erhalten eine ausreichende, nahrhafte und wohlschmeckende, durch die AnstaltSverwaltun; selbst bereitete Kost. Morgens und Abends wird eine Mehlsuppe, Mittags mit Fletsch, Speck oder Fett ange- machtes Gemüse gereicht. Auf 10 Personen kommen z. B. 13 Ltr. grüne Bohnen, 0,4 Kilo Roggenmehl und 0,4 Kilo Rmdfleisch. Eine Person erhält demnach 00,4 Kilo, also ohngefähr 2'/, Loth Fleisch. Oder, um noch ein Beispie bezüglich des trockenen Gemüses zu geben: auf 10 Mann werden 3 Kilo z. B. weiße Bohnen, 0,2 Kilo Speck und 0,2 Liter Essig gerechnet. Ab und zu werden Mittags Heringe verspeist und bekommt alsdann der Mann einen halben Hering. Außer den hier angeführten Beköstigungen wird jedem Gefangenen täglich l'/r Pfd. Brot zuertheilt. Dem oben ausgesprochenen Grundsatz entsprechend, den Ge fangenen gesund und arbeitsfähig zu erhalten, ist auch die Bekleidung und das Lager eingerichtet. Auf Rein haltung des Körpers wie der Wohn- und Arbeitsräume, auf Sauberkeit der Kleidung und des Lagers wird mit der größten Peinlichkeit und mit unnachsichtiger Strenge gehalten. Jeder Gefangene muß täglich 3 Waschungen, am Sonnabend eine größere Waschung vornehmen und sich monatlich ein Mal baden. Die täglich stattfindende Be wegung im Freien, der sogenannte Spaziergang, ist dazu bestimmt, den Nachtheil, den die sitzende Lebensweise und der ununterbrochene Aufenthalt in geschlossenen Räumen mit sich bringt, abzuschwächen. Diejenigen, welche die eben beschriebene Verpflegung der Sträflinge im Vergleich mit der Lebensweise der ärmern und ärmsten Klassen des Volks für zu kostbar halten, wollen doch bedenken, daß dem Staat die unabweisbare Pflicht obliegt, durch ausreichende Er nährung, Bekleidung rc. dafür zu sorgen, daß die Ge fangenen gesund erhalten werden und bet ihrem Austritt aus der Anstalt nicht als Verkümmerte, sondern als arbeits- und erwerbsfähige Personen in die bürgerliche Gesellschaft eintreten. — Die im Eingang erwähnten Umwandlungen der Straf anstalten beziehen sich weniger auf die Einrichtungen, welche die Verpflegung der Gefangenen betreffen; vielmehr find damit jene organisatorischen Reformen gemeint, welche die Erziehung, die Besserung der Sträflinge bezwecken. Das Wort des Herrn NegierungSrath d'Almge (Direktor der Strafanstalt zu Zwickau): „Ich habe keinen Begriff von Strafe, die nicht auf Besserung und Erziehung berechnet ist" — kennzeichnet klar und scharf die Bestimmung der Zuchthäuser und das Prinzip, nach welchem diese Anstalten gegen wärtig geleitet werden. Dienten die Strafanstalten früher einzig und allein zur Verbüßung der den Ver brechern zuerkannten Freiheitsstrafen, war sonst die Sühne, die das Gesetz fordert, ausschließlich der Zweck und die Bestimmung der Strafanstalten, so sind seit dem Jahre 1850 alle derartigen Anstalten in Sachsen in der Weise organistrt, daß dieselben zugleich Besserungsanstalten sein sollen und auch wirklich sind. Das Ziel — Besserung der Gefangenen — hat man vornehmlich auf dem Wege der Jndividualisirung zu erreichen gestrebt. Die völlig gleiche Behandlung und die daraus hervorgehende schablonen hafte Anwenduuq der der Anstalt zu Gebote stehenden Er ziehungsmittel sind natürlich mit dem Jndivtdualisirungs- prinzip völlig unvereinbar. Hier soll nun der wichtigsten erziehlichen Einrichtungen in Kürze gedacht werden. Zu vörderst sei die nach Maßgabe des sittlichen Zustandes und >es Betragens der Gefangenen bewirkte Eintheilung sämmt- icher Dettnirten in drei Disziplinarklassen erwähnt. Die die beiden ersten Klassen bildenden Gefangenen find durch gewisse Vergünstigungen vor der dritten Klasse auS- anSgezeichnet. Sie dürfen z. B. einen Theil ihres Arbeits verdienstes zur Beschaffung von Extragenüssen, zum Ankauf von Tabak, Butter, Milch und einfachem Bier verwenden; die erste Klasse ist nicht gehalten, bei den täglichen Spazier gängen mit den übrigen Gefangenen in Reih und Glied zu gehen ; aus der ersten Klasse werden den Ausgezeichneten gewisse Vertrauensposten, die eine größere Freiheit bedingen, übertragen; im persönlichen Verkehr mit ven Gefangenen lassen die Beamten an die Stelle des „Du" das „Sie" treten, eine Auszeichnung, welche die Gefangenen fast ausnahmslos sehr hoch schätzen. Ein» der wichtigen Erziehungsmittel ist die Arbeit. Der Gefangene hat 5 Uhr früh bi- Abend 7 Uhr unausgesetzt zu arbeiten. Eine Unterbrechung er leidet die Thätigleit des Sträflings nur durch die Mahl zeiten und durch den erwähnten Spaziergang. Das Arbeits pensum ist so bemessen, daß dasselbe, unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Einzelnen, das Zusammenraffen aller Kräfte des Gefangenen erheischt. Von großer päda gogischer Bedeutsamkeit ist die Einrichtung des ArbettSge- schenks (keeuiium). Es ist dies ein Antheil an dem Verdienst des Gefangenen und beträgt im Durchschnitt täglich 2—3 Pf. Daß ein solcher Arbeitserwerb recht wesentlich zur Aufmunterung dient, bedarf keines weitern Nachweises; erwähnt sei aber, daß dadurch namentlich bei langer Haftzeit die Gefangenen in den Besitz einer Geld summe gelangen, die ihnen bet der Entlassung aus der Anstalt zur Bestreitung der Kosten für die Reise in die Heimath und für den nothdürstigsten Unterhalt während der ersten Zeit nach dem Austritt aus der Anstalt sehr wohl zu statten kommt. In neuerer Zeit ist, insonderheit von sozialdemokratischer Seite, viel gegen die Arbeit in den Strafanstalten, als gegen einen Eingriff in die Rechte der freien Arbeit und als Schädigung des Arbeiterstandes geredet und geschrieben worden. Es genügt aber einfach >er Hinweis darauf, daß das beschäftigungslose Zu- ämmenleben einer großen Anzahl Verbrecher aus sittlichen und disziplinellen Gründen mehr als bedenklich sein würde, gcnz abgesehen davon, daß die Gefangenenarbeit auch einen finanziellen Gesichtspunkt bietet, der deshalb nicht unter schätzt werden darf, weil die Erträgnisse der Gefängniß- arbeit den 3. Theil bis die Hälfte aller der für die Straf anstalten erforderlichen Ausgaben decken. An Sonn-, Buß- und Festtagen findet selbstverständlich keinerlei Beschäftigung, mit Ausnahme der fürs Hauswesen unumgänglich noth- wendigen, statt. An arbeitsfreien Tagen ist den Gefangenen gestattet, ein gutes Buch zu lesen. Jede Strafanstalt ist im Besitz einer Bibliothek. Die Bücher, dem verschiedenen Bildungsgrad und dem geistigen Bedürfniß angepaßt, sind theils religiösen, theils belehrenden oder erzählenden In halts. Die Gefangenen stehen unausgesetzt unter der strengsten Aufsicht. ES ist ihnen der Verkehr unter sich sowohl, als auch mit andern Personen nicht gestattet; sie dürfen, ohne Erlaubniß des Aufsichtsbeamten, den ihnen angewiesenen Platz nicht verlassen; jeder sinnliche, vor der Strafzeit ihnen lieb- wenn nicht unentbehrlich gewordene Genuß (Wein, schwere Biere, Branntwein, Delikatessen) bleibt ihnen versagt; selbst der Verkehr mit der Familie ist auf ein sehr kärgliches Maß eingeschränkt, denn nur in 2 monat lichen, im Zuchthaus invierteljährigenFristen ist denGefangenen erlaubt, an ihre Angehörigen zu schreiben. Diese voll ständige und absolute Unfreiheit, die den Gefangenen das Wort und die freie Bewegung raubt, die na mentlich die Verwöhnten und Genußsüchtigen mit tausend Sehnsuchtsqualen erfüllt, welche die der Famlie Entrissenen, aber mit allen Fasern ihres Herzens doch noch an der Familie Hängenden Tag und Nacht foltert, dies« Unfreiheit, die es den Gefangenen unmöglich macht, da zu thun, was sie wollen, die sie fort und fort zwingt das zu thun, was sie müssen, die ist es, die mit furcht barer Schwert auf den Herzen der Gefangenen lastet und mit gräßlicher Gewalt die Gemüther bedrückt. Deshalb glaubt Niemand, daß einem Gefangenen wegen der ver- Mnißmäßig guten Verpflegung der Aufenthalt in der Strafanstalt behagt. Es ist nichts weiter als eine leere Phrase, wenn behauptet wird, die Gefangenen hätten eS so gut, daß viele Entlassene den Wiedereintritt in's Zucht haus wünschten. Man frage jrden einzelnen Gefangenen, er wird offen bekennen, daß die Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit seine Seele ganz erfüllt. Der Gefangene rechnet mit ängstlicherGewissenhaftigkeit die verbrachte Straf zeit nach und weiß den Tag und oft sogar die Stunde anzu- geben, die ihm die heibersehnte Freiheit bringt. Die Briefe der Gefangenen an ihre Familie enthalten keinerlei An deutung von Behaglichkeit des Anstaltlebens, wohl aber künden sie fast ohne Ausnahme den Seelenschmerz um die verlorne Freiheit. In den meisten, wenn nicht in allen Strafanstalten Sachsens ist ein Bers gekannt, der in un zähligen Briefen, die die Sträflinge schreiben, ausgenommen ist ; er lautet: Wer Freiheit nicht zu schätzen weiß Muß dieses HauS betreten, Der wird gewiß in kurzer Zeit Um seine Freiheit beten- Die Strenge der Zucht verschärft sich noch durch die Strafen, die Jeden treffen, welcher gegen die den Sträf lingen durch den Druck bekannt gegebenen Vorschriften fehlt. Vergehen gegen die Hausordnung oder gegen die Subordination werden streng und empfindlich bestraft. Die verschiedenen Strasgrade sind: Verweis, Kostschmälerung, hartes Lager, enger Arrest, Fesselung bei grober Wider setzlichkeit, im Zuchthaus: körperliche Züchtigung. Solchen, die sich durch gesittete und legale Führung bemerklich machen, wird die Anerkennung dafür ausgesprochen: durch die Erweiterung der Besugniß zur Verwendung des Arbeit-- geschenks, durch Versetzung in eine höhere Klasse und endlich durch.Empfehlung zur Begnadigung. Die auf Befehl des Königs Johann bereits im Jabr« 1862 in Sachsen, seit dem 31. Mai 1870 durch da-