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md Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen «nd Wüschen Behörden zu Freiberg «nd Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. < 101. Erscheint jeden Wochentag Mcnds 6 Uhr sür den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2ü Ps., j zweimonatlich 1 M. bO Pf. n. einmonatl. 7b Pf. > 30. Jahrgang. — — Domnstag, den 2. Mai. Inserate werden bis Bormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1b Pfennige. 1878. Nachbestellungen «ms de« sür die Monate Mai und Jimi werden von sämmtlichen Poftanstalte» wie von der Unterzeichneten Expedition und de« betaunten Ausgabe stelle« zum Preise von 1 Mark 50 Ps. angenvmme«. kxpsöilion öv8 „fi-vibvngvn knrvigv«-". Die Möglichkeit des Friedens. Trotz aller schlimmen Anzeichen fällt es uns doch schwer, an den wirklichen Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und England zu glauben. Es steht in der That für beide Theile zu viel auf dem Spiel und soll etwas für einen derselben aus den kolossalen Opfern herauskommen, die dafür gebracht werden müßten, so würde der Krieg nicht nur furchtbar, sondern in seinen nächsten Wirkungen auch unberechenbar für ganz Europa sein. Da dürfte schließlich denn wohl Vernunft und Einsicht auch England noch um seinen mehr und mehr wachsenden Kriegseifer bringen. Bei Rußland war eine Lust, sich mit England um den Frieden von San Stefano zu schlagen, gewiß nie vorhanden. Sie ist offenbar um so mehr gesunken, als man sich in Petersburg gesagt haben muß, daß Rußland mehr als die bisherigen Erfolge mit dem Friedensschluß nicht erreichen kann und selbst der glücklichste Krieg mit England die Opfer nicht ersetzen würde, welche er erheischt. Europa ließ sich den San Stefano-Frieden unter der im Voraus gemachten Bedingung gefallen, daß Rußland europäische Interessen nicht nach seinem eigenen Willen und Vortheil regle; allein ein russisches Uebergewicht durch Besiegung Englands würde Europa mit aller Entschiedenheit abwehren und nach Asien allein verweisen. Die Kriegslust Englands, oder richtiger die des Tory- ministeriums Beaconsfield, ist also allein Schuld an der Spannung der jetzigen Lage. Es wäre Alles in Frieden verhandelt und geregelt worden, wenn es dem Ehrgeiz des alten zum Lord erhobenen Disraeli nicht beliebte, als Vor kämpfer Europa'« sich aufzudrängen, um englische Jn- tereffen unter dem Vorwand europäischer sicher zu stellen. Europa hat gar nicht diese Sorge um seine Interessen ge habt; jedoch, man kennt ja Albion: für englische Interessen kann auch selbst ein Welttheil in Flammen gesetzt werden, schon dabei macht der englische Krämergeist sein Geschäft und nachher saugt der britische Meerkrak noch das letzte Blut aus den erschöpften Völkern. Indessen, Lord Beaconsfield hat mit seinem kühnen Spiel Glück. Seine KriegSlust hat England und fast noch mehr die Kolonien angesteckt und tritt jetzt schon als eine britische Allgemeinheit auf. Nicht umsonst beschwor der Tory-Lord die Geister Pitts, Wellingtons und Nelsons herauf, um den Chauvinismus in Englands weitem Reich wach zu rufen. Ja erst jetzt versteht man den tiefen Sinn in dem scheinbar eitlen Spiel Disraelis, die Königin Victoria zur Kaiserin von Indien gemacht zu haben. Unter dem Schüren der britischen KriegSlust tritt der britische Reichsgedanke aus den Nebeln hervor, hinter denen er bisher gelagert. Es ist in Wahrheit eine stolze Torypvliti gewesen, diese Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit des gesammten britischen Reiches, des Mutterlandes, der Kolonien und der abhängigen Gebiete im Schmelzfeuer einer groß artigen Kriegsrüstung zu bewirken und die britischen Völker schaften dafür ebenso schnell zu gewinnen, wie alle andere Welt damit höchlich zu überraschen. Ein solch' britischer CentraliSmus ist ganz gegen alle Geschichte; er ist etwas Neues und wahrhaftig auch etwas Großes, für Europa aber noch viel Gefährlicheres als der Koloß des Ruffen thumS. England ist so zu sagen auf einen Schlag förmlich nicht blos mehr die erste Seemacht, deren rücksichtslose Machtentfaltung auf den Meeren der Welt sich alle Nationen gefallen lassen mußten, sondern eS ist nun auch eine Groß macht mit einer den anderen ebenbürtigen Landarmee. Was nie war, nie gedacht und versucht wurde, heute ist es schon Thatsache: ein Wink von London und die indischen, die kanadischen Truppen werden zu Hunderttausenden in die Schiffe geladen, um in Europa oder irgend wo anders für englische Interessen Krieg zu führen. Schon sind die eingebornrn indischen Truppen auf dem Wege, um sich mit dem englischen Soldheere zu vereinigen und zusammen eine Armee zu bilden, groß genug an An zahl, um England allenfalls eine Allianz mit einer euro päischen Militärmacht entbehrlich zu machen. Dennoch möchten wir nicht an den Krieg in einer so ehrlichen, heldenhaften Weise seitens Englands glauben. Noch er scheint Alles — wie auch jüngst ein indischer Korrespon dent behauptete — als ein großer Puff, mit dem Rußland eingeschüchtert und Europa imponirt werden soll. Die alte englische Maulwurfs-Kriegspolitik arbeitet ja auch schon in dem mohammedanischen Aufstande der Bulgarei gegen die dort eben sich festsetzenden Russen. Wir zweifeln nicht, daß England dahinter steckt und es sein Geld und seine Künste springen läßt, um den Brand in die neuen Erobe rungen Rußlands zu tragen. Der Typhus rafft ihr Okku- pationsheer zu Tausenden hin; Aufstände in den gebirgigen Theilen des okkupirten Landes müssen, dauern sie an, für die Russen furchtbarer werden, als der Angriff einer feind lichen Armee. Gelingt es, in solcher Art den Sieger über die Türkei zu packen und ihm mit dem revolutionären Fanatismus der Mohammedaner zu schaffen zu geben, so wird sür Rußland der Frieden von San Stefano aller dings bald nicht mehr denn ein Blatt Papier sein. Eng land sieht zu, wie Rußland auf solche Weise mattgesetzt wird und obgleich kriegsfertig, führt es doch selbst nicht den Krieg. Das alte perfide Albion läßt Andere für seine In teressen verbluten und zahlt dafür mit klingender Münze. Aber diese KriegSlust und Kriegsbereitschaft, diese Rüstungen Englands in Indien, Kanada, Afrika für einen in Absicht genommenen Krieg und sagen wir europäischen Krieg — sie find vor Allem auch die erwünscht geworde nen Mittel der Tory-Politik, die britische Macht militä risch zu zentralifiren und damit England in seinen Augen wie auch in denen des Auslandes eine ganz andere und in der That beunruhigende Stellung zu geben! Welch' rin Preis ür die jetzigen Opfer, die auch Europas Wohlstand mit- -«zahlen muß! Tagesschau. Freiberg, 1. Mai. Die orientalische SrifiS bewegt sich in ihrem Kreis läufe fort, ohne daß bis jetzt ein Ausweg ermittelt wäre. Das Petersburger Kabinet hat in der jüngsten Zeit wieder holt in Berlin, Wien und London versichern lassen, daß eS bereit sei, weitgehende Zugeständnisse in Betreff der Ab änderung des Vertrags von San Stefano zu machen, daß es aber, schon mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung in Rußland, die von England ausgestellte F o r m f r a g e in Bezug auf den Kongreß unmöglich akzepttren könne. Man bemühe sich deshalb in Petersburg, andere „Formeln" auf zufinden und biete stets wieder eine vorhergängige Dis kussion über konkrete Fragen an, um dadurch zu beweisen, wie geneigt man sei, in sachlicher Richtung Konzessionen zu gewähren und die von den Großmächten geforderten Abänderungen des Vertrags eintreten zu lassen. Für der artige Zugeständnisse habe nun England nichts als seine Formfrage fallen zu lassen, dann werde eine Verständigung möglich erscheinen. Es fehlt nun keineswegs an Be mühungen, das Kabinet von St. James zu einem solchen Nachgeben zu bewegen; aber der Erfolg dieser'Bemühungen bleibt abzuwarten. Auch die Verhandlungen zwischen dem russischen Hauptquartier und dem englischen Flottenkvm- mando wegen des gleichzeitigen Rückzuges von Konstanti nopel ruhten in den letzten Tagen vollständig. ES ver lautet aber, daß General Totleben neue Instruktionen mit gebracht habe, infolge deren die Wiederaufnahme der Verhandlungen versucht werden dürfte. England läßt sich eben fortwährend in neue Verhandlungen ein, auch wenn sie von vornherein aussichtslos find, lediglich in dem Glauben, daß Rußland endlich doch nachgeben werde. Uebrigens wollen wir als Friedens-Symptom folgende Petersburger Depesche des Bureau „Hirsch" nicht uner wähnt lassen: „In maßgebenden Kreisen Rußlands tritt plötzlich die Ueberzeugung zu Tage, daß sich die Lösung der Krisis in letzter Stunde doch noch auf friedlichem Wege werde bewerkstelligen lassen Eine neuerdings in Vorschlag gebrachte neueFormel werde den Ansprüchen Englands wohl Genügt leisten und gleichzeitig das russische Kabinet in den Stand setzen, Zugeständnisse zu machen, ohne der Würde der Nation Abbruch zu thun." Worin diese neue Formel besteht, verschweigt die Depesche. Die Fadel von einer deutsch-englischen Allianz, welche dieser Tage vie Runde durch die auswärtige Presse machte, wird von einem Berliner Korrespondenten der hochoffizivsen Wiener „Montagsrevue" sehr scharf zurückgewiesen. Derselbe weist nach, daß die englische Politik seit dreißig Jahren sich den deutschen Bestrebungen feindlich zeigt, erinnert an die Haltung welche England 1848 der deutschen Flagge gegenüber beobachtete, an die britischen Anfeindungen im Jahre 1864 und an die Haltung Englands von 1870. Von einer Gemeinschaft der europäischen Interessen Beider könne demnach keine Rede sein und ebenso wenig von einem Schutz- und Trutzbündniß Englands und Deutschlands zur Befestigung derselben. Im Gegen theil habe England seit Jahrzehnten in den europäischen Fragen immer Deutschland entgegengestanden, umsomehr, als die Kollision der Interessen in dem Maße zunimmt, in dem der überseeische Handel und die Flotte Deutschlands sich ausdehnen. Die Korrespondenz schließt drohend. „Vor 23 Jahren waren die deutschen Meere jeder Flotte offen, heute kann indeß gegen Deutschlands Willen schwerlich eine Flotte in der Ostsee erscheinen. England stellt nur seine eigenen Interessen in den Vordergrund und berechtigt dadurch die übrigen Mächte zur gleichen Haltung, woraus hervorgeht, inwiefern etwa da- nichtenglische Europa in der unbehinderten Geltendmachung allein englischer Inter essen eine Gefährdung der Handels- und Schifffahrts-Inter essen aller anderen Nationen erblicken muß." Der deutsche Reichstag nahm gestern bei sehr schwach besetzten Bänken seine Sitzungen wieder auf; es war lange nicht die zur Beschlußfähigkeit erforderliche Zahl von Ab geordneten anwesend. Indeß wurde die Tagesordnung zum größten Theile erledigt, so weit unwiderrufliche Be schlüsse nicht zu fassen waren. ES dürfte seine Schwierig keiten haben, den Reichstag noch längere Zeit in beschluß fähiger Stärke beisammen zu halten. — Bet der Berathung der Gewerbeordnung- - Novelle in der Kommission des Reich-tagS wurde von einem Mitgliede eine Bestimmung über Fabrik-Werkstätten- und Werkplatzordnungen unter Berufung auf da- schweizerische Gesetz für nothwendig erachtet, um der Willkür der Gewerbeunternehmer Schranken zu setzen und die Kontrole zu erleichtern. Dem Antrag steller wurde erwidert, eine derartige Einrichtung habe bet gröberen Etablissements etwas für sich, jeden einfachen Handwerker aber zur Aufstellung einer schriftlichen Werk stattordnung zwingen zu wollen, sei unpraktische Verfolgung eine- Prinzips. Die schweizerische Vorschrift beschränke sich auf Fabriken, deren Begriff allerdings sehr weit gefaßt sei. Im Königreich Sachsen habe eine solche für Unternehmungen bestanden, die mehr als 20 Arbeiter in gemeinschaftlichen Werkstätten beschäftigen; den Behörden sei viel Mühe daraus erwachsen, ohne daß ein erheblicher Nutzen bemerkbar ge wesen wäre. Wo das Verhältniß des Unternehmers zu den Arbeitern cin guts sei, da bedürfe es keiner derartigen Vorschrift; wo das Gegentheil stattfinde, werde die Fabrik- ordnung wenig ändern. Ein Theil der vorgeschlagenen Bestimmungen werde übrigens durch tz 3K der Vorlage gedeckt. Ein anderes Mitglied erinnerte daran, daß man in Preußen mit ähnlichen Bestimmungen sür den Bergbau .schlechte Erfahrungen gemacht, und dah die Oberbergämter