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ansah, mag diese Formel selbst auch der Tradition ethnographischer Schilderung barbarischer Völkerschaften entnommen worden sein 24 . Da mit war die Einheit der Germanen als Ethnos, mehr noch: ihre Herkunft aus einer Wurzel, bündig ausgedrückt 23 . Am Rande, aber dennoch deut lich genug, klingt eine andere Meinung an. Neben den drei aus gemein samer Wurzel entsprungenen Grundstämmen, den Ingävonen, Hermino nen und Istävonen, deren stabende Anfangssilben ihre Namen als my thisch erweisen mögen 21 ’, habe es weitere, ihnen gleichgeordnete gegeben. Im übrigen, so fährt Tacitus fort, hätten andere Bezeichnungen den An spruch darauf, als vera et antiqua nomina, als echte und alte Namen, zu gelten, nämlich die der Marser, Gambrivier, Sueben und Vandilier 27 . Diese nicht in den Stammbaum eingepaßten Namen, die sich über den ge samten Siedlungsraum vom Rhein bis über die Oder verteilen, lassen wohl erkennen, daß schon in der einheimischen Überlieferung verschie dene Ansichten zur Ursprungsfrage bestanden 28 . Wirklichen Einblick in das Werden der germanischen Stämme dürften diese unterschiedlichen Meinungen kaum verraten. Die Vielschichtigkeit des Problems ist hier indessen, und das erscheint bemerkenswert, bereits bei Tacitus von vorn herein angerissen. Die Vorstellung von der einheitlichen Wurzel der ger manischen Stämme konnte dadurch allerdings weder jetzt noch später erschüttert werden. Das Stammbaumschema, das die historischen germa nischen Gemeinschaften als Triebe an einem Reis betrachtete, hat bis in 2 Zum Topos: E. Norden 1921), S. 54 f„ 115; R. Much 1967, S. 94 f.; R. Wenskus 1961, S. 57 ff.; R. Hach mann 1970, S. 99 ff. 25 Germ. 4 zusammen mit Germ. 2,1. Vgl. auch R. Wenskus 1961, S. 240. 26 Vgl. R. Much 1967, S. 52; R. Wenskus 1961, S. 234 ff., 239, der an die Namen älterer politischer Verbände denkt, welche, so die Ingävonen (S. 252, 286, 298), in voreinzelsprachliche Zelt zurück reichen könnten und später zu Kultgemeinschaften erstarrten. 27 In der Auflösung der Stelle Germ. 2,2 folge ich F. Maurer, zuletzt 1952, S. 89. 28 Es kann keine Rede davon sein, daß Tacitus die vera et antiqua nomina in ihrer räumlichen Erstreckung außerhalb der hier als Exempel einer monogenetischen Wurzel und wohl deshalb eben an jener Stelle, wo es um den lückenlosen Nachweis der Ureinwohnerschaft ging, und später nicht wieder genannten „Mannusstämme“ angeordnet wissen wollte, wie R. Hachmann in: R. Hachmann, G. Kossack und H. Kuhn 1962, S. 50 t. und wiederum 1970, S. 131 f„ 241, 465; ders. 1971, S. 86 ff. (schon S. Feist 1927, S. 37) glauben macht. Zur stammllchen Gliederung be nutzte Ingävonen, Istävonen und Herminonen bekanntlich allein Plinius (not. hist. IV, 99; die Herminonen überdies zuvor schon bei Pomponius Mela III, 3.32), und nur aus der hier diesen Namen vorangesetzten und zugleich nebengeordneten Bezeichnung der Vandili könnte ge folgert werden, wie es auch allgemein geschehen ist, daß der Oder-Wisla-Bereich in die Mannusgenealogie nicht eingeschlossen worden sei. Erklären wir aber Tacitus zunächst aus Tacitus, so kann die Geltung der Abstammungssage ebenso weit nach dem Osten reichen, wie die gleichsam in Parenthese gestellte zweite Namenschicht, die vera et antiqua nomina, es zu läßt, d. h. sie kann das Gebiet der Vandilii noch mit umfassen und rückt andererseits mit Marsi und Gambrivii nahe an den Rhein, vgl. auch R. Wenskus 1961, S. 241, jedenfalls in jenen Raum, den R. Hachmann seinen „Mannusstämmen“ Vorbehalten will. R. Wenskus 1961 scheint sich R. Hachmann dort zu nähern, wo er in einer überspitzten Interpretation der vera et antiqua nomina in diesen den Ausdruck der Reaktion traditionsbewußter Stämme gegen eine neu sich bildende, politisch motivierte Vorstellung gemeinsamer Abstammung zu erblicken vermeint, die vielleicht an die Erfolge des Armlnlus anknüpfe, vgl. S. 267 f. mit Anm. 809. 2* 19