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kontroverse Charakter der Literatur um Werdegang, Wohnsitze, Schick sale und gegenseitiges Verhalten der „Germanen“ zwar in andererWeise, doch im ganzen recht getreu die Vielfalt der Meinungen wider, die schon bei den Alten zu diesem Thema bestand. Die Schwierigkeiten, die einer gesicherten Aussage zur Ethnogenese germanischer Stämme entgegen stehen, werden vermehrt durch die bruchstückhafte Art der Überliefe rung, die dennoch immer aufs neue und grundlegend aussagen soll. Gingen die Deutungsversuche ursprünglich von der philologischen Be schäftigung mit den Quellen im Rahmen des Faches der Germanischen Altertumskunde aus 8 , so haben sie inzwischen längst auf die archäologi schen Zeugnisse übergegriffen. Deren sich ständig vermehrende Zahl schien die Möglichkeit näherzurücken, die vorhandenen Lücken, mehr noch tatsächliche oder vermeintliche Unschärfen innerhalb der schrift lichen Überlieferung mit Erfolg zu überbrücken. Über die Wege, aber auch über die methodischen Bedenken, die allen Versuchen entgegen stehen, Überreste der Sachkultur ethnisch zu deuten, soll hier nicht ge schrieben werden. Die Schwierigkeiten liegen heute allzu offen und sind durch die Zunahme des Fundstoffes keineswegs geringer geworden. Zu gleich aber hat das Anwachsen der Quellen die Ansatzpunkte für die Aus sage vermehrt und die Tiefe des Problems zu erfassen gelehrt. Wenig stens mag daher unzulässige Vereinfachung und vorschnelles Urteil um so eher ausgeschlossen sein. Die Forderung, archäologisches Material auch nach seinem ethnischen Inhalt zu befragen, bleibt grundsätzlich bestehen. Sie ist überall da berechtigt, wo neben bloßen Namen auch Umrisse stammlicher Gruppierung, seien sie mythisch, verwandtschaftlich oder sozial angelegt, in der parallelen schriftlichen Überlieferung, örtlich und zeitlich gebunden, sichtbar werden 9 . Der Versuch, unsere Quellen zum Sprechen zu bringen, kann auf die Ethnosbestimmung nicht verzichten. Sie erst ordnet die angestrebte geschichtliche Aussage in größere histori sche Zusammenhänge 10 . Daß die Arbeit mit den dem Fach angemessenen Mitteln erfolgt, das Ergebnis nicht durch den Einfluß anderer Disziplinen gelenkt sein sollte, gilt gern als selbstverständlich; sich diesem Einfluß hier gänzlich zu entziehen, halte ich deshalb für unmöglich, weil die tat sächlichen Grundlagen ethnischer Deutung aus dem eigenen Material 8 R. Hachmann in: R. Hachmann, G. Kossack und H. Kuhn 1962, S. 18 ff. Grundsätzliche Bedenken zu den Erfolgsaussichten ethnischer Deutung äußern H. J. Eggers 1950, S. 49 ff. und R. v. Uslar 1972 (1952), S. 150 ff., 188 f.; ders. 1961, S. 39 ff., ohne diese jedoch abzulehnen. Für die hier zu behandelnden Zeiträume einer relativen Schriftlichkeit der Quel len sind die Aussichten auch deshalb günstiger, da wir mit ethnischen Gebilden neuer Quali tät rechnen müssen (R. Wenskus 1961, S. 138). Zu optimistisch und in der Art des Vorgehens anfechtbar erscheinen mir allerdings die jüngsten Lösungen von T. Capelle 1971, S. 16 ff., be sonders S. 160 ff. 10 E. Wahle 1941, S. 48; F. Maurer 1952, S. 94; R. Wenskus 1961, S. 122 f., 136 ff.