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Amtsblatt für die königlichen nnd Wüschen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redaktenr: Julius Braun in Freibergsdorf. 1877. 240. Erscheint jeden Wochentag Abend« 6 Uhr str den andern Tag. Piet« »terteljährltch 2 Marl 25 Pf., zweimonatlich 1 M. 50 Pf. u. etumonatl. 75 Pf. reikeWrI^ und TageoM. 29. Jahrgang. -— — , . , Inserate werden bi« Vormittag« 11 Uhr für nächste ttftt IN s>ltunpt' ! Nummer angenommm und di« ges»alUne Zeile oder -^e^ltveuft, v«,» dtrm Raum mit 1L Pf. berechnet. Sächsischer Gemeindetag. L. Dresden, 13. Oktober. Die heutige zweite Hauptversammlungdes sächsischen Gemeindetages, welcher wieder eine Anzahl Ehrengäste, darunter Herr Kreishaupt mann von Einsiedel und Geh. Regierungsrath Meusel beiwohnten, wurde mit Vorstandswahlen eingeleitet. Den Vorschlägen der zu diesem Zweck bereits gestern niederge setzten Deputation gemäß wurden hierbei die Herren vr. St Übel-Dresden, Georgi-Leipzig, vr. Andrö-Chemnitz, Ackermann-Dresden, Streit-Zwickau und Ruik-PIauen gewählt. Durch Kooptation traten hierzu noch die Herren Walther-Oschatz, Sparig-Reudnitz, sowie Baumann- Kamenz. Nachdem sodann noch die Justifizirung der vor jährigen Jahresrechnung ausgesprochen worden war, trat die Versammlung in den zweiten Hauptberathungsgegen- stand, die Schank-Konzessionen, ein, wobei die Herren Ludwig-Wolf-Großenhain als Referent und Stephani- Leipzig als Korreferent fungirten. Herr Ludwig-Wolf begann sein Referat mit einem Rückblicke auf die historische Entwickelung unseres Gewerbe wesens überhaupt und kennzeichnete dabei in präziser Weise die verschiedenen Strömungen, welche sich im Laufe der letzten Jahrhunderte im gewerblichen Leben bemerkbar ge macht haben. Das Zunft- und Jnnungswesen mit seinen mannichfaltigen Erscheinungen und den ihm zur Seite ge standenen polizeilichen Befugnissen, sowie die später dann sich bemerkbar machende mehr bureaukratische Leitung des Gewerbewesens fanden im Laufe der Darlegungen des Referenten eingehende Erwähnung. Der Redner betonte hierauf, daß er fest auf dem Boden der Gewerbeordnung stehe und empfahl der Versammlung in Gemeinschaft mit dem Korreferenten Stephani-Leipzig die Annahme folgender Thesen: In Erwägung: I.) daß für die nicht wegzuleugnende Thatsache der Vermehrung des Konsums geistiger Getränke und der Ver mehrung der Schankstätten die auf dem Prinzipe der Ge- werbesreiheit basirenden Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung nur in beschränktem Matze haftbar zu machen find, diese That sache vielmehr in der Hauptsache aus anderen Ursachen resultirt; II.) datz durch die Reichsgewerbeordnung in 8 33 und 53 in Verbindung mit 8 21 der sächsischen Ausführungs verordnung den Behörden hinreichende Mittel und Wege an die Hand gegeben sind, um dem eingerissenen Unwesen zu steuern, soweit dies vom Standpunkte der Gewerbcpolizei aus überhaupt möglich ist, erklärt der sächsische Gemeindetag: daß er eine Abänderung der Reichsgewerbe ordnung in diesem Punkte nicht für erforderlich erachtet; er spricht jedoch der königlichen Staatsregierung gegenüber folgende Wünsche aus: 1) daß die von der königlichen Kreishauptmannschaft Dresden unter dem 12. April 1875 erlassene Generalver ordnung, das Schankwesen betreffend, durch das königliche Ministerium des Innern für das ganze Land publizirt werde, 2) datz diese Generalverordnung noch in verschiedenen Punkten ergänzt und festgestellt werde. Diese gewünschten Ergänzungen betreffen vor Allem die Entscheidung des königlichen Oberappellationsgerichts vom Jahre 1875, den Ausschank von Grog, Punsch und dergleichen betreffend. Hier sei eine Umgehung der gesetz lichen Bestimmungen sehr leicht; es müsse daher eine Er ledigung dieses Konflikts durch Erlaß einer entsprechenden ministeriellen Verordnung angestrebt werden. Ferner wird verlangt, daß das „Vergläsern" von Spirituosen, bez. deren Verabreichung zum sofortigen Genuß bei nur ertheilter Erlaubniß zum Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus als „Förderung der Völlerei" zu betrachten und im Wiederholungsfälle mit Entziehung der Erlaubniß zu ahnden sei. In gleicher Weise sei als „Förderung der Völlerei" anzusehen und zu bestrafen: das Verschänken von Spirituosen an Kinder, die Verabreichung von Bier in unzulässiger Menge an noch schulpflichtige Personen, sowie die fortgesetzte Ueberschreitung der für einen Ort oder für bestimmte Lokale bestimmten Polizeistunde. Als „Förderung des verbotenen Spiels" soll ferner auch die Gestattung der Betreibung eines Geld- oder Glücksspiels durch schul pflichtige Personen an öffentlichen Orten zu betrachten sein. Unter „Förderung der Unsittltchkeit" möge man nicht blos den Betrieb der Prostitution verstehen, sondern es sei darunter auch zu begreifen: die Gestattung de- Aufliegens unerwachsener Personen bis in die späte Nachtzeit, sowie das Einreißen von Lärm und Exzeß in einem Lokale, ohne daß von Seiten des Inhabers dagegen in erforderlicher Weise eingeschritten wird. Bei Prüfung der Lokalfrage sei namentlich auf gehörige Ventilation der Gasträume, sowie auf entsprechende Reinhaltung und Desinfektion zu sehen. Endlich wird empfohlen, neben der in 8 21 der Aus führungsverordnung zur Gewerbeordnnng für den Klein handel mit Branntwein nach oben hin gezogenen Grenze auch eine solche nach untenhin zu schaffen und dieselbe in Berücksichtigung auf frühere Gewöhnung auf die Quantität eines Liters zu beschränken. Allen diesen Bestimmungen soll Seitens der Behörden auf das Strengste nachgegangen werden. An der über diese Thesen sich entwickelnden Diskussion bethetligte sich in hervorragender Weise Hofrath Acker mann-Dresden, welcher sich für eine Abänderung des 8 33 der Gewerbeordnung aus dem Grunde aussprach, weil durch die zur Zeit geltenden gesetzlichen Normen wohl eine Beschränkung des Branntweinschankes, nicht aber des Schankgewerbes überhaupt zu erzielen sei. Redner stellt sodann folgenden Gegenantrag: Der sächsische Gemeindetag hält eine Verminder ung der Schankstätten für dringend geboten. Zur Er reichung dieses Zieles macht es sich nöthig, den ß 33 der Gewerbeordnung abzuändern und also zu fassen: Wer Gastwirthschast, Schankwirthschaft oder Weinhandel mit Branntwein oder Spiritus betreiben will, bedarf dazu der Erlaubnitz. Diese Erlaubnitz ist zu versagen: 1) wenn gegen den Nachsuchenden Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß er das Gewerbe zur Förderung der Völlerei, des verbotenen Spiels oder der Un- siltlichkeit mißbrauchen werde; 2) wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen An forderungen nicht genügt; 3) wenn ein Bedürfnitz zu einer solchen Anlage nicht vor handen ist. Von dieser letzteren Bestimmung (zu 3) ist jedoch bei den Gastwirthschaften in Orten von mehr als 1000 Einwohnern abzusehen. Bei der längeren Begründung dieses Antrags wies Herr Ackermann darauf hin, daß es derselbe sei, welchen der Bundesrath s. Z. an den Reichstag richtete, von letzterem aber abgewiesen worden sei. Die vom Redner in die Motivirung mit eingewobene Statistik des Dresdner Schankgewerbes zeigte, daß im Laufe der letzten Jahre in unserer Residenz die Einwohnerzahl um 8,»z Prozent, die Zahl der Schankstätten aber um 15,o« Prozent zugenommen hat, mithin ein entschiedenes Mißverhältniß obwaltet. Die solgende Debatte, an welcher u. A. die Herren Stephani-Leipzig, Hendel-Dresden, Streit-Zwickau sowie die Sozialdemokraten Mehlhorn-Crimmitschau und Hof-Niederplanitz theilnahmen, war eine äußerst lebhafte und die verschiedensten Ansichten pro und kontra traten dabei zu Tage. Daß die Betheiligung der letztgenannten Herren in die sonst sehr sachlich gehaltene Diskussion etwas Parteileidenschaft brachte, wird Niemanden wundern. So benutzte z. B. Herr Mehlhorn die Gelegenheit gegenüber einigen Aeußerungen Ludwig-Wolf's ein paar recht wohl feile Phrasen über „Verkümmerung der Arbeiterrechte" und „Völlerei in den oberen Schichten" loszuwerden. Die Störung war jedoch nur eure vorübergehende. Das Resultat der Berathung war, daß der Acker- mann'sche Antrag auf Vorschlag Streit's mit folgenden Abänderungen bez. Zusätzen angenommen wurde: Im Eingänge find Lie Worte „8 33" bis „zu fassen" mit folgenden Worten zu verrauschen: „die Gewerbeordnung in folgendem Sinne abzuändern." b) An Stelle des Schlußsatzes „Von dieser" bis „abzu sehen" wird Folgendes gesetzt: Die Frage des Bedürfnisses ist von den für die Ertheilung der Erlaubnitz zuständigen Be hörden nach Matzgabe der örtlichen Bestimmungen, welche unter Zustimmung der betreffenden Genleindevertretung oder wo eine solche nicht besteht, unter Zustimmung der Bezirksvertretung errichtet werden, zu entscheiden. o) Der Vorstand wird beauftragt, von diesen gutachtlichen Aeußerungen des Gemeindetages dem Reichskanzleramte, dem königl. sächs. Ministerium des Innern und Lem Reichstage An zeige zu machen, und damit das Gesuch zu verbinden, eine Abänderung der Gewerbeordnung in dem bezeichneten Sinne beantragen zu wollen. Damit hatte sich diese wichtige Frage für diesmal er' edigt und die Versammlung trat nun in den dritten und letzten Berathungsgegenstand, die dem Bundesrath vor gelegte Novelle zum Unterstützungswohnsitzgesetz, nn. Das Referat hatte Herr Stadtrath Ruik-Plauen, das Korreferat Herr Oberbürgermeister Streit-Zwickau übernommen. Die Vorschläge Beider gingen insofern aus einander, als der Erstere eine Aenderung des Gesetzes über -en Unterstützungswohnsitz noch für verfrüht erachtet, Letzterer ragegen eine Revision für unbedingt nothwendig findet und in Bezug hierauf eine Reihe von Vorschlägen einstellt, )eren eingehende Specialisirung wir uns des zu Gebote sehenden Raums halber versagen müssen. Erwähnt sei nur, daß die betreffende Novelle an fünf Punkten eine Abänderung des Gesetzes beantragt. Getadelt wird nament lich, daß die Last der Armenunterstützung durch das Gesetz ungerecht vertheilt werde und der Nachweis des Unter stützungswohnsitzes besonderen Anlaß zu unnöthigerSchreiberei und zu Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Armen verbänden gebe, sowie unverhältnißmäßiger Aufwand an Zeit und Kosten verursache. Die durch die Novelle in Vorschlag gebrachten neuen Bestimmungen beziehen sich in der Hauptsache auf Abänderung der Zeitdauer zur Er werbung des Unterstützungswohnsitzes resp. zum Verlust desselben. Für die Erwerbung soll eine ununterbrochene Dauer des Ausenthalts von einem Jahre statt von zwei Jahren ausreichen. An der Debatte nahmen außer dem Korreferenten, welcher in längerer Darlegung die Nothwendigkeit der Ge setzesabänderung auseinander setzt, noch die Herren Lud wig-Wolf-Großenhain, Heinke-Lengefeld, Hirschberg- Meißen und der Sozialist Hof-Niederplanitz Theil, welch Letzterer einen auf das Hilfskaffenwesen bezüglichen Antrag stellte. Das Ergebniß der ziemlich langwierigen Berathung war, daß die Vorschläge des Korreferenten abgelehnt wurden und die vom Referenten Ruik-Plauen gestellte Resolution die Majorität erlangte. Dieselbe lautet in ihrem maßgebendsten Theile: So lange noch nicht die gesammten zu Gebote stehenden gesetzlichen Hilfsmittel — Heranziehung der Gesellen, Gehilfen und Fabrikarbeiter zur Tragung der Unterstützungslast nach 8 141» Ler Reichsgewerbeordnung, sorgliä e Ueberwachung der Armenpflege in den einzelnen, namentlich auch in den kleinen Landgemeinden in der Nähe größerer Orte, strenge Hand habung der säinmtlichen gegen das Vagabundenwesen des Reichs strafgesetzbuches rc, — mit Entschiedenheit und gleichmäßig zur Durchführung gebracht und die Folgen dieser Maßregel während einer angemessenen Frist eingehend geprüft worden sind, hält man eine Aenderung Les Gesetzes über den Unter stützungswohnsitz für verfrüht. Eine Herabsetzung der zweijährigen Frist würde eine Abänderung sein, welche gerade das Gegentheil von Dem festsetzen würde, was man zur Ver besserung des Gesetzes sür zweckmäßig erachtet, und für daS Zurückgehen auf das 21. Lebensjahr vom 24. bei denselben Gesetzbestimmungen liegt ein ausreichender Grund nicht vor. Als Zusatz wurde sodann noch beschlossen, den Vorstand zu beauftragen, von der angeführten Resolution 1) der königlichen sächsischen Staatsregierung Anzeige zu erstatten und damit das Gesuch zu verbinden, beim Reichskanzler amte und Bundesrathe dahin zu wirken, daß von einer Revision des Gesetzes Abstand genommen werde. Der Hilfskaffen - Antrag des Herrn Hof-Niederplanitz und Genoffen wurden dem nächsten Vorstande überwiesen. Die Versammlung wurde hierauf, nachdem dem Vor sitzenden durch Erheben von den Sitzen der Dank für die umsichtige und unparteiische Geschäftsführung ausgedrückt worden war, geschloffen. Nach einer kleinen Mittagspause begabeil sich die Delegirten sodann mittelst Dampfschiff nach Lo schwitz, mit welcher Exkursion zugleich eine eingehende Besichtigung unseres neuen Wasserwerkes verbunden war. Abends vereinigten sich eine große Anzahl von Theilnehmern noch einmal zu einer geselligen Zusammenkunft, die vom Geiste schönster Harmonie getragen wurde. Möge dieser gute Geist auch ferner fortwalten, mögen auch in Zukunft die Vertreter der kommunalen Interessen sich zum gemein samen Handeln brüderlich die Hände reichen — für die Allgemeinheit wird daraus gewiß nur Ersprießliches her- vorgthen. Als Ort sür den nächsten Gemeindetag ist Leipzig in Aussicht genommen.