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^lwtMatt für die königliche« uud städtische« Behörde« z« Freiberg ««d Brand. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in FreibergSdorf. «0. I Erschein» jeden Wochc^rog «dend« S Uhr für den ! andern Tag. Prer» ckerteijährüch S Marl 85 Pf., poeimon-tüch 1 M. 50 Vf. u. rkmvnall. 75 Pf. 29. Jahr»«», Dimstag, den 12. Mrz. Inserat« werd«» bt» Vormittag« 11 Uhr für nächste Stummer angenommen und di« gespaltene Zeile »der deren Raum mit IS Pf. berechnet. 1878. Verantwortung aufzubürden. Wenn man bedenkt, daß ein Verantwortung aufzubürden. Wenn man bedenkt, daß ein Bei dieser Sachlage bot auch die Verhandlung nicht großes, preußisches Ministerium 3, 4, auch 5 Abtheilungen annähernd das Interesse, das man von vielen Seite« er» hat, deren jede mit 10-20 vortragenden Rathen besetzt ist, wartet hatte. Der ersten Berathung des Gesetzentwurfs so kann man doch unmöglich von einem Menschen verlangen, daß! war zwar ebenfalls ein Sturm auf die Tribünen deS er von Allem, was diese 40-100 vortragenden RLthe arbeiten, > Reichstages vorausgegangen, sämmtiiche Zuhörexplätze waren Ke » tne 1 o « ia »er «eilige. Königreiche Baiern, Sachsen und Württemberg im BundeS- rathe zu hören, daß die Regierungen dieser Staaten Nichts wissen wollen von verantwortlichen Reichsministerien, und während von verschiedenen Seiten bestritten wurde, daß der Gesetzentwurf verantwortliche Ministerien bringe, hörte man von andern Rednern, z. B. den Abgg. LaSker und v. . Treitschke, die Hoffnung aussprechen, daß sich aus dem Gesetz verantwortliche Ministerien entwickeln würden. Der Uebelstand liegt eben darin, daß man auf Grund einer mehrere Jahrhunderte langen Entwicklung der staats rechtlichen Verhältnisse eines Einheitsstaats, Englands, mit dem einen Worte „verantwortlich" zwei ganz verschiedene Begriffe bezeichnet, die sich wohl unter ganz bestimmten Voraussetzungen an eine und dieselbe Person anknüpfen, aber an und für sich durchaus Nichts miteinander gemein haben. Der Begriff der Ministerverautwortlichkeit ist in Eng land entstanden. Dort ist auch in früheren Jahrhunderten diese Verantwortlichkeit in einer für die Minister recht empfindlichen Weise geltend gemacht worden. Biele Minister -alten Amtshandlungen, welche dem Parlamente nicht ge- relen, mit dem Verluste der Freiheit, ja des Lebens zu -üßen. Seit der zweiten englischen Revolution hat sich dieses Verhältniß wesentlich geändert insofern, als zwar nicht auf Grund eines Gesetzes, aber auf Grund einer im öffentlichen Leben sich immer mehr einbürgernden und jetzt mit demselben ganz und gar verwachsenen Gewohnheit die Monarchen ihre Minister stets derjenigen Partei entnehmen, welche im Unterhause die Majorität hatte. Dadurch ent fiel natürlich die Möglichkeit für die Minister, etwas gegen die Ansicht der Majorität des Parlamentes zu thun, denn diese Majorität war eben ihre Partei. Es bildete sich nun die sogenannte parlamentarische Verantwortlichkeit aus, nach welcher sich die Minister berufen fühlten, die von ihnen nicht in der Eigenschaft als Minister, sondern als Parteihäupter eingebrachten Gesetzesvorschläge zu ver treten, indem sie die Verantwortlichkeit für die Ausführung übernahmen. Wie viele andre faktische Verhältnisse, die sich im Laufe der Zeit in England herausgebildet haben, so hatte auch dieses rein faktische Verhältniß das Geschick, auf dem Kontinente, der ja die englischen Institutionen nur halb verstand, in die Form einer Doctrin gebracht und theoretisch be- gründetzuwerden. Inden Einheitsstaaten versteht es sich ja auch von selbst, daß hier die Verhältnisse sich ähnlich entwickeln wie in England, da die Voraussetzungen nahezu die gleichen sind. Die Minister des Einheitsstaats, welche nach den Verfassungen für ihre Amtshandlungen, insbesondere für die Anordnungen und Verfügungen des Landesherrn, ver antwortlich sind und, um dies zu sein, eine gewisse Selbst ständigkeit haben müssen, mußten dieselbe Selbständigkeit auch genießen, wenn es sich um die Einbringung von Ge setzen handelte, welche sie nach dem Inkrafttreten auszu führen hatten, und so hat man sich gewöhnt, den haupt sächlichsten Theil der Ministerverantwortlichkeit darin zu suchen, daß sie für ihre Gesetzentwürfe einstehen, dieselben vertreten, die Verantwortung für die Ausführung über nehmen, hier Konzessionen machen, dort solche verweigern, wenn sie sich nicht getrauen, mit gewiflenModifikationen das Gesetz gedeihlich auszuführen. Man hat sich daran, in diesem Verhältnisse den Schwerpunkt der Ministerverantwortlichkeit zu suchen, umsomehr gewöhnt, als es ja unmöglich ist, einen Minister für alle Amtshandlungen, die in seinem Ressort und in seinem Namen vorgenommen werden, die alleinige übte natürlich auch hier wieder seine verwirrende Wirkung aus. Gleich der erste Redner bei der ersten Lesung, der Abg. vr. Hänel, suchte sich darüber zu vergewissern, ob die Stellvertreter für die von ihnen vorgenommenen Ver handlungen verantwortlich seien. Der Reichskanzler bejahte diese Frage. Die Reffortchefs, welche in Vertretung des Reichskanzlers Anordnungen und Verfügungen unterschreiben, sind dafür verantwortlich und können darüber vom Reichs tage zur Rede gestellt werden. Nun könnte man wohl sagen: da sind ja die verantwortlichen Ministerien, nach denen man immer so sehr gestrebt hat, und man durste sich billig verwundern, in derselben Debatte, in welcher die Verantwortlichkeit der Nessortchefs für ihre Amtshandlungen unumwunden anerkannt wurde, von den Vertretern der an ihn geknüpft. Man sah ein Organisationsgesetz darin i versteckt, das entscheidend sein werde für die ganze zukünf- ' tige Entwickelung des Reichs. Indessen schon bei der ersten Lesung fand man sich mehr hinein in den Gedanken des Gesetzes und im wetteren Verlaufe der Berathung wurde man noch klarer, sodaß in der gestrigen Sitzung der Abg. Windthork unter Zustimmung von verschiedenen Setten des Hauses die Vorlage dahin definiren konnte, sie enthalte lediglich eine gesetzliche Formulirung des zur Zeit bestehen den Zustands. Gehen wir den Entwurf durch und ver gleichen wir ihn mit dem gegenwärtigen Zustande, so müssen wir in der That zugestehen, daß der scharfsinnige Führer des Zentrums, wie so ost, so auch diesmal den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Daß die, Einsetzung eines Gesammtstellvertreters für den Reichskanzler in Fällen einer Behinderung oder Beurlaubung desselben zulässig sei, ist niemals bestritten, sondern höchstens für zweifelhaft er klärt worden. Eine solche Stellvertretung ist auch einmal i eingesetzt gewesen, indem während eines dem Fürsten Bis marck ertheilten Urlaubs der damalige Präsident des Reichs kanzleramts, Minister Delbrück, mit der Vertretung des Reichskanzlers, insbesondere auch mit der Kontrasignatur der kaiserlichen Anordnungen betraut wurde. Auch die Vertretung des Reichskanzlers für spezielle Amtszweige hat jetzt schon in reichem Maße stattgefunden. Die Nessortchefs walteten ihrer Aemter, unter normineller Verantwortlichkeit, ziemlich selbstständig. Möglich, ja wahrscheinlich ist es, daß sie gehalten waren, über wichtige Maßregeln sich erst mit dem Reichskanzler zu verständigen, ihn um seine Zustimmung anzugehen; aber in die laufenden Geschäfte mischte er sich nicht. Die Präsidenten des Reichskanzleramts, des Reichs justizamts und des Reichseisenbahnamts, der Chef der Ad miralität, der preußische, sächsische und württembergische Kriegsminister und der Generalpostmeister hatten nicht nöthig, zu allen Verfügungen und Anordnungen, die sie trafen, die Zustimmung des Reichskanzlers, geschweige denn seine Unterschrift einzuholen, sie waren aber auch stets er- bötig, dem Reichstage für die von ihnen getroffenen Maß regeln Rede zu stehen. Der Reichskanzler bezeichnete beim vorigen Reichstage das Verhältniß treffend und schlagend etwa folgendermaßen: Die Nessortchefs verwalten in der Hauptsache ihre Aemter ganz selbstständig und der Reichs tag hat vollständig das Recht, sie für ihre Amtshandlungen zur Rede solange zu stellen, bis ein Resiortchef nachweist, daß er in meinem Auftrage gehandelt hat, und dann kann der Reichstag sagen: Heraus mit dem Reichskanzler, daß er sich verantworte! Das Recht, welches der 8 3 des Entwurfs dem Reichskanzler giebt, auch während der Stell vertretung einzelne Amtshandlungen selbst vorzunehmen, stand ihm seither natürlich ebenfalls zu. Er hatte auch jetzt das unbe»weifelte Recht, jederzeit sich über den Gang der Geschäfte in den einzelnen Ressorts zu instruiren, ein zelne Maßregeln anzuordnen, andre zu verhindern. Es folgt das schon daraus, daß er für den Gang der Geschäfte verantwortlich ist. Verantwortlich! Ein unglücklicheres Wort giebt eS wohl in der ganzen deutschen Sprache nicht mehr; mindestens hat noch keinS eine solche Konfusion in Parlamenten, be Zeitungslesern und allen denjenigen, die sich berufen oder unberufen mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen, hervorgebracht. Dieses unglückliche Wort spielte denn auch in der dreitägigen Berathung eine sehr große Rolle und marck seine eigne Verantwortlichkeit definirte: Die Verant wortlichkeit für die oberste einheitliche Leitung der Geschäfte, für die zweckmäßige Auswahl der ihm untergeordneten Be, amten, der Unterstaatssekretäre, Ministerialdirektoren, Räthe u. s. w., und für die Schlichtung der in den verschiedene» Zweigen des Amtes vielleicht auftauchenden Differenzen. Ganz anders ist aber das Verhältniß im Bundesstaate, insbesondere auch im deutschen Reiche. Schon bei einer früheren Gelegenheit hat Fürst Bismarck, anscheinend zur großen Verwunderung des Hauses, erklärt, daß er für die Gesetzgebung des Reichs nicht verantwortlich sei, daß er im Bundesrathe nicht fitze als Reichskanzler, sondern al- preußischer Bundesbevollmächtigter. Wenn nun thatsächltch der Reichskanzler noch immer verantwortlich gemacht vir» für Gesetzvorlagen, wenn erst bei der Berathung der Ta bakssteuervorlage der Abg. Reichensperger (Olpe) meWe, .der Reichskanzler sei nach der Reichsverfassung die MM verantwortliche Person für Form und Inhalt der BoVWM so zeigt dies eben nur von einer Unkenmniß der Verfassung. Nach Art. 17 der Verfassung steht dem Kaiser die Aus fertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Ueberwachung der Ausführung derselben zu, also nicht die Vorbereitung der Gesetze, und «ach demselben Artikel bedürfen die Anordnungen und Berfügunge« des Kaisers zu ihrer Giltigkeit der Gegenzeichnung ds» Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit über nimmt. Also nur für Anordnungen und Berfügunge« trägt der RkkchÄkmzler die Berantwortttchkeit, aber nicht für Gesetzvorlagen, -die weder das Eine noch das Andere ind. Es wäre dies auch gar nicht möglich, denn der Kaiser und mit ihm der Reichskanzler, ist eben gar kein gesetzgebender Faktor, da Art. 5 der Reichsverfaffung ganz ausdrücklich sagt: „Die ReichsgesetzgeLung wird auSgeübt -urch den BundeSrath und den Reichstag. Die Ueberein- timmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetzt erforderlich und ausreichend." Der würtembergische Bundesbevollmächtigte Minister v. Mittnacht, hat ganz klar ausgeführt, was auch in einem unserer Neichstagsbriefe ausder vorigen Seffionschon gesagtift, daß neben einen für die Gesetzgebung verantwortlichen Ministerium, wie solche in den Einheitsstaaten bestehen, der BundeSrath gar nicht existiren könnte, da derselbe entweder zu Gesetzesvorschlägen der Minister, welche dann mit ihrer vollen Verantwortlichkeit für die Entwürfe eintrrten sollen, Ja sagen oder Konflikte entstehen müßten zwischen den Ministern und dem Bundesrathe, in welchen der letztere, da sich der Reichstag auf die Sette der Minister stellen dürfte, den Kürzeren ziehen würde. In der That wird auch hinsichtlich der Vertretung von Gesetzesvorlagen durch das Stellvertretungsgesetz Nichts geändert. Die Reichs regierung wird natürlich, wie jetzt, so auch später in der Hauptsache die Initiative zu ergreifen haben in Aus arbeitung von Gesetzentwürfen, und es wird auch später so gehen wie jetzt, daß der BundeSrath, wenn die Gesetz entwürfe gut sind, unter Zurückdrängung mancher Bedenken und Wünsche sich willig zeigen wird, die Reichsregierung zu unterstützen. Auch hier konnte Herr v. Mittnacht darauf Hinweisen, daß man dem jetzt bestehenden Verhältnisse am allerwenigsten den Vorwurf machen könne, daß es eine Unfruchtbarkeit der Reichsgesetzgebung hervorgebracht habe. Der Gesetzentwurf ist eben nur entsprungen aus dem praktischen Bedürfnisse. Der Reichskanzler will bei seinem leidenden Gesundheitszustände endlich einmal sich von den Geschäften auf einige Zeit loS machen, und da er im i vorigen Jahr die Erfahrung hat machen müssen, daß sein - von ihm für selbstverständlich gehaltenes Recht, sich in der , Kontrasignatur von kaiserlichen Anordnungen vertreten zx > lassen, angezweifelt und ihm sonach der Genuß seines Ur- i laubs sehr verkümmert wurde, so hat er es für nothwendlg gehalten, die aufgetauchten Zweifel zu beseitigen. Um die Befriedigung dieses praktischen Bedürfnisses handelt eS sich, aber nicht um den Ausbau der Reichsverfassung in der Richtung der verantwortlichen NeichSministerien. Bei dieser Sachlage bot auch die Verhandlung nicht auch nur Kenntniß nimmt. Man wird demgemäß die Verant wortlichkeit für Verwaltungsmaßregeln auch hinsichtlich dieser Minister so definiren müssen, wie früher einmal Fürst BiS Sriefe vom Reichstage. v. 14. Berlin, 10. März. Eine eigenthümliche Fügung des Schicksals wollte es, daß die erste Lesung des Gesetzentwurfs über die Stell vertretung des Reichskanzlers, derjenigen Vorlage, welcher man unter allen den gegenwärtigen Reichstag beschäftigen den Gegenständen stets die größte Wichtigkeit beigelegt hat, gerade am Fastnachtsdienstag stattfand. Sollte das be deuten, daß di» Vorlage ein Fastnachtsscherz war? Mit Nichten! Man kann höchstens eine Beziehung zum Carneval finden, insofern man sich bei dieser Gelegenheit zu mas- kiren pflegt. Nur geschah hier das Entgegengesetzte: unser Entwurf war vorher maskirt oder wurde wenigstens dafür gehalten, bei der ersten Lesung wurde er demaskirl. Seit dem bekannt geworden war, daß der Entwurf im Bundes rathe eingebracht worden sei, hatten sich hochgespannte Hoff nungen einerseits, weitgehende Befürchtungen andererseits