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LV/» Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pf., 'E zweimonatlich 1 M. 50 Pf. n.nnmonatl. 75Pf. 1878. 30. Jahrgang. Freitag, dm 26. April. Jnfcrate«erden bis Vormittags ll Uhr angmom- mm und beträgt der Preis für diegcspaltcne Zelle oder deren Raum 15 Pfmnige. BergerA^ und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen und Müschen Behörden zn Freiberg M Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu- Brauu in Freiberg. , Der russische Czar sonnt sich im Glanze seine- Militär ruhmes, welcher echt russisch da- kleine Rumänien mit Furcht und Schrecken erfüllt ; aber in seiner Hauptstadt, die sonst vor seinem Stirnrunzeln erzitterte, trotzen ihm zwölf Geschworene mit einem Verdikt, dessen herausfor dernder Charakter keines weiteren Kommentars bedarf. Mit Beantwortungen von Glückwünschen und Huldigungen be schäftigt, vernahm Alexander das Verdikt der Geschworenen, und er mußte sich wohl sagen, daß die Adresse an seine Person gerichtet sei ; denn eS vollzog sich dieser Wahrspruch in seiner unmittelbarsten Mhe, so zu sagen unter seinen Augen. Ehe eS in anderen Staaten zu revolutionären Volkserhebungen kam, traten die vorbereitenden Symptome besonders in der studirenden Jugend hervor. Dieselbe Wahrnehmung machen wir seit einiger Zeit in Rußland, wo eS gerade die spezifisch russischen Universitäten von Kiew, Moskau und Petersburg find, deren Studirende ge zusammenfassen läßt. Allerdings kommt es zuweilen auch anderwärts vor, daß notorische und geständige Verbrecher von Gefchwornen frei- gesprochen werden. In der nvrdamerikanischen Union sind solche Fälle sogar ziemlich häufig. In Irland wurde erst innerhalb Jahresfrist ein auf frischer That ertappter Mörder eines Polizeibeamten „nicht schuldig" befunden; die englischen Geschworenen trachten durch Freisprechung der Kindesmörderinnen eine Milderung der betreffenden strengen Gesetze herbeizuführen. In Frankreich pflegen Ehemänner, welche die Verführer ihrer Frauen umbringen, die SchwurgerichtSsäle unbehelligt zu verlassen, und in Sizilien sind die Raubmörder vor den Geschworenen so sicher, daß sich die Regierung genöthigt gesehen hat, An klagen gegen dergleichen Verbrecher vor den Tribunalen Nord-Italiens verhandeln zu lassen. Aber alle diese Anomalien halten keinen Vergleich mit der neuesten Frei sprechung durch russische Geschworenen aus. Das Czarenthum, dessen ungeheuere Geldverschwendung sich nur mit den Vergeudungen der Bourbonen vergleichen läßt, hat neben seinen auswärtigen Feinden ein in allen seinen Schichten durch religiöse, politische und soziale Agi tation aufgeregtes Volk gegen sich, ein Volk, welches durch den entsetzlichen Luxus des Hofes, durch die bornirte Han delspolitik, durch die schamlose Bestechlichkeit der Beamten , und die unerschwinglichen Steuern so herabgebracht worden soll, um sich einer blutarmen, unterwühlten Bevölkerung gegenüber zu behaupten — das ist ein Räthsel, zu dessen Lösung die genialsten Staatsmänner, besäße man in uß- land solche, zu schwach sein würden. Rußlands innere Verhältnisse. Eine grellere Dissonanz konnte wohl in den russischen Siegesjubel nicht hineintönen, als die Freisprechung der Wera Sassulitsch durch die Geschworenen in Petersburg. Die Angeklagte war geständig, einen Mordversuch gegen den in Willkür herrschenden Stadthauptmann Trepoff gemacht zu haben. Mögen die Motive zu ihrer That ge wesen sein, welche sie immer wollen - die Thatsache des versuchten Mordes war unumstößlich und kein Geschworen gericht der Welt hätte diese Thatsache verneint. Aber die russischen Geschwornen sprachen die Angeklagte frei und unter dem Jubel des Volkes verließ sie die Anklagebank. ES waren nicht Geschworene aus den niedere« Klaffen des BürgerthumS oder etwa erst frei gewordene leibeigene, nicht junge überspannte Leute, sondern Männer in Rang und Würden, zum großen Theile hohe Staatsbeamte, reiche Kaufleute, die an alles Andere eher als an Umsturz denken. Sie sprachen öffentlich das Urtheil aus: So wie bisher geht es in Rußland nicht länger! DaS ist der Sinn, in welchem sich die Freisprechung der Wera Sassulitsch zipeS erfolgt ist, Yon welchem der ganze Kongreß ab- hängt. Als ein besonders günstige» Z ichen können wir eS auch nicht ansehen, daß man selbst im besten Falle die Eröffnung des Kongresses nicht vor Mitte Mai möglich hält. Der Vollständigkeit halber führen wir nur an, baß, während immer noch Berlin als S'tz der Vorkonferenz genannt wird, nach verschiedenen ofsiziö-en Stimmen neuer dings Brüssel als Ort d«S K naresses in Aussicht ge nommen zu sein scheint. Der König der Belgier soll hierzu bereits seine Einwilligung gegeben haben. Die b«rbfichttB»»AetLe deS.Katier- Wrtbklm «ach Wiesbaden ist neuerdkng» venagt worden. U der die Ursachen dieser Vertagung erfährt man nichts. Im Ge sundheitszustand des Kaisers si,d si- jedenfalls nivt zu üchen, weil man in diesem Falle wohl etwas Näheres rarüber verlautbaren würde. Der„Köln Ztg." meldet man ogar, der Kaiser habe sich ang. siLts d i W chngk it der olitischen Verhältnisse enischicssn, in Berlin zu bleiben. Doch mögen wohl auch die bevorstehenden mi ilänschen Besichtigungen der Garderegimenter ihr Gewicht in die Wagschale dieser veränderten Bestimmung geworten haben. — König Oskar von Schweden traf am 21. d., von Weimar kommend, im strengsten Inkognito in Berlin em und stieg im königlichen Schlosse ab. Am Donnerstag Abend 10'/« Uhr verließ der König Berlin wleter, um über Stral sund seine Rückreise nach Stockholm fortzu^tzen. — Ueber die Erkrankung des Fürsten Biemaick wi.d hrute aus Hamburg berichtet: Fürst Bismarck ist in Friedrichsruhe an der Gürtelrose erkrankt; seine Familie ist der rym, sein Hausarzr vr. Struck, zur Zeit in Wiesbaden, wurde zu ihm berufen. Die Behandlung des K anken leitet inzwischen l)r. Andreffen. — Eine vom Reichskanzler dem Bundes- rathe unterbreitete Denkschrift über die Wand rlagec und Waarenauktionen giebt einen sehr umfassenden Einblick in die ganze Materie. Inhalt und Unuang der Denkschrüt erhellen aus einer kurzen, in einer Vorbemerkung enthaltenen Uebersicht des Ergebnisses der geschehenen Erh bungen, woher auver den betheiligten Behörden auch Handeis- und Gewerbe- kammern, gewerbliche Vereine, Fabrikanten, G oß- und Kleinhändler theilS mündlich, theils schriftlich vernommen ist, daß es nur noch des jetzigen kostspieligen Krieges be durfte, um es vollends zu ruiniren. Die Triumphe seiner Waffen treiben Rußland an die Schwelle der Revolution. Schon vor dem Kriege fast zur Kreditlosigkeit verschuldet, wird Rußland durch die Verzögerung des definitiven Friedensschlusses immer mehr überbürdet und muß in eine finanzielle und volkswirthschaftltche Kalamität gerathen, aus welcher es nicht einmal der Bankerott zu retten ver mag, da das russische Volk der Hauptgläubiger ist. Es wäre Thorheit, von der türkischen Kriegsentschädigung Ab Hilfe zu erwarten, auch wenn die selbst bankerotte Türkei zahlen könnte. Und was die Regtemng im Innern thun Nachbestellungen ans de« sgr Monate Mat «ad Juul »erden von sS»«ttiche« Postaustalteu wie von der unterzeichnete« Expedition und de« bekannte« Ausgabe ¬ stelle« zum Preise von 1 Mark 50 Pf. angenommen. LxpvMion ävs „frvibvrgsi- knrvigvf". gen die inneren Zustände Protest erheben und charakteristisch genug die gebildete Frauenwelt Ar BundesgenoM haben. Im Jahre 1830 hatte KarH von Frankreich kaum Zett, sich wegen der Eroberung Algier- beglückwünschen zu lassen, als er in England sein Asyl suchen mußte; den Czar Alexander erwartet wahrscheinlich kein solches Schicksal; aber es kann sich leicht ereignen, daß das russische Volk von seinen Siegen etwas Anderes erwartet und verlangt, als den bloßen Ruhm. Die Freisprechung der Wera Sassulitsch dürfte vielleicht die letzte Warnung sein, welche die Geschichte an die russi schen StaatSlenker richtet. Die Person an sich, um die sich der Prozeß drehte, ist eine unreife und unklare Schwär merin, mit welcher man nur Mitleid haben kann. Würden Ideen, die sie bei ihrer That hegte, zur Sitte erhoben und ihre Ausführung mit jubelndem Frohlocken begrüßt, so hörte selbstverständlich in jedem Staate, nicht blos in Rußland, jedes Recht und jedes Gesetz auf. Und trotzdem tragen wir kein Bedenken, die Freisprechung als eine welthistorische That zu bezeichnen, die für Rußland die wohlthättgsten Folgen haben kann, sofern sie von der Regierung be griffen wird. Sollte — was wir befürchten — das Gegen- thetl der Fall sein und dem alten Druck nur noch ein neuer hinzugefügt werden, so müßte derselbe die Anhänger des den Staat vollständig untergrabenden Nihilismus in un- gemessener Zahl vermehren. Der jetzige Czar hat mit der Befreiung der Leibeigenen ein großes Reformationswerk be gonnen, aber auch nur begonnen; eS steht ihm noch wett Schwereres bevor — die Gesundheit im Innern erstarken zu machen. Denn ohne diese innere Gesundheit hat auch die äußere Macht keine Wurzel und kein Fundament. Pesammtheit der Kongreßhoffnungen nach wie vor davon ab, ob England, was höchst zweifelhaft ist, sich zu einer Formulirung seines ihm für den Kongreß maßgebenden PrinzipeS herbeilassrn wird, die Rußland die Annahme desselben gestattet. Wir sind alio in d»r Kardinalfrage während der letzten Tage um keinen Zoll breit wsiterge- rückt. Der pessimistische Eindruck, den di« von England und Rußland mit ungeschwächten Kräften fo-lgesetzten KriegSrüstungen erzeugen müssen, mag durch die Meldung einigermaßen abgeschwächt werden daß die Vorbesprechungen über die Räumung immer noch sortdauer». Ader es scheint doch ziemlich müßig, über die Frage der Vorkonferenz, welche da» Kongreß-rogramm feststellen soll, weitere Be trachtungen anzustellen, Zeit und Oct dieser Vo konferenz zu fixtren, so lange nicht die Verständigung zwischen London und St. Petersburg betreffs des Prtn- worden sind. Es heiß: da: 1. Wanderlager. Es steht sest, daß sich die Wanderlagcr in neuerer Zett nicht unerheblich vermehrt haben, und eS ist nicht zu bezweifeln, daß zu dieser Vermehrung die bestehende Gesetz gebung beigetragen hat, da durch dieselbe eine Reihe ehedem in Geltung befindlicher, den fraglichen Geschäftsbetrieb mehr ober minder einschränkender Bestimmungen gefallen ist. Nicht minder steht aber fest, daß aus diese Vermehrung auch noch andere Momente von theils bleibender, thcilö vorübergehender Be deutung eingewirkt haben. Mit bleibender Wirkung haben den fraglichen Geschäftsverkehr gefördert: die fortschreitende Ent wicklung des Personen- und Waarenverkehrs, die zum Tbetl als Folge hiervon mit dem Kleinhandel sich vollziehenden Ver änderungen, die mehrfach erfolgte Beseitigung der Meßen und Jahrmärkte. Vorübergehenden Einfluß übten aus: der Reiz der Neuheit der Vcrkehröform, das rasche Aufeinanderfolgen eines außergewöhnlichen geschäftlichen Aufschwunges und einer intensiven, lange währenden Geschästskrists. Danach ist der Schluß gerechtfertigt: l. daß die Wanderlagcr bei Wiederkehr normaler wirthschaftlicher Verhältnisse von ihrem bisherigen, mehrfach ausartenden Charakter voraussichtlich etwas verlieren werden; L daß zur Zeit mit voller Sicherheit nicht zu unter scheiden ist, inwieweit die hervortretenden Mißstände als die unvermeidlichen Folgen einer an iich naturgemäßen wirthschast- lichcn Umwandlung anzusehen sind, und in wie weit sie als dauernde Mängel erkannt und deshalb durch gesetzliche Rege lung bekämpft werden müssen. Die hauptsächlichsten Mißstände der Wanderlagcr bestehen angeblich darin, baß durch den frag lichen Geschäftsverkehr: 1. das Publikum vielfach mitunter in gerade» betrügerischer Weise übervorthellt, 2. die wirthschast- liche Existenz der ansässigen Detaiihändler und Handwerker na- Tagesschau. Freiberg, 25. April. Fürst Bismarck ist in Friedrichsruhe an der Gürtelrose erkrankt und der leidende Zustand des Fürsten Gortschakof hat sich verschlimmert. Diese beiden neuesten Thatsachen dürfte, schwerlich sördernden Einfluß auf die Ao«üretz-Berh«»ps l««ge« üben. Die Vorkonferenz soll zwar im Prinzip sowohl von Rußland wie von England akzeptirt sein, ebenso die gleichzeitige Räumung der Umgegend Konstantinopels von englischen und russischen Streitkräften; allein di. Hauptschwierigkeit sür den Kongreß bildet noch immer dir englische Forderung, daß alle vom Frieden von San Stefano „vorgeschlagenen" großen Veränderungen im Oriente als europäische Fragen zu behandeln seien. Und während die Ausführung der im Prinzip« beiderseits angenommene Räumung der Umgebung von Konstantinopel an den pra tischen Detail-Schwierigkeiten zu scheitern droht, hängt die