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Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu- Braun in Freiberg. o Erscheint jeden Wochentag Abends 8 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., zweimonatlich 1 M. bO Pf. n. einmonatl. 7b Pf. - 30. Jahrgang. Donntrstag, den 11. April. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1b Pfennige. 1878. Vie englischen Parlamentsdebatten. Bei drr großen Wichtigkeit, welche man dem Rede turnier in beiden Häusern des englischen Parlaments auf die künftige Gestaltung der Orientangelegenheit, auf Krieg und Frieden zuschreibt, müssen wir die gestern telegraphisch fignalisirten Debatten heute etwas ausführlicher nachtragen. Zunächst legte im Oberhause Lord Beaconsfield die Umstände dar, die zu der von der Königin erlassenen Botschaft geführt hätten und erörterte die Politik der Re- ung, die im Allgemeinen vom Parlamente seit dessen '.offnung gebilligt worden sei. Lord Beaconsfield erin- >erte an das von Lord Derby bei Beginn des Kriegs auf oas Zirkularschreiben des Fürsten Gorlschakoff erlassene Antwortschreiben, worin Lord Derby auf die Stipulationen der Verträge von 1856 und 1871, namentlich in Betreff der Unabhängigkeit und Integrität der Türket, sowie auf das Prinzip htngewiesen habe, daß keine Macht sich ihrer Vertcagsverpflichlungen ohne Zustimmung der anderen Signatarmächte entledigen könne Es sei von Bedeutung, zu sehen, daß dieses Prinzip schon bei Beginn des Kriegs von der Negierung in einer so direkten Weise revindizirt worden sei (Beifall). Dieses Prinzip sei das Prinzip der Politik, der Diplomatie Englands, darauf sei die Politik Englands gegründet, und wenn Rußland Mit -er votge- dachten Verpflichtung sich nicht einverstanden erklärt hätte, fvürde England eine Politik der Neutralität nicht haben atzoptiren können. Bet Beginn der Verhandlungen unter Kriegführenden sei Rußland davon benachrichtigt wor den, daß jeder abzuschliegende Vertrag ein europäischer sein müsse. Lorv Beaconsfield gab sodann eine Uebersicht der tum Parlamente vorgelegten diplomatischen Korrespondenz und wies auf die große Heimlichkeit hin, in welche die Friedensverhandlungen zwischen Rußland und der Pforte gehüllt worden seien. Rußland habe indeß dis Zusicherung ertheilt, daß der Friede nur als ein Präliminarfriede an gesehen werden solle. Oesterreich habe diese Zusicherung als eine befriedigende angesehen, denn es habe die Mächte zu einer Konferenz eingeladen. Ö sterreich habe diesen Schritt in seiner Eigenschaft als eine der Pariser Signatar mächte gethan. Bei den Verhandlungen über den Kongreß habe England über Fragen von sekundärer Bedeutung, wie über den Vorsitz im Kongreß oder darüber, ob eine Kon ferenz oder ein Kongreß zusammentrelen solle, keinerlei Schwierigkeiten erhoben. Gegenwärtig existire überhaupt zwischen einer Konferenz und einem Kongreß kein Unter schied. Alle Fragen dieser Art seien von der englischen Regierung als sekundäre angesehen worden. Die englische Regierung sei der Ansicht gewesen, daß die Interessen des Landes von einer viel zu großen Wichtigkeit seien, als daß dieselben solch sekundären Fragen untergeordnet werden könnten. Die Regierung habe nur lebhaft gewünscht, daß die Konferenz oder der Kongreß ein sicheres Obdach habe und habe geglaubt, daß der Zusammentritt des Kongresses das einzige Mittel sei, den Frieden Europas zu sichern. Als Oesterreich Berlin anstatt Wien zum Kongreßort vorgr- schlagen, habe England keinen Einwand erhoben. Um aber jeden Aufschub zu vermeiden und da die englische Re gierung gewußt habe, daß zwischen Rußland und der Türkei geheime Unterhandlungen fortdauerten, daß die russische Armee weiter vorrücke und daß die Russen sich in der Umgebung von Konstantinopel ansammelten, habe die selbe geglaubt, eine Flotte in das Marmarameer schicken zu müssen. Sie habe es für äußerst wichtig gehalten, daß, nachdem England dem Kongresse zugestimmt, die Politi der Regierung noch auf eine andere nicht mißzuverstehende Weise dekiarirt werde. (Beifall.) Sie habe daher den österreichischen Botschafter, Grafen Beust, davon benach richtigt, daß man zum Voraus wissen müsse, daß jeder Artikel des Friedensvertrags zur Diskussion werde gestellt werden. Die Regierung habe damit das große vor Beginn des Kriegs ausgestellte Prinzip aufrecht erhalten. Die von Rußland gebrauchten Worte: „Appreziation und Aktion" seien unter allen Umständen sehr dunkele und unklare, England sei nicht zufriedengestellt durch die Antworten Rußlands, müsse dieselben vielmehr als eine Ablehnung desjenigen betrachten, was England als eine billige und unerläßliche Bedingung für den mit der Prüfung des Friedensvertrags von San Stefano beschäftigten Kongreß ansehen. Jeder Artikel dieses Vertrages von San Stefano, die rein technischen Bestimmungen ausgenommen, erklärte Lord Beaconsfield, sei eine Abweichung von den Verträgen von 1856 und 1871, er sage nicht, eine Verletzung der selben, weil die Artikel im Kongresse hätten zur Erwägung gezogen und we Vorschläge betrachtet werden können. Der Vertrag von San Stefano vernichte vollständig dasjenige, was man die europäische Türkei nenne, schaffe ein Bul garien, was nicht von Bulgaren bewohnt sei, nehme der Türkei Häfen im schwarzen und ägetschen Meere und gebe den griechischen Provinzen Epirus und Thessalien neue Gesetze, die Rußland denselben auferlege. Das schwarze Meer werde zu einem russischen See, wie das kaspische Meer bereits ein solcher sei. Die bessarabische Frage sei keineswegs eine Frage von untergeordneter oder lokaler Bedeutung, es sei das eine Angelegenheit, der schon Pal merston die größte Wichtigkeit beigemkssen habe, weil sie mit der Unabhängigkeit der Schifffahrt auf der Donau zu sammenhänge. (Beifall.) Werde der Vertrag von San Stefano ausgeführt, so werde durch denselben nicht allein der Handel Englands mit Persien, sondern auch die freie Schifffahrt in den Meerengen beeinträchtigt, weil die Türket zu einem Vasallen Rußlands werde. Man habe daher er wägen müssen, wie her Haltung Rußlands zu begegnen sei. Es Habs geschienen, als sei die allgemeine Weltlage einem Kongresse nicht ungünstig, alle Mächte, mit Ausnahme Eng land», hätten in den letzten 10 Jahren mehr oder weniger durch Kriege gelitten, es sei natürlich gewesen, anzunehmen, daß sie zur Erhaltung des Friedens geneigt sein würden. Der Kongreß könne aber nicht zusammentrelen, nach dem Rußland sich geweigert, seine Verpflichtungen zu erfüllen. Der größte Theil der europäischen und asiati- chen Türkei sei entweder von den Truppen des Feindes besetzt oder befinde sich im Zustande absoluter Anarchie. Es sei unmöglich, zu wissen, was geschehen könne, der Weg Englands nach Asien könne geschlossen werden, die russische Armee könne nach Syrien marschiren und Egypten und den Suezkanal besetzen. Könne England unter diesen Um ständen, und da alle Welt bewaffnet sei, unbewaffnet bleiben? Die Regierung hoffe und glaube noch immer, daß ein Kongreß das beste und einzige Mittel sei, wodurch der wenig befriedigende Zustand der öffentlichen Angelegen heiten geheilt werden könne. Das hohe Haus wisse, wie ehr die Hoffnung auf den Kongreß getäuscht worden sei, als man gefunden, daß keine Aussicht vorhanden sei, diese wichtigen Angelegenheiten mit Hilfe der Verträge und des europäischen öffentlichen Rechts zu einer Regelung zu ühren. Die Regierung habe es für ihre Pflicht erachten nüssen, zu erklären, daß England niemals auf oie Be dingung verzichten könne, daß der Vertrag von San Stefano den Vertretern der Mächte beim Kongreß vorgelegt werde. (Beifall.) Die Gerechtigkeit dieser Bedingung sei allgemein anerkannt und selbst von Rußland nicht geleugnet worden. Unter diesen Umständen sei es angesichts einer möglichen Verletzung der Verträge nothwendig geworden, Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. Das Kabinet habe es für seine Pflicht gehalten, der Königin den Erlaß der ein- gebrachten Botschaft anzuralhen. Die Reserve werde eine Armee von 70,000 Mann ergeben Sollte England in einen großen Krieg verwickelt werden, so würden die mili tärischen Hilfsmittel desselben noch viel beträchtlichere sein bei der Lage, in der sich das Land augenblicklich befinde. In einem Augenblick, wo sich in einem so wichtigen Theile der Welt eine so große Umwälzung vollziehe, handele es sich um die wichtigsten Interessen Englands, ja selbst um die Freiheit Europas. (Beifall.) Weder Cäsar, noch Karl der Große habe über ein so großes Gebiet, wie England in sich schließe, geherrscht, seine Flagge wehe auf allen Meeren, in allen Zonen besitze es Provinzen, die bewohnt seien von Bevölkerungen der verschiedensten Racen und der verschiedensten Konfessionen. Dieses große Reich müsse er halten werden und könne nur erhalten werden durch die nämlichen Eigenschaften, durch welche dasselbe geschaffen worden sei (Beifall), durch Muth, Disziplin, Geduld, Achtung vor den öffentlichen Gesetzen und durch Beachtung der nationalen Pflichten. Die Sicherheit dieses Reiches stehe jetzt in Gefahr. „Ich kann niemals glauben", schloß Lord Beaconsfield, „daß in einem solchen Augenblick die Pasis von England aufhöcen werden, die Sache Englands aufrecht zu erhalten, ich will nicht glauben, daß Sie sich weigern werden, der Adresse, die ich Vorschlags, einstimmig Ihre Zustimmung zu ertheilen". (Beifall.) Lord Granville sprach hierauf die Hoffnung aus, daß die gegenwärtigen Vorgänge nicht zu einem zweiten Krim kriege führen werden. Er müsse dec R gierung die Ver antwortung für dieselben überlasssn. Nach seiner Ansicht hätten Oesterreich und England einen diplomatischen Miß erfolg gehabt. Rußland hätte diplomatisch triumphirt. DaS Land habe das Recht, weitere Aufklärungen zu verlangen. Ec hoffe immer auf die Aufrechterhaltung des Friedens, weil der Fried n das Interesse aller Betheiligten sei. Deutschland, Frankreich, Italien und Oesterreich schienen nicht geneigt, mit England zu gehen. Rußland scheine gar nicht abgeneigt, gerechte und mäßige Abänderungen seiner Forderungen zuzugestehen. Lord Derby erklärt, die Einberufung der Reserven sei nicht der einzige Grund oder der hauptsächliche Grund seines Rücktrittes. Es sei dies vielmehr die Beschleunigung dieser Maßregel. Seien denn die Mittel der Diplomatie erschöpst? Die Dinge seien allerdings in eine Sackgasse gerathen. Der Kongreß sei vielleicht ein Mittel, um die vorgängigen Beschlüsse der Mächte zu verzeichnen. Die deutsche Negierung habe immer lebhafte Sympathie für Rußland. In Frankreich wünsche kein politischer Manu die Politik des Krimkciegcs wieder aufzvnehmen. Auch Italien wünsche keine solche Unternehmung. Ec bezweifle, daß England auf eine Allianz mit Oesterreich rechnen könne. Es würde eine kühne Politik Oesterreichs sein, einen Krieg mit Rußland zu führen, ohne positiv der Neutralität Deutsch lands sicher zu sein. Er bestreite, daß das Prestige Eng lands eine Einbuße erlitten habe. Lord Cairns erklärte gegenüber Lord Derby, er wisse, daß die vorgeschlagene Maßregel das Land nur in die Stellung versetzen werde, weiche man während der früheren Pariamrntssessionen eingehalten habe. Er bedauere, daß Lord Derby nicht den Zusammentritt des Kongresses wünsche. Ec glaube, daß der Kongreß einen wesentlichen Dienst bei der Regelung der obschwebenden Fragen hätte leisten können. Ec könne die von der Opposition heute dargelegte Politik nicht verstehen, wenn dieselbe nicht geradezu ein Mißtrauens votum gegen die Regierung beantrage. Lord Silborne sprach sich gegen die Politik der Re gierung aus. Lord Canarvon hält nicht für wahrschein lich. daß Rußland in eine Annullirung des ganzen mit der Türkei geschlossenen Vertrages willigen werde und weist auf das Zirkularschreiben Lord Salisbury's hin, in welchem betont werde, daß England, wenn es zum Kongresse gehe, dies mit der Hand am Degen tbun werde. Eine solche Politik vermöge er nicht zu unterstützen. Falls England unglücklicher Weise in einem Kriege festgehalten werden sollte, werde das unter Bedingungen geschehen, die von denen des Krimkrieges wesentlich verschieden seien. Lord Houghton äußert sich zu der Haltung der Regierung zu stimmend. Der Herzog von Argyle weist darauf hin, daß das Land Schritt für Schritt zu einer Entschließung geführt worden sei, die tum Parlamente verschleiert gehalten worden. Er stimme der Regierung darin bei, daß ein aus schließliches Protektorat Rußlands über die europäischen Provinzen der Türkei zu wichtigen Einwendungen Anlaß gebe, aber er zweifle nicht daran, daß die Frage von Europa geregelt werden könne. Die englische Regierung habe Recht, wenn sie verlange, daß der ganze Vertrag von San Stefano dem Kongreß vorgesigt werde, Rußland Habs aber auch Recht, wenn es sich weigere, Einwendungen zuzulasien, die gegen irgend welchen partikulann Punkt crhobsn werden könnten. Wenn die englische Regierung gegen die Tü>kei, als diese sich geweigert habe, ihre übernommenen Verpflich tungen zu halten, mit der nämlichen Strenge ausgetreten wäre, welche man jetzt Rußland gegenüber in Vorschlag bringe, würde der Krieg gar nicht ausgsbrochen sein. Lord Salisbury sprach sich dem Herzog von Argyle gegenüber über die Ansichten aus, von Innen er auf der Konstantinopeler Konferenz geleitet worden fei und über diejenigen, die er jetzt hege. Er könne der Ansicht der jenigen nicht beilrcten, die der Meinung seien, daß eine gute Regierung in den türkischen Provinzen nur möglich sei mit Hilfe der russischen Regierung. Die Konstantino peler Konferenz habe hinreichende Unte» Pfänder für eine gute Regierung der türkischen Provinzen vorgesehen und dabei doch nicht die Autorität drr Psorte zerstört. Lord Salisbury gab demnächst eine kurze Uebersicht über die Ereignisse während und nach der Konferenz und fuhr dann fort: nach dem Kriege habe die Neutralität aufgehört, da