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reikWrM;eiaer md TMtolM. lmtsblatt für die könialichm und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg «nd Brand Verantwortlicher Redakteur Iültuß Braun in Freiberg. Also ist es auch mit unserem Volke! Dit Ideale, dk eS vor dreißig Jahren erfüllten und begeisterten, ste solle« wie schöne Jugenderinnerungen in seinem Gedächtniß ver bleiben; sie sollen im milden Glanz es weiter geleiten, da mit es nicht in Jrrnisse der Finsterniß geräth. In Wahr heit, seit dreißig Jahren thuen wir ja nichts weiter, als jenen Idealismus in'S Wirkliche zu übertragen, Ideen in prakti sche Gestalten zu bringen. Das ist die Arbeit unsere- Zeitalter-, und wenn dies Viele nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, so bleibt eS darum doch nicht minder wahr. Nicht Weisheit, die der Tag gebiert, die praktisch- politischen Geistern angesichts der Dinge plötzlich geoffen- bart wird, ruft so viel des Schöpferischen in'S Leben; son dern das Alles sind noch Früchte aus dem Samen jener Tage - Früchte oftmals, die unbeachtet reisten und Jenem ohne sein Verdienst in den Schooß fielen, der just am Baume streifte. opfern ihrer Person eintraten? SS war Deutschlands Frei- heit und seine nationaleEtnheit! Der ideale Traum i von der Freiheit hat sich zwar in den Gebilden der Wirt- l lichkeit etwas weniger schön gestaltet ; auch die nationale ' Einheit erreichten wir auf nicht gewünschtem Wege; aber i dennoch — waren jene Träume nicht die Vorahnung dessen, was die Zeit in ihrem Schooße barg und was durch ein zwingende- Aulturgesetz, durch einen weltgeschichtlich nöthigen Prozeß zur Geburt gelangen mußte? Wäre ohne jenen Idealismus, der 1848 in hohen Lohen aufschlug, Deutschland nicht in lauter Scherben zer fallen, sein Volk versumpft und in geistiger Verödung ver kommen? Wollte es vorwärts, so mußte eS seine Negier ungen in jene Bahnen reißen, an deren Ende eS die Ziele seiner Hoffnungen erblickte. Nun, und auf diesen Bahnen ist da- Volk geblieben, wie viel man auch gehemmt und gestemmt hat, wie heftig man eS auch aus denselben herauSzureißrn versuchte. Die Regierungen sind endlich mitgegangen, wie sehr sie auch zauderten. Und siehe da, jetzt haben sie sich mit der Frei heit und mit der nationalen Einheit vertraut gemacht und sind die gesetzlichen Beschützer jener konstitutionellen Verfassungen und jener deutsch^ ReichSeinheit geworden, welche 1848 zu fordern und zu erstreben von ihnen theil- weise als ein hochverrätherischeS Verbrechen gefehmt, theil weise als ein Utopien mißachtet wurde! Wie ändert sich doch die Zeit und die Menschen in ihr! Wo mag eS heute noch einen deutschen Bürger, Einen unseres deutschen Blutes , geben, der behaupten würde, daß wir nicht als Volk eine höhere und würdigere Stufe etnnehmen, als diejenige es war, auf der wir um der lieben Ruhe willen durchaus nicht sitzen bleiben wollten? Heute und damals! Ja, das ist wohl ein großer, ein gewaltiger Unterschied. Wenn irgend ein Vergleich zwischen einem aufblühenden Menschenleben und dem Geschicke eines Volkes zutreffend ist, so bezüglich der Entwickelung, welche das deutsche Volk seit dreißig Jahren durchgemacht hat. Innerhalb dieser Zeit ist das Kind durch die Schule ge gangen, hat Erfahrungen gesammelt, seinen Beruf zu er fassen gelernt und übt ihn nun mit der Mäßigung aus, welche der Blick aufs Praktische und Erreichbare verleiht. ES ist wohl wahr, eine gewisse politische Trägheit hat sich damit eingestellt, welche dem Menschen immer behaglich ist, sobald er seine Wünsche hinsichtlich des öffentlichen Lebens genügend befriedigt sieht. Dem ausgewachsenen Geschlecht des letzten VierteljahrhundertS sind jene geistigen Aufregungen, jene Hoffnungen und Enttäuschungen, jene Begeisterungen «nd Leiden, welche die Geburt des neuen Zeitalters für uns begleiteten, fremd; es sah nichts säen, sondern nur ernten, was von der im Sturmwind ausgestreuten Saat nach und nach aufging; es sah werden, was Ideen vorher zum Werden erst ermöglicht hatten. Alles in dieser Welt erschien diesem neuen Geschlecht damit so selbstverständlich, daß es jene vorangegangenen und oft genug von übelwol lenden Naturen verketzerten Ideen für unvernünftig und unpraktisch hielt. Dem gegenüber darf der „Freiberger Anzeiger" eS woh hervorheben, daß er sich und die geistige Macht, in deren Dienst er getreten, nie verläugnet hat. Ueber dem Werth, welchen für den gereiften Mann das Praktische und Be sonnene haben muß, soll er des schönen Aufschwungs seiner Seele in der Jugendzeit nicht vergessen. Die Ideale des > Jünglings müssen für sein ganzes weiteres Leben ausretchen, um ihn des Schaffens froh und anspornend zu neuem Schaffen zu machen. Beklagenswerth ist Derjenige, dem Die Treue gegen den Idealismus ist der Grundzug einer liberalen Gesinnung; sie soll von der liberalen deut schen Presse in Ehren gehalten werden. AuS ihr allein gewinnt sie das Urtheil über die Entwickelung der realen Verhältnisse, über die Fortschritte unserer politisch-nationale» Gestaltung, über das derselben Nützliche wie. Schädliche. Aus dieser Treue gegen die Mutter vermag sie ihre neuen Anregungen und die Fähigkeit zu schöpfen, eine Leiterin des Volkes nicht blos von Tag zu Tag, sondem über mo mentanes Bedürfniß hinaus zu werden. Wo diese Treue aushört, mißachtet und verleugnet wird, da ist bald und eicht jene traurige Moralverwüstung zu finden, die im hochmüthigen Geist Ersatz sür den Mangel von Charakter und Unabhängigkeit zu haben meint. Leider ist dieser Abfall nur zu vielfältig innerhalb der liberalen Presse gewesen, oder ihre Organe sind in die . Hände Solcher gefallen, welche nachgeborenen Geiste- und erzogene Verächter des mcdernen Staates wie der bürger lichen Gesellschaft sind. Ihnen verdanken wir die schreck liche Ausbreitung des Gleichmuths in politischen Frage«, die Abneigung gegen geistige Beschäftigung aus eigener Anregung, die Mißachtung des Volksbegriffes als eine- mit Recht ausgestatteten und Rechte zu beanspruchenden StaatSfaktors; ihnen verdanken wir den Mangel bürger-- lichen Selbstbewußtseins und damit auch das Ueberhand- nehmen einer Gesinnung, die loyal auf Kosten der Eha- raktertreue sein zu müssen glaubt. Was in der bescheidenen Krast des „Freiberger An zeigers" liegt, wird er für sein Theil nach wie vor thun, um ein getreues liberales Blatt zu sein und in der Unab hängigkeit seines Daseins die Loyalität mitFreimuth in Sachen der staatlichen und bürgerlichen Interessen zu ver binden. Auf und nieder steigen die einzelnen Fragen des Tages; wie zwischen Klippen versetzen sie das Schiff der Presse und sie muß mit fester Hand das Steuer der Ge sinnung halten, um ungefährdet hier Scylla, dort Cha- rybdis zu vermeiden. Durch dreißig Jahre hindurch hat unser Steuer seine Dienste geleistet, weil wir des Kurses sicher waren, den wir einhalten mußten. Auch fernerhin soll es fest den Weg verfolgen, den wir als den rechten i erkannt haben. Und wenn wir dies an dem heutigen Tage > so besonders hervorheben, so geschieht eS nicht, um uns einer Eitelkeit zu überliefern, fordern um uns — wie vor dem Auslaufen aus dem Hafen zu einer neuen Reise — unser Ziel vor Augen zu halten. Und dieses Zieles stets eingedenk, leihen wir schließlich noch dem Wunsche und der Bitte Ausdruck, daß auch in Zukunft dem „Freiberger Anzeiger" dieselbe Gunst und dieselbe Theilnahme des Publikums erhalten bleiben möge, deren er bisher sich in so reichem Maße zu erfreuen Halle. Manneskraft tritt, legt es doch nahe, daß wir einen Blick auf die Vergangenheit de- Geburtstagskindes werfen. Die dreißig Jahre seines bisherigen Lebens sind ja überdies dreißig Jahre ereignißretcher Geschichte für un ec Vater- i land, von welcher der „Freiberger Anzeiger" stets Pflicht- i gemäß Akt nahm und die er mit seinen Wünschen und i Hoffnungen, oft mit seinem Aerger und ost mit seiner ' Freude begleitete. Ein wenn auch bescheidenes Mitglied der großen Armee der Presse, kann es doch von sich sagen: auch ich habe mitgestrüten und mitgearbeitet sür das, wa- wir heute als den Inhalt unserer politischen und geistigen Güter ansehen. Am 1. April 1848 erfolgte die glückliche Geburt des „Anzeigers". Ec war also ein Kind jener sturmersüllten Zeit, welche jubelvoll die morschen Bretterzäune eines ver lebten politischen System- niederwarf und dem erlösten Geschlecht ein neue-, weites, freies Feld zu einer seiner würdigen Arbeit eröffnete. Wie begeisterungsvoll und rührig, ja wie übereifrig und überhastend stürzte damals trotz mangelnder Erfahrung Alles sich dahin, um nach Kräften die erforderliche Arbeit zu leisten, zu pflügen und zu ackern, zu jäten und zu säen! ES lief da manches Ungeschick, mancher Fehlgriff, manche Thorheit mit unter und in der Ungeduld wollte man wohl schon ernten, während man noch am Säen war. Aber alle- Menschliche ist ja von Fehlern und Jrrthum nicht frei und erst in der Schule der Erfahrung lernt man das wirklich Nützliche und Erreich bare schaffen. In Träumen und überschwenglichen Phan tasien nimmt man den Anlauf zu hohen Zielen, um dann auf dem mühseligen Wege über allerhand Hindernisse oft mals zu straucheln und zu verzagen. Jenes Hoffen aber treibt immer wieder weiter und verleiht immer wieder neue Kräfte, bi- das Ziel wirklich erreicht ist. Ohne dasselbe wäre nichts unternommen, nichts durchge führt worden; ohne jenen Idealismus kein selbstloses Einsetzen der Menschen kraft für die Erreichung eines Gutes, welches allgemeinen Segen verheißt und auch allgemeinen Segen gewährt! Wie viele Enttäuschungen auch dem Jahre 1848 folg ten, es hat doch unser Volk auf die Ziele hingetrieben, denen es heute greifbar gegenübersteht. Die Kinder jener Zeit brauchen sich ihrer Enttäuschungen und Jrrthümer nicht zu schämen; der Trommelschlag, den damals auch der „Freiberger Anzeiger" in jungblütiger Begeisterung ertönen ließ, er half mit, die Geister zu wecken und in Dreißig Iakre! Freiberg, am 1. April 1878. Der alte Krieger in Holtet'- „Leonore" feiert seinen Mantel mit dem volk-thümlich gewordenen Wort: „Schier dreißig Jahre bist Du alt, hast manchen Sturm erlebt" — und so können wir mit Fug und Recht an diesem heu tigen Tage auch unsern „Freiberger Anzeiger" mit einiger Feierlichkeit in der Stimmung begrüßen. Auch er gleicht einem Mantel, der nun gerade dreißig Jahre so manchen Sturm erlebte. Die Schultern, die ihn so lange trugen, legten ihn mit dem heutigen Tage ab. Wir, die ihn nun allein auf uns nehmen, haben ihn als treue Kameraden seit Jahr und Tag geehrt und gepflegt. So ist denn der neue Besitz nur eine geistige Fortsetzung langjähriger Arbeit und ändert nichts an dem Blatt, an seinem Inhalt, an seiner Gesinnung und hoffentlich auch nichts an seinen an genehmen und treuen Beziehungen zu dem Publikum. Aber dieser persönliche Umstand des äußeren Besitz wechsel- - gerade an dem Geburtstage des „Freiberger Anzeigers," mit welchem er iü die Jahre der vollen > 80. Jahrgang. Dienstag, den 2. A-ril. Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2ü Pf., zweimonatlich 1 M. üOPs. n.einmonatl. 7b Pf. Marsch zu setzen. Was war es denn, wofür sich in dem Alles von jenem erhebenden Gefühl verloren geht, welches sturmbewegten Jahre so viel edle deutsche Herzen begeisterten die Arbeit adelt und über den materiellen Gewinn hinaus und wofür ste glaubensstark in Wort und Schrift, selbst in Hin-' genußreich macht. Inserate werden bis Vormittags l1 Uhr angcnom- 0^0 men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile I oder deren Raum 1b Pfennige. ff