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Amtsblatt Kr die Nützlichen und Müschen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in FreibergSdorf. 31. j Erschrtn« jedm Wvchmtag Lb<nd» b Uhr für dm andnn Lag. PrtU vlrrtrljLhrlich 2 Marl 25 Pf., zweimonatlich 1 M . 56 Pf. u. einmonatl. 75 Pf. 29 Jahrgang. Mittwoch, dm k. Februar. Instkate werden bi« Vormittag« 11 Uhr für nächste Nummer angenommen und die gespaltene Zeile oder deren Raum mit IS Pf. berechnet. 1878. Die Stellvertretung Dismarcks. Am 6. d. M. tritt der Reichstag zusammen und unter den Vorlagen, welche ihn diesmal beschäftigen, wird sich voraussichtlich auch der Entwurf einer Stellvertretung für den Reichskanzler Fürsten Bismarck befinden. Wenn man den aus einem einzigen Paragraphen bestehenden Gesetz entwurf oberflächlich und unbefangen liest, so wird man versucht, die Frage aufzuwerfen: wozu der Lärm, den die Presse davon macht? Der Entwurf lautet nämlich: Die durch die Verfassung und Gesetze des deutschen Reichs dem Reichskanzler übertragene Leitung in der Verwaltung, Beaufsichtigung und Bearbeitung von Reichsangelegenheiten, sowie die zur Giltigkeit der Anordnungen und Verfügungen des Kaisers noth- wendige Gegenzeichnung des Reichskanzlers können durch Stellvertreter wahrgenommen werden, welche der Kaiser auf Antrag des Reichskanzlers für Fälle der Behinderung desselben aus anderen Mitgliedern des Bundesrathes allgemein oder für einzelne Amts- zwelge ernennt. — — Ist dies nicht Alles schon dagewesen? Erst bei der letzten Beurlaubung des Fürsten Bismarck ordnete der Kaiser bestimmte Stellvertreter nicht blos im Allgemeinen, sondern auch für einzelne Zweige der Verwaltung an. Und find nicht Hofmann, Stosch, Kamele, Bülow, Herzog, Stephan solche Vertreter des Kanzlers? Die Sache muß jedenfalls noch ihren besonderen Haken haben, denn sonst ließe sich des Aufsehen nicht erklären, welche der neue Gesetzentwurf bei allen Parteien ohne Unterschied hervorgerufen hat. Allerdings enthält er auch etwas Neues. Nach den bisherigen Ufus behielt nämlich der Reichskanzler trotz seiner Beurlaubung und Ernennung seines oder seiner Stellvertreter die Gegenzeichnung aller Gesetze und kaiserlichen Verordnungen und somit die ihm durch die Verfassung des deutschen Reiches auferlegte Ver antwortlichkeit. Nach Artikel 17 der deutschen Reichs verfassung ist der Reichskanzler der einzige verantwortliche Minister. Nun, wir veranschlagen die juristische Verant wortlichkeit der Minister nicht hoch; sie ist nach unserer Anschauung keinen Pfifferling werth; denn zu ihrer Geltend machung bedürfte es vor Allem eines Verantwortlichkeit- Gesetzes und dieses fehlt uns im deutschen Reiche. Aber lasten wir sie gelten; es gehört einmal zur konstitutionellen Doktrin, daß in den Verfassungen steht: die Minister sind verantwortlich. Die Engländer wissen von dem Buchstaben dieser Verantwortlichkeit nichts, aber ihre Minister sind thatsächlich verantwortlich, was jedenfalls mehr werth ist. Höher als die juristische steht die moralische Verant wortlichkeit und von dieser kann vernünftiger Weise auch hier nur die Rede sein. Diese Verantwortlichkeit hat bis her der Reichskanzler allein durch seine Gegenzeichnung für das deutsche Reich übernommen. Sie soll durch den neuen Gesetzentwurf jetzt auch auf seine Stellvertreter über tragen werden. Dabei wirft man die Frage auf, ob dies eine VerfaflungSveränderung sei. Unzweifelhaft ja! Und daraus ergeben sich wieder ganz wesentliche Konsequenzen. Zugegeben, der Grund für die Nothwendtgkeit des neuen Gesetzes liege in der Unmöglichkeit, daß es so wie bisher weiter gehe; zugegeben auch, die Geschäfte des deut schen Reiches haben eine so ungeheure Ausdehnung ge wonnen, daß die auf die Person Bismarcks zugeschnittene Reichsverfastung von den Schultern dieses Mannes nicht mehr getragen werden kann; zugegeben endlich, daß Fürst aus, womit wir uns dem Einheitsstaat» nähern würden. Vorläufig soll nur ein Versuch mit verantworllichen Stell vertretern gemacht werden. Hat man jedoch A gesagt, dann wird man B sagen müssen. Man will die Reichs- Minister durch eine Hinterthür, durch die Uebertragung der Gegenzeichnung auf die Stellvertreter des Reichskanzlers, einführen. Man sieht, von diesem Standpunkte aus hat der neue Gesetzentwurf eine eminente Wichtigkeit, und die Aufmerksamkeit, die derselbe bei allen Parteien gesunden, ist leicht erklärlich. Eine V-rfaffungsoeränderung aber kann in dem Bundes- rathe durch vierzehn Stimmen verhindert werden und diese finden sich leicht zusammen. Wir sind auf die Auf nahme, welche die Maßregel gerade im Bundesrath finden wird (denn bis jetzt liegt noch keine Entscheidung vor), mehr gespannt, als auf die Beschlüsse des Reichstags. Ueberdies leidet der Gesetzentwurf, so einfach er auch ist, an Unklarhrit, weil er eben die Endziele und letzten Konsequenzen nicht enthüllen kann und darf. Daher er klären sich auch die so sehr widersprechenden Urtheile, die sich darüber in den einzelnen Parteien und ihren öffent lichen Organen kundgegeben haben. Das am einfachsten Scheinende ist oft gerade das Schwierigste." Ohne bedeutende Aenderungen wird nach unserer Ansicht der Entwurf weder im Bundesrathe noch im Reichstage angenommen werden. I Vom Orient. Die österreichische Regierung hat bereits am 3. d. M. die Einladung zur Konferenz an die Pariser Signatur mächte ergehen lassen und man nimmt an, daß noch in der zweiten Hälfte dieses Monats die Herren Diplomaten zum Abschluß des definitiven Friedens zusammentreten werden. Man wird es auf der Konferenz nicht mehr mit den ursprünglichen russischen Bedingungen zu thun haben, denn infolge des bekannten Andrassy'schen Einspruchs soll es dem Fürsten Bismarck gelungen sein, sowohl Rußland wie Oesterreich zu folgenden Modifikationen zu bestimmen: 1. Der Neutralisirung der Donau würde Rußland keinen Widerspruch entgegensetzen. 2. Rumänien würde, dem von Wien aus kundgegebe nen Wunsche gemäß, keinen Besitz auf dem jenseitigen Donau-Ufer erhalten. 3. Serbien würde nur eine geringe Vergröße rung erhalten. Die Ausdehnung des okkupirten Terrains in Alt-Serbien würde bei der Entscheidung dieser Frage nicht in Betracht gezogen werden. Die staatsrechtliche Stellung Serbiens solle derart gestaltet werden, daß die selbe die Interessen Oesterreichs nicht tangiren würde. -1. Die Frage der Dotirung Montenegros mit einem Hafen würde der europäischen Entscheidung überlassen werden. 5. Die geographischen Grenzen des zu kreirenden auto nomen Bulgariens sollen von den Mächten gemeinsam bestimmt werden. 6. Die Lösung der Meerengen-Frage würde der Konferenz vorbehaltlos anheimgegeben. Jedenfalls führen die Friedensverhandlungen noch manchen Streit der Interessen herbei, so daß die Diplo matie genug zu thun bekommt ; aber man darf hoffen, daß die große orientalische Frage, wenn auch gewiß nicht für immer, so doch wenigstens für eine Reihe von Jahren durch die Konferenzbeschlüsse von der Tagesordnung der europäischen Gesammtpolitik verschwinden wird. Mit leicht erklärlicher Spannung blickt man nnn nach Westen und harrt der Dinge, die im englischen Parlamen kommen sollen. Seit mehreren Tagen dauert dort der Redekampf, ohne daß es bis zur Stunde zu einem Beschluß über Bewilligung oder Nichtbewilltgung des geforderten Extrakredits gekommen wäre. Aber selbst dm Fall der Bewilligung angenommen, wird eS der englischen Politik sehr wenig nützen, wenn ihre Vertreter auf der Konferen Der Zar hielt am Sonntage eine Ansprache an die versammelten Generäle und Offiziere des Regiments Viborg, in welchem er erklärte, Rußland müsse sich in Bereit schaft halten, bis ein dauerhafter, würdiger Friede er reicht sei. Wenn der Zar diese Aeußerung nur im Hinblick auf die nun bevorstehende Konferenz that und thun konnte, so wird lediglich darin eine Vorsicht, aber kein Argwohn zu erblicken sein. Schlimmer als dem Czar geht es dem Sultan, der auch trotz des Waffenstillstandes die Waffen nicht ruhen lassen kann, weil Griechenland ernstlich an Krieg denkt. Ein Telegramm aus Athen vom 3. d. meldet: Der Minister des Auswärtigen, DelyanniS, theilte dem türkischen Gesandten, Photiades Bey, mit, Griechenland beabsichtige nicht, der Türkei den Krieg zä erklären, sondern es wolle nur die griechischen Nationalen gegen die Angriffe von Tscherkessen schützen. Trotz des abgeschlossenen Waffenstillstandes sei die Aus führung des Programmes beschlossen. Die griechische Armee werde in Thessalien einrücken. — Was heißt die Floskel, den Krieg nicht erklären wollen und doch feind liches Gebiet besetzen? Das könnte doch nur mit Genehmig ung der Pforte geschehen. Diese aber wird die Antwort mit dem Schwert ertheilen. In Bezug auf die militärische Situation sind noch folgende Depeschen zu verzeichnen: Petersburg, 4. Februar. Offizielles Telegramm aüS Adrianopel vom 29. Januar. Heute ging dem General Strukoff ein schriftliches Ersuchen des Vizekonsuls in Ro- dosto zu, nach Rodosto zu eilen und diese Stadt vor der Plünderung zu bewahren. General Strukoff wurde ange- viesen, sich sofort schleunigst von Arboil nach Rodosto zu begeben. Petersburg, 4. Februar. Offizielles Telegramm aus ldrianopel vom 29. Januar, Abends 9 Uhr. Heute rückte General Strukoff mit seinem Vortrab von LülleburgaS legen Tschorlu vor. Wie derselbe meldet, verüben die Nassen der flüchtenden muselmännischen Bevölkerung viel- ach Brandstiftungen, Plünderungen und blutige Gewalt- thaten. Unweit LülleburgaS wurde von General Strukoff eine Menge von 180,000 bis 200,000 flüchtenden Türken eingeholt, der General ließ dieselben entwaffnen und stellte ihnen frei, ob sie weiter ziehen oder umkehren wollten. Die Flüchtlinge waren von der Schonung, mit der ihnen begegnet wurde, offenbar sehr überrascht und sagten aus, sie seien von den türkischen Behörden zur Emigration ge- nöthigt worden, da sie außerdem von den Russen nieder gemacht werden würden. Ein Theil der Flüchtlinge kehrte nach seiner Heimath zurück, ein anderer zog nach Rodosto weiter. Vom General Strukoff wurden mehrere Abthei- lungen Tscherkessen und Reguläre gefangen genommen und ein Train, sowie 2 Fahnen erbeutet. Wien, 4. Februar. Aus Belgrad wird der „P. K." berichtet, daß die Niederlage der Türken in der Schlacht bei Vranja am 30. Januar eine vollständige war. Die Türken bestanden aus 10 Tabors Nizams, mehreren Ta- borS Arnauten, einem Kavallerieregiment und 7 Geschützen. Die siegreichen Serben bestanden unter dem Kommando des Oberst Janovits aus der 1. Division des Schumadija- korpS (Brigaden Semendria und Belgrad) und einem Frei- willtgenbataillon. Es wurden von den Serben 4 TaborS NizamS (1682 Mann), 1 Pascha (Razim Pascha) und 48 Offiziere zu Gefangenen gemacht. Der Rest der Türken floh in der Richtung von Grdelitza. Fürst Milan hat bis heute noch keine Mittheilung über die Unterzeichnung deS Waffenstillstandes aus dem russischen Hauptquartier erhal ten, weshalb auch noch keine Ordre zur Einstellung der Feindseligkeiten auf dem serbisch-türkischen Kriegsschauplätze ertheilt wurde. Bismarck nicht nur diplomatisch, sondern wirklich krank ist und bei dem zunehmenden Alter doch auch die Kräfte schwächer werden — so geht doch dieser Gesetzentwurf au nichts weiter als auf die Kreirung von Reichsministerien mit vollen Taschen erscheinen und auf ihre sechs Millionen pochen wollten. Lord Beaconsfield hat sich durch seine ewigen Stänkereien während der orientalischen Krisis so unsterblich gemacht, daß ihn auch solche Geldbeutel-Politik nicht wieder rehabilitiren kann. Tagesschau. Freiberg, 5. Februar. Die Eröffnung des Reichstages erfolgt morgen Nach mittag 2 Uhr durch den Kaiser in Person. — Der BundeS- rath erhielt einen Entwurf, betreffend die Ersparnisse an den von Frankreich für die deutschen Olkupativn-truppen gezahlten Verpfle gungsgeld ern. Preußen und die von Preußen verwalteten Kontingente sollen erhalten 19,799,100 Mark, Baiern 3,374100 Mark, Württemberg 1,183,500 Mark, Sachsen 1,207,200 Mark, und die sämmtltchrn