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1877 Erschein« jetm »Uochmlag «bmd« 6 Uhr für km andern Tag. Prei« vieneljähriich 2 iviart 25 Ps., »weimonatlich 1 M. 50 Pf. u. »InmonaU. 75 Pf. Inserate werden bi« Vormittag« 1t Uhr für nächste Nummer angenommen und die gtsp-ltene Zeile oder deren Raum mit IS Ps. berechnet. SS. IMhrga»,. Mittwoch, -cu 11. April. Amtsblatt für die königliche« Nlld städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freibergsdorf. und Tageblatt. Das Londoner Protokoll. Endlich hat die diplomatische Schwergeburt des Londoner Protokolls das Licht der profanen Welt erblickt. Soll man ihr eine Bedeutung zumessen, so kann es nur die jenige sein, daß sie überhaupt zu Stande kam. Der Winter ist mit den bis zum Ueberdruß telegraphirten Jgnatieff- Reisen glücklich vorübergegangen; kein Kanonenschuß hat einem türkischen oder russischen Bombardier bisher Gelegen heit gegeben, das Cchlachtensigral loszulassen, nur das Londoner Protokoll ist endlich fertig geworden, als hätte es all dieser Mühe und Zeit und des Aufmarsches zweier großen Armeen verlohnt. Die politische Wichtigkeit dieses Stückes Papier besteht lediglich darin, daß Englands Unterschrift dazu gegeben worden ist. Cie stellt den nach träglichen Zutritt dieser Macht zu dem Berliner Memorandum dar, und man weiß nicht, ob dies ein russischer Erfolg oder eine englische Schlappe ist. Wir meinen am besten zu thun. wenn wir weder das Eine noch das Andere an nehmen. Das Protokoll bindet, so lange bis man sich dessen entschlägt. Es verpflichtet weder England, die Türkei ihrem Schicksale zu überlassen, noch Rußland, den Krieg abzustellen, noch sonst wen, nach Umständen nicht zu handeln, wie ihm beliebt. Die Pointe des Protokolls läuft auf ein paar Klauseln hineus, daß nichts abgemacht sei, wenn von dem Protokoll nicht der Segen ausgehe, welchen man sich aus diplomatischer Höflichkeit davon verspricht. Will man noch mehr, so ist es als eine Art Genugthuung anzusehen, welche sich die auf der Konferenz zu Konstantinopel so schwer blamirte Diplomatie zusammengeleimt hat, um der Türkei gegenüber eine gewiße stolze Haltung zurückzugewinnen. Europa macht ein Protokoll über die Türkei als Angeklagte; ob sich aber die Türkei stellen, dies Gericht anerkennen und von einem Spruch desselben etwas besorgen wird, das ist denn doch sehr die Frage. Die Türkei, man muß es leider einräumen, hat sich in dem ganzen Handel würdiger und geschickter benommen, wie die europäische Diplomatie, und sie ist sich, scheint es, ihres Uebergewichtes auch jetzt noch bewußt. Unzweifelhaft ist, daß die Reisen Jgnatieff's ihn ver traut mit den verschiedenen Staatskunst-Auffassungen be züglich der orientalischen Frage gemacht haben. Dieser scharfsichtige Mann wird auch erkannt haben, was von England im entscheidenden Falle ernstlich zu fürchten und zu hoffen ist. Rußland suchte eine moralische Deckung, indem «S sich als Mandatar Eurvpa's gegen die Türkei anerkannt wißen wollte, und für den leidlichen Anschein einer solchen Deutung genügt ihm das abgerungene Londoner Protokoll. Es überläßt doch zunächst den Austrag einer Frage, welche Europa gestellt hat, Rußland und der Türkei. Letztere kann überdies denken, daß sie isolirt ist, wenn sie sich daraus überhaupt etwas macht. Rußland hat sich auch bereit erklärt, mit der Türkei direkt zu verhandeln und in Konstantinopel ist man, wie immer, höflich auf diese Bereitwilligkeit eingegangen und schickt einen besonderen Gesandten deshalb nach Petersburg. Reden und unterhandeln hat für den Türken nichts Ge fährliches, und daß er sich nicht überlisten läßt, sondern eher selbst überlistet, das hat die Erfahrung gezeigt. Kommt es also wirklich zu einer vertraulichen Aus einandersetzung in Petersburg, so ist damit noch keineswegs gesagt, daß für den friedlichen Verlauf der Dinge irgend etwas gewonnen sei. Rußland wird nur darauf Bedacht nehmen, sich den Schein der Friedensliebe zu erhalten; die Türkei, sich nicht mit einer Feder über's Ohr hauen zu laßen. Gegensätze wie diese beiden gleichen sich nicht aus; thuen sie es heute aus Zwang der Nothwendigkeit, so stehen sie morgen um so feindseliger sich gegenüber. Rußland soll demnächst versuchen, die Türkei zur An nahme der Beschlüße zu bewegen, welche die europäische Diplomatie in Konstantinopel unter dem liebenswürdigsten Kopfschütteln der türkischen Staatsmänner gefaßt hat. Ruß land wird sich gewiß alle Mühe geben, diesen Zweck zu er reichen; denn erreicht es ihn, so hat es zunächst was es will — einen Keil, den es bei jeder günstigen Gelegenheit weiter in die türkische Staatswirthschaft treiben kann. Aber es ist wohl nicht anzunehmen, daß die Türken nachdem sie vor Serbien sicher sind, heute geneigter sein sollten, in diesen Vertrag auf ihre Kosten zu willigen, als damals, wo die ganze europäische Diplomatie persönlich auf sie drückte. Was von dec Stimmung der Hohen Pforte, des türkischen Parlaments, der Armee und der Geistlichkeit verlautet, macht es nicht wahrscheinlich, daß man sich in Konstantinopel zu solchen Zugeständnissen ent schließt - »m Rußland einen Gefallen zu thun Man fürchtet offenbar den Krieg mit ihm nicht, einen unheilvollen Ausgang noch viel weniger; wohl aber verspricht man sich in Konstantinopel von einem frischen, fröhlichen, fanatischen Kampfe eine Wiedergeburt des versauerten OSmanenthums, der dann allenfalls auch noch ein paar unzuverlässige Pro vinzen zum Opfer gebracht werden mögen. Am Ende ist es heute mehr die Türkei, welche den Krieg wünscht, als Rußland. Aber daß auch dieses die auf langer Bank be triebene, nur zu vorsichtig gehandhabte Vorbereitungen da zu fortsetzt, bezeugt die Haltung Montenegros, die Rüstung Griechenlands und die Wiederbelebung des boönischeit Auf standes. Inzwischen wird die russische Diplomatie aus dem Londoner Protokoll für Oesterreich und England nach Mög lichkeit Riemen schneiden. Ein Wort über Pocken und Schutzpockenimpfung von vr. Nippold. 11. Den ersten Anstoß zu seinen Untersuchungen und Expe rimenten erhielt Jenner im Jahre 1776 durch eine in Glocestershire traditionelle Erfahrung, daß Prrsonen, welche beim Melken pockenkranker Kühe denselben Ausschlag an den Händen bekamen, bei Pockenepidemien von der Krank heit verschont blieben. Bekanntlich kommt bei verfchiedenen Hausihieren, namentlich bei der Kuh und beim Pierd, eine sogenannte Pockenkrankheit vor, die bei der Kuh meist ihren Sitz an den Milchorganen, beim Pferde an den Fuß gelenken hat Die Entstehung der Kuhpocken ist zur Zeit noch unbekannt. Erfolgt eine Uebertragung von Kuh pockenlymphe auf ein Pferd, so entstehen bei diesem Pocken und ebenso umgekehrt. Menschliche Lymphe auf die Kuh übertragen erzeugt bei letzterer Pocken, die Lymphe von diesen wieder auf den Menschen übertragen, erzeugt bei letzterem ebenfa s Pocken, eine Erscheinung, aus welcher man auf die Identität zwischen der Menschen- und Thier- pocke schließt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich die Pferdepocke dem Menschen gegenüber ähnlich verhält wie die Kuhpocke, doch entbehren wir hierüber zur Zeit noch der Erfahrung. Während man früher nur Kuhpocken zur Impfung verwandte, impft man heute meist direkt von Arm zu Arm oder mittelst der konservirten Lymphe. Der Streit, welche Lymphe, ob die von der Kuhpocke oder die humanisirte den Vorzug verdiene, ist zur Zeit noch nicht entschieden. Von der Kuhpocke hat man behauptet, daß die Impfungen mit ihrer Lymphe häufiger fehl schlügen, daß dir Lokalerschei nungen viel heftiger wären, der humanisirten Lymphe sagt man nach, daß die Schutzkrast derselben sich abschwäche, nachdem sie durch mehrere Generationen gegangen, Be hauptungen, welche noch des Beweises bedürfen. Die ersten Jmpfversuche mit Kuhp ckenlymphe am Menschen stellte Jenner im Jahre 1796 an, während er die erste Publikation seiner Versuche zwei Jahre später folgen ließ. Im Jahre 1797 wurde das erste Jmpfinstitul in London errichtet. Wenn nun auf künstlichem Wege eine Uebertragung von Lymphe auf den Menschen stattgefunden hat, so dauert es nicht lange, bis Erscheinungen auftreten, die ganz analog sind denen, wie sie sich bei der wirklichen Pockenkrankheit finden. An den kleinen, gewöhnlich an den Armen ange brachten Hautschnitten zeigt sich bald eine Röthung und Schwellung, an deren Stelle nach einigen Tagen kleine Bläschen mit klarer Flüssigkeit gefüllt treten. Diese Bläschen erreichen am 7. bis 8. Tage ihre größte Aus dehnung, gegen den 9. Tag beginnt der klare Inhalt sich zu trüben bis er schließlich ganz eitrig wird, am 12. Tage bildet sich eine Schorf, der immer mehr abtrocknet bis nach 19 bis 21 Tagen der ganze Prozeß vollendet ist; als Reft der ganzen Operation bleibt eine anfangs röthliche später weiße Narbe zurück. Durch dieses Verfahren wurde dieselbe Krankheit hervorgerufen, wie es die Natur thut, nur mit dem Unterschiede, daß die Erkrankung eine ungemein mildere Form annimmt, was sofort einleuchtet, wenn man die äußerlich sichtbaren Erscheinungen in Betracht zieht. Jeder, der Ge legenheit gehabt hat, einen Pockenkranken zu sehen, wird sich erinnern, welch' schrecklichen Anblick derselbe gewährte, und wie geringfügig sind die Erscheinungen bei einem Menschen, bei dem die Pocken künstlich erzeugt wurden. Die Affektion erstreckt sich kaum einige Zoll breit über die äußeren Bedeckungen. Von wie segensreicher Wirkung, die Einsührung der Schutzpockenimpfung sür die gesammte Menschheit geworden ist, dafür giebt uns Niemand bester Aufschluß als die Statistik. Es ist durch dieselbe uner schütterlich festgestellt, daß seit Einführung der Schutzpocken impfung die Häufigkeit der Epidemieen, die Intensität und Extensität derselben um ein Beträchtliches herabgesetzt wor den ist. Es wurde bereits oben hervorgehoben, daß an denjenigen Orten, an welchen die Baccination regelmäßig und unter polizeilicher Aufsicht gehandhabt wird, die Sterb lichkeit unter d>n Kindern jetzt fast Null ist. Dasselbe Verhältniß gilt für Erwachsene und verweise ich in dieser Beziehung auf die Jmpsresultate, welche im preußischen Herre erzielt werden. Mau bekommt eine klare Einsicht^ wenn man bei Epidemieen die Zahl der erkrankten Soldaten mit gleichaltrigen Patienten aus dem Zivilstande vergleicht. Eine Thatsache ist allerdings nicht zu bestreiten, nämlich die, daß die natürlichen Pocken den Menschen meistentheilS ür das ganze Leben gegen eine Wiedererkcankung schützen, während die geimpften Pocken nur eine gewiße Zeit vor Ansteckung schützen: Diese Zeit wird heute auf 8—10—12 Jahre angenommen, eine Ansicht, auf welche der Gesetzgeber bet Feststellung des Rcvaccinationstermines Rücksicht ge nommen hat. Es wäre allerdings unter diesen Umständen wünschenswerth, wenn auch Erwachsene einer von Zeit zu Zeit zu wiederholenden Revaccination sich unterziehen müß ten. Daß die Art und Weise der Impfung einen wesent lichen Einfluß auf den Erfolg hat, wird heute kaum noch bezweifelt; die Untersuchungen, welche vr. Curschmann in Berlin an tausend Pockenkranken anstellte, haben ergeben, daß bei Vielen die Impfungen seiner Zeit nachlässig oder viel zu lange vor der Erkrankung vorgenommen waren. Ich sagte oben, daß die wirklichen oder natürlichen Pocken in den meisten Fällen Immunität verschafften gegen eine Wiedererkrankung, aber nicht in allen Fällen; die Thatsache kann nicht abgeleugnet werden, daß eine Wiedererkrankung möglich, und, wenn auch selten, vorgekommen ist. Ebenso ist nicht in Abrede zu stellen, daß heutzutage noch Epi- remieen vorkommen, die sich theils auf kleine Strecken be- chiäuken, theils aber auch über ganze Länder sich aus- ireiten, und daß, trotzdem die Form seit Einsührung der Schutzpockenimpfung eine unvergleichlich mildere geworden ist, doch dann und wann Epidemieen austreten, die in ihrem ganzen Verlauf einen höchst perniziösen Charakter annehmen, ch erinnere nur an die heftige Epidemie im Jahre 1870/71, n w.lcher 18 bis 25 Prozent der Fälle tödtlich verliefen. Daß hier besondere äußere, allerdings noch nicht gehörig bekannte Umstände mit im Spiele sind, liegt wohl außer allem Zweifel. Nach Darlegung aller dieser Thatsachen wollen wir nun hören, von welchen Gesichtspunkten die Jmpfgegner die ganze Sache betrachten. Zunächst sagen sie, die Baccination ;ewähre überhaupt keinen Nutzen, sie schütze ja nicht vor Erkrankung an den Pocken; wenn cs der Fall wäre, wür den die Pocken von der Eide verschwinden, dann würden ie weder als Epidemieen, noch vereinzelt vorkommen kön nen. Daß diese Ansicht eine irrige ist, und daß man da!>ei von einer falschen Voraussetzung ausgeht, dürfte nicht schwer darzulegen sein. Man muß nur im Auge behalten, daß dis