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md Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. Berantwortlicher Redakteur Iuliu- Braun in Freiberg. ^190. Erscheint joden Wochentag Abends S Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2d Ps., zweimonatlich 1 M. SO Ps. u. einmonatt. 7d Pf. 31. Jahrgang. Somlag, den 17. August. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom ¬ rate werden ms vormittags 11 Uhr angcnom- - und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile 1 oder deren Raum Id Pfennige. V» men Die Reden in Frankreich. Als ein Feuerwerk zum Schluffe der langen parlamen tarischen Session find in Frankreich die großen Reden an die Tagesordnung gekommen. Die Regierungsmänner scheinen sich damit mehr interessant haben machen zu wollen, als mit ihren bisherigen Thaten und der ausgesprochene Verdacht mag wohl nicht unbegründet sein, daß sie die Ungeduld der Republikaner, welche immer noch auf die verheißenen Reformen warten, durch Redefluthen beschwich tigen wollten. Denkmalseinweihungen, Preisvertheilungen, akademische Sitzungen und was immer war ihnen eine willkommene Gelegenheit, mit Blumen der Rede ihre Ge schäftsführung selber zu bekränzen. Auch Andere suchten in solch feierlicher Art zu glänzen. Jules Simon ließ durch seine Reden — sowohl auf Thiers bei Gelegenheit von dessen Denkmalsfeier in Nancy, als auch bei der Ver- theilung des Monthyon'schen Tugendpreises durch die Akademie — bemerklich machen, daß er wieder in den Vordergrund getreten sei. Er sprach bereits für sein künftiges Ministerium und in einer Privatplauderei, deren indiskrete Veröffentlichung er wohl vorausgssehen, legte er seinen Gegensatz zu Gambetta unverhüllt dar. Man kann also erwarten, daß im Herbst Jules Simon wieder eine politische Rolle spielen und daß sich ein Kampf zwischen ihm und Gambetta um den bestimmenden Einfluß auf die Regierung erheben werde. Insofern sind diese französischen Reden ja charakteristisch zur Kennzeichnung der inneren Lage Frankreichs. Man muß davon Akt nehmen. Auch Viktor Hugo schlug in einer Arbeiterversammlung wieder einmal die große Pauke der allgemeinen Brüderlichkeit. Ein Generalprokurator Bertauld seinerseits ließ sich bei der Preisvertheilung in Lyceum Louis le Grand über die Ferry'schen Gesetze vernehmen. Es ist ja merkwürdig, wie sich Professoren und öffentliche Redner jetzt auch mit politischen Ansprachen an die Jugend wenden, die noch in die Schule geht. Bertauld sprach zu den Studenten: „Das Land regiert sich selbst durch das allgemeine Stimmrecht; das Land richtet sich selbst — durch die Jury. Ich schlage eine dritte Formel vor: Das Land unterrichtet sich selbst — durch die Universität, die Uni versität von Frankreich." Diese Rede hat viel Glück bei Denen gemacht, welche endlich einmal mit denFerry'sch enGesetzen Bresche in die Unterrichtswirthschaft der katholischen Klerisei gelegt wissen wollen. Wie schwer dies ist, haben die De batten der letzten Wochen gezeigt. Im Senat hat man richtig die Entscheidung über ein so wichtiges Gesetz, das einzig wichtige bisher aus der Hand des jetzigen republi kanischen Ministeriums, bis auf den Winter vertagt. Aber in beiden hier sich gegenüberstehenden Parteien benützt man die Zeit bis dahin zur Agitation und so zeigt sich immer deutlicher, daß diese Unterrichtsfrage den Angelpunkt bilden wird, um den sich die inneren Verhältnisse Frankreichs demnächst drehen müssen. Nach auswärts hin spielt die Republik bekanntlich den Todten. Frankreich hat so viel mit sich zu thun, daß es sich in auswärtiger Politik durchaus passiv verhält. Es hat keine Pläne, keinen Ehrgeiz — so lautet seit lange schon die Versicherung der Redner, der Presse, der Regie rungsleute. Es denkt auch nicht mehr an Revanche für Sedan und an irgend eine neue Verwicklung mit dem deutschen Reich, dessen Uebermacht es wohl oder übel an erkennen muß. Das ist wie eine Parole, die auf der ganzen Linie ausgegeben. Mit der ängstlichsten Vorsicht hatte man deshalb auch gesorgt und gewarnt, die Denk malsenthüllung in Nancy gar nicht zu einer Veranlassung zu nehmen, mit einem verletzenden Worte gegen das wachsame Deutschland auszurutschen. Die Gefahr dafür lag nahe. Thiers wurde als dem „Befreier" Frankreichs in Nancy das Denkmal gesetzt und Nancy liegt an der Grenze derjenigen Provinzen, die französisch waren und jetzt deutsch sind, aber nach dem Glauben aller guten Franzosen einmal wieder französisch sein werden. Zum Unglück muß nun der heißblütige Generalsekretär des Ardennen-Departements, Lambert, bei einer anderen Gelegenheit doch mit seiner Zunge durchgehen.' Et hält auf dem Schützenfeste zu Charleville eine Rede, in welcher er mit patriotischem Schwung die nahe Möglichkeit einer Revanche an Deutschland andeutct. Es war eine sehr un geschickte Rede unter allen Denen, die jüngst von fran zösischen Lippen geflossen sind. Die Regierung war höchst betroffen darüber; sie beeilte sich, ihre Mißbilligung dem Beamten in der stärksten Form zu erkennen zu geben und stellte ihn kalt. Fraglich wäre es wohl, ob man deutscherseits diesen Vorfall für wichtig genug zu einer amtlichen Reklamation erachtet hätte. Am Ende sprach der arme Herr Lambert nichts Neues und nichts so Gefährliches. Wenn Frankreich noch einmal seine Armeen marschiren lassen wird, warum soll da nicht jeder Patriot, der will, in ihre Reihen treten? Dergleichen sagt man auch in Frankreich gern, ohne daß es übrigens so genau mit der Ausführung genommen würde- Was Herr Lambert in seiner patriotischen Rede in Aussicht stellte, hätte sicherlich Niemand in Deutschland beunruhigt und die Sachs brauchte gar nicht des Aufhebens werth gewesen zu sein. Sie wird es erst durch die eilige Maßregel der französischen Regierung, denn diese erscheint wie eine unnatürliche Rücksicht gegen Deutschland. Wir wissen ja Alle, daß weder die französische Regierung noch das französische Volk eine freundschaftliche Zärtlichkeit für uns empfinden, auch nicht empfinden können und nicht brauchen. Wenn nun Höflichkeit, Vorsicht, Klugheit gebie ten mögen, daß man französischerseits auch den geringsten Anlaß vermeidet, die Nerven der deutschen Negierung zu reizen, so täuschen wir uns doch nicht darüber, daß der Franzose die Zähne dabei knirscht und die Maske gegen uns abwerfen würde, sobald er meint, es sei Zeit dazu. Die Schlange des Hasses, welche auf Revanche sinnt, lauert dort im Grase, dessen sind wir in Deutschland gewiß. Herr Lambert hat nur aus der Schule geschwatzt und das ist verdrießlich für die französische Regierung, welche in stiller Rastlosigkeit, ohne bestimmte Absicht, doch mit bestimmtem Instinkt, Frankreich bis an die Zähne für den Fall einer neuen Kriegsfrage mit Deutschland rüstet. Das Militär- Wesen wird mit einer Sorgfalt gepflegt, die nur aus solcher Berechnung für die Zukunft sich erklärt. Und mag man dies der französischen Regierung auch gar nicht verargen, so liefern doch Reden wie die Lambert'sche einen Einblick in den Geist, der die Nation beseelt und die Rüstungen betreiben läßt. Herr Lambert ist abgesetzt, aber es wird in dem, was ist, damit nichts verändert. Die neuen Äustygesetze. XXI. Allgemeine Uebe r sicht über die Straf- Pro z c ß - O r d n u n g. Die Vereinfachung des Systemes und die Möglichkeit einer scharfen, durchsichtigen Gestaltung des Grundrisses war ja schon dadurch gegeben, daß das gcsammte, auf die Gerichtsverfassung bezügliche Material in der deut schen Strafprozessordnung unberücksichtigt zu bleiben hatte, während in allen bisherigen Landcsstrafprozeßord- nungen die Bestimmungen der Gerichts o rg a ni sa ti on einen sehr wesentlichen integrircnden Theil darstelltcn und darstellen mußten; das Studium und die praktische Hand habung einer Kodifikation, welche Prozeßverfahren und Gerichtsverfassung untereinander zum Gegenstände hat, wird schon aus diesem Grunde wert schwieriger und ver liert an Ucbcrsichtlichkcit. Dazu kommt ferner, daß die deutsche Strafprozcßordnung bei dem gegenwärtigen Stunde der Wissenschaft und Theorie des Strafprozesses in der Lage war, Manches zu übergehen, was bei den früheren Versuchen der Kodifikation des Strafprozesses noch. zu schwankend erschien, um von der ausdrücklichen gesetzlichen Feststellung ausgeschlossen zu werden; daß ferner dem richterlichen Ermessen in dem neuen Gesetz hier und da ein weiterer Spielraum cingeräumt werden konnte, und daß endlich das Vcrhältniß des „besonderen" Theiles der Strafprozeßordnung zu den „allgemeinen" Bestim mungen derselben zusolge der grundsätzlich ganz vcrschie- nen Auffassung des Stadiums der Voruntersuchung im Strafprozeß ein total anderes geworden ist. Eine ganze Reihe von Abschnitten, die in der sächsischen Strafprozcß ordnung ihre Stellung im besonderen Theile gefunden haben, sind hierdurch sehr zum Vorthcile der klaren Ucbersichtlichkeit des Ganzen in die allgemeinen Bestim mungen der deutschen Strafprozcßordnung übcrgegangen. Die Rechtsmittel, welche unter die allgemeinen sächsischen Bestimmungen ausgenommen find, denen aber trotzdem wieder im besonderen Theile Abschnitte gewidmet sind, haben in der deutschen Strasprozcßordnung ihre naturgemäße und einheitliche Stellung hinter den Vor schriften über das Verfahren in erster Instanz angewiesen erhalten. Eine Folge der prinzipiell verschiedenen Auffassung ist cs demnächst auch, daß die ein sehr bedeutendes Stück des besonderen Theiles in der sächsischen Prozeßordnung bilden den Bestimmungen über das Verfahren vor den Bezirks gerichten, im Gegensatz zu dem Eiuzclrichtcrverfahren, durch das einzige Buch über das Verfahren in erster Instanz in der deutschen Strafprozessordnung ersetzt wer den, daß die im allgemeinen Theile der sächsischen Prozeß ordnung, und auch sonst noch, zerstreuten Bestimmungen über die Bctheiligung und Thätigkeit des Verletzten im Strafverfahren, eine einheitliche Zusammenfassung in der deutschen Prozeßordnung gefunden haben. Es ließe sich die Zahl der Gründe, welche alle zusammen mitgcwirkt haben, um den Aufbau der deutschen Strafprozcßordnung in der oben gerühmten vorzüglich klaren und leicht über sichtlichen Weise zu ermöglichen, noch vermehren, aber ich muß schon aus räumlichen Rücksichten hierauf Verzicht leisten, um auf der anderen Seite auch der enormen Schwierigkeiten und Hindernisse zu gedenken, welche es von Hause aus unmöglich machten, daß die deutsche Straf prozcßordnung eine allen Erwartungen und Wünschen ent sprechende Vollkommenheit erreichen konnte. Wird schon die größte Umsicht und umfassende Ge setzeskunde verlangt, wenn es sich darum handelt, ein bestehendes Spezialgcsetz eines einzelnen Territoriums innerhalb des Rahmens der Tcrritorialgesetzgebung abzu ändern; in welchem ungleich höheren Maße steigern sich die Anforderungen an den beherrschenden Ucberblick Der jenigen, denen die Aufgabe fällt, ein großes organisches Werk für einen großen Staatcnkomplex zu schaffen, auf einem Gebiete, wo bisher langjährige Uebung und geschicht liche Entwickelung allenthalben Zustände der verschiedensten Art befestigt hatten, Zustände, welche in ihrer territorialen und geschichtlichen Besonderheit doch ihre Beachtung auch einem Neuen Gemeinsamen gegenüber gebieterisch fordern. Erst nach der sorgfältigsten und erschöpfendsten Kenntniß aller zur Zeit in Deutschland bestehenden Strafprozcß- gesetzgcbungcn und nach Vergleichung derselben mit den wichtigsten Stücken der Strafprozeßgcsetzgebung der außer deutschen Kulturstaatcn, konnte man sich über die Frage schlüssig machen, ob der Entwurf einer deutschen Straf prozeßordnung an irgend eine der bereits bestehenden Strasprozcßordnungen angeknüpft und unter Zugrundelegung derselben aufgebaut werden könne? Das war beim Straf gesetzbuch geschehen und hatte die Schöpfung desselben ja bekanntlich so wesentlich erleichtert; Wissenschaft und Ge setzgebung des materiellen Strafrechts befanden sich aber auch seit Langem bereits in einer Lage, welche einen sol chen Anschluss gestattete; man war über die Stadien eines unsicheren Expcrimcntirens weit hinaus und von einer merklichen Verletzung territorialer Sonderrechte oder Ge wohnheiten konnte bei der Aufstellung eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs nicht die Rede sein. Anders bei der Strafprozessordnung, wo die einzelnen Landesgesetze einer seits sehr verschiedene Stufen der fortgeschrittenen Ent wickelung darstelltcn, wo dieser größere oder geringere