Volltext Seite (XML)
insbesondere die Verpflichtung zur Taufe und kirchlichen Trauung zu alteriren Der Staat habe unverkennbar ein eigenes hohes Interesse daran, dieses Band ungeschwächt zu erhalten und die den kirchlichen Verpflichtungen ent sprechenden Sitten und Gewöhnungen zu konserviren. Dies die Bestimmungen des Reichsgesetzes, das in wenigen Tagen auch bei uns in Kraft treten wird. Möchte Angesichts der neuen Aera, in die wir Staat und Kirche, die Geistlichen und Gemeinden eintreten sehen Jeder in feinem Theile des alten Wortes eingedenk bleiben: 8uum vuigu«, d. h. Jedem das Seine! oder wie Christus gesagt hat: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Tagesschau. Freiberg, den 22. Dezember. Mit Rücksicht auf den von verschiedenen Seiten aus gesprochenen Wunsch, die Session des Reichstages auf ein möglichst geringes Maß zu beschränken, hat die Reichsre gierung beschloßen, mehrere Gesetzentwürfe, deren Aus arbeitung theils ziemlich vollendet, theils in Vorbereitung begriffen war, nicht mehr zur Vorlage zu bringen. An erster Stelle sind als solche zu erwähnen: das Gefäng- nißgesetz und das Gesetz über das katholischeProzessions- wesen. Was das letztere betrifft, so bezog sich dasselbe keineswegs ausschließlich auf die Prozession, sondern in erster Linie auf die sogenannten nichtpolitischen katholischen Vereine. — Auch vom Bundesrathe ist der Gesetzentwurf wegen Abänderung des ß 4 des Postgesetzes in der vom Reichstage beschloßenen Form angenommen worden. Die Bevollmächtigten Baiern's und Württemberg's enthielten sich dabei der Abstimmung. — Der vom Generalpostmeister Stephan in der letzten Sonnabendsitzung des Reichstags skizzirte neue Telegraphentarif tritt schon am nächsten 1. Januar in Kraft. Die bisherigen drei Zonen, deren erste das einfache Telegramm mit 50 Pfennigen belastete, deren zweite für 20 Worte 1 Mark forderte und deren dritte das einfache Telegramm mit 1 Mark 50 Pfennige belegte, kommt damit in Wegfall. Fortan kostet jede in Deutschland für einen deutschen Ort aufgegebene Depesche von vornherein 20 Pfennige Gebühren und außerdem jedes Wort mit Einschluß der Adreße 5 Pf. Wichtig ist, daß das ganze deutsche Reich nur eine einzige Zone bildet, der Satz von 20 Pfennigen soll die Basis zur Einführung des Welttelegraphensatzes bilden und der letztere bleibt Stephan's idealer Zielpunkt. Der telegraphische Verkehr zwischen Deutschland und dem Auslände erleidet vom 1. Januar l876 ab vorläufig noch keine Nenderung in den Kosten. Wir können, wie schon früher erwähnt, nur be dauern, daß durch den neuen Tarif der Privatverkehr zu sehr zu Gunsten des Großhandels beeinträchtigt wird. Die Frage wegen Ankaufs der italienischen Bahnen dürfte, da man einen neuen Plan der Ausnutzung vorher festsetzen will, nicht vor dem Monat März oder April zum Austrage gebracht werden. Zwischen der Regierung und der Bahngesellschaft herrschen bezüglich des Preises und der sonstigen Kaufsbedingungen noch ziemlich starke Differenzen. Man hofft dieselben aber dadurch ausgleichen zu können, daß der Gesellschaft Linien in Mittel- und Süditalien in Verwaltung gegeben werden. Diese Linien würden dadurch auch sehr gewinnen, da ihre Verwaltung sehr verwahrlost ist. In Florenz und Neapel sind in kurzer Zeit nach einander zwei Bahnkassirer entflohen und haben ein Desizit vo» 400,000 Lire hinterlaßen. Es bedarf einer ganz neuen Organisation und einer festen Hand, um die römi schen Bahnen vor einem Bankerott zu bewahren. — „Fanfulla" meldet, daß der Kaiser von Brasilien auf seiner bevorstehenden Reise nach Europa im Monat März nach Rom kommen werde. Die Demission des Finanzministers Löon Sah in Frankreich ist eine beschloßene Sache; er nimmt zwar noch an den Konseilsitzungen Theil, aber nur noch wenige Tage. Der Finanzminister ist, wie von konservativen Stimmen behauptet wird, überzeugt, daß wenn er seinen Sitz in dem erschütterten Kabinet behält, er in dem De partement Seine-et-Oise nicht wiedergewählt werden wird. Diese Ueberzeugung theilen mit ihm noch viele andere Personen u. A. Thiers, mit welchem er ununterbrochen in enger Beziehung gestanden hat. LLon Say legt aber einen viel größeren Werth darauf Deputirter zu sein, als im Besitze eines sehr unsichern Portefeuilles zu bleiben. Das sind die Motive seines Rücktritts, welcher noch vor den Wahlen erfolgen wird. Auch das Gerücht von dem Rück tritt Dufaure's gewinnt an Konsistenz. Sollte sich dasselbe, wie nicht zu bezweifeln ist, demnächst auch vollziehen, so hat das Kabinet Buffet alle Fühlung mit der Majorität verloren. Buffet soll sich zu einem Beweise der liberalen Gesinnungen entschloßen haben, von welchen er sich der be vorstehenden Wahlbewegung gegenüber viel verspricht. Er will nämlich verfügen, daß sämmtliche Gendarmeriebrigaden vor den Wahlen in andere, von ihrem bisherigen Stind- orte möglichst entlegene Departements versetzt werden, damit die Brigadiers und ihre Leute nicht von Kandidaten, die im Laufe der Zeit einen persönlichen Einfluß auf sie gewonnen haben, für ihre Wahlzwecke ausgebeutet würden. -- Sämmtliche Armeekorpskommandeure sind auf den 7. Januar zu einem Generalrathe in das Kriegsministerium beordnet worden. — Die französische Preße bekämpft immer noch den Beitritt Frankreich's zur egyptischen Justiz- Reform und nennt denselben einen der für ihren Patrio tismus schmerzlichsten Akte der französischen Diplomatie. In Griechenland giebt es eine kleine rührige Partei, Napisten genannt, welche mit Rücksicht auf die obwaltenden Verhältnisse auf der Balkan - Halbinsel den Augenblick für günstig erachtet, um durch eine Wiederannäherung an Ruß land bei der, wie sie meinen, bevorstehenden Theilung der Beute für Griechenland auch etwas herauszuschlagen. Dem Ministerpräsidenten Komunduros, von jeher Anhänger der russischen Allianz, ist diese Partei ein willkommenes Werk zeug, um seine alte Lieblingsidee wieder aufzunehmen und seine Stellung zu befestigen. In Amerika trifft mau Vorbereitung, einen regel mäßigen Depeschendienst durch Brieftauben mit Europa herzustellen. Mit der Eröffnung der Weltausstellung in Philadelphia wird der Dienst beginnen. Die Rave der Brieftauben, welche den beschwerlichen Dienst zu erfüllen hat, ist schon gewählt; es sind Tauben dazu bestimmt worden, welche in den Felsen Jsland's an dem Gestade des Oceans Hausen und eine außerordentliche Flugkraft besitzen. Dieser Vogel, welcher mit der fabelhaften Schnelle von 150 (englischen) Meilen in der Stunde fliegt, begnügt sich mit der unscheinbarsten Nahrung und kann sehr lange ansdauern, ohne Futter oder Wasser zu nehmen. Nach den angestellten Versuchen fliegt diese Taube sowohl zu Wasser als zu Lande immer in gerader Linie nach dem bekannten, wenn auch noch so entfernten Ziele zu. Deutsches Reich. Der Ausschuß für Handel und Verkehr im Bundesrathe hat in Folge diesbezüglicher Untersuchungen die Revision der Prüfungsvorschriften für Thierärzte als wünschens- werth erklärt. Bezüglich der Neuregelung dieser Materie ist der Ausschuß zu folgenden Vorschlägen gekommen: daß die Aufnahme in eine Thierarzneischule abhängig gemacht werde von dem Nachweise der Reife für die Obersekunda eines humanistischen Gymnasiums oder einer Realschule, bei welcher das Latein obligatorischer Unterrichtsgegenstand ist. Die Studienzeit soll auf 7 Semester verlängert, dem Stu dium der Naturwissenschaften (Zoologie, Botanik, Physik, Chemie) künftig mehr Aufmerksamkeit auf den Anstalten zugewendet und eine Vorprüfung aus den Naturwissen schaften eingesührt werden. Endlich soll der Reichskanzler ersucht werden, einen Entwurf über die Prüfungsvorschriften für Thierärzte nach Vernehmung einer sachverständigen Kommission ausarbeiten zu laßen. Oesterreich-Ungarn. Im Finanzministerium zu Wien fand dieser Tage die erste Vorbesprechung über die Angelegenheit der Trennung des Südbahnnetzes statt. Au derselben nahmen Theil der Handelsminister v. Chlumetzky, der Finanzminister Depretis, der Pariser Präsident der Südbahn, Alphons v. Rothschild und der österreichische Präsident der Südbahn, Hopfen. Der Delegirte der italienischen Regierung, der frühere Minister Sella, ist noch nicht einzetroffen. — Dem „Tage blatt" zufolge verlangt die Südbahn für die Ueberlaßung )es italienischen Netzes 41 Millionen Frcs., während die italienische Regierung nur 39 Millionen Annuitäten ge währen will. Wie der „Neuen freien Preße" aus Parts zemeldet wird, betragen die gesammten Betriebsausgaben )er Staatsbahn vom Anfang dieses Jahres bis Ende Ok tober d. I. 11,393,145 Fl., gegen 12,178,351 Fl. im ent- prechenden Zeiträume des Vorjahres, mithin trotz der Ver größerung des Bahnnetzes 785,206 Fl. weniger als im Vorjahre. — Das Herrenhaus hat die Vorlage wegen Errichtung einer internationalen Meterkommission geneh migt und das Budget pro 1876 unverändert und ohne Debatte in der vom Abgeordnetenhause beschloßenen Faßung angenommen. Frankreich. Die Nationalversammlung konnte am Montage bei der Wahl der zwei letzten Senatoren, die sie zu ernennen hat, zu keinem Resultate kommen. Zur absoluten Majorität waren 3I8 Stimmen erforderlich; der Marineminister, Admiral v. Montaignac, erhielt nur 305 und der Marquis v. Maleville, vom linken Zentrum, nur 302 Stimmen. — Im weiteren Verlaufe der Sitzung brachte der Depu- tirte Naquet (äußerste Linke) einen Antrag auf Amnestie für alle politischen Vergehen halber Verurtheilten ein und verlangte für diesen Antrag die Dringlichkeit. Mehrere Mitglieder der Linken sprachen gegen den Antrag, den sie als ein Wahlmanöver bezeichneten. Nach längerer Debatte wurde schließlich die Dringlichkeit für den Antrag Naquet fast einstimmig abgelehnt. Hierauf wurde die Berathung über die Eintheilung der Wahlbezirke fortgesetzt. Die Na tionalversammlung ging hierbei in alphabetischer Reihen folge vor und setzte die Wahlbezirke der einzelnen Departe ments bis zu denen des Loire-Departements fest. — Nach aus Bordeaux eingegangenen Nachrichten ist der Bahnhof der Mödoc-Eisenbahn durch eine Feuersbrunst vollständig zerstört worden. — Das transatlantische Packetboot „Loui siana" stieß am 20. d. M. bei Richard auf der Gironde mit dem Packetboot „Gironde" zusammen. Die „Gironde" erlitt erhebliche Beschädigungen, die „Louisiana wurde in den Grund gebohrt. Spanien. Der Gouverneur von Kuba, Balmaseda, hat um seine Entlassung gebeten; es heißt, daß derselbe durch General Jovellar ersetzt werden und das General Quesada das Portefeuille des Kriegsministers übernehmen würde. — Nach einer Meldung der „Preße" aus Kadix wäre Marfori vor die Gerichte gestellt worden. Türkei. Ahmet Mukhtar Pascha ist zum Oberbefehlshaber der in der Herzegowina stehenden türkischen Truppen ernannt worden ünd bereits mit einem Transport von Lebensmitteln und Munition nach Klek abgegangen. — Am 20. d. M. wurde der permanente oberste Rath, welcher die Ausführung der vom Sultan verheißenen Reformen überwachen soll, unter dem Vorsitze des Großveziers konstituirt. Derselbe führt offiziell den Titel „Ausführungsrath" und besteht aus sämmtlichen Ministern und verschiedenen Mitgliedern der christlichen und muselmännischen Bevölkerung, darunter auch der ehemalige türkische Botschafter in Paris, Ali Pascha. Auch dies ist keine Garantie für die Ausführung der Reformen, denn die Türkei hat schon öfterer derartige Körperschaften zusammentreten sehen, ohne daß die Beschlüsse derselben je zur That und Wahrheit geworden wären. Griechenland. Die Regierung hat die einseitige Besetzung des erz bischöflichen Stuhles der Hauptstadt Athen durch den Papst als einen Eingriff in die Rechte des Kultusministeriums verworfen Amerika. Die New-Dorker Journale bringen die Nachricht von einem großen Erdbeben, das die Insel Portorico heim gesucht hat. Die Stadt Arecivo ist fast vollständig zerstört, nur 2 Kirchen und 6 Wohnhäuser blieben unbeschädigt. Feuilleton. Weihnachtsbilder. (Fortsetzung.) Als sie sich emporrichtete, stand Haßler neben ihr, der überrascht den Hut zog. Er erblickte Züge, die er früher schon gesehen, die aber, wie es oft zu geschehen pflegt, dem Gedächtnisse entschwunden waren. Man konnte nicht sagen, daß die Dame, die sechs- bis siebennndzwanzig Jahre zählen mochte, eine besondere Schönheit war, aber ihr blaßes Gesicht, ihr großes intelligentes Auge und ihr reicher Haar schmuck flößten auf den ersten Blick ein warmes Interesse ein. — Herr Haßler! stammelte sie bestürzt, einen Schritt zurücktretend. — Sie kennen mich? fragte er, nur um zu fragen. — Der Gemahl meiner besten, ich möchte sagen, einzigen Freundin kann mir wohl nicht unbekannt sein. — Sie ehren das Andenken meiner Gattin . . . — Durch einen Kranz wie im vorigen Jahre. — Ihr Name? — Marie Lindau. Haßler zitterte am ganzen Körper Weinend legte er seinen Kranz auf das Grab nieder. Auch die Freundin der Verstorbenen weinte. — Philippine war ein Engel! flüsterte sie. Es war mir nicht vergönnt, in ihrer Nähe zu leben; Verhältnisse eigener Art zwangen mich dazu ... Als wir uns trennten, gelobten wir, den heiligen Weihnachtsabend, den wir so oft als Kinder vereint gefeiert, auch getrennt festlich zu be gehen . . . wir sandten uns Geschenkt . . . Was sollte ich )er Todten bringen, die der irdischen Güter nicht mehr bedarf? Ich besuche ihr Grab, denn ich stehe allein in der Welt. — Sie hätten die Freundin oft besuchen sollen. — Es ist geschehen, mein Herr ... Sie waren, wenn ich kam, auf Reisen. — Philippine hat nie Ihrer Besuche erwähnt. Marie senkte die Augen. — Sie mag es wohl vergeßen haben. Ich zürne ihr deshalb nicht. — Vergönnen Sie mir eine Unterredung, mein Fräulein? bat der Wittwer. Sie können mir wohl über Manches Aufschluß geben, was mein Herz tief bekümmert; Sie, die beste Freundin der Heimgegangenen. O, zögern Sie nicht, Sie werden sehen, daß es Ihre Pflicht ist, mich zu hören. — Meine Pflicht? fragte erstaunt die Dame. — Rechtfertigen Sie Ihre Freundin, wenn Sie es vermögen. — Das klingt seltsam, mein Herr! Philippine ist rein wie der frisch gefallene Schnee, und Den nenne ich einen boshaften Verleumder, der die Ehre der Verstorbenen an zutasten wagt! Ja, ich werde Sie hören! Beide verließen das Grab und den Friedhof. „Wohin führen Sie mich?" fragte Marie, als sie aus den schwarzen Gitterthore trat. „In meine Wohnung," war die Antwort; nehmen Sie keinen Anstand, mich zu begleiten, ich öffne Ihnen das Zimmer Philippinens, das noch immer dem An ¬ denken der Verstorbenen geweiht ist, obgleich bittere Zweifel mein Gemüth bedrücken. Ein Fiaker brachte Beide nach der Wohnung des Witt wers. Christine, die Magd, sah die Fremde überrascht an, als sie die Astrallampe auf den Tisch setzte. — Das ist die Madame, flüsterte sie ihrem Herrn zu, die unsere Madame besucht hat. — Ich weiß es. Sorge dafür, daß ich ungestört bleibt. Marie zeigte sich befangen, fast ängstlich; sie weigerte sich, Mantel und Hut abzulegen, obgleich der dienstfertige Haßler sie dringend darum bat. — Ihre Aeußerung, sagte sie ernst, ich solle Philippinen rechtfertigen, hat mich mit Bestürzung erfüllt. Ich gesteht, daß ich Ihnen nur gefolgt bin, um die Anklage zu hören, die Sie gegen Philippinen aussprechen werden. Und Haßler sprach sich gründlich ans. Er schilderte den Weihnachtsabend des verflossenen Jahres und holte das Geschmeide und den Brief aus dem geheimen Fache des Schreibtisches. — Wer den Kranz gespendet, sagte Marie erröthend, wißen Sie nun. - Ja. — Auch das Geschmeide kommt von nur. — Von Ihnen? — Nehmen Sie mein Ehrenwort zum Pfände. — Gut, so muß ich Ihnen glauben. Wer aber hat diese unzweideutige Liebeserklärung geschrieben? — Er las den Brief mit zitternder Stimme vor. Mariens Aengstlichkeit hatte den höchsten Grad erreicht