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Amtsblatt für die königlichen und Wüschen Behörden zu Freiberg und Brand. Berautwortllcher Redakteur Iuliu- Brau« iu Freiberg. - 31. Jahrgang. Erscheint jeden Wochentag Abends S Uhr für den I Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angensm- . Z08. I Simtag, den 7. September. 1879. Politische Muthmaßungen. Zwei Ereignisse nehmen zur Zeit die allgemeine Auf merksamkeit in Anspruch: die Unterredung Bismarcks mit Andrassy in Gastein und die Sendung Manteuffels nach Warschau. Die Begegnung des deutschen und österreichischen Staatsmannes ist offenbar die interessanteste, weil sie am meisten der Phantasie Spielraum gewährt. Sicherlich er folgte die Gasteiner Zusammenkunft nicht blos zum Zwecke eines Austausches von persönlichen Freundscha flsbezeugungen die Fürst Bismarck dem bisherigen österreichisch-ungarischen Kanzler zu erweisen sich gedrungen fühlte. Deswegen pflegen altbekannte Staatsmänner, deren Schritten so viele Augen folgen, nicht einen so öffentlichen Aufwand zu machen. Aber Graf Andrassy ist nicht allein eigens zum Fürsten Bismarck nach Gastein gereist,» sondern das Zu sammensein Beider war auch ein so ungewöhnlich lang dauerndes, daß es fast als eine Demonstration erscheinen muß. Männer in solchen Stellungen verkehren nicht im engsten Zwiegespräch mit einander, ohne sich sehr viel Wichtiges zu sagen. Eine bloße Plauderei über Politik, um sich einen Tag zu verkürzen oder um sich das Herz gegenseitig auszuschütten, kann man hierbei nicht annehmen. Es müssen praktische Zielpunkte der Politik erwogen worden, es müssen Fragen von großer Bedeutung für Deutschland und für Oesterreich-Ungarn bis auf den Grund zur Er örterung gekommen sein. Das kann man aus einer solchen intimen Begegnung schließen. Aber welche Zielpunkte können da ins Auge gefaßt, welche Fragen so umständlich verhandelt worden sein? Das ist das Geheimniß der beiden Staatsmänner und dem Scharfsinn der Beobachter ist es überlasten, wie dieses Ge heimniß unter Prüfung der Zeitlage und der Interessen, welche die beiden Kanzler zu vertreten haben, zu erklären sei. Eine bloße Phantasiepolitik haben dieselben doch nicht getrieben, und wenn auch die Phantasie des Publikums sich über eine so auffällige Begegnung hochgestellter Diplo maten erregen kann, so darf eine schärfere und nüchterne Einsicht doch auch über den Zweck des Vorgangs Muth maßungen und Voraussetzungen fasten, welche nicht in der Luft zu'hängen brauchen. Wenig fällt es dabei ins Gewicht, daß diese Unter redung von Gastein gerade in demselben Moment stattfand, da Graf Andrassy seine amtliche Stellung aufgiebt und sich, wie behauptet wird, von der Politik überhaupt gänzlich zurückzuziehen gedenkt. Im Gegentheil macht dieser Um stand den Vorgang noch auffälliger; denn mit einem abge- thanen und nicht mehr arbeitenden Staatsmann« eine so intime Besprechung zu Pflegen, würde ja ohne praktische Bedeutung sein und solch müßiges Gespräch derartig, wie geschehen, in Szene gesetzt zu haben, kann man doch von einem Manne wie Bismarck unmöglich an nehmen. Es ist also erlaubt zu folgern, daß Graf Andrassy seine Rolle noch nicht ausgespielt hat; daß er vielleicht aus Gründen, welche mit dem Zwecke jener Unterredung zusammenhängen, zeitweilig seinen Posten verläßt, um dahin zurückzukehren wenn es nöthig ist; und daß er unter allen Umständen als ein Vertrauter des Kaisers von Oesterreich die Mark steine einer Politik gesetzt hat, welche man in Wien dem nächst im Einvernehmen mit Deutschland zu befolgen gedenkt. Zu bezweifeln ist kaum, daß nicht Graf Andrassy die Initiative zu einer solchen Politik ergriffen habe, son dern daß Fürst Bismarck wieder der Plänemacher sei, wie er es für die österreichische Politik und für Andrassy speziell in den letzten Jahren schon gewesen. Welche andere Richtung kann aber diese Politik ein- schlagen wollen, als nach der Seite der Türket hinüber? Seit dem Berliner Friedenskongreß ist Oesterreich, wie es sich auch gesträubt, nach Osten hingedrängt worden. Die Herzegowina und Bosnien sind ihm überlassen; seine Fahnen wehen dort und gerade jetzt werden sie auch in die Gs- klüfte des Sandschaks von Novi-Bazar getragen. Oester reich rückt also auf der Linie vor, die ihm der Berliner Kongreß gezeichnet und die Fürst Bismarck seit Jahren im Sinne gehabt hat. Auch den Endpunkt dieser Linie kennt man schon: er ist Salontchi am ägäischen Meere. Es handelt sich bei diesem österreichischen Vormarsch also um eine Art Konfiskation der europäischen Türkei und dem Fürsten Bismarck ist wohl zuzutrauen, daß er der leidigen orientalischen Frage noch selbst ein seliges Ende bereiten möchte. Daraus erklärt sich die Erregung sowohl in Italien, welches natürlich für eine Ausdehnung der österreichischen Macht nach dem Mittelmeere zu den lang erstrebten Gewinn im Trtenttno zu erhalten hofft, als auch die wachsende Unzufriedenheit in Rußland gegen eine Politik Bismarck, die durch solch' Begünstigen Oesterreichs den russischen In teressen stark gegen den Strich kommt. Und hiermit tritt man auf diesem, aus den realen Verhältnissen sich erge benden Gedankengang dem Punkte näher, wo die Gasteiner Unterredung mit der Warschauer Mission Manteuffel's gemeinsame Berührung haben dürfte. Beide stehen offen bar in einem Zusammenhangs. , Die förmliche Allianz zwischen Deutschland und Oesterreich muß für Rußland ein Gegenstand des UnmutHS und der Sorge sein. Es sieht sich in dem Berliner Frieden zu kurz gekommen und schiebt Bismarck die Schuld zu, daß sein schöner Friedensvertrag von San Stefano nur ein beschriebenes Stück Papier blieb. Das russische Rasseln mit dem Säbel mag nicht so ernst haft gemeint sein; aber es ist unstreitig nothwendig, sich mit Rußland in erster Linie zu verständigen, wenn die deutsch-österreichischen Pläne in der europäischen Türkei zu einer Dauer gewährenden Ausführung gelangen sollen. Manteuffel wird somit an einer Ergänzung des Berliner Friedens zu arbeiten haben, die Rußland mehr befriedigt; und es ist sehr wahrscheinlich, daß ihm diese Aufgabe ge lingt. Schließlich ist es ja nur die Türkei, welche dazu herhalten muß, eine Verständigung zwischen Rußland, Deutschland und Oesterreich über die Lösung der orienta lischen als ewiger Zank- und Kriegsfrage herbeizuführen. Die Türket sorgt selbst dafür, daß sie auch ihre letzten Freunde nicht mehr für lebensfähig halten und das ihr geschichtlich bestimmte Schicksal des Untergangs sich an ihr vollziehe. Wie es aber scheint, wird es der deutsche Reichs kanzler sein, welcher als „ehrlicher Makler" dies Geschäft im Namen der Geschichte zum Austrag bringt. WaS endlich die Begegnung der beiden Kaiser in Alexandrowo anlangt, so wird dieselbe allgemein als ein beruhigendes Symptom betrachtet. Es verbindet sich aber hiermit selbstverständlich die Meinung, daß die Verstim mungen, um nicht zu sagen Zerwürfnisse, zwischen den Regierungen und leitenden Staatsmännern in St. Peters burg und Berlin viel ernsterer Natur waren, wie kühle Beobachter angenommen hatten. Jedenfalls werden nach der Entreime in Alexandrowo diese Verstimmungen nicht mehr direkten Einfluß auf das offizielle Verhältniß der beiden Ostseemächte ausüben können. Ob sie sich im Stillen ausgrollen werden, ist eine andere Frage. Es kann hierbei nicht genug hervorgehoben werden, wie sehr sich bei diesem Anlaß wiederum die ungemeine Pflichttreue unseres greisen Kaisers im glänzendsten Lichte zeigt. Wenn man erwägt, daß Kaiser Wilhelm sich den bei seinem hohen Alter gewiß nicht gering zu veranschlagenden Mühseligkeiten unbedenklich unterzog, Welchs eine solche offizielle Begegnung stets im Gefolge hat, blos um der Nation den augenfälligen Beweis zu liefern, daß die letzten unruhigen Preß-Wellenschläge ür jetzt nicht Sturm bedeuten, so wird man das Opfer wohl anerkennen müssen, welches der Monarch seinem Ruhe- bedürfniß abrang, als er sich auf russisches Gebiet begab, um seinen kaiserlichen Neffen zu begrüßen. Vie neuen Iusthgesetze. IXU. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand — Zeugeneid — Zeugnißzwang. Die Schlagworte: Unverletzlichkeit der Wohnung, Un antastbarkeit des Eigenthums, Wahrung des Briefgeheim nisses wurden ausgespielt, als wenn der deutsche Richter- tand von jeher die Gewohnheit gehabt hätte, die so- ;enanntcn Grundrechte des Volkes durch leichtsinnige Be nutzung seiner hohen und ernsten Amtsbefugniffe zu beeinträchtigen- Es war freilich auch weniger auf den Richter, als auf die Staatsanwaltschaft und die Polizei abgesehen, als die tiefgreifende Umänderung des Entwurfs um jeden Preis betrieben wurde. Aber warum dieselbe Handlung, welche dem Richter gestattet werden muß, in den Händen der nach den Auffassungen der Standeswürde ebenbürtigen Staatsanwaltschaft, sofort den Ge ruch der Unhciligkeit annehmen soll, darüber ist man hier, wie in manchen anderen Kapiteln der Strafprozeßordnung die objektive und sachlich begründete Antwort schuldig ge blieben. Es ist die alte triviale Geschichte, daß man die Jäger und die Flinten abschaffen möchte, weil einmal ein ungeschickter Schütze einen Treiber angeschosscn hat. Das Resultat ist denn auch schließlich erreicht worden, daß die Staatsanwaltschaft und die ihr untergebenen Hilfs beamten der Polizei in ihrer Bedeutung für das gesammte Verfahren so weit zurückacsctzt erscheinen, um Beschlag nahmen nur noch bei Gefahr im Verzug anordnen zu dürfen,aber selbst dann lediglich mit provisorischer Geltung, d. h. jeder Staatsanwalt und jede Polizeibehörde ist verpflichtet, innerhalb 3 Tagen die richterlich eBe- stätigung der ungeordneten Beschlagnahme einzuholen, wenn nicht zweifellos feststeht, daß der Betroffene der Be schlagnahme zugestimmt hat. Diese Beschränkung war eigentlich überflüssig, weil im Falle der Zustimmung des Betroffenen eine Beschlagnahme gar nicht vorliegt,son dern lediglich eine einfache, richterlich völlig indifferente Weg nähme. Nicht genug damit, so ist außerdem noch dem Betroffenen selbst die Nachsuchung richterlicher Ent scheidung zu jeder Zeit Vorbehalten worden. Der An trag, die Staatsanwaltschaft überhaupt von der Befuaniß der Beschlagnahme auszuschließen, fand im Reichstag glück licherweise doch keine Majorität; man mußte sich begnügen, die Gefahr im Verzüge dahin zu interprctiren, daß der Staatsanwalt nur beschlagnahmen dürfe, wenn der Richter nicht gleich zu erlangen ist und die Maßregel nicht bis dahin aufgeschobcn werden kann. Wie ein Fall in der Praxis thatsächlich beschaffen sein müsse, um dieser authentischen Auslegung des Reichstags genau zu ent sprechen, ist niir bis jetzt noch nicht verständlich geworden, auch glaube ich nicht, daß ein Richter großes Verlangen tragen wird, unter Zugrundelegung dieser Sätze Ent scheidung zu erthcilen. Man wollte nun wenigstens vor der richterlichen Ent scheidung über die Aufrechterhaltung einer staatsanwalt- schaftlichen oder polizeilichen Beschlagnahme die Staats anwaltschaft zu Gehör kommen lassen; auch das lehnte der Reichstag all; am Liebsten hätte man noch zeitliche Beschränkungen der Beschlagnahmen überhaupt rn's Gesetz hineinamendirt; jedoch der hierauf gerichtete Antrag fiel. Es wäre doch auch zu hübsch gewesen, wenn vielleicht von Abends 9 Uhr an bis früh uni 6 Uhr Niemand im deut schen Reiche je in Sorge wegen einer etwaigen Beschlag nahme zu stehen gebraucht hätte. Gewisse Beschränkungen sind trotzdem noch geblieben betreffs der Militärgebäude, wie denn überhaupt die völlige Exklusivität militärischer Einrichtuugcn ihre Geltung bewahrt hat da, wo ein koinzi- direndcs Interesse der Civilbehörde in Frage gelangt. Das ist zu bedauern, aber — nicht zu ändern. Zu den erst durch den Kompromiß erledigten Streit fragen gehört die Beschlagnahme von Briefen und Telegrammen auf der Post und auf den Tclcgraphen- anstaltcn. Ich darf über dieses Kapital nicht mit Still schweigen Weggehen.