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Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljähr lich 2 Marl 2» Pf., »wcimonatl. l Ml. bO Pf. und ein- monatl. 75 Pf. Die Redaktion be findet sich Rinnen- gafie S6i. ll. Et. und Tageblatt. Inserat« werden bis vor mittags 11 Uhr für nächste Nr. ange nommen u. die ge spaltene Zeile oder deren Raum mit 10 Pf. berechnet. Inserate sind stet» an die Expedition, Frotscher'sche Buch handlung, zu senden. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. 1875 Mittwoch, den 1. ScMmbcr. .1° 202 Eine vaterlandsfeiudtiche pllyerfuhrt. Die famose Wallfahrt des Räckelwitzer Grasen Stolberg und seiner ultramontanen Genossen nach Lourdes zur Mutter Gottes ist für den Monat September festbeschlossene Sache. Der hochgeborene Unternehmer hat seiner ersten Publikation vom 1b. August schon unterm 20. ein ausführlicheres Wallfahrtsprogramm folgen lassen, welches viel zu charak- Bekanntmachung. Wege» der am Donnerstag stattfindenden bitten wir die für Freitag den 3. September bestimmten Inserate bis spätestens Donnerstag früh 9 Uhr abzu- liefern, damit sämmtltche bei der Herstellung unseres Klattes beschäftigten Setzer «yd Drucker ebenfalls Gelegenheit erhalten, an dem Feste thetlnehmev z« können. Die Ausgabe der betr. Nummer bleibt auf die ge wöhnliche Zeit von Nachmittag 6 bis halb 8 Uhr beschränkt. Expedition de8 „Leibergen Hnreigvf". (Frotscher'sche Buchhandlung, Erbischestr. Nr. VOS.) reich die Wallfahrten nach Lourdes auf und die Herren Stolberg nebst Konsorten müßten nicht so gut dresfirte Jesuitenschüler sein, um das nicht sehr genau zu wissen. Der Urtheilsspruch des deutschen Vaterlandes über seine entarteten Söhne ist im Voraus gefällt, aber auch fran zösische Zeitungen haben sich mit unverhehltem Widerwillen über den Verrath an der eigenen Nation geäußert. Doch was fragen Stolberg und Genoffen darnach? Sie wall fahrten dennoch; sie nehmen die Fußtritte, die ihnen die fran zösische Presse mit Recht versetzt, demüthigst hin und küssen die Hände, von denen sie die verdienten Ohrfeigen erhalten. Man sollte meinen, stärker könnte die Lehre nicht sein, die ihnen gegeben wird. Sie werden hinauSgeworfe«, aber sie kommen wieder; Frankreich verschmäht und verachtet ihre Kriecherei, aber das Kriechen ist ihnen zur zweiten Natur geworden, wenn sie nur dadurch ihr Vaterland beschmutzen können. Wir stehen im Begriff, das deutsche Nationalfest feierlich zu begehen, und deutsche Söhne ziehen nach Frank reich, um Schmutz und Koth auf unser Land und unser Fest zu werfen. Wir stehen aber auch im Begriff, die Ersatzwahlen zum Landtage zu vollziehen. Unsere Wähler werden gut thun, sich dieser Wallfahrt zu erinnern, um die vielgerühmte Vaterlandsliebe gewisser hochgeborener Kreise zu würdigen. glorreichen Patrone Deutschlands — knieen. Die Unter- chrift lautet: „Katholiken Deutschlands bitten Dich, unbe leckt empfangene Jungfrau, um Deinen mütterlichen Schutz ür Kirche und Vaterland. Wenn es für Katholiken wirklich ein Herzensbedürfniß ist, an einer kirchlichen Prozession theilzunehmen, so hat kein Protestant etwas darein zu reden. Ueber die Befolgung der dabei zu beobachtenden polizeilichen Vorschriften müssen die betreffenden Behörden und Beamten wachen. Auch der religiös-kirchliche Bildungsgrad der Unternehmer und Leiter einerseits, wie der Wallfahrermassen andererseits ist deren eigene Sache. Der denkende, aufgeklärte Protestant mag den Standpunkt des blindgläubigen, jesuitisch geschulten Katholiken noch so sehr bedauern — ihm denselben mit all' seinen Konsequenzen zu verbieten, hat er kein Recht. So würde sich denn auch um den hochgräflichen Jesuiten schüler und um seine Passion für Wallfahrten in weiteren Kreisen gewiß Niemand kümmern, wenn er nicht so ganz augenscheinlich und in widerwärtig demonstrativer Weise dabei nach Effekten haschte! Er hat ja im benachbarten Böhmen berühmte Wallfahrtsorte genug, wo er seinem Marienkultus sich hingeben und — wenn ihm das Denken nicht so zuwider wäre — in die tiefsten Tiefen des Be griffes der „Mutter Gottes" sich versenken könnte. Es teristisch ist, als daß wir uns einen theilweisen Abdruck versagen könnten. Er ergänzt darin die früheren Mit- theilungen durch nachfolgende: 1) Für diejenigen Wallfahrer, welche es vorziehen, ohne Anschluß an eine organisirte Pilgerfahrt zu reisen, betragen die Fahrbillets von Paris über Bordeaux nach Lourdes 1. Klasse 105 Frks., 2. Klasse 7S Frks., 3. Klasse 58 Frks. 2) Denjenigen, welche eine organisirte Pilgerfahrt mit entsprechender Preisermäßigung zu benutzen wünschen, wird empfohlen, sich dem von Mons in Belgien aus über Paris, Jssoudun nach Lourdes und zurück über Paray le Monial und Paris nach Mons gehen den Pilgerzuge anzuschließen. „Den Theilnehmern an diesem Pilgerzuge hat unser heiliger Vater Pius IX. seinen Segen ertheilt." (Die für diesen Zug geltenden Bestimmungen können wir füglich übergehen, da von unsern Lesern sich schwerlich Jemand anschließen wird.) 3) Für alle Paris passirenden deutschen Pilger ist dort im „Untol vstomin ä<> ivr ilu dlorä" für den 7. September von früh bis spät ein Versammlungslokal vorbereitet. Dort ist die Wallfahrts fahne ausgestellt und die Pilger können Wallfahrtslieder sowie Abbildungen der Fahne zu billigen Preisen erhalten. 4) Das Bild auf der Fahne stellt die unbefleckt em pfangene Jungfrau dar, zu dereu Rechten der heil. Bonifazius, zu deren Linken die heil. Elisabeth — die wäre sogar verdienstvoll von ihm, wenn er zur Louise Lateau pilgerte und an Ort und Stelle ermitteln wollte, warum die angeblich eine Zeit lang Stigmatisirte auf einmal nicht mehr blutet, dagegen einer beschränkten Diät herzlich überdrüssig geworden ist. Warum muß es denn gerade eine Pilgerfahrt nach Lourdes sein und warum hat die Wallfahrt dahin einen so estnisch provozirenden Charakter? Eine Wallfahrt deutscher Katholiken nach Lourdes ist die dreisteste Herausforderung des deutschen Volkes durch Deutsche, eine unerhörte Beschimpfung unseres Vaterlandes durch seine eigenen Söhne! Man bedenke Folgendes. Der Kultus der Madonna von Lourdes begann erst nach Abschluß des Friedensvertrages zwischen Deutschland und Frankreich zu Frankfurt a. M.; die Ver ehrung der dortigen Jungfrau hat absolut keine andere Bedeutung als die einer ultramontan-französischen Mani festation gegen das deutsche Reich. Die von den Grafen Stolberg als „Königin des Friedens" bezeichnete Madonna von Lourdes ist die Schutzpatronin des Rache krieges Frankreichs gegen Deutschland und die an sie von den Prozessionen gerichteten Gesänge und Gebete erflehen das Gelingen der Revanche und die Zurück eroberung von Elsaß-Lothriugcn durch die Franzosen. Sv^ und nicht um ein Haar breit anders faßt man in Frank Freiberg, den 31. August. Das deutsche Reich hat zu den Vermittelungskonferenzen, welche infolge des herzegowinischeu Aufstandes in Mostar stattftnden werden, den deutschen Konsul Frei herrn v. Lichtenberg in Ragusa als Kommissar ernannt. Der selbe ist bereits in die Hauptstadt der Herzegowina abge reist. In Mostar selbst befindet sich kein deutsches, sondem nur ein österreichisches, russisches und französisches Konsulat. Frankreich hat indeß die Vertretung auf den Konferenzen seinem Konsul in Serajewo übertragen. Die Stadt Mostar ist Haupthandelsplatz der Herzegowina, Sitz eines Gouver neurs, zweier Bischöfe, eines Mufti, Kadi, kurz aller Zen traladministrativbehörden der Provinz; sie zählt etwa 18,OM Einwohner, meistens Mohamedaner, darunter 4 bis 500 Katholiken und 3500 Griechen. Die Verhandlungen beginnen dieser Tage. Gelingt es den Bemühungen der auswärtigen Konsuln wirklich eine Vereinbarung zu Stande zu bringen, so wird es sich wesentlich um Feststellung der jenigen Reformen handeln, welche zur dauernden Beruhigung des Landes verlangt und bewilligt werden müssen. Unter diesen Umständen gewinnt der Hat i Humayum des Sultans vom 18. Februar 1855, welcher durch den Pariser Friedens vertrag von 1856 seine Sanktion erhielt, beionderes In teresse. Derselbe lautet in seinen Hauptbestimmungen: „Ich habe beschlossen und befehle folgende Maßregeln in Ausführung zu bringen: Der unsrerseits allen Unterthanen Feuilleton. Zu klug. Novelle von G. v. Moser. In den nächsten Minuten soll der Zug aus dem Bahn hof einer kleinen schlesischen Provinzialstadt nach der Residenz abgehen. Auf einer der zehn Stufen, die nach dem Warte salon führen, steht ein Herr und hält die Hand schützend über die Augen, denn es ist ein schöner, aber kalter März morgen und die Sonne läßt die leichte Schneedecke, die noch über der Ebene ruht, wie einen silbernen Spiegel erglänzen und macht den Blick unsicher, der spähend die Landstraße entlang gleitet. Es ist eine stattliche Erscheinung von ungefähr 50 Jahren — der beraufgeschlagene Kragen eines Nerzpelzes läßt an den Schläfen volles grau melirtes Haar sehen, — die Augen haben eine hellgraue Farbe — die sticht gebogene Nase und das breite Kinn deuten auf Festigkeit des Charakters und um die Lippen spielt ein sarkastischer Zug, ohne jedoch dem Gesicht den Ausdruck der Vonhomie zu nehmen. Ein Stock mit schwerem goldenem Knopf würde leicht die Vermuthung aufdrängen, man hätte es mit einem Sanitätsrath zu thun, der einen hohen Patienten erwartet, wenn nicht eben ein sehr elegant gekleideter junger Herr ihm die Hand mit den Worten entgegenstreckte: „Guten Morgen, Herr Justizrath — wollen Sie eine Reise machen — oder erwarten Sie Bekannte?" Eine flüchtige Röthe, die dabei das Gesicht des Sprechen- „?! bedeckte, gab Zeugniß, daß die einfache Frage nicht so unvesangen gemeint war, als sie gesprochen wurde, und wir sehen, daß sich auch Justizrath Walter nicht täuschen ließ, denn schlaulächelnd sagte er: „Sollte die Abreise der Gräfin Hellberg und der Komtesse Adele nach der Residenz Ihnen unbekannt sein? Sie sind so elegant gekleidet wie immer, doch zu leicht, um eine Reise zu machen, Assessor Dornberg. Kommen Sie, wir wollen etwas promeniren — im Gehen fühlt man die Kälte weniger und ich will Ihnen erzählen, warum die Gräfin sich entschlossen hat, ihr bequemes Hohenheim mit der Residenz zu vertauschen; bei ihrer Kränklichkeit wird es ihr schwer — doch Adele kann Alles mit ihr machen, und wie die Mutter, so hat sie Haus und Hof und selbst mich, ihren gestrengen Vormund, in der Tasche." „Es ist aber auch ein entzückendes Wesen, die Komtesse', sagte der Assessor, indem sein Auge leuchtete. „Ah — also auch eine Mücke, die sich die Flügel verbrannt hat. Nun" — setzte der Justizrath lächelnd hinzu, „mir wäre die größte Last von den Schultern ge nommen, wenn der schöne Wildfang bald unter die Haube käme. Aber da ist das Dampfroß, lassen Sie uns nachsehen, ob die Damen noch nicht kommen. Merk würdig, daß Frauen nie pünktlich sein können; wenn ich hier den halben Morgen umsonst gewartet hätte und gar noch einmal " „Da kommen sie", unterbrach Dornberg, eilig nach dem Perron gehend, den Justizrath, der langsamer folgend eben noch zurecht kam, wie eine junge Dame, die dargereichte Hand Dornberg's ergreifend, graziös aus dem Wagen sprang, der mit ein Paar edlen Pferden bespannt, eben am Bahn hof vorgefahren war. Auf dem Bock saß neben einem bärtigen Kutscher in Blau und Silber ein allerliebstes Kammerzöfchen, das lächelnd den dienstbeflissenen Assessor betrachtete, und im Wagen wurde unter Pelzen und L>chleiern das seine blasse Gesicht einer Dame sichtbar, die mit gespanntem Ausdruck nach der dampfenden Lokomotive blickte. „Außer Sorge, liebe Mama", wandte sich jetzt die junge Dame an Gräfin Hellberg; denn daß dies die Gräfin und ihre Tochter waren, wird man bereits errathen haben, „außer Sorge, wir kommen noch viel zu früh, und dort ist ja auch schon Johann, der Alles besorgt hat", sagte sie, auf den alten Diener zeigend, der sich dem Wagen näherte. Der Assessor half jetzt der alten Gräfin aus dem Wagen und während er bei der Begrüßung das freundlichste Gesicht von der Welt machte, sah er mit Neid, wie Adele am Arm des Justizraths voranschritt. „Mama war so nervös," erzählte diese, „daß ich schon fürchtete, aus der ganzen Reise würde nichts werden und Sie wissen, von wie großer Wichtigkeit dieselbe für mich ist, da wir das Wesen zu entdecken suchen, was zwischen meiner Lebhaftigkeit und Mama's Nerven die verbindende Kette werden soll." „Liebes Kind," fiel hier die Gräfin ein, „Du hast sehr recht, von Deiner Lebhaftigkeit zu sprechen, denn dieselbe verleitet Dich hier lange Auseinandersetzungen zu machen, während wir die größte Eile nöthig haben." »Oh, die Damen haben noch lange Zeit," tröstete der Assessor. — wir wollen nur einsteigen, Mama hat doch nicht eher Ruhe, als bis sie sicher im Waggon sitzt und ich dazu^ — sagte Adele, der Gräfin in das Conpöe folgend. „Vielleicht leisten die Herren uns am offenen