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Erscheint > Woche Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. 1875. 15k. Freitag, dm 9. Juli. Preis vierteyshr- ÜchLMarkAPf., »veimonatl. 1 Mk. V0 Pf. und ein» monatl. 75 Pf. Die Redaktion be- stndet sich Monen- gasse SSa. II. St. (MDB > Imbmm^nu'isttr P V an die Expedition, Frotscher'sche Buch» Handlung, zu sende». > ««d Tageblatt. Die Lage Italiens. Reben dem sizilianischen Sicherheitsgesetze haben die italienisch«'! Deputirten ihren Wählern beim Nachhause- kommen blutwenig an gesetzgeberischen Thaten mitbringen können. Das beste von diesem Wenigen war noch die Er klärung Minghetti's, daß die Finanzlage Italiens als durch aus befriedigend zu bezeichnen sei. Infolge einer Inter pellation erklärte nämlich der Minister, die Staatsfinanzen befänden sich in einen unverkennbaren Aufschwungs. Italien gehört zu denjenigen Staaten, welche ununter brochen mit einem Defizit wirthschaften und deren Staats schulden demgemäß fortwährend wachsen. Im Jahre 1867 zum Beispiel beliefen sich die Staatseinnahmen auf 972,, Millionen Lire, die Ausgaben auf 1410,? Millionen Lire; 1868 die Einnahmen auf 1012,, .'Millionen Lire, die Ausgaben auf 1268,, Millionen Lire; 1872 die Ein nahmen auf 1287 Millionen Lire, die Ausgaben auf 1560 Millionen Lire; endlich 1874 die Einnahmen auf 1364, > Millionen Lire, die Ausgaben auf 1527,. Millionen Lire. Dem entsprechend stellten sich die Staatsschulden anfangs 1868 auf 9153,^ Millionen Lire, zu Ende 1874 auf ungefähr 10,000 Millionen Lire. Wenn man unter diesen Umständen davon spricht, daß die Staatsfinanzen befriedigend sind, so ist die Bezeichnung wohl kaum wörtlich zu nehmen, wenigstens kann ein solcher Zustand kein absolut befriedigender genannt werden, was jedoch nicht ausschließt, daß derselbe relativ zufriedenstellend ist. In der That konnte Finanzminister Minghetti auch dies nur meinen und er stützte seinen Ausspruch namentlich darauf, daß das Steuerverhältniß sich wesentlich besser ge stalte, als es früher gewesen, und daß infolge dessen im Jahre 1876 voraussichtlich nur noch ein unbedeutendes Defizit zu decken sein werde. Wenn sich die Tinge in Wirklichkeit so verhalten, so kann die gegenwärtige italienische Regierung in finanzieller Beziehung allerdings der Zukunft mit einer gewißen Ruhe entgegensetzen; indessen nicht einmal der Minister getraute sich, die Aussicht auf eine weiter steigende Zunahme der Staatseinnahmen anders als „eine Hoffnung" zu bezeichnen und Hoffnungen gehen bekanntlich nicht immer in Erfüllung. Rian muß jedoch zugestehen, daß die momentanen Ver hältnisse Italiens faktisch geeignet sind, derartige Hoffnungen anzuregen. Die Einnahmen aus den Zöllen und Steuern haben sich während der ersten fünf Monate dieses Jahres auf 103,,Lire belaufen, das ist 2,,,, Millionen mehr als in der gleichen Periode des Vorjahres. Die Rück stände an direkten Steuern find um 1„, Millionen ge ringer, als in derselben Zeit 1874 und es liegt durchaus kein Grund zur Annahme vor, daß sich diese Steuer- Einläufe bis zum Januar 1876 ungünstiger stellen sollten, wenn nicht etwa unberechenbare Umstände wie z. B. Miß wachs rc. eintreten. Aber diese Besserung der Verhältnisse ist, selbst wenn sie dauernd bleibt, noch immer nicht sobald im Stande, das vollkommene Gleichgewicht zwischen Ein nahmen und Ausgaben herzustellen. Das Defizit wird sich erst durch die Eröffnung neuer Einnahmequellen ganz be seitigen lasten und diese letzteren denkt die Regierung durch eine Erhöhung der Einfuhrzölle zu schaffen, wozu der Ablauf der wichtigsten Zollverträge im nächsten Jahre Gelegenheit bietet. Wir verdenken es keiner Regierung, wenn sie alles Mögliche versucht, um aus dem Staatshaushalte das ewige Defizit zu entfernen. Selbst die Einführung resp. Erhöhung von Zöllen kann hierdurch gerechtfertigt werden; aber wenn man sich einmal zu diesem Schritte entschließt, dann sol man denselben auch unumwunden bei dem Namen nennen, den er verdient. Minghetti wies nur darauf hin, daß durch jene Erhöhung der Einfuhrzölle eine recht beträchtliche jährliche Mehreinnahme erzielt werden soll, aber in dem selben Athem versicherte er, die italienische Regierung werde dem Prinzip des Freihandels nicht untreu werden. Das ist doch nichts weiter, als ein Spielen mit Worten. Die Einfuhrzölle werden immer die Wirkung von Schutz zöllen haben, ihre Erhöhung schließt also das Prinzip des Freihandels in der Praxis aus und es ist geradezu widersinnig, denjenigen einen Vertreter des Freihandels zu nennen, der die Zölle erhöht. Minghetti mag ein tüchtiger Finanzmann sein, aber indem er vor der Deputirtenkammer über die Handelsverträge und den Freihandel sprach, ver suchte er offenbar der öffentlichen Meinung Sand in die Augen zu streue». Wir müßen gestehen, diese Thatsache macht uns gegen seine ganze Schilderung der finanziellen Situation Italiens elwas mißtrauisch. Damit soll nicht gesagt sein, daß wir die Richtigkeit der vom Minister an gegebenen Zahlen in Zweifel ziehen, indeßen mit einer geschickten Gruppirung und sorgfältigen Auswahl von Zahlen läßt sich bekanntlich manches in viel günstigerem Lichte darstellen, als es wirklich ist. Auch lag es gewiß nicht im Interesse der Regierung, die Darstellung pessimistisch zu färben, sondern gerade das Gegentheil. Die finanzielle Lage Italiens mag in diesem Allgenblicke bester sein, als sie seit der Konstituirung des einigen König reiches jemals gewesen ist und insofern darf man dieselbe wohl eine erfreuliche nennen ; aber wenn man sie mit der Situation anderer Staaten vergleicht, deren Finanzen wirk» * lich geregelt sind, die das Defizit im Budget nicht kennen und Anleihen nur zu außerordentlichen Ausgaben bedürfen, dann möchte man doch glauben, daß Minghetti, als er den . Stand der italienischen Finanzen als befriedigend bezeichnete, eine Genügsamkeit zur Schau trug, die er am Ende selbst nicht besitzt. Tagesschau. Freiberg, den 8. Juli. Kaiser Wilhelm hat Koblenz verlaßen und ist am Mitt^ woch Nachmittag mit Gefolge in Karlsruhe eingetroffen, woselbst er vom Großherzog und der Großherzogin sowie vom Prinzen Wilhelm aufs Herzlichste begrüßt wurde. Zu wiederholten Malen hat uns der Telegraph Berichte über Festlichkeiten geliefert, welche dem vreußischen Kultus minister auf seiner Rheinreise bereitet wurden. In der Regel haben solche ministerielle Inspektionsreisen kein be- onderes Interests; allein im vorliegenden Falle stellt sich sie Sache doch anders. Die Reise Falk's ist aus der Lage der Dinge erklärlich. In dem Kulturkämpfe, wie er von Seite der preußischen Regierung geführt wird, ist eine Art von Ruhepause eingetreten; es ist legislatorisch so viel vorgearbeitet worden, daß die Staatsgewalt jetzt eine Weile ruhig, wenn auch scharfen Blickes zusehen mag, Wit sich diese neuen Gesetze einbürgern, Wurzeln schlagen, im Leben bewähren werden. Eine Reihe der wichtigsten Gesetzt tritt eben erst in Wirksamkeit, so am 1. Juli das vielbe sprochene Sperr- und Brotkorbgesetz vom 22. April, dem nächstens das erst von EmS aus sanktionirte Gesetz über die Organisation der Vermögensverwaltnna der katholischen Kirchengemeinden, worin zum erstenmale kräftig die Rechte der Laien gewahrt werden, folgen wird. Angesichts dieser Situation galt es einerseits sorgfältig den Boden zu so.ldiren, die Fortschritte der liberalen Idee gegenüber dem Ultra- montanismus stestzustellen und andererseits durch eine kräftige Manifestation der ungebrochenen Stärke und Entschlossen heit der Regierung den Klerikalen Respekt, den Liberalen Muth und Ausdauer einzuflößen. Die Reise Falk's hat diesen Doppelzweck in einem kaum erhofften Maße erfüllt. Der preußische Kultusminister faßte den Stier bei den Hörnern, ging stracks dorthin, wo er wußte, der bestverhaßte Mann zu sein, mitten ins Hauptlager der Ultramontanen, in die Höhle des Löwen, in die katholische RheinproviiH hinein. Wenn irgendwo, mußte er dort am denkbar schlechtesten empfangen werden, und lag die Gefahr nahe, daß selbst, wenn liberale Minoritäten ihn feierten, klerikale Gegendemonstrationen unliebsamster Natur die „wahre Stimmung der Bevölkerung" an den Tag brächten. Feuilleton. Am Abgrnn-e. Roman von Eo. «verlier. (Fortsetzung.) Wie geistesabwesend schritt Ludwig aus dem Speise zimmer hinaus und die nach seinem Zimmer führende Treppe hinan. So waren denn all seine Hoffnungen, die kaum noch so üppig sproßten und die schönste Zukunft in verlockend nahe Aussicht stellten, mit einem einzigen Schlage vernichtet und zerstört. Zu früh geblüht! Jetzt kam der Frost und sein eisiger Odem nahm mit der Blüthe die Frucht im Keime fort. Er dachte an das Lied des tollen Heinz von dem Reif in der Frühlingsnacht — an das Lied dort auf dem Friedhose, über dem Grabe hinter dem buschigen Rosenstrauch». Warum mußte er grade an dieses Lied, waruni gerade mußte «r a>l den Friedhof und an die Gräber denken? Es war als erfaßte der Frost auch ihn, als träfe der Reif erkältend sein Gebein — nein, sein Hirn und sein Herz und als müße Denken und Fühlen versinken und vergehen filr ewig. Er stand auf seinem Zimmer und blickte um sich als sähe er Ruinen. Ein Wehs faßte ihn wie er noch .Niemals es gekannt, bis endlich nach langer, drückender 'Verzweiflungsruhe sich Alles in »in Schluchz«« auflöst», wie ,«S nur an dem Manne erlebt werden kann, der die Grund- vtsten seines Wesens mit einem Mal erschüttert fühlt. ES rüttelte und schüttelte ihn wie die Eiche der Sturmwind »schüttelt, die Eiche, die es nicht versteht, sich zu beugen vor »dem gewaltigen Druck, die entweder ihm Trotz bieten — toder entwurzelt wird. I Stunden waren vergangen, der Abend hereingebrochen. lAuch die Nacht kam, und sie sah sein brennendes Auge »»geschloßen- Er ging langsam, schwerfällig im Gemache hin und her, er suchte seine Habseligkeiten zusammen und packte sie ein. Immer kahler und öder wurde der bisher so wohnliche Raum, ein Schmuck nach dein andern verschwand — und als die Sonne wieder heraufzog und ihre Strahlen durch die Reben am Fenster hereinschickte, da war es wüste und traurig rings umher. Es pochte. Die Dienerin trat herein und brachte sein Frühstück sowie zwei Briefe. Sie blickte den guten Mann theilnehmend und mitleidig an und sprach kein Wort; aber das eine Briefchen hielt sie empor und zeigte es ihm besonders. Ludwig griff nach dem Billet. Die Aufschrift war von einer zitternden Hand und thcilweise verwischt — vielleicht v. n Thränen. Er riß das Couvert herunter — der Abschied der Geliebten. „Habe Muth!" rief sie ihm zu. „Habe Muth und vertraue meiner Liebe! Es giebt kein Hinderniß, das Dir und mir unüberwindlich wäre. Einst kommt noch der Tag, wo ich zum ewigen Bunde meine Hand in die Deinige lege, glaube mir!" Da raffte er sich auf und Muth und Vertrauen kehrten wirklich langsam, zögernd zurück. Ihrer Liebe war und blieb er ja gewiß, was kümmerte ihn das Uebrige? Hatte der grausame Vater über die Herzen eine Macht? Nein! Nein! Er griff »ach dem andern Schreiben, das weit umfänglicher war. Es enthielt seinen Abschied und seine Zeugniffe, Geld und Empfehlungen. Ungelesen steckte er die Papiere ein und setzte sich dann hin um zu schreibe». Was er schrieb, das war ein Brief an Wally. Er vertraute, daß die Dienerin, die ihm das Frühstück gebracht, auch diesen Brief bestellen würde — und er mußte schreiben, weil Wally ihn bat, ein Zusammentreffen mit ihr hier im Hause um ihretwillen vermeiden zu wolle». Er bat sie um ein Zusammentreffen am dritten Orte. Dann verschloß er den langen, langen Brief, versah ihn mit einer Auf schrift und bestellte einen Wagen. Bald genug Ware» seine Effekten aufgeladen. Die Dienerin hatte er gesehen, und hatte ihr den Abschieds brief übergeben. Herr Werdenberg, so wurde ihm gesagt, sei nicht zu Hause und er konnte sich nicht verabschieden, selbst wenn er wollte. So nahm er denn auf dem Gefährt Platz und noch einmal schweifte sein Blick an dem Herrenhause entlang, das bisher seine Heimath gewesen. Dort an jenem erkerartigen Fenster bewegten sich die Vorhänge und ein bleiches, verstörtes Gesicht war hinter denselben halb erkennbar — da zogen die Pferde an und fort ging es. „Wohin deiln nun eigentlich, Herr Verwalter?" fragte der Kutscher schon zuin dritten Male den fast Abwesenden. „Wohin? Gleichviel! Hinaus in die Welt! Hinweg von Brendlingen!" „Soll ich nach der Residenz fahren? Das ist nicht zu weit und doch immer ein hübsches Städtchen, Herr Ver walter." „Fahren Sie nach der Residenz," erwiderte Ludwig — und er hing dem Gedanke» nach, daß das nicht weit sei. In einem Gasthause, deßen Wahl dem Kutscher an heimfiel, nahm Ludwig Steinbach Wohnung. Der Kutscher, eiir Brendlinger Kind, blieb nur so lange, als es für seine Pferde nöthig war, dann verabschiedete er sich und es unterlag keinem Zweifel, daß auch diesem einfachen Mensche» die Trennung schwer wurde. Nun war Ludwig ganz allein. Tage vergingen ihm wie im Traume. Es schien, als habe das Denken ihn verlaßen uitd als sei anstatt der Vernunft nur noch die Phantasie ihm geblieben. Der