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Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr sür den andern Tag. Preis Vierteljahr, lich 2 Marl 25 Pf., »wcimonatl. 1 Mk. SV Pf. und ein- monatl. 75 Pf. Die Redaktion be findet sich Rinnen gasse 96 L. II Et. und Tageblatt. Inserate werden bi» Bor- inittags II Uhr für nächste Nr. ange- nommen u. die ge spaltene Zeile »der deren Norm mit l v Pf. berechnet. Inserate find stet» an die Expedition, Frotfcher'sche Buch handlung, zu senden. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Z 279.Mittwoch, dm I. Dezember. 1875. Briefe aus dem Reichstage. IV. Ll. Berlin, 29. November. Das Nachspiel zu der großen Steuerschlacht ist ganz so ausgefallen, wie es im vorigen Briefe vermuthet worden war: der Reichskanzler hat gesprochen, Liebknecht hat ge sprochen, einige Andere noch haben gesprochen; das Resultat ist aber nicht im Geringsten geändert. Man hat zwar die Steuergesetzentwürfe anstandshalber an die Budgetkommission überwiesen, aber nur damit diese über Mittel und Wege nachsinnt, Ivie das durch Ablehnung der Entwürfe entstehende Defizit zu begleichen sei. Dies geschieht denn auch, und wie man hört, ist bis jetzt schon für die Hälfte Deckung gefunden, und zur Deckung der anderen Hälfte wird wahr scheinlich der Ueberschuß des laufenden Jahres in Anspruch genommen werden. Das Hauptereigniß der vorigen Montag- Sitzung war natürlich die erstmalige Anwesenheit des Fürsten Reichskanzlers, der nach dem Ausdruck des Abg. Richter (Hagen) aus dem mythischen Sagenkreise, der ihn bisher umgab, leibhaftig hervorgetreten war. Alan erwartete natür lich, daß er das Wort ergreifen würde, und man täuschte sich in dieser Erwartung nicht. Länger als eine halbe Stunde sprach er über sein Befinden, über Steuerpolitik im All gemeinen und über die vorgeschlagenen Steuern im Be sonderen, endlich noch über die Frage der Errichtung von verantwortlichen Neichsministerien. Seine Ausführungen wurden wie immer mit der ungetheiltesten Aufmerksamkeit entgegengenommen, aber sie fanden wenig Glauben. Nach des Fürsten Bismarck Ansicht wird das Reich am besten thun, seine Bedürfnisse fast ausschließlich durch Zölle und Steuern auf gewisse Luxusartikel, die aber doch allgemein konsumirt werden, zu decken, also Kaffee, Thee, Zucker, Bier, Tabak, Petroleum und Spirituosa, sodaß Jeder gewissermaßen seine Steuern selbst bestimmt, indem er jene Artikel in einer beschränkten oder erweiterten Weise verbraucht. Den Ein wand, daß diese Zölle und Steuern die unteren Klaffen verhältnißmäßig härter treffen würden als die höheren, begegnete er mit der Behauptung, daß diese Konsumtions steuern von den Konsumenten in einem erhöhten Preise ihrer Dienstleistungen zum Ausdruck gebracht und so auf die übrigen Klaffen übertragen würden. Diese Theorie steht allerdings in einem großen Widerspruche mit der heutzutage landläufigen Doktrin, daß die Einkommensteuer die beste Steuer und vor allen anderen würdig sei, ausschließlich die Bedürfnisse des Staates zu decken, und wenn sich auch nicht verkennen läßt, daß der Glaube an diese Doktrin neuerdings im Abnehmen begriffen ist, so dürfte es doch noch einige Zeit dauern, ehe man sich entschließt, von dem System der direkten Steuern ab- und zu dem System der alleinigen indirekten Besteuerung überzugehen. Auch die Zollpolitik, welche der Reichskanzler vorschlug — Aufhebung aller Schutzzölle und Beschränkung des Zolltarifs auf einige Finanzzölle, deren schutzzöllnerische Wirkung durch Besteue rung der gleichartigen im Inlands hervorgebrachten Pro dukte aufgehoben werden würde — dürste nicht allenthalben Anklang finden. Noch weniger Beifall fand aber die vom Reichskanzler vorgetragene Lehre über Ministerverantwort lichkeit. Wenn auch zugegeben werden muß, daß Fürst Bismarck, der sich durch Niemand gern in seiner Selbst ständigkeit beschränken läßt, nie gestatten wird, daß während feiner Amtsführung ihm gleich berechtigte und gleich ver antwortliche Minister an die Seite gesetzt werden, so nimmt doch die Fiktion der ausschließlichen Verantwortlichkeit des Reichskanzlers allmälig Dimensionen an, die einen Bruch mit diesem Prinzip nur als eine Frage der Zeit erscheinen lassen, die wohl schon von seinem nächsten Nachfolger der Löfung wird näher gebracht werden müssen. Die dem Reichskanzler folgenden Redner von der linken Seite des Haufes gaben denn auch dieser Meinung unverhohlenen Ausdruck. Die Rede Liebknechts brachte nichts Neues, wenn man nicht vielleicht den wohlfeilen Witz, daß der Geheimrath Wagner an den Rockschöben des Reichskanzlers hänge, als etwas Neues gelten lassen will. Klagen über den fort dauernden Militarismus, Lobpreisungen des Miliziystems, das sich bei den französischen Revolutionsheeren und bei der preußischen Landwehr fo herrlich bewährt habe, die Ver- urtheilnng des heutigen Produktionssystems, das an der wirthschaftlichen Krisis die Schuld trage, hat nicht nur der Reichstag schon oft aus dem Munde seiner sozialistischen Mitglieder gehört, sondern auch jeder Andre, der sich dazu hat entschließen können, einmal einer sozialdemokratischen Volksversammlung beizuwohnen. Am Dienstag begann die Spezialberathung des Etats, soweit derselbe nicht der Budgetkommission überwiesen worden war. Nun ist allerdings die Etatsberathung im Reichstag eigentlich keine solche, die diesen Namen verdient, denn über den Etat, über die Ziffern, die Postulats als solche, spricht Niemand: dies geschah auch jetzt nur insosern, als einige Zentrumsmitglieder glaubten, einzelne vor geschlagene Bauten ans spätere Jahre verschieben zu können. Im Uebrigen ergriffen nur einige Abgeordnete das Wort, um gewissen Wünschen Ausdruck zu geben oder Er kundigungen einzuziehen über abzuschließende Handels verträge, über die Kriegskontributionen der Deutschen in Havana, über den neuen Telegraphentarif, über Ver minderung der Postprovision für Wochenblätter oder um Beschwerden vorzubringen, wie Liebknecht über angebliche Verletzungen des Briefgeheimnisses, oder Hasselmann über die schlechte Vertretung des Reiches in Brüssel. Die wichtigste Debatte, die während der Etatsberathung vorkam, entspann sich bei dem Etat des Eisenbahnamtes und betraf namentlich die Frage des Ankaufs der Eisenbahnen durch das Reich. Der Großindustrielle Stumm empfahl diesen Ankauf angelegentlichst wegen der dadurch möglich werdenden Vereinfachung der Verwaltung und Erniedrigung der Tarife, die ja für die Industrie fast eine noch größere Lebensfrage ist als die Zölle, wogegen Windthorst nicht entschieden genug von einen solchen Schritte aus politischen und finanziellen Gründen abrathen konnte. Die Sprecher der nationalliberalen Partei, vr. Lasker und vr. Bamberger, hielten die vorgefchlagene Maßregel wenigstens zur Zeit nicht für opportun, doch zeigt sich der Erstere derselben nicht prinzipiell abgeneigt, wogegen der Letztere als gewiegter Geschäftsmann auch für die Zukunft keine besonderen Vor theile für das Reich daraus erwachsen sah. Daß in Regierungskreisen die Frage erörtert wird, konnte wenigstens ans der vom Präsidenten des Eisenbahnamts schon vor einigen Wochen gethanen Aeußerung geschlossen werden, daß der neu aufzustellende Entwurf eines Eisenbahngesetzes möglicherweise auf einer andern Grundlage als der bis herigen aufzubauen sein würde. Dieselbe Andeutung wurde bei der in Frage stehenden Diskussion wiederholt, etwas Näheres jedoch nicht gesagt. Auf alle Fälle wird aber die Frage, inwieweit die Eifenbahnen öffentliche, dem Gemeinde wohl dienende Verkehrsstraßen sein sollen und inwieweit ihnen der Charakter als private Transportunternehmungen zuzugestehen sei, einer Lösung näher gebracht werden müssen, schon um zu einem einheitlicheren System beim Bau und Betriebe der Eisenbahnen zu gelangen; man kann sich sonst ähnlichen Inkonsequenzen nicht entziehen, wie sie z. B. der Abg. LaSker zeigt, wenn er die Anlegung der Pommerschen Zentralbahn nnd der Berliner Nordbahn, die bestimmt sind, weiten eisenbahnlosen Länderstrecken die Wohlthaten des Eisenbahnverkehrs zuzuführen, nahezu als eine verbrecherische That betrachtet, die nur dazu beigetragen habe, die Arbeiter aus den Stätten ihrer eigentlichen Thätigkeit in großer Menge in jene Gegenden herauzuziehen und so den Arbeiter mangel zu steigern, während er der Anlegung der vielen diebenbahnen in Elsaß Lothringen, die doch denselben Effekt ausüben und eine annehmbare Rente wahrscheinlich nie abwerfen werden, noch nie widersprochen hat. Das Ereigniß der gegenwärtigen Woche wird die erste Lesung der Strafgesetznovelle sein, die, mit aus führlichen Motiven versehen, dem Reichstage in den letzten Tagen zugegangen ist. Ueber das Schicksal derselben kann man heute kaum erst Vermuthungen anstellen. Ohne eine Verlängerung des Reichstags über Weihnachten hinaus dürfte von vornherein an eine Erledigung der Novelle nicht zu denken sein, da die Bestimmungen derfelben einer gründlichen Berathung in einer Kommission umsomehr bedürfen, als die Motive die juristische wissenschaftliche Seite der Fragen fast gänzlich außer Acht lassen und sich darauf beschränken, die mit den bisherigen Bestimmungen gemachten Erfahrungen nnd das Beispiel der Gesetzgebungen andrer Länder anzuführen. An Opposition wird es nicht fehlen, nicht blos in Bezug auf die wenigen politischen Paragraphen, denen die Presse bisher fast ausschließlich ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat, die sogenannten Paragraphen Arnim, Duchesne und den Preßknebelungsparagraphen, sondern auch bezüglich derjenigen Bestimmungen, die bei der ersten Berathung des Strafgesetzbuchs von der linken Seite des Hauses aus dem Entwurf ausgemerzt wurden und nun wieder erscheinen, oder die von derselben Seite hineingebracht wurden und sich nach den Versicherungen der Motive in der Praxis nicht bewährt haben. In jedem Falle wird man für nächsten Freitag und Sonnabend, an welchen Tagen nach den bisherigen Bestimmungen die erste Lesung der Vorlage stattfinden soll, interessanten Diskussionen entgegensetzen können. Feuilleton. Geheimuitzvoll. Nach dem ameritanisLen Originale der Mr«. May Agne« Fleming frei bearbeitet von Lina Freifrau von Berlepsch. (Fortsetzung.) „Wirklich und warum? Er ist der Held von tausend Schlachten und die Frauen lieben das. Zudem glaubte ich Dich vor sechs Jahren in Gefahr und da irische Herzen sprüchwörtlich leicht entzündbar sind, wäre eine gegenseitige Neigung möglich gewesen. Du selbst warst arm wie eine Kirchenmaus und konntest Dich unmöglich mit einer andern Kirchenmaus verbinden, so lange Brot und Käse zum Leben nothwendig sind. Ich brachte Dich fort und in ein paar Wochen warst Du wieder Du selbst. Nun ist der Held von Torryglen bei uns, und ich erinnere mich des franzö sischen Sprüchwortes: „VH rstouruv toujours ä 86» pre- wiöre« »maur»." Dein Betragen aber war in jüngster Zeit so seltsam, daß nothwendige Gründe dafür vorhanden sein müssen." Er hielt inne. Sie sprach nichts und war bleich vor innerer Erregung. „Du antwortest nicht? Vielleicht thun meine Voraus setzungen Dir Unrecht, und dann bitte ich um Vergebung. Doch die Cache liegt mir am Herzen und Tu mußt ent schuldigen, wenn ich heftig spreche." Seinem Herzen! Des Grafen von NuiSland Herzen! Ein bitteres Lächeln überflog Carola's Züge. »Ich wiederhole," sagte er als Antwort auf das zornige Lächeln, „mir liegt Deine Heirath mit meines ältesten Freundes Sohne am Herzen. Es wäre der härteste Schlag meines Lebens, wenn sie nicht zn Stande käme." „Papa, lassen wir die Maske fallen, jetzt sieht und hört uns Niemand. Tein Herz hängt an meiner Heirath mit Deines Freundes Sohn. Wäre wohl das Gleiche der Fall, wenn dieser bettelarm wäre, wie z. B. O'Donnell? Nicht wahr, Dein Herz hängt an dem reichen, freigebigen Schwieger sohn, Du willst, daß ich dis dreißigtaufend Pfund Rente heirathe." „Gut, und wenn dem so wäre, ist es eine größere Er niedrigung, ein Vermögen zu heirathen, als von der Gnade eines Mannes wie Sir Peter zu leben? Du bist eine Grafentochter, schön und gebildet, aber arm. Das Brot, was Du issest, das Kleid, das Du trägst, das Dach, das Dich schützt, ist nicht bezahlt. So kann es nicht fortgehen. Eine Krisis ist nahe, mir mag sie Flucht und Verbannung bringen, was meiner stolzen Tochter?" Sie verhüllte das Antlitz. „Die Wahrheit ist bitter, aber es giebt Zeiten, wo sie gesagt werden muß. Du handelst wie eine Thörin und sollst zur Vernunft gebracht werden. Sehen wir den Thatsachen in die Augen. Du kamst hierher mit der Ab sicht, Sir Arthur's Werbung anzunehmen, er mit der, um Dich zu freien. Am Abend des Pikniks wollte er sprechen, Du hattest Deine Karten gut gespielt, und das Ziel war erreicht. Als Ginevra ihn ins Boudoir sandte, Dich zu suchen, hätte ich geschworen, er habe um Dich geworben, ehe er herauskam. Fünf Minuten später folgte die ver fluchte Miß Herncastle nnd verdarb Alles. Du^ stelltest sie ihm vor, und die Komödie ging an. Ohne Schönheit und Lebhaftigkeit fesselte sie ihn mit unerklärlichem Zau ber. Was Du mit Deiner Schönheit nicht gekonnt, sie hat es erreicht. Er ist ein Ehrenmann, aber einfach wie ein Kind. Ich glaube, er hat nicht die leiseste Idee über den Zustand seines Herzens. Sie bezaubert ihn und wird ihn heirathen, erwäge meine Worte, sie wird ihn hei rathen." „Es wäre nicht der erste Baron, der eine Gouvernante heirathete." „Aber das Weib ist keine gewöhnliche Gouvernante, sie ist eine gefährliche Abenteuerin." „Das ist grausam und ungerecht Papa, Du weißt nichts Nachtheiliges von Miß Herncastle." „Ich habe Augen und verstehe mich auf Physiogno mien, der Tag, an dem Sir Arthur sie heirathen würde, wäre für ihn der Anfang eines unglücklichen Daseins. Da vor mußt Du ihn bewahren, Carola." „Ich kann es nicht. So lange sein Herz noch frei war, wollte ich, um unsere Verhältnisse zu ändern, Dir gehorchen. Das ist nun vorbei. Es giebt noch tiefere Abgründe, als Armuth, Papa." Sie brach schluchzend ab, das dunkle Auge voll bitterer Pein. „Dann werde ich ihn retten." „Wie?" „Ich werde Ginevra die Sachlage erklären und sie veranlassen, Miß Herncastle zu entfernen. Heute ist die Gouvernante zum letzten Mal im Salon erschienen, und ehe eine Woche vergeht, muß sie Scarswood hinter sich haben. Du aber nimm Dich zusammen und laß mei nen Verdacht bezüglich O'Donnell nicht begründet er scheinen." Carola sprang gereizt auf.