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Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den andern Tag. Preis vierteljähr lich 2 Mark 25 Ps., zweinwnatl. l Ml. oO Ps. und ein« monatl. 75 Pf. Die Redaktion oe« findet sich Rinnen« gaffe 96^. II. Et. FrtilicrgerAnftiger und Tageblatt. Inserate werden bis Bor« mittags 11 Uhr für nächste Nr. ange nommen u. die ge spaltene Zeile oder deren Raum mit 10 Pf. berechnet. Inserate sind stet- an die Expedition, Frotscher'sche Buch handlung, zu senden. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Freitag, den 27. August. 1875 Z 198 zu können und die Welt daran zu erinnern, daß er auch noch da sei. Ob er das Gedächtniß der für ihn wenig ehrenhaften Bartholomäusnacht-Metzelei, ob er die Jesu- Träumereien einer hysterischen Nonne verherrlicht — immer muß er die Erfahrung machen, daß selbst seine prächtigsten Raketen und Feuerwerke wirkungslos verpuffen. Diesmal machte er O'Connel — einen Mann, der ein besseres Loos verdient hätte — zur Spielpuppe hierarchischer Herrschsucht. Man rührte gar gewaltig die heilige Lärm trommel, um wo möglich die ganze Welt zu dieser neuesten pyrotechnischen Produktion herbeizulocken — und was ist geschehen? Auch dieses römische Feuerwerk, denn nichts anderes war die O'Connelfeier, ist ohne Rücklassung irgend welcher Spur blitzschnell in den leeren Lüften verpufft. die Aufmerksamkeit anderer mächtigen Staaten aus sich zu ziehen vermochte. Aber-nun? Wie der Jesuitismus auf französischem Boden die Herz-Jesu-Kirchenfahne schwingt, so entfaltet er in Irland das alte Banner O'Connel's; und dies Freiheits banner wird in den Händen eines römischen Kardinals zur Standarte, unter welcher Irland seinen Nacken in das römische Joch nur um so fester spannt. Wie viele und wie pomphafte derartige ultramontane Demonstrationen hat die Welt seit den fünfziger Jahren schon an sich vor überziehen lassen! Alle möglichen kirchlichen Jubelfeierlich keiten sind über sie hinweggegangen, so flüchtig, so wesenlos, so spurlos wie eine vom Wind dahin getriebene Wolke! Immer und unablässig sinnt der Ultramontanismus auf irgend welche Veranlassung, um in die Trompete stoßen Festes und Erzbischof Caschen der erste Festredner — da war das Ganze vollständig gekennzeichnet als das, was es in Wirklichkeit war und was es nach den Intentionen seiner Veranstalter und Kommandeure auch sein sollte: dieheraus fordernde Feier des Sieges der sogenannten „katholischen Wahrheit" gegenüber dem englischen Protestantismus; eine prunkende und trotzige Schaustellung der Macht des klerikalen Elements angesichts der gefürchteten Liberalen, eine rauschende Orgie des modernen Ultramontanismus. An die Stelle der errungenen Volksfreiheit schoben kunstgewandte Hände die „Katholiken-Emanzipation" auf Irland, an den Platz des irischen Patriotismus ward der Stolz auf den Triumph Rom's über die grüne Insel herein eskamotirt; und den glänzenden Träumen von der Wieder geburt der „heiligen Insel" that keinen Augenblick der Branntwein Abbruch, aus dessen Tyrannei kein O'Connel den armen, tiefverkommenen, schwachköpfigen Irländer frei zumachen im Stande ist, wie von dem Drucke des prote stantischen England. Wäre die hundertjährige O'Connel feier mehr als eine Parade der Kutte, wäre sie in der That, was sie sein sollte, ein allgemein begeistertes und begeisterndes Nationalfest der katholischen Irländer, wäre sie überhaupt ein Freiheitsfest gewesen, in welchem ein Volk nicht nur seine erste Befreiung vom alten Joche, sondern auch seine Hoffnungen auf Vollendung seines frei heitlichen Aufbaues feierte, dann mußte ein solches Fest Tagesschau. Freiberg, den 26. August. Dem Vorgehen der drei Kaiserreiche in Konstan tinopel haben sich nun sämmtliche Unterzeichner des Pariser Vertrages angeschlossen, da auch England seine Zurückhaltung aufgegeben und sich mit den Ansichten der übrigen Mächte einverstanden erklärt hat. Nachdem die Pforte im Prinzip den von den Garantiemächten gemachten Vorschlägen zu gestimmt hat, ist man allseitig entschlossen, die zur Pa- zifizirung der insurgirten Gebiete nöthigen Maßregeln zu beschleunigen. Bereits haben Rußland und Oesterreich ihre Konsuln in Ragusa und Mostar zu Kommissaren ernannt, welche den Insurgenten die Entschließungen der Großmächte mitzutheilen haben. Die Bevölkerung der Herzegowina wird demnächst aufgefordert werden, an den Verhandlungen der Kommissare sich durch Bevollmächtigte ihrer eigenen Wahl zu betheiligen. In gut unterrichteten Kreisen glaubt man zu der Annahme berechtigt zu sein, daß die Insur genten sich zu den Verhandlungen geneigt zeigen werden, welche unter der Aegide der Großmächte geführt werden sollen. Den Agitatoren in Serbien und Montenegro ist bedeutet worden, daß sie auf eine Verwirklichung ihrer großslavischen Projekte nicht zu rechnen hätten, dagegen etwaige Wünsche soweit sie nicht mit jenen Ideen identisch seien, bei der Pforte anhängig machen könnten. In Be- siätigung dieser Nachrichten erfährt das Wiener „Telegraphen- Korrespondenz - Bureau", daß die drei Nordmächte einzeln der Pforte ihre Rathschläge ertheilt hätten. Dieselben gingen dahin, daß die auswärtigen Konsuln als Delegirte sich auf den Schauplatz des Aufstandes begeben sollten, um die Auf ständischen zu bewegen,'nach vorausgegangener Suspendirung der Feindseligkeiten ihre Wünsche zu formuliren und mit Nachtrag ;ur O'Lrmncl-Fcier. Wir haben vor einigen Tagen des O'Connelfestes in Irland gedacht und die Ursachen desselben näher dargelegt. Schien uns doch der hundertste Geburtstag O'Connels in der That wichtig genug, die Herzen aller Irländer in freu dige und gehobene Stimmung zu versetzen, denn ihm ver dankt der Ire und sein armes Land die Befreiung von manch' schwerem Druck und die Aussicht auf eine bessere Zukunft. Der Verlauf des Festes hat uns jedoch eine bittere Enttäuschung eingebracht, die uns nöthigt, noch mit einem Nachtrage auf die Feier selbst zurückzukommen. Ohne Zweifel würde das hundertste Wiegenfest des sieg- und ruhmgekrönten Agitators die Sympathien aller Freunde und Kampfer der Freiheit in aller Herren Länder für sich haben; ohne Zweifel hätte das ganze freie Europa diesem Feste zugejauchzt, wenn die Irländer es verstanden hätten, den Charakter eines Jubelfestes der irischen Freiheit sür ihre Gedenkfeier unversehrt zu erhalten. Nun aber ist es nach der Färbung, die dieses Fest leider trug, und nach den Männern,-die als dessen Arrangeure in den Vordergrund traten, nun und nimmermehr möglich, in der O'Cvnnel-Feier ein Fest der Volks befreiung, eine große Ovation für die Freiheit selbst zu erblicken. Der große Gedanke, der einst O'Connel zu seinem Ringen und Kämpfen begeisterte, ist zum Phantom in der engen Mönchs zelle, der Sieg, den O'Connel errungen, zur kleinlichsten Selbstverherrlichung hierarchischen Trotzes geworden. Wie man uns meldete, daß diese Feier mit einer pomphaften Hochmesse in der Kathedrale Dublin's in Anwesenheit von 4 Erzbischöfen, 40 Bischöfen und 500 Priestern eröffnet ward; wie man uns sagte, Kardinal Cullen sei Leiter des Rezension her." „Und der „Pierer" war natürlich ruinirt?" meinte der Oberst. „Wenn das Werk einen andern Verleger gehabt, viel leicht. Aber Letzterer hat die Selbstverleugnung besessen, den bereits erschienenen ersten Band der 6. Auflage aus dem Buchhandel zurückzuziehen und gänzlich zu vernichten und, unterstützt von den besten Kräften vorzüglicher Mit arbeiter und durchaus tüchtiger Zweig- und Hauptredaktionen, die Bearbeitung des Pierer ganz von Grund auf neu zu beginnen, uni einen ,ne uen Pierer" in des Wortes vollster und bester Bedeutung herauszugeben." „Und ist schon etwas davon erschienen?" fragte die Geheimräthin gespannt. „Schon drei Bände, gnädige Frau," erwiderte Roßdahl, „der vierte muß aber schon in den nächsten Tagen folgen. Das Pierer'sche Konversations-Lexikon ist jetzt in der That so vorzüglich und gediegen, daß mau es als daS beste und vollständigste Werk dieser Art bezeichnen darf." „Ganz einverstanden, Roßdahl," siel der Oberst lebhaft ein, „und der neue Pierer — nun, den muß ich mir wohl gleich bestellen, literarischer Mentor?" „Freilich, wenn Sie einen solch gediegenen, wissensreichen, immer zuverlässigen Rathgeber und Lehrer auf allen nur denkbaren Gebieten des Wissens, der Kunst, der Industrie, des Handwerkes haben wollen so kann Ihnen kein anderes Werk mit gleichem Erfolge empfohlen werden." Der Diener erschien, um den Abendtisch zu serviren. Gern folgte die Gesellschaft der Aufforderung der Wirthin, während dieses Geschäftes einen Gang durch den Garten zu machen. Nur der Oberst bat, von der Theilnahme an dieser Promenade dispensirt zu sein, da seinem Podagra die Ruhe des bequemen Sessels mehr behage. Kaum aber batten die Anderen ihre Plätze verlassen, als eine eilige Nachricht die Geheime Kommerziell-Räthin auf einige Augen blicke in's Haus rief. Ehrich von Roßdahl und Frieda wandelten in der von In Oberhausen? Wo liegt denn das Nest?" „An dem großen, offenen Schienenwege von Cöln nach Berlin", erwiderte von Roßdahl; „es ist allerdings eine der allerjüngsten Städte, aber ein schon sehr bedeutender Jndustrieort, der in seiner Mitte die große Buchdruckerei und Verlagshandlung von Ad. Spaarmann als besonders schätzenswerthes Institut besitzt." „Große Verlagshandlung?" fragte der Oberst kopf schüttelnd. „Habe noch niemals davon gehört. Ich denke, alle großen Verleger müssen in Leipzig oder Berlin wohnen und wirken." „Dem scheint doch nicht so," erwiderte der Rittmeister. „In dieser neu und wunderbar schnell auf sandigem Heide grunde hervorgewachsenen, von der Kohlen- und Eisen industrie bevölkerten Stadt, am Knotenpunkte der west deutschen und holländischen Bahnen, erscheinen zwei so be deutsame literarische Werke, daß diese allein schon jener Sladt den Ruhm einer literarischen Pflegestätte verschaffen." „Das wäre?" siel der alte Literaturfreund ein. „Die Schloss er's che Weltgeschichte und Pier er's Universal-K onversations-Lexikon," erwiderte Roßdahl. „Ah, das muß ja ein ganz unglückliches Buch sein," warf die Geheimräthin unter Zustimmung ihrer Tochter dazwischen. „Hier bei dem „Daheim" finde ich schon zum zweiten oder dritten Mal Blätter, auf denen nichts als Streit und Krieg über Pierer und Meyer geschrieben steht. Wie hängt das eigentlich zusammen, Herr von Roßdahl?" „Das Unternehmen erblickte nicht unter günstigem Sterne das Licht des Daseins. Die Redaktion der neuen Be arbeitung, welche die sechste Auflage bildete, war in die Hand eines einer solchen Aufgabe nicht gewachsenen Literaten gelegt. Gute Freunde eines ähnlichen konkurrirenden Werkes versuchten alsbald die unliebsame Konkurrenz zu > beseitigen, und über den neuen „Pierer" fiel man mit Mr -e« Monat September eMueu wir ein Monats-Abonnement auf den „Freiberger Anzeiger" rum Preise von 75 Pfennigen. Bestellungen nehmen iu Freiberg die unterzeichnete Expedition, aus wärts sämmtliche Reichspostanstatten entgegen. Die Expedition des Freiberger Anzeiger. sFrotscher'sche Buchhandlung, Erbischestr. 609.) Feuilleton. Schlosser als Eheprokurator. (Fortsetzung inw Schluß) „Mögen Sie, Herr Rittmeister, dem wackeren Schlosser verdanken, was und wie viel Sie wollen," fuhr die Danie fort, „jedenfalls wird mir jetzt das Exemplar in dem Bücher saal noch von besonderem Werthe sein. Fridchen, zeig' mir doch morgen die Stelle, welche Herrn von Roßdahl zum Günstling des Feldmarschalls von Moltke gemacht hat. Ver giß es nicht, Kind." „Gewiß nicht, Mütterchen!" erwiderte rasch die Tochter, fast beleidigt durch die Erinnerung. „Und von mir, Fridel, legst Du ein Extra-Lese- und Denkzeichen ein!" fügte der Oberst hinzu, „wart' da, ein Blatt von der prachtvollen Centifolie in Deinen Händchen! Ja, ja, ja, ja! Daß das Alles der Allerwelts-Schlosser und Geschichtschreiber fertig gebracht hat! Hätte das den ehr würdigen 14 oder 15 Bänden gar nicht angesehen. Aber Ihr habt Recht, alter Freund; eS ist ein Meisterstück deutscher Geschichtsschreibung, es ist ein Werk, davon der Ver stand klar und das Herz weit und der Aerger über alle Dummheit und Bosheit des Menschengeschlechtes und die Liebe zu unserem in Trübsalen stark gewordenen deutschen Vaterlands groß wird. Nur schade, jammerschade, daß der alte Schlosser mit 18-5 abschließt. Da hat ja doch eigent lich die deutsche Geschichte eine ganz neue Seite ange- fangen." „Bitte sehr, Verehrtester Herr Oberst," entgegnete Roß- dahl, „da sit Ihre Literaturkenntniß hinter der Zeit zurück geblieben. Im vorigen Jahre erschien in Oberhausen eine neue Ausgabe dieses unübertrefflichen Werkes, und Professor Jaeger in Cöln hat, ganz im Geiste und würdig des Meisters, die Weltgeschichte der Gegenwart bis zu unseren Tagen herab hinzugeschrieben." „Vortrefflich, vortrefflich, dann schaffe ich mir morgen am Tage den gegenwärtigen Schlosser an und pensiontre für England ein Ereigniß sein, welches seinen Leitern und Staatsmännern viel zu denken gab und welches wohl auch den alten, und ich will noch einmal ihn durchstudiren, wie, einer weder nöthigen, noch gerechtfertigten literarischen ich es schon öfter gethan. Ich erbaue mich wahrhaft an diesem klassischen Werke. Aber — wo ist das erschienen?