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Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Sonntag, dm 11. Jnli. 1875 z? 158 , »peimynatl. 1 Ml. vO Pf. und ein- monatl. 7S Pf. Die Redaktion *«. findet fich Rinnen, gaffe 96^. ll. Et. Gesiniiliilg für den Fortschritt irgendwo glauben wird. 1 Jedenfalls haben sie sogleich den Beweis von diesem Fort schritts-Konservatismus ablegen wollen und deshalb in ' ihrem Aufruf vom 24. Juni erklärt: „wer heut zu Tage < nicht treu zu Kaiser und Reich steht, der trägt kein deutsches 1 Herz in sich, der versteht nicht deutsch zu denken und deutsch , zu fühlen" Und nicht genug mit diesem pathetischen Ge- löbniß ganz selbstverständlicher Schuldigkeit von Reichstreue, > bei dem sonst jedem in der Wolle gefärbten sächsischen ' Konservativen zu Muthe geworden wäre, als hätte er Holz- essig geschluckt, erklären die Edlen nach ihrer Häutung auch ausdrücklich, daß ihnen mit solchen Gegnern, „die Konserva tismus, Patrikularismus und Reichsfeindschaft durch ein ander Wersen, eine Verständigung unmöglich ist." Das glauben wir auch. Es fragt sich also nur, mit wem sie sich verständigen wollen, da aus ihrem ganzen Programm nicht ersichtlich wird, worin denn ihr Konservatismus besteht, ob er mehr ist als die Phrasen des Wahlaufrufs , welche auch einem zeitgemäßen Liberalen ungemein sympathisch sein können. In der Gewerbegesetzgebung und auf ähnlichen mehr der Verwaltung und Volkswirthschaft zugehörigen Gebieten „konservativ" sein wollen — du lieber Gott, darunter kann man heute verstehen was man will. Sind doch Männer wie Canrphausen, Delbrück, Michaelis, denen man vor zehn Jahren einen gewissen Konservatismus in der Finanz- und Handelspolitik nachsagen konnte, heute an der Spitze der liberalsten Partei auf diesem Gebiet, und wer weiß, wo man sie nach drei Jahren schon wieder findet. Für eine Partei, die politisch etwas sein und bedeuten will, kommt es vor Allem darauf an, Stellung zu den großen nationalen und politischen Fragen zu nehmen. Aber darüber gehen unsere Konservativen in ihrem Programm mit diplomatischer Schlauheit hinweg, als möchten sie, die nach Berlin reichstreu schielen und zugleich sehnsüchtig nach der früheren Selbstherrlichkeit zurückschauen, sich nicht die Finger verbrennen. Sie legen die ganze Weisheit ihrer konservativen Ueberzcugungen in das große Wort nieder: „Wir selbst betrachten uns nur als ein Glied der großen konservativen Partei im deutschen Reich." Nun kennt man aber gar keine konservative deutsche Neichspartei, wenn man nicht die Freikonservativen dazu rechnen will, die sich Sächsische Sreumtter. Wie ist es doch so schön für manche Leute, wenn sie in der Welt etwas bedeuten! Ein Konservativer zu sein, das ist gewiß eine anständige, respektvolle Eigenschaft; man muß nur wissen, was er eigentlich und ob er etwas Respektables will. Die edlen Junker im preußischen Herrenhause haben seit ein paar Jahren etwas gewollt, was sie für Niemand als für sich selbst respektabel machte. Dies hat ihnen schließlich doch nicht mehr gefallen und so sind sie denn mit einem letzten schmerzlichen Blick auf die Schanzt, die sie bisher in edler Selbstverleugnung vertheidigt, unter der Anführung des Freiherrn v. 'Maltzahn auf den Boden der Prinzipien der neueren Gesetzgebung vor gerückt und nun denken sie wieder etwas zu bedeuten. Man mag's ihnen auch gönnen. Ein bischen konservativ ist ganz wunderschön und wirkt wie gährender Most unter frischem. Unser recht lahmer Liberalismus, dem das Leben seit einigen Jahren so wenig sauer gemacht worden ist, kann es zu seinem eigenen Besten sehr wohl vertragen, wenn ihn eine konservative Partei, die etwas bedeutet, wieder mobil macht. Auch unsere sächsischen Konservativen sehnen sich nach größerer Anerkennung ihrer bisher sehr wenig respektirten Verdienste, nach einem größeren Schauplatze ihrer Thätig- keit. Ein sächsischer Konservativer war eigentlich seit dem Eintritt Sachsens ins deutsche Reich ein unglückliches Wesen geworden. Er haßte das Reich, weil von diesem auf unsere heimische Gesetzgebung bedeutender Einfluß genommen wurde; er konnte das alte Sachsen, in dem er seine Rolle zu spielen gewohnt war, doch nicht mehr konservireu. Was will aber ein Konservativer bedeuten, wenn er nichts von Bedeutung zu konserviren hat? Das fiel unseren sächsischen Kreuzrittern ebenso schwer aufs Gewissen, als den preußischen und so kamen sie denn überein, sich durch ein elastisches Präparat ihres konservativen Begriffs irgend eine Be deutung zu verschaffen. Sie sagten mit einem Mal: „wir huldigen auch dem Fortschritt und opfern das bestehende Gute erst dann, wenn wir überzeugt sind, daß das Neue bester sein wird, als das Alte." Für einen Konservativen, das muß man gestehen, war dies verzweiflungsvoll radikal gedacht; nur ist es fraglich, ob man ihnen diese freundliche Inserate werden bis Bor» mittag- 11 Uhr für nächste Nr. ange nommen u. die ge spaltene geile ober deren Raum mit 10 Ps. berechnet. Inserate sind stet» an die Expedition, Frotscher'sche Buch handlung, zu sende«. denn doch seither noch immer merklich von preußischen ächstschen und bairischen Ältkonservativen unterschieden. Man hätte sich ja dann auch einfach als „freikonservativ" entpuppen können. Doch mögen unsere sächsischen Konser- , vativen fortan auch einmal mit den preußischen Junkern an einem Strange ziehen, die bekanntlich ihre föderativen preußischen Mucken haben — viel Gegenliebe kann doch diese Wahlverwandtschaft in unserem industriellen Sachsen unmöglich erwarten! - st Der bunte, lustige Mantel mit dem Kreuzzeitung-- Kreuz, welchen sich unsere Konservativen umhängen, verhüllt leider nicht, weß Geistes Kind sie sind. Unten kommt der Pferdefuß hervor: es ist der alte Herr von früher, der da mit täuschenden Schminke« sich unter das Volk mischt, um 'n Seelen zu fangen. Die „Neue Reichszeitung" in Dresden als junger Ableger der Berliner Kreuzzeitung und Organ der sächsischen Konservativen, hat ihren brüderlichen Hände druck mit dem ultramontanen „Katholischen Volksblatt aus Sachsen" gewechselt. Das ist allerdings eine That, die tausendmal besser als alle windigen Phrasen unsere Kreuzritter charakteristrt. Herr v. Rochow hat in seinem „Volksblatt" betont, daß der kleinen katholischen Gemeinde in Meißen das Stand bild des verbissensten Gegners von Kaiser Heinrich IV. (Canossa), des heiligen Benno, Bischofs von Meißen, ver ehrt worden sei, welches man in unserem protestantischetr Lande aufstellen will. Was heißt dergleichen in heutiger Zeit? Und was heißt es, daß unsere Konservativen mit dieser ultramontanen Partei ein Herz und eine Seele sein wollen? Das heißt — reichsfeindlich sein und das Programm des konservativen Vereins in Sachsen als eitel : Unwahrheit enthüllen! Es thut vielleicht auch Herrn Hofrath i Ackermann, Festredner am Geburtstage des Kaisers, und : Herrn Handelskammerpräfidenten Rülke wehe, daß sie sich in dieser Gesellschaft sehen. Die sächsischen Liberalen werden hoffentlich aus alledem lernen, was sie zu thun haben. Unsere Konservativen, bei den Wahlen sonst so schonend gegen die Fortschrittspartei, ' haben jetzt ihre Feindseligkeit gegen allen Liberalismus geoffenbart ; wohlan denn, so seien fortan die Liberalen allesammt auch einig gegen sie, um ihnen jede Bedeutung zu nehme», die sie ohnehin nicht verdienen. erscheint trden Wochentag Wend« « Uhr für de» andern Tag. ?MßklMZ.WiM und Tageblatt. / iUlliel!'k.!. Am Abgrunde. Roman von LV rverner. (Fortsetzung.) „Den Wagen da meine ich", sagte der Geiger, als habe er seine Gedanken errathen. „Misten Sie, wer darin sitzt?" Ludwig sah ihn starr an. Halb unbewußt entschlüpfte seinen Lippen: „Wally!" Der alte Geiger nickte mit dem Kopfe, als habe er keine andere Antwort erwartet. „Fräulein Wally Werdenberg, die Tochter des Millionärs", sagte er. „Und wissen Sie, wohin sie eigentlich jetzt fährt?" „Ml Exler", sagte Ludwig gepreßt — „Sie wollen von der Dame abgesanol srin; was haben Sie mir mit- zutheilen?" „Daß sie nicht kommt, was weiter? — Oder daß sie nicht kommen kann, um nichts hinzusetzen oder wegzulasten." „Und warum kommt sie nicht? Sie muß doch einen Grund angegeben haben." „Weil bei dem Herrn Nordheim heut das Erntefest stattfindet und weil sie soeben zu demselben mit ihrem Vater abgeholt worden ist. Und ich habe auch nicht viel Zeit, denn meine Fiedel kriegt heut wieder Arbeit." Ludwig war vernichtet. Er mußte sich an einen Baum stamm lehnen; sein Auge blickte gen Osten, nach dem Wage». „Also zu Nordheini — und mit ihrem Vater — zu Nordheim! murmelte er. „Wundert Sie das, Herr Steinbach? Haha, Sie sind ein armer Schlucker, und die Nordheims sind eigentlich von Adel und können ihren vergilbten und vermoderten Stammbaum jeden Augenblick wieder hervorsuchen. Hahaha, Gezücht der Neichen! Man muß sie zertreten, wenn man kann — oder wenigstens verachten. Das Ver achten hilft freilich nicht recht aber zertreten, zer treten! Ha, den Hochmuth so in den Staub drücken — und Sie können's, Sie können's!" „Was redet Ihr da für wunderliche Worte, Meister Erler?" fragte Ludwig den Unheimlichen. „Wunderlich? Ja wahrhaftig — aber Recht habe ich doch! Denkt an das Grab dort drüben — hahaha — und jetzt habe ich keine Zeit mehr. Aber ein ander Mal komme ich wieder zu Ihnen, Herr Steinbach, und dann werde ich sprechen — morgen noch — und Sie sollen sehen lernen, sehen, daß Ihnen die Augen übergehen. Aber jetzt muß ich fort, ich muß zum Tanze fiedeln für Nordheim." Von dem Gloriett, wo er Ludwig und Wally in so schmachvoller Weise begrüßt hatte, war Max Nordheim wie von Furien gepeitscht hinweggeeilt, nicht auf dem gebahnten Wege hin durch den Wald und langsam auf Idem sich senkenden Rücken des Berges abwärts — nein, fich von der Thür, die er hastig hinter sich zuwarf, zur Rechten wendend, stürzte er in dem augenblicklich trockenen Bette eines Gießbaches thalein und kam unfern vom Fuße des Gloriettfelsens, zwischen dem Jägerhause und einer Bleiche, an den Krebsbach. Athemlos hielt er hier von seinem fluchtartigen Rückzüge endlich stille und schöpfte Athem. „Das war die größte Dummheit, die ich in meinem Leben begangen habe", murmelte er zornig, an dem Felsen hinaufblickend. „Haha, in solcher Weise sie selber gegen mich einzunehmen! Was muß sie denken! Aber das kommt davon, wenn das Herz mit dem Kopfe durchgeht — was mir bislang mein Lebtage noch nicht vorgekommen ist. Ich kann mich noch nicht beherrschen; aber ich werde es lernen und — bah, sie ist eben doch nur ein Mädchen, wie sie es alle sind — und sie wird und muß mein werden. O, wenn ich nur erst wieder zu rechnen, zu denken anfange nein, es bleibt eine Dummheit! Aber ich habe doch einen Vortheil vor dem Andern voraus, denn während sein Blut jetzt eben in's Sieden gebracht ist, wird das meinige ruhiger fließen." So ging er auf einem Umwege nach Blendlingen zurück, schwang sich auf sein dort zurückgelasteneS Roß und ritt nach Hause. Dicht an der Straße, etwa halben Weges nach seiner Wohnung, lag ein mehrere Morgen großer Fleck Landes, welcher zu Werdenberg's Besitzungen gehörte und auf welchem eine größere Schaar von Arbeitern beschäftigt war. Die Aufsicht über die Leute führte Martin Böhm, derselbe Mann, welcher am Abende vorher zu Nordheim gekommen war. Böhni's scharfes Auge hatte den herankommenden Reiter schon von Weitem erspäht und erkannt, und er hielt es für nicht überflüssig, näher und näher an die Straße zu kommen, da Nordheim ja einen Auftrag für ihn haben könne, wie er meinte. Er sollte sich nicht getäuscht haben. Nordheim, der ihn erst ganz in der Nähe, als Böhm grüßte, zu erkennen schien, fielt sein Thier an und, sich vorsichtig nach etwaigen Lau- chern umblickend, beugte er sich ein wenig herab und sagte leise ! „Vielleicht ereignet sich bald etwas, Böhm. Paßt scharf auf — und thut mir Wichtiges so schnell als möglich kund." „Zu Befehl, gnädiger Herr!" entgegnete der Aufseher. „Den Verwalter habe ich heut noch nicht zu Gesicht bekommen." Nordheim antwortete nicht auf diesen Versuch seines Spions, in Betress des Gloriett etwas zu erfahren. Er grüßte nur leichthin durch ein herablastendes Winken mit der Hand und ritt, ohne weiter ein Wort gesprochen zu haben, davon. Böhm starrte ihm nach, und vor seinen Augen erschien das zweite Goldstück, das er als Botenlohn einzuheimsen gedachte. Und wahrlich, das Glück war ihm günstig. Er konnte bald genug die Meldung überbringen, daß der Verwalter Steinbach seinen Posten quittirt und sich nach der Residenz begeben habe, daß Wally sich außerhalb des Herrenhauses