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Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. W ImbmMMM W findet sich Rinnen. " Handlung, zu sende». - " und Tageblatt. 146. Sozialistische Wetter. Die Befürchtungen, denen wir in einem früheren Artikel über die bevorstehende HandelSkrisis Raum gaben, haben sich leider nur zu sehr bewahrheitet. In England ist der Zusammenbruch einer Anzahl der größten Firmen für den überseeischen Handel mit einem so enormen Verlust erfolgt, daß gegen diesen Krach der Wiener nur ein Kinderspiel zu nennen ist. Der Krach ist eben aus den begrenzten Sphären der Börse und der einzelnen überspekulirten Industrie nach dem großen Weltmarkt übertragen worden und die Folgen müssen demnach mehr allgemeiner Natur sein, als durch die bisherigen mehr lokalen Hagelwetter. Wie viel man auch schon über die Ursachen solcher Krisen nachgesonnen, um zu einer Erklärung der wirkenden Prinzipien zu gelangen, so rathlos sieht man sich dennoch solchen Ereignissen gegenüber, wie sie jetzt die wirthschaftliche Welt unserer Kulturstaaten heimsuchen. Die Wissenschaft hat noch nicht das Geheimniß zu enthüllen vermocht, welches diesen Gesetzen zu Grunde liegt, nach denen die nach und nach an gewissen Punkten angesammelten Kapitalien plötzlich wie durch elementare Wetter sich in Nichts verflüchtigen, blühende Großgeschäfte plötzlich sich dem Untergang geweiht finden, Jahre lang als glücklich und richtig sich erwiesene kaufmännische Unter nehmungen in den gähnenden Abgrund des Bankerotts stürzen. Ist es hier dasselbe Gesetz, welches auch der Macht großer zentralisirter Staaten — wie uns die Geschichte lehrt — ein Ende macht, oft wenn sie sich noch auf ihrer Höhe dünken? Entspricht diese Erscheinung derjenigen in der Natur, wonach durch die Entziehung der Luft nach einem Punkte hin sich die Stürme entwickeln, welche allge meine Verheerungen bewirken? Indem die jetzige Erschütterung des Weltmarktes vor sich geht, tritt aber noch eine besondere Erscheinung zu Tage, welche über ihre lokale Bedeutung hinaus eine ganz neue Perspektive eröffnet. Achttausend Weber in Brünn haben einen Strike geplant und ihren Arbeitgebern Be dingungen für die Fortarbeit gestellt, welche nicht mehr blos die sogenannte Magenfrage, sondern eine förmliche sozialistische Revolution auf einem Gebiete der Industrie zum Endzweck haben. Sie verlangen nicht so sehr Lohnerhöhung, sondern Antheil am Gewinn des Kapitals. Sie beabsichtigen, sich die Theilhaberschaft an den Fabriken zu erzwingen, in denen sie arbeiten. Smntag, den 27. Juni. Ganz gleich sei es zunächst, wie diese Angelegenheit des Weiteren verläuft. Wir heben nur die notorische Thatsache hier hervor, um darzulegen, in welche neue Bahnen der Sozialismus zu treten sucht und welche neue Elemente dahineinspielen. Der Weber-Strike in Brünn bleibe in seiner materiellen Seite unerörtert, aber er giebt eine bis her noch nicht erschienene Illustration zu den bedeutsamsten Beziehungen, in die der Sozialismus oder die Sozial demokratie zu der Gesammthcit des industriellen Marktes treten kann und will. Brünn ist ein Hauptplatz der österreichischen Tuch fabrikation, die in ihrer Art eines der bedeutendsten Geschäfte in Oesterreich bildet und an vielen Orten große Fabrikation betreibt. Bei feinen Handelsverträgen hat Oesterreich des halb auch ein hohes Gewicht darauf gelegt, für seine Tuch erzeugnisse sich günstige Tarife zu verschaffen, um ihnen die Konkurrenz auf fremden Märkten zu ermöglichen. Durch den Krach ist der Niedergang aller Geschäfte in Oesterreich erfolgt und naturgemäß haben die Arbeiter damit Ver kürzungen ihrer Löhne sich gefallen lasten müssen, wollten re überhaupt noch Arbeit finden. Die Fabriken hätten bei den schlechten Geschäften, die sie machten, nicht fort arbeiten können, wenn sie noch neuen Ansprüchen der Arbeiter auf Lohnverbesterung Rechnung tragen wollten. Um so auffallender denn, daß sich die Tuchweber in Brünn einen auch ihnen so ungünstigen Zeitpunkt auswählten, um mit Forderungen auszutreten, deren Bewilligung unmöglich war, sollte nicht das ohnehin schon geschädigte Geschäft völlig darnieder kommen. Sie selbst konnten sich darüber keinem Zweifel hingeben. Trotzdem gingen sie mit ihrem Angriff vor und drohten in voller Geschlossenheit, die Arbeit nieder zulegen, wenn ihnen ihre Bedingungen nicht zugestanden würden. Die Fabrikanten ihrerseits wollten und konnten darauf nicht eingehen und erklärten, lieber ihre Fabriken zu schließen, als sich in diese Forderungen in einer Zeit zu fügen, in der sie kaum sich selbst zu erhalten vermochten. Wie gesagt, es sei hier gleichgültig, wie nun die Sache weiter verlaufen wird. Aber die interestantesten Fragen, die sich aufdrängen, bleiben die: Was konnte 8000 Arbeiter, die im Strike gar nichts verdienen, bewegen, durch ihre Forderungen möglicher Weise eine große Industrie zu ruiniren, die ihnen doch für die Zukunft selber nöthig ist? Und welchem mächtigen Einfluß gehorchen sie, um willig ihre Existenz aufs Spiel zu setzen? Man hat dafür eine Erklärung zu geben versucht, M5. welche — so unglaublich sie klingt und so unwahrscheinlich ie ist — doch dadurch frappirt, daß sie auf. ein neues Prinzip in dieser sozialen Agitation wie instinktiv mit Fingern zeigt. Es hieß, die englische Tuchweberei stecke dahinter und habe mit ihren Geldmitteln Einfluß auf Agenten der Internationale genommen, um diesen Strike m Brünn zu veranlassen und dadurch einen Schlag, vielleicht einen tödtlichen, gegen die ihr so gefährlich gewordene öster reichische Konkurrenz zu führen. So sehr sich nun auch der Verstand sträubt, den englischen Tuchindustriellen einen so teuflischen Plan zu zutrauen und der Sozialdemokratie eine so kurzsichtige Politik, sich hier zum Werkzeug eines Kapitals gegen das andere herzugeben, so öffnet nichtsdestoweniger dieser Gedanke den Vorhang und läßt auf der Bühne des internationalen Jndustrielebens eine Szene erscheinen, die jedenfalls möglich sein kann. Der Egoismus in dem Kampf ums Dasein — warum sollte er nicht zu den verwegensten Mitteln greifen, um sich den Gegner vom Leibe zu schaffen? Andererseits, ist es etwa unmöglich, daß sich die sozialistische Organisation scheut, eine Zitadelle des Fabrikantenthums uiederzulegen, um ihre Macht zu erproben und darnach die erklärlichen Vortheile daraus zu ziehen? Es ist wie ein Streifblick in die geheime Werkstatt, aus welcher die sozialen Wetter hervorgehen; und man mag heute sagen, daß er eine Täuschung veranlaßte — auch die Täuschungen leiten ost aus die Spuren der Wahrheit, auf ein Gesetz, dessen Wirkung man sah, aber dessen Prinzipien man noch nicht verstand. Tagesschau. Freiberg, den 26. Juni. Die letzte Sitzung der Reichsjustizkommission füllte der Titel von der Verhaftung aus. Dem ursprünglichen Entwürfe entgegen wurde die Untersuchungshaft des An geschuldigten auf höchstens 14 Tage festgesetzt. Nach Ablauf derselben muß entweder die öffentliche Klage gegen ihn erhoben werden, oder die Freilassung erfolgen. Den von dem Regierungsentwurfe gewählten Ausdruck „Ver wahrungsbefehl" entfernte man und jedem Befehle ohne Unterschied des Stadiums des Verfahrens soll die Bezeich nung „Haftbefehl" beigelegt werden. Die Befugniß zum Erlaß von Steckbriefen wurde ebenfalls im Gegensatz zum Entwürfe nicht allein den Polizeibehörden, sondern auch dem Staatsanwalt abgesprochen. Nach dem Reichsstraf- Prozeßentwurfe war nämlich den Polizeibehörden diese Be fugniß für den Fall eingeräumt worden, daß Gefangene aus dem Gefängniß oder auf dem Transport entwichen. Feuillei on. Blumen und Kugeln. Eine wahre Geschichte. Aus dem offenen Fenster und der halbgeöffneten Thüre des kleinen Gemaches strömte sinnberückender Blumendufl. Ein eisernes Bett, wie es in den Kasernen zu finden, ein mit blüthenweißen Linnen überdeckter Tisch, auf demselben ein einfaches Kruzifix zwischen brennenden Kerzen, zwei Strohsessel und eine hölzerne Bank bildeten die Einrichtung des Zimmers. Und über alles das, über den weißgedeckten Tisch und das spartanische Bett, über die Strohsefsel und über die hölzerne Bank waren in verschwenderischer Fülle Blumen hingestreut, einfache Feldblumen und exotische Kinder verfeinerter Gärtenkunst, lose und in sinnige Sträuße gebunden, wie es eben kam. Auch um die Knie des Gekreuzigten schmiegte sich ein kleiner Strauß verschämt dreinblickender halberblühter Rosen und ein frischgepflücktes Sträußchen hob und senkte sich in hastender Bewegung an der Brust des jungen, lebenskräftigen Mannes, der, in Husaren-Uniform gekleidet, mit verschränkten Armen beim Fenster stand. Er blickte durch das Eisengitter des Fensters in das Lichtgefunkel draußen und in den goldenen Sonnen schein, der sich durch die sattgrünen Zweige einer mächtigen Linde drängte. In den Zweigen tummelte sich und zirpte ein ganz kleiner Bogel. Der mochte das Tummeln oder das Zirpen plötzlich satt haben, denn mit einem Male schoß er weg. Wohin? Fort — wohin er wollte. War er nicht frei? Ja — das frischgepflückte Sträußchen vor dem aelb- verichnürten Attila hob und senkte sich in fliegender Hast, denn so ernst auch das jugendlich schöne Gesicht hinaussah m die liebe Gotteswelt, so mochten es doch gar verschiedene Regungen sein, welche die Brust unter dem Attila durch ¬ wogten. Natürlich — es stimmte nicht Alles zusammen mit dem reizenden Blumenüberfluß in dem kleinen Zimmer, mit dem Goldgefunkel vor dem Fenster und mit der tollen Laune des kleinen zirpenden Bogels, denn zwei Schildwachen standen zu beiden Seiten der Thüre und verwendeten kein Auge von dem jungen Husaren — von seinen Handgelenken liefen schwere Eisenketten hinab zu seinen Füßen und — morgen um diese Stunde war er ein todter Mann. Eine Fiber seines Gehirns war gestern gar scharf gereizt worden und klang immer einige böse Worte nach, die ihm der Auditeur vorgelesen. Eigentlich war ihm der Sinn der ganzen Rede dunkel geblieben und er versuchte es umsonst, mit peinlicher Erregtheit ihren Zusammenhang sich in's Gedächtniß zu rufen. Nur ein paar Worte hörte er immer wieder in den Ohren klingen, als ob ein böser Dämon sie ihm ohne Unterlaß einflüsterte, die lauteten: „ zum Tode durch Pulver un» Blei verurtheilt." Was später geschehen, war ihm nicht ganz klar ge worden. Es war ihm plötzlich, als ob er in die Augen der Mutter sähe, wie sie ihn angeblickt, als er, zum erstenmal in des Kaisers Rock gekleidet, von ihr Abschied nahm — „auf kurze Zeit", wie er ihr damals begütigend gesagt — daun flirrten in wildem Tanze Gestalten von Jugendgespielen vor seinen Augen, dann ein blondes Mädchenbild mitten unter schnaubenden Rossen, dann hörte er Sporen klirren — vielleicht seine eigenen, — dann das Oeffnen von Riegeln, und mit einemmale hatte er sich in dem kleinen Zimmer gesunden mit den beiden Schild wachen und dem Kruzifix zwischen brennenden Kerzen. Dann war der Regimentspater gekommen, dann viele Offiziere seines Regiments, die waren alle so freundlich und gaben ihm jeder die Hand. Später kamen Damen und Herren, einzeln und zu mehreren. Alle brachten ihm Blumen. Viele fragten ihn, ob er etwas wünsche, was er verneinte. Ein Herr hatte ihm ein Kistchen Cigarren gebracht; von denen hatte er drei herausgenommen und den Herrn lächelnd gefragt, ob er wohl glaube, daß ihm Zeit bleiben werde, alle die Cigarren zu rauchen? Und wie er dann allein war und wirklich zu rauchen anfing, da war ihm urplötzlich wieder die Mutter eingefallen. Die Cigarre flog zum Fenster hinaus, denn es überkam ihn ein schweres tiefes Schluchzen und die Thränen stürzten ihm in den keimenden blonden Schnurrbart. Das war aber so gekommen: In dem Husaren-Regiments, das vor Jahren in einer österreichischen Kreisstadt in Garnison lag, diente ein junger Unteroffizier, der durch seine persönlichen Eigenschaften die Aufmerksamkeit seiner Kameraden, der Offizierskorps und, wie gleich gezeigt werden soll, auch manch' Anderer Leute auf sich gezogen hatte. Nicht der Umstand allein, daß Bela aus sehr guter Familie und ein geborner Edel mann war, auch nicht seine jugendliche Mannesschönheit hatte ihm diesen Vorzug verschafft, aber Bela vereinigte eben Alles in sich, was nur dem Ideale eines jungen Kriegers entsprechen mochte. Von kräftigem und ge schmeidigem Wuchs, heiter und freundlich mit Jedermann, verläßlich und durchaus brav, ein wandelndes Muster von Nettigkeit und militärischem Anstande, ein verwegener, ja tollkühner Reiter, der sich in der Schlacht bei Custozza die Tapserkeitsmedaille herausgehauen hatte, besaß er außer dem so viel Bildung und ein so gentlement'sches Betragen, daß er mit Sicherheit darauf rechnen konnte, in nicht allzuserner Zeit zum Offizier befördert zu werden. Einen Fehler hatte er allerdings, nämlich eine grenzenlose Empfindlichkeit, die ihn oft bei anscheinend kleinen Anläßen gar heftig und wild aufbrausen machte, viel mehr als seine sonst so glatten Umgangsformen hätten errathen laßen. Das kam aber selten vor und machte die sonstigen liebenswürdigen Eigenschaften des jungen Mannes nicht wett.