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UrreibergerAMigeM und Tageblatt. Amtsblatt Wr die königlichen und städtischen Behörde» zn Freiberg und Brand. ' 142. Mittwoch, den 23. Jmi. 1875. Abonnements-Einladung. Wir »itte«, das »«»«nnent für das mit dem 1. Juli beginnende dritte Quartal 1875 de» gefülligst recht Zeitig eruenern zu wollen, damit wir vollständige Exemplare liefern können. Man abonnirt in Freiberg bei der unterzeichnete« Expedition; antzerh« ld »ei fSmmtttchen Postaustalten. Der «bonnemeutspreis beträgt pro Qnartal 2 Mark 25 Pfennige. Der „Freiberger Anzeiger" vertritt in den Fragen der inneren Politik eine etztschieden freisinnige Richtung, während er in Bezug auf die üutzeren und deutsche« Reichsangelegeuheiten der nationale« Fahne folgt. Auch im «ene« Quartal wird da» Feuilleton dnrch spannende Novelle« «ad Erzühl«nge« da» Interesse der geehrten Leser zn fesseln snchen. Die sich von Woche zu Woche mehrende Anslage unseres Blatte» sichert de« Bekannt« ach »nge» »nd Inserate« die wirksamste Verbreitung nicht nnr in Freiberg and Umgegend, sonder« i« gaaze« Lande «vd über dessen Grenzen hinan». Wir empfehle« deshalb die Benutzung des „Freiberger Anzeiger" allen Inserenten zur ferneren geneigten Beachtung. Die Expedition. (Frotscher'sche Buchhandlung, Erbischestr. Nr. 600.) Deutsche Sprache und Sitten. Daß die Spracht die Bildung des Berstandes und Ge- müthes, sowie die Sitten und Eigenheiten der Menschen am deutlichsten kund giebt, ist unverkennbar und natur gemäß. Je selbständiger ein Volk ist und je mehr es seine staatliche Ehre und Unabhängigkeit werth hält, desto eifriger wird es auch seine Sprache und Sitten vor fremder Ein mischung bewahren. Leider ist dies aber in Deutschland feit den Zeiten, wo Frankreich sich über andere Staaten herrschbegierig erhob und seine Sprache und Sitten anderen Nationen mit List und Gewalt aufdrang, um so weniger der Fall gewesen, als Deutschland in sehr viele kleinere Staaten zertheilt war und man deutsche Sprache und Sitten in verderblicher Schwachheit mit französischen vertauschte und vermischte. Aus dieser traurigen, für uns verhängnißvollen Ze ' schreibt sich hauptsächlich der üble Gebrauch gar vieler französischen Wörter und Benennungen her, welcher für Deutschlands Ansehen, Ehre und Sitten geradezu erniedrigend ist. Denn wie viel Unnationales, Unpatriotisches, Lächerliches und Verkehrtes, ja welche bedauerliche Sprachunkunde tritt nicht bei diesem dünkelhaften Französiren zu Tage? So Mancher glaubt z. B. noch, anstatt gegenüber, ge- radeüber, schrägüber, schiefüber sich mit vis » vi» verständ licher zu machen, während diese in der Mechanik üblichen Worte in Frankreich Schraube zu Schraube besagen, ferner x»r terre eigentlich zu Lande, wie pm mer zur See, nicht aber Erdgeschoß, sowie nur Stockwerk, «ouie, »iu unteres . Erd- oder Kellergeschoß und lo^is auch nichts anderes und besseres als Wohnung bedeutet. Am häufigsten hört man l verständnißlos und unrichtig anstatt „lebe wohl" I beim Abschiede sich empfehlend fagen. Die französische oder gallische Sprache ist bekanntlich aus der römisch-lateinischen Sprache entstanden, enthält aber auch viele ursprünglich deutsche Worte in veränderter Form und Ausdrucksweise. Sie ist daher keine Ursprache wie die deutsche, die reicher und im Tone naturgetreuer ist, als die gallische, wie ja Frankreich selbst aus mehrfachen Volks stämmen erwuchs. Deunoch verlacht und verspottet man in Frankreich die Deutschen, welche sich nicht bedenken, der gleichen Worte wie parterre, ersge rc. zu gebrauchen. In rühmenswerther Weis« ist vor längerer Zeit der deutsche Ober-Postdirektor Stephan gegen das überlieferte Postdeutsch vorgegangen und binnen Kurzem wird man sehen, daß sich die Deutschen gern zur Reinlichkeit ihrer Sprache erziehen lassen, wenn ihnen diejenigen nur mit gutem Beispiele vorangehen, welche seither so viel zur Er haltung des alten Schlendrians thaten. Ebenso ist es z. B. durch den enthüllten Briefwechsel zwischen Bismarck und Arilim klar geworden, welch eines möglichst reinen Deutsch sich der Reichskanzler in seinen Erlassen befleißigt. Auch in dem vom deutschen Gcneralstab herausgegebenen Werk über den deutsch-französischen Krieg von 1870 und 1871 sind die herkömmlichen Fremdwörter nach Möglichkeit vermieden worden, so daß auch auf diesem Felde, wo allerdings eine unausrottbare Landsknecht-Sprache über wuchert hat, mit dem Ausjäten angefangen ist. Vielleicht ermuntern diese Beispiele echter Vaterlandsliebe auch die anderen Behörden, die Gerichte namentlich, und die im verhunzten Kammer-Deutsch sich so gern bewegenden Abgeordnetenhäuser, in den Augiasstall ihrer Rede- und Sprachweise den frischen Quell der deutschen Sprache zu leiten und unsere Professoren und Jugenderzieher nehmen sich daran ein gutes Beispiel, die Jugend in reinem Deutsch deutsch zu lehren. Mit Freuden konnte man denn auch die unlängst auf- tauchende Nachricht begrüßen, daß von Seiten des Reichs kanzleramtes der Auftrag ertheilt worden sei, ein Wörter buch der deutschen Sprache herzustellen. In dieser Form ist zwar der Mittheilung widersprochen worden, doch wolle« wir hoffen, daß die Sache selbst eine Wahrheit werde. Wir entbehren eines solchen festen Dammes gegen den auswaschenden Anprall der unreinen Sprachfluthen, die uns mehr und mehr von unserem guten Boden verschlam men oder wegreißen. Alle einzelnen Gelehrtenwerke, von Heyse bis Grimm, können es nicht ersetzen, weil sie immer hin noch der Auffassung des Einzelnen Spielraum lassen und ihrem unbedingten Ansehn im Volke der Umstand hinderlich ist, daß die Behörden und die Mehrzahl der Träger unseres öffentlichen Lebens sich in ihrer Sprache zum Volke nicht im mindesten nach diesen gelehrten Vor schriften richten. Vom Neichskanzleramt kann aber ein solches Wörterbuch mit der Wirkung für'S Allgemeine auf gestellt werden ; es würde für uns von-Oben bis Unten bedeuten, was daS Wörterbuch der französischen Akademie für die Franzosen bedeutet: eine feste Richtschnur und ein giltiges Gesetz. Was in solcher Weise von Oben herab geschieht, ist einer politischen That gleich, ähnlich wie die Umformung und einheitliche Gestaltung unseres MünzwesenS. Auch die Sprache ist eine Münze, welche zwar das Volk selber prägt, die aber nach so schlechten verwildernden Zeiten, wie wir sie in unserer deutschen Zerrissenheit gehabt, einer Prüfung und Verbesserung bedarf. Jedenfalls lassen die Vorgänge innerhalb des Wirkungs kreises einzelner Behörden den Schluß zu, daß die Reinigung unserer deutschen Sprache dort auch als ein deutsches Be freiungswerk aufgefaßt wird und wir wollen hoffen, daß man in so rühmlichem Geist rüstig sortfahre und unser Feuilleton. Der Bettelmustkant. Novell« von Schmidt-Weißenfels. (Fortsetzung und Schluß.) Er spielte weiter, und er drückte wieder sein Antlitz i aus die geliebte Geige und schloß das Auge, als wie be- - glückt von holdesten Träumen. Eine Verklärung kam über ? sein Antlitz; in süßen Schlummer schien er mit eigenem ä Spiel sich einzuwiegen. Denn noch zog der Bogen klagende, » innige, zärtliche Töne hervor — langsam in feine Schwin- k gungen verhauchend; unterbrochen dann, wie von einem A Schluchzen; zarter und immer leiser wie Wimmern der K Aeolshaife; ersterbend endlich, weil der Bogen ruhte und M die Hand die ihn geführt, vom Schlaf gebändigt war. Da beugte sich Violanta in unsagbarer Innigkeit glück- v: strahlenden Antlitzes über das seine und hauchte auf seinen M Mund den glühendsten Kuß, den sie jemals gegeben. Es > war Amor und Piyche, wie die Marmorgruppe Canova's in der Villa Carlvtta das vollkommenste Liebesglück in unnachahmlicher Anmuth darstellt. Hatte Violanta je ihre hingebende Liebe reiner und verführerischer ansgedrückt, - als wie sie da über ihn sich beugte, um ihn zu küssen? i. Wie von Poesie umkleidet war dieser Vollzug der Ver- - föhnung dieser beiden Gatte», und wie von der Macht twr Musik bezaubert, reinigte sie sich in diesem Kuß der Kebe von der Schuld. » Fortunato! hauchte sie in Wonne. Fortunato! Sie ließ ihre Augen trunken auf ihn ruhen. 4^ Fortunato! fiel es wieder von ihren Lippen und wieder "te sie sich über ihn, und wieder drückte sie einen glühenden auf seinen Mund. Aber entsetzt, als halte sie eine Schlange gebissen, fuhr ie diesmal zurück. Sie blickte mit Graueu auf ihn, dann egte sie die Hand aus seine Stirn und zog sie schaudernd zurück. Denn dieser Mund hatte keinen Hauch mehr nud diese Stir» war kalt wie Marmor. Allmächtiger Gott! schrie sie auf und stürzte zusammen. Er ist todt! Er hörte es nicht, Fortunato; er war mit dem Haupt auf seiner Geige, mit dem Bogen in der Hand, mit dem Vergessen all seines neu belebten Leids im Herzen ent schlummert. Er hatte in einem Schwanenlied geendet und den Kuß der einst Geliebten nur als eine Leiche hinge- nommen. Am anderen Morgen, nachdem sie über ihren Schmerz und Schreck in einen bleiernen Schlaf verfalle» gewesen, erwachte Violanta an der Leiche ihres Gatten. Sie stand rathlos davor und ließ Arzt und Polizeibeamten kommen, welchen sie den tragischen Hergang erst mit Thränen in deil Augen, dann mit Vorwürfen auf den Todten erzählte. Denn wie die Vermuthung ihr bestärkt ward, daß Fortunato sich vergiftet habe, klagte sie zumeist über die Widrigkeiten, welche ihr daraus entspringen mußten. Unbegreiflich wie ihr die Gründe waren, die ihn zu einer solchen That be stimmt hatten, erregte sie nur noch die Erinnerung an die unglückliche Szene des Wiedersehens am Abend zuvor und die Folgen, die sich zu weiterer schrecklicher Urberraschung daran geknüpft. Inmitten des Bedauerns um seinen Tod herrschte doch der Verdruß vor, mit dieser Begegnung und mit diesem Selbstmord vor aller Oeffentlickkeit in Mailand so stark bloßgestellt zu sein. Fast zürnte sie dem Todten deshalb und ebenso sich selber, daß sie Fortunato in der Aufwallung eines edlen Gefühls in ihre Wohnung gezogen, daß sie in einem Kampf mit einer Straßenmusikantin sein Widerstreben zu besiegen unternommen. Wäre das Alles licht gewesen, klagte sie laut, so lebte Fortunato noch und ie hätte sich eilt furchtbares Erlebniß erspart. Nun bräunte ihr der Boden unter de» Füßen und sie mußte die Schrecken aushalten, welche ihr sein Tod für einige Tage noch bereitete. Sie mochte fliehen von einer Stadt, wo sie sich, wie sie wähnte, ohne Scham und Demüthigung nirgends mehr zeigen konnte, und sie sah sich nun gezwungen, bei der Leiche ihres Mannes auszuharren, was ihr als die schwerste der Prü- mngen erschien, die er ihr bereitet. Denn, indem sie jetzt !llles erwog, fand sie sich als eine Frau, die durch de» Charakter und die Handlungen ihres Mannes viel Unglück nnd Schmach erlitten. Sie war von ihm verlassen worden; er hatte sie durch seine gesellschaftliche Verkommenheit öffentlich beschämt und durch seilten selbstgegebenen Tod i« ihrer Wohnung dem ungerechtesten Verdacht und Aufsehe« ausgesetzt. Also sinnend und hadernd und nach einem Ausweg au» einer Lage suchend, die ihre Natur nicht zu ertragen ver mochte, meldete ihr die Dienerin drei Personen, welche sie zu sprechen begehrten. Sie erstaunte nicht wenig, als sie in der ersten derselben, die eintrat, die Straßenmusikantin, ans der Gallerte Victor Emanuel erkannte. Finster und zornig schritt dieselbe auf sie zu. Signora, rief sie dann, Sie haben ihn umHebracht! Es war in diesem Augenblick ein fürchterliches Wort, welches ihr da entgegen schallte und Violanta kam darüber so völlig außer Fassung, daß sie keine Sylbe zu erwidern vermochte. Bleich und erschreckt blickte sie auf die beiden Männer, die Livia gefolgt waren, und sie glaubt« die Boten des Gerichts in ihnen zu sehen, die kämen, sie zur Ver antwortung zu ziehen. - Aus deni Sopha, so wie er entschlummert war, laz noch Fortunato. An ihn heran trat Liria und sagte mit klagender Stimme: