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FreibergerAnMer und Tageblatt ^-102. Inserate ) werden bi- Bo»» mittag» N Uhr für. nächste Rr. ange nommen u. die ge spaltene Zeile oder deren Raum miL 10 Pf. berechnet. Inserate sind stet» an die Expedition, Frotscher'sche Buch handlung, zu senden. Erscheint jeden Wochentag Abend» 6 Uhr für den andern Tag. Brei» vierteljähr lich '2 Mark 25 Pf., »weimonatl. 1 Mt. v0 Pf. und ein- monatl. 75 Pf. Die Redaktion be findet sich Rinnen gasse 96^ ll. Et. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Mittwoch, den 5. Mai. iWk Die Neichs-IustiMommisfion. Seit Beginn voriger Woche tagt in Berlin die Justiz- kommijsivn des deutschen Reichstages. Drei Borlagen sind es, welche ihr mit dem stillschweigenden Versprechen über geben wurde», später ihre Besch linse «n bwc anzunehme»: eine Gerichtsverfassung, eine Strafprozeß- und eine Zivilprozeß-Ordnung. Angesichts der neuen deutschen Reichsverhältnisse suchen diese Gesetzentwürfe -ine einheitliche Gerichts-Organisation und ein einheitliches Nechts- verfahren für das gesammte deutsche Reich einzuführen, da bei jedoch der Justizhoheit und Selbständigkeit der Einzel- staaten einen möglichst großen Spielraum zu belasten. Die neue Gerichtsorganisation bietet ihren Hauptvorzug in der Aushebung aller noch vorhandenen Reste von Privatgerichtsbarkeit, sowohl standeSherrlicher wie geistlicher Art, welche letztere noch besonders in Baiern vorhanden ist. Sie gliedert die Justiz in vielerlei Gerichts instanzen: in den Amtsrichter für bürgerliche Streitig keiten und Bagatellsachen, in Landgericht- für schwerere Fälle, in Oberlandesgerichte und als letzte Beschwerde- oder Revisions-Instanz das Reichsgericht. Di- Strafprozeß-Ordnung entspricht dieser Lieb haberei sür buntes Bielerlei und damit verbundener Schwer fälligkeit. Sie beabsichtigt Sch ösfeng -richte sür kleinere Etrassachen bis zu drei Monaten Hast oder 600 Mark Geldbuße, sodann Stras kämm ern, die biSzusüns Jahren Zuchthaus entscheiden, Schwurgerichte sür die schwersten Fälle. Das oberste Reichsgericht behält sich dann noch Hochverrathe vor. Die Schöffengerichte bestehen aus dem Amtsrichter und zwei Laien-Beisitzer, welche alle drei kollegialisch entscheiden; die Strafkammern aus fünf Richtern der Landgerichte; die Schwurgerichte aus drei Richtern, einschließlich des Vor sitzenden, und zwölf Geschworenen, welche nur die Schuld- srage zu entscheiden haben. Schöffen und Geschworenen erhalten keine Diäten, nur Reisekosten. Der Zensus sür dieselben ist abgeschafft; alle unbescholtenen Männer über 30 Jahre und zwei Jahre im Orte ansässig, bilden die Urliste für die Schöffen und Geschworenen, mit den her kömmlichen Ausnahmen der Dienstboten, Beamten, Lehrer, Militärs. Alle Borschristen über Anstellungsrecht, Gehalt und Rang- verhältniste der Richter, ebenso die Abgrenzung der GerichtS- b-zirke, die Angelegenheiten in Grundbuch-, Hypotheken-, Vormundschafts- und Depositenfragen bleiben den Einzel staaten frei überlasten. Gewerbe- und Gemeinhegerichte, wo sic bestehen, sollen in ihre» alten Grenzen erhalten werden. Nur die sogenannte ordentliche streitige Gerichts barkeit hat ein- einheitliche Ordnung angewiesen bekommen. Dieser allerdings nur skizzenhaste Auszug aus den Vor lagen gestattet immerhin einen Einblick in das reiche, große Arbeitsfeld der Justizkommission. Ihr erster Beschluß war kein glücklicher und gab den Bedenken Recht, welche sich von vornherein in bürgerlichen Kreisen sowie In einem Theil der Presse gegen das JnSlebentreten einer solchen Juristen- Parlaments knüpsten. Einstimmig hat nämlich die Kommission in ihrer ersten Sitzung die Abschassung der Handels - ge richte beschlossen. Bisher schien vollkommene Einmüthigkeit darüber zu herrschen, daß in Handelssachen Handelsgerichte, an denen Laien wenigstens Mitwirken, ganz an ihrem Platze sind. Der deutsche Handelstag sprach sich seU sechszehn Jahren dreimal in diesem Sinne aus; selbst der deutsche Juristen- tag lhat dies vor elf Jahren mit überwältigender Majorität. Zahlreiche andere Versammlungen und Körperschaften haben ihre Zustimmung erklärt und selbst in stockjuristischen Kreiien tauchte höchst vereinzelt und selten eine Ansicht aus, nach welcher das Laien-Element von der Zivilrechtspflege auszu- schließen sei. Rian stritt wohl über die Art der Ausführung; ob nach rheinischer Art die Handelsgerichte ausschließlich aus Kaufleuten zusammengesetzt werden sollten, oder ob, wie in den Seestädten, ein Jurist den Vorsitz zu führen hab«; wie peit die Kompetenz der Handelsgerichte zu stecken sei und ivas dergleichen mehr ist. Aber das Prinzip selbstist seit vielen Jahren nicht ernsthaft angefochten worden. Die Regierungsvorlage geht davon aus, daß die bis herige Gesetzgebung mit großer Entschiedenheit auf die Errichtung von Handelsgerichten hinweist. „Die Erfahrung lehrt," heißt -S ausdrücklich, „daß die Handelsgerichte, wo sie bestehen, meistens mit gute»! Erfolge thätig sind und daß namentlich der HandelSstand, also gerade die zunächst betheiligten Kreise, zu den Handelsgerichten großes Vertrauen haben." Alle die einzelnen Forderungen und Vorschläge, welche der deutsche Handelstag aufgestellt, sind eingehend in den RcgierungSmotiven geprüft, manche von ihnen zugestanden, andere jedoch abgelehnt worden. Das hat die Regierung getha» und somit den Beweis geliefert, welche» Werth der BundeSrath auf die Aussprüche sach verständiger Interessenten legt und wie es ihm fern ist, die Meinung der Fachjuristen für die allein maßgebende zu erachten. , Ganz anders die Justizkommission! Gleich in der erste» Sitzung kehrte sie das einseitige Stockjuristenthum heraus und setzte sich mit den Forderungen des modernen Lebens in Widerspruch. Leider hat der Reichstag wenig Bedacht darauf genommen, auch Laien in die Kommission ziz wählen; nicht ein einziger Kaufmann gehört derfelben ans. Man sollte glauben, es sei eine unabweisbare Nvthwendlg- keit, wenigstens Einen Kausmann zu hören, der alt Handelsrichter praktische Erfahrungen gesammelt. Offenbar glaubte der Reichstag, die Kommission werde sich überwiegend mit Fragen juristischer Technik beschäftigen; daran, daß Fragen von so allgemeinem, ja man kann wohl sagen politischen Interesse zur Entscheidung kommen würden, dachte man augenscheinlich nicht. Um so weniger ist es zu billigen, daß die Kommission ihr Werk damit begann, sieh in so augenscheinlichen Gegensatz zur Regierung und der öffentlichen Meinung zu setzen. Es ist geradezu unerhört, in demselben Augenblicke, wo man in der Verwaltung dem Bürgerthum einen größeren Spielraum emräumt, dasselbe aus der Rechtspflege hinaus drängen zu wollen. Nach dieser erste» Probe fürchten wir sehr, daß die Kommission nicht zu Resultaten gelangest wird, welche der Reichstag °o blo- sanktiomren kann. WaS dann? Da er sich unmöglich in eine Detailberathung der Justizvorlagen einlaffen wird, bleiben nur zwei Wege: ent weder di- ganze Reform wird hinauLgeschoben, oder der Reichstag verwirft die mühselige Arbeit seiner Kommission »nd nimmt die Regierungsvorlage e» Roe an. Tagesschau. Freiberg, den -t. Mai. Der neue Entwurf d-S Reichseisenbahngesetzes ist sofort nach seinem Erscheinen der Gegenstand lebhafter. Erörterungen heterogenster Art geworden. Wenn man in- deß den Entwurf, von Lem das Reichseisenbahnamt selbst sagt, „daß er nicht als etwas Abgeschloffenes, sondern nur als die Grundlage sür die in Aussicht genommene infor matorische Vorberathung zu betrachten und dazu bestimmt sei, durch abermalige Veröffentlichung in unteren Kreisen zur Beurtheilung anzuregen" unbefangen beurtheilen will, so muß man daraus zurückgehen, aus welchem Bedürsniß di- Vorlage hervorgegangen ist. Bekanntlich konnte das Reichseiseiibahuamt, dessen Errichtung von allen Seiten beifällig begrüßt wurde, deu im Eiienbahnwcseu herrschenden Mißstände» nicht adhclsen, weil es nicht mit den ersorder- Feuilleton. I Rosa Ltchtwarl. Novelle von E. Wichert. Eortfetznng.) Als er sich der Thür näherte, blieb er überrascht stehen. Rosa stand auf einem Stuhl am hohen Bücherspind, hielt in der Linken einen Handabseger. etwa wie ein Gewehr über die Schulter gelegt, und in der Rechten mit der unteren Kante gegen di- Hüst- gestemmt -inen Quartanten, der in der Reihe seiner Klassiker fehlte. Sie las so eifrig, daß sie seine Annäherung nicht bemerkte. Das wäre nun sonst nicht so sonderbar gewesen, wenn dort Bilderbücher oder Romane gestanden hätten. Aber der Professor kannte jedes feiner Bücher genau nach der Stelle, wo es eingereiht war, schon von Weitem, und wußte, daß sie nichts Ge ringeres in Hände» hatte, als eine berühmte alte Ausgabe des Horaz mit lateinischen Anmerkungen. Was in aller Welt konnte sie daran interessiren? Er glaubte Anfangs, sie sehe nur aus Neugierde hinein und werde das Buch bald wieder zuschlagen; aber selbst ein schlechterer Beobach, ter hätte sich bald überzeugen müssen, daß sie wirklich las und mit den Auge» den Zeilen folgte. Er wagte sie nicht zu stören. Nachdem er in gehöriger Entfernung der Leserin noch eine Weile zugeschaut, machte er leise wieder Kehrt und schlich nach der Schlasstube zurück. Dort ließ ihm nun aber seine neue Entdeckung keine Ruhe. Er klappte so lange mit den Pantoffel» und hüstelte so energisch, daß seine Frau wohl endlich auswachen mußte. Sw sitzt« sich erschreckt aufrecht und fragte, was es so früh „Verzeih, liebe Laura," sagte er mit verlegenem Ernst, „daß uh Dich wecke; aber es ist wirklich das Wunderbarste, was mir bisher noch im Leben passirt ist —" „So sprich doch — ohne Einleitung!" „Die Rosa kann Latein." „Mein Gott, deshalb?" schmollte sie, sehr herabgestimmt in ihren jedenfalls ängstlichen Erwartungen. „Liebes Kind, ich sollte meinen," gab er mit desto größerer Wichtigkeit zu erwägen, „daß der Fall einzig in seiner Art dastehen dürfte. ES hat zwar im Mittelalter Frauen ge- gehen, die Latein nicht nur verstanden, sondern sogar schrieben, und ich könnte Dir dafür Beispiele nennen. ES ist doch aber zu bedenken, daß damals die lateinische Sprache viel verbreiteter war, und wissenschaftliche Bildung sich ohne sie eigentlich gar nicht denken ließ. Daß aber in unseren Tagen ein weibliches Wesen derartige Studien mache» sollte, so nützlich sic immerhin wären —" „Das kommt sreilich nicht vor," unterbrach sie etwas ungeduldig. „Und jedenfalls ist es ein bedenklicher Zufall," fuhr er fort, „daß gerade ein Professor der lateinischen Sprache das Glück hat —" „Lieber Grimmmger —" „Aus eine solche seltene Ausnahme zu stoße», wobei freilich wieder das Räthselhasteste bleibt, wie sich diese Ge lehrsamkeit zu einen» Ammendienst herablassen konnte. Wie, mein Kind?" „Aber wie hast Du erfahren können —?" Er erzählte sein kleines Abenteuer, und sie sand nun, nachdem die Begebenheit gehörig aufgeklärt war, die Sache selbst wunderbar genug. Seitdem betrachtete Professor Grimminger die Amme seines Kindes mit einer Art von ehrfürchtiger Scheu. „Der Junge mnß einmal ein großer Philologe werden," sagte er Nachmittags zu seiner Frau, „er saugt gleichsam dar Latein mit der Milch ein" — und später gegen Abend, als sie ini Salon Arm in Arm auf und ab gingen: „Glaube mir, Laura, dahinter steckt doch etwas; wer weiß, mit wem wir's eigentlich zu thun haben." Diese Unruhe ihres Mannes beunruhigte nun auch die Frau Professor. Sie nahm die Gelegenheit wahr, als sie mit Rosa allein sprechen konnte, sie geradezu zu befragen. „Mein Mann behauptet, daß Sie Latein verständen, liebe Rosa," sagte sie lächelnd, „ist dem so?" Rosa erröthets leicht. „Ein wenig", antwortete sie. „Aber es hat ungefähr denselben Werth, als daß ich deutsch spreche» kann. Mein Vater liebte die römischen Klassiker,^ und da ich meinen Unterricht fast ausschließlich nur durch ihn erhielt, so ist es wohl erklärlich, daß er mich das lehrte, was ihm das Lehrwürdigste schien. Dafür habe ich leider, so Vieles nicht gelernt, was ich jetzt brauchen könnte. Sollte, der Herr Professor eine Unordnung in seinen Büchern be merkt haben? Ich habe freilich Morgens beim Aufräumen das eine und andere vorgezogen und darin geblättert. Es soll nicht wieder Vorkommen." Die junge Frau beseitigte ihre Besorgnisse. „Was können wir dagegen haben," sagte sie freundlich, „wenn Sie die freie Zeit, die wir Ihnen gern gönnen, mit Lesen ausfüllen, und ob Sie ein deutsches oder lateinisches Buch vornehmen, kann uns gleich recht sein. Mein Mann wird nichts dagegen haben, wenn Sie es seiner Bibliothek entnehmen." Das bestätigte der Professor selbst auch noch ausdrücklich beim Abendessen mit einer scherzhaften lateinischen Anrede. War sonach dieser Vorfall genügend aufgeklärt, so be schäftigte einige Tage später ein anderer die Frau Professor nicht weniger aufregend. Rosa war bei dem schönen Wetter auf Wunsch des Arztes mit dem Kinde auf den KönigSplatz hinausgeschickt, dessen dichte Baumallee Schutz gegen Zugwind und Sonne gewährte. Vom Fenster aus ließen sich die Gänge zwischen den Baumstämmen durch gut überblicken, und so hatte denn auch die Frau Professor mit der Sorglichkeit einer jungen