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8 NeiberaerAmeiger -weimonall. I vV Pf. und und Tageblatt monatl. 75 Pf. Die Redaktion oc- findet sich Rtnnen- S°N- S«^. ll. Et. den °sd«t» ! Prrt» »in««» Uch v Marl > Jnsnate wnden bi» V»p- miUag» II Uhr für MIchste Nr. sng>- »vmmrn u. di« js- lpalten« geil« «dir deren N»um mit IO Pf. berechnet. Inserat« sind stet» an die Expediti«»^ Frolscher'jchc Buch- Handlung, zu send«». Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Braud. 108 Donnerstag, den 13. Mai. 1875. Vie offiriösen LSrmschlSger. Haben die Franzosen wirklich Angst, daß ihnen Deutsch land eines schöne» Morgens unangemeldet in ihr Land hereinbricht, um Paris in den Grund zu schieben, ihre Festungen zu berennen, ihre Flotte zu verbrennen, unge zählte Milliarden zu erpressen und obendrein all« ihre Frauen al« Geiseln fortzusühren? Oder liegt ein tiefer Plan darin, daß sie diese Angst heucheln? Es ist schwer, aus beiden Annahmen die richtige herauszufischen; daß man sich aber bemüht, diese Angst als etwas wirklich Bestehen des und auch Berichtigtes darzustellen, ist leider eine offen, kundige Thatsache. Wer es noch nicht wüßte, dem sagen es zwei Briese, einer in der Times, der andere in der Morning Post. Während der in der Times enthaltene die Ansichten der Pariser Kreise schildert, behauptet jener der Morning Post aus zuverlässiger Quelle in St. Peters burg geschöpft zu haben. Trotz dieser weit entfernten Ab- fendungspunkte stimmen beide Briefe in allen wichtigen Gesichtspunkten überein. Worin besteht ihr wesentlicher Inhalt? In nichts Ge ringerem, als daß die Leiter der deutschen Politik, ge drängt durch die Erkenntniß von der ungebrochenen Lebens kraft Frankreichs, dieser nicht lange Zeit gönnen wollen, sich weiter zu entwickeln, und entschlossen seien, Frankreich unter irgend einem beliebige» Vorwande zu überfallen, um es auf lange Zeit hinaus, wenn nicht für ewig, kriegs- unsähig zu machen. Dieses und nichts weniger sei in Berlin beschlossen; von des Zustimmung des Kaisers von Rußland hänge es nur ganz allein ab, ob und wann deni Beschlusse d1S Thät folgen Wirde. Eo weit stimmen die beiden Schreiben ausfallend überein. Nur über die FriedenSbedingungen, welche Deutschland dem abermals zu Boden geworfenen Frankreich diktiren würde, um es gründlich unschädlich zu machen, weichen sie in ein zelnen Punkten von einander ab. Der Pariser Bries nennt: Abtretung von Belfort an Deutschland, Verminde rung des sranzösischen Heere« und Zahlung von 10 Milliarden in zwanzigjährigen Abzahlungen, die mit 5 Prozent verzinst werden müßen und nicht früher als vor Ablauf von zwanzig Jahren ganz abbezahlt werden dürfen. Um diese Beding ungen zu erzwingen, würden die deutschen Heere geradeaus gegen Paris vorrücken, aus der geschützten Hochebene von Avron Stellung nehmen, Paris selber aber nur dann an greifen, wenn Frankreich obige Bedingungen verweigern sollte. — Nach dem Petersburaer Briefe wäre das Ge ¬ ringste, was Deutschland fordern würde und müßte: die Entwaffnung des französischen Heeres bis zu einer gewißen nicht zu überschreitenden Truppcnzahl, die Zahlung von 5 Milliarden, um die Kosten sür ein deutsches BesetzungS- heer zu dicken, und die Abtretung mehrerer strategischer Punkte, unter diesen Belfort, bis die vorerwähnten Be dingungen erfüllt sind. Wie man sieht, ist der Grundgedanken in beiden Briesen derselbe und sogar in den Nebenpunkten sind die Verschieden heiten so geringe, daß man unwillkürlich dabei Verdacht schöpft, beide Briese stammen aus einer Feder, oder die Quelle dieser unsinnigen Gerüchte sei auf ein und derselben Stelle zu suchen. Nun haben wir zwar unlängst erst der artige Phantasiekriege und Kriegsphantasten an diesem Platze behandelt und dürften deshalb heute nur zur Würdigung der beiden Briefe aus Paris und Petersburg auf jenen Artikel zurückverweisen, läge uns nicht daran, auszusprechen, wer nach unserer Ansicht die alleinige Schuld an all' diesen Kriegsschwindeleicn trägt. Es sind nicht die Franzosen, es sind unsere eigenen Offiziösen, die Kreaturen des Reptilien- sonds, welche mit einer Frechheit ohne Gleichen fortwährend die Lärmtrommcl rühren und solchen Gerüchten Nahrung geben, als wäre Deutschlands Handel und Industrie, unsere gesammte wirthschaftliche Situation durch ihr frevelhaftes Spiel noch lange nicht genug herabgedrückt. Seit jenem plumpen Lärmartikel der „Post", der bekanntlich von allen Seiten desavouirt wurde, sind diese offiziösen Soldschreiber unerschöpflich in kriegerischen Kombinationen, während, man kann es nicht leugne», in die französische Preffe ein lveil nüchterner Geist eingezogen ist. Den Franzosen wird vor gerechnet, daß sie eine Militärlast wie die gegenwärtige aus die Dauer nicht tragen können ; folglich müßen sie den Krieg planen. Ei, wer giebl u n s denn die Sicherheit, daß wir unsere gegenwärtige Last wirklich aus die Dauer tragen können? Wie würde es uns gefallen, zögen daraus die Franzosen Schlüße auf unsere Kriegsgelüste? Die Offiziösen sagen, wem, die Franzosen den Krieg schlechthin wollen, so müßen wir wenigstens den Zeitpunkt festsetzen, der für uns der bequemste zum Losschlagen ist. So lange aber die Franzosen keine einzige Feindseligkeit begehen, ist dies die Sprache der Brutalität. Man zeige uns dis Gefahr und wir werden, wie vor fünf Jahren, mit ganzer Seele zum Vaterlande stehen; aber wir wollen uns nicht mit ver blendete» Angen in eine» Krieg hineinphantasiren laßen, wie die Franzose» in, Jahre 1870. -Hunderte von Millionen sind sür die Militärzwecke Deutschlands verausgabt, die Präsenzziffer ist in erdrückender Höhe festgestellt. Für dies viele Geld können wir doch wenigstens verlangen, daß man uns in Ruhe läßt und unsern wirthschaftlichen Verhältnissen, statt sie fort und fort mit Kriegsbefürchtungen niederzuhalten, Lust zur Entwicklung gewährt, bis es wirtlich wieder losgeht. Gewiß, wir befinden uns in einer gefährlichen Situation, aber die Gefahr droht uns nicht aus den französischen Kriegsgelüsten; sie droht uns aus der wachsenden Korruption im Innern, aus der Einschläferung des öffentlichen Gewißens gegenüber den offiziösen Einflüsterungen; sie droht uns von de« Caßagnac's der deutschen Preße, denen mit allem Ernst und aller Entschiedenheit entgegen zutreten Pflicht jedes ehrlichen Mannes und jedes ver nünftigen Preßorganes ist Glaubt man denn wirklich, daß dis Franzosen so unsinnig sein werden, sich kopfüber in einen Krieg zu stürzen, der auf alle Fälle sür sie ein größeres Unglück sein würde, als der letzte es war? Gewiß rüsten die Franzosen ; sie denken jetzt an Alles, was ihne» vor fünf Jahren fehlte: an Kriegsmaterial, Ordnung in ter Verwaltung, Soldaten; Unteroffiziere, Offiziere und Generale. Nun ja, Kriegs material läßt sich wohl bald beschaffen, aber um einen Generalstab heranzubilden, der dem unsern ebenbürtig wäre, dazu gehört die Arbeit eines Menschenalters. Und gesetzt auch, man könnte in Frankreich die Armee in kurzer Zeit der unsrigen gleich machen, so haben wir doch noch einen Vortheil voraus, der vor fünf Jahren auf Seite der Franzosen war: die beßere Bedeckung der Grenze. Metz und Straßburg sind heute in unsern Händen. Unter zwei vollkommen ebenbürtigen Armeen ist aber diejenige im Vortheil, welche sich in der Devensive befindet, und vollends, wenn die Devensive durch die Terrainverhältniße in dem Grade begünstigt wird, wie bei uns. DaS Alles werden sich die Franzosen selbst sagen und deshalb halten wir den nahen Krieg für undenkbar und das Spielen mit demselben nur für eine bodenlos leichtsinnige Flunkerei unserer offi ziösen Federhelde». Tagesschau. Freiberg, den 12. Mai. Bei der gestern im Lustgarten zu Potsdam abgehaltsnen Parade standen über 5000 Mann in der Front. Nachdem Kaiser Wilhelm die Aufstellung der Truppen besichtigt hatte, empfing derselbe de» von der Schloßrampe herabkommenden Kaiser Alexander, salutirte ihn und machte ihm Meldung; Der Kaiser Wilhelm hatte das Band des Georgsorden an gelegt; der Kaiser Alexander trug die Uniform des Kaffer Feuilleton. Rosa Lichtwart. Novelle von E. Wichert. tz°rN-vunz.) Sie hielt Wort. Der Proseßor war froh, daß seine Frau ihre Meinung über Rosa wieder zu deren Gunsten geändert hatte; im Stillen hatte er ihr die kleine, wie es ihm schien, gar nicht so strafwürdige Täuschung längst ver ziehen, wenn er überhaupt mehr als äußerlich und um den häuslichen Frieden nicht zu stören, zugestimmt hatte. Aber er ließ sich nichts merke», dc»n ein dunkeles Gefühl sagte ihm, daß er Ursache habe, nicht z» vorlaut seine Theilnahme sür ein junges Mädchen zu erkennen zu geben, das für schön gelten konnte und dabei Latein verstand. Seiner natürlichen Anlage konnte nichts mehr entgegen sein, al« ein vorsichtiges Diplvmatisiren mit Aeußerungeu seines Wohlwollens oder Mißfallens, wie er denn auch in jeder Lebensbeziehung die klassische Ehrlichkeit selbst war, aber den kleinen Schwäeben seiner viel jüngeren und augcbeteten Frau mußte doch, wie er sich in der Schule des Ehestandes bald überzeugt hatte, Rechnung getragen werden. Er wußte, daß sie sür etwa«, das ihr nicht selbst allzu nahe am Herzen lag am leichtesten gewonnen werden konnte, wenn er mit seiner Zustimmung zögerte und sie durch "Einwendungen zum Wiederspruch reizte. So that er denn auch jetzt erstaunlich überrascht, als sie Rosa's Bitte vorbrachte, meinte, ein solches Vormundsamt sei für praktischere Leute, als sür Gelehrte, die ihren Kopf von anderen Dinge» voll hätten, und krauste die Stirn so energisch, daß die kleine weiche Hand der hübschen Frau darüber aus- und niederfahren mußte, um sie wieder zu glätten. „Ach! Du Brummbär," schalt sie, „es ist ja doch nich.s Unerhörtes, wenn Du ein paar Stunden Deinen langweiligen alten Herren abdividirst und ein gutes Werk verrichtest, zu dem doch am Ende gar nicht mehr gehört, als ein wenig gesunder Menschenverstand. Wenn ich nur die Sache in die Hand nehmen dürste —!" Er besann sich noch lange und ließ sich drängen. Endlich sagte er zu, „um seiner guten Laura als galanter Ehemann eine Gefälligkeit z» crwcijem" Er that's gern. Rosa hatte, als sie das Haus des Freiherr» verließ, unter den wenigen Sachen, die sie in das Tuch band, auch de» Taufschein der Keinen Fortnnata mitgenommen, der von ihr als ein wichtiges Dokument aiifbcwahrt war. Sie hän digte ibn nun, mit bescheidenem Dank für den versprochenen Beistand, dem Professor ans and an, folgende» Tage suchte derselbe mit diesem Beweisstück und einer von Rosa unter schriebenen Eingabe ausgcstattct, de» Amtsgerichtsrath ans, der in dicier Vormnndjchaftssache competent sei» mußte. ES schien ihm angemessen, demselben in seiner Wohnung eine Visite zu machen, wo er meinte, sich ungestörter und erschöpfender auslasse» zu köunen. Er hatte sich ein voll ständiges Referat zurecht gelegt und brauchte Zeit und Ruhe, de» Fall mit alle» Rebenumständen zu entwickel». Er fand einen alten Herrn in ziemlich desolatem Schlaf rock an seinem Schreibtisch unter Allenstöße» sitzend, der sich nur zu Zweidrittel erhob, um ihm eine Art von Verbeugung zu machen und mit der Hand aus ein Sopha zu Winken, dann sich aber sofort wieder in den Lehnstuhl fallen ließ und denselben ein wenig herumrücktc. Seine Erscheinung war auf den ersten Blick wenig Vertrauen erweckend. Ueber der wahrscheinlich von langer Schreibcarbeit etwas zusammcngc- drückten Brust und dem kurzen Halse saß einer jener fast viereckigen Juristenköpfe, auf die kein Hut paffen will; die grauen Augen blinzelten immer inquisitorisch aus den tiefen Höhlen hervor und schienen schon im Voraus Kenntniß von dem zu nehmen, was erst gesagt werden sollte. Von dem linken Winkel des breiten Mundes hing eine Tabakspfeife herab, deren Spitze nur noch einen einzigen Knopf hatte, und die auch während des Sprechens von den Zahnstummeln festgchaltcn wurde. Daß er nebenher noch stark schnupfte, bewiesen zwei Dosen, von denen die eine auf ein dickes Gesetzbuch gelegt war, um die aufgcschlagenen Blätter fesi- zuhaltcn. „Was steht zu Diensten?" fragte er kurz und offenbar über die Störung ungehalten. Der Professor begann mit einer Einleitung über merk würdige Menschenschicksale im Allgemeinen nnd über den Ein stich klassischer Bildung auf unsere gesammte Anschauungs weise im Besondere». „Zur e-ache, zur Sache!" bat der Amtsgerichtsrath, „ich bi» sehr prejsirt." Grimmingcr versicherte, daß er ihn sofort in moäi»« ros führen würde, und ging auf eine umständliche Beschreibung des Krankheitsfalles seines Kindes über. Nachdem der Rath, dem die Ungeduld aus den Finger spitzen guckte, wiederholt vergeblich versucht hatte, durch Unterbrechungen und Nachhilfen die Erzählung in schnellem Fluß zu bringen, fügte er sich endlich in das Unvermeidliche und hörte gelassen zu. Allmälich kam dann auch das Wich tigere zum Vorschein. „ES handelt sich also um nichts, als um eine einfache Vormundbestellung für das Kind, dessen Tausschein Sie mir überreichen," rekapitulirte der Amtsgerichtsrath aufathmenh. „Wollen Sie die Vormundschaft übernehmen, so steht dem natürlich nicht das Mindeste entgegen. Wir können das in den nächsten Tagen auf dem Gericht in zwei Minuten av- machen. Wenn Sie sich also etwa Mittwoch hinaufbemühen wollen —"