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MibergerAnMer findet sich Rinnen gasse SSi. U. Et. und Tageblatt Erscheint jeden Wochentag Abend» 6 Uhr für zweimonatl. I Mk. bO Pf. und ein- monatl. 75 Ps. Die Redaktion be Inserat» j Ä werden br» Vo», mittag» II Uhr M 1 nächste Rr. ange- nonimen u. die ge spaltene geile »der deren Raum mit 10 Pf. berechnet. Inserate find stets an die Expedition, Frotscher'sche Buch handlung, zu sende«. den andern Tag. Prei» Vierteljahr Üch 2 Mark 25 Pf. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. ! 93. Sonnabend, den 24. April. 187L Eine kulturhistorische Aufgabe Rußlands. Seit die Russen ihren letzten Feldzug gegen Khiwa im Juni 1873 siegreich beendet haben, fassen dieselben trotz der Eifersucht Englands in Mittelasien immer sesteren Fuß. Beweise hiersür sind die gegenwärtige Stellung des Khan von Khiwa dem St. Petersburger Kabinet gegenüber, sowie das jüngste erfolgreiche Einschreiten russischer Truppen zu Gunsten dieses Fürsten wider einen aufrührerischen Volks stamm. Für Europa erscheint es nun aus den ersten Blick ziemlich gleichgültig, wer in Mittelasien die Herrschast sührt. Bei näherer Betrachtung gewinnt dies indessen auch für uns ein höheres Interesse. Als im Januar 1873 die ersten Nachrichten von der beabsichtigten russischen Expedition nach Khiwa verbreitet wurden, erhob sich in der englischen Presse darüber ein förmlicher Sturm der Entrüstung und selbst die englische Regierung sah sich veranlaßt, in Petersburg Vorstellungen dagegen zu erheben. Es entwickelte sich zwischen England und Rußland ein diplomatischer Konflikt, der mit einem Kriege zwischen diesen beiden Mächten zu enden drohte und bei welchem das liberale Europa, soweit dessen Meinung durch die Presse bekundet wurde, für England Partei ergriff. Man ist eben in Europa gewöhnt, in England den Reprä sentanten des Liberalismus, in Rußland den Vertreter des Absolutismus, wenn nicht gar des Barbarismus, unter den europäischen Mächten zu sehen. Von dieser Anschauungs weise geleitet, glaubte man, mit den Engländern in der vorliegenden Streitsrage spmpathisiren z» müssen. Dabei ließ man aber die faktischen Verhältnisse, welche hier gerade in erster Linie in's Gewicht fielen, außer Acht. Uebrigens endete der Konflikt damit, daß sich das Londoner Kabinet eine sehr kühle Abweisung gefallen lassen mußte, während die Russe» ihre Expedition nach Khiwa ungehindert durch führten. Die Bewohner Mittelasiens und ihre großen, zum Theil wüsten Länder wären niemals zum Streitobjekte zwischen den beiden europäischen Mächten geworden, wenn nicht der jenige, der sie beherrscht, auch ihren Handel vollständig in seinen Händen hätte. Um dieses wirthschastlichsn Vortheils willen hat Rußland von Norden und Westen, England von Süden her stets weiter nach Khiwa vorzudringen gesucht. Ein Recht — außer etwa dem Recht des Stärkeren — besaß dazu keins von beiden. Aber dennoch muß man zu- geftehen, daß, wenn überhaupt eins von ihnen bier festen F»ß fassen sollte, nach Lage der Dinge Rußland in erster Linie dazu berufe» war. Mittelasien ist nach Süden durch hohe Gebirgszüge fast unzugänglich abgeschlossen; nach Norden sällt es dagegen in weite Ebenen ab. Seine Flüsse strömen nach Norden und nach Westen und die Bevölkerung hat sich niemals nach Süden, sondern stets nach Norden und Westen gewandt. Taher ist es wohl natürlich, daß in dieser Richtung auch die Handelsstraßen angelegt werden; daß der Handel über haupt diese Richtung nimmt, d. h. in die Hände der Russen kommt. Die Russen sind nur in offen vor ihnen liegende Länder vorgedrnngcn, die Engländer wollten ein hohes Ge birge, über welches nur wenige eng-, gesährliche und durch ewige Schnee-Regionen führende Pässe leiten, überschreite», wobei sie uoch ein sremdes, ihnen nicht gehöriges Land — Afghanistan — durchwandern mußten, ehe sie das streitige Gebiet betreten konnten. Dazu kommt noch, daß sich die mittelasiatischen Völker, welche unter russische Herrschast ge kommen sind, darunter wohl befinden, nachdem sie ihre Eroberer erst kenne» gelernt haben. Die Engländer sind dagegen in Asien überall gehaßt, ihre Herrschast wird unter Seufzen und Fluchen geduldet und mehr als einmal haben die unterjochten Völker durch Ausstände versucht, das eng lische Joch von sich zu werfen. Die Russen besitzen schon seit längerer Zeit detaillirte Projekte zur Anlage großer Verkehrsstraßen in Mittelasien, deren Aussührung jetzt wohl kaum noch ein politisches Hinderniß im Wege stehen dürfte. Dahin gehört unter Anderem der Bau eines Kanals zur Verbindung des kaSpi- schen Meeres mit dem Aralsee. Die Wichtigkeit einer solchen Wasserstraße für den Handel, wenn auch zunächst nur für den russischen, liegt so sehr auf der Hand, daß sie kaum der Erwähnung bedarf. Der Kanal müßte nothwendiger Weise die Wüste Ust-Urt durchschneiden, also jenen großen Landstrich, wo diemeistcn der zahlreichen früherschonvonNußland gegen Khiwa gesandten Expeditionskorps zu Grunde gegangen sind. Die hier wohnenden Kirgisen, Asbeken und Turkomane» würde» damit der europäischen Kultur zugänglich gemach» werden. Mit der Inangriffnahme dieses Kanalbaues erscheint dann aber auch das bisher von vielen Seiten für unaus führbar gehaltene Projekt Leffep's einer mittelasiatischen Eisenbahn in ganz anderem Lichte. ES wird die Durch führung desselben dann nicht blos allein möglich, sondern wahrscheinlich sogar bald dringend nothwendig. Denn ist Mittelasien einmal durch die russische Herrschaft dem Handel vollständig erschlossen, so verlangt der gesteigerte Verkehr jedenfalls auch die Anlage eines großen Schienenweges, welcher Länder mit Europa in Verbindung bringt, welche für uns bis jetzt vollkommen unzugänglich sind. Mithin eröffnet sich hier vor unsern Augen eine Perspek tive, durch welche die Befestigung der russischen Herrschaft in Mittelasien zu einer kulturhistorisch äußerst bedeutungs vollen Thatsache wird. Ganz Europa ist dabei wirthschaft- lich interessirt. Auch Deutschlands Handel wird den Erzeug nissen seiner Industrie in jenen so lange verschlossen gewesenen Ländern Eingang zu schaffen wissen, nachdem die Russen dazu den Weg bereitet haben werden. Die geographischen Verhältnisse gestatten keinen anderen Weg. Würde es den Engländern gelungen sein, von Indien aus nach Khiwa vorzudringen und so den mittel-asiatischen Handel über das hohe Hindukuh-Gebirge an sich zu ziehen, das heißt, denselben gewaltsam über eine von der Natur geschaffene Scheidewand sortzuleiten, so würden sich sowohl für die Zukunst jener Länder wie für die der europäischen Handelsinteressen weit weniger günstige Aussichten eröffnen. Hier liegt für Ruß land eine große kulturhistorische Aufgabe; je eher sie gelöst wird, desto schneller muß ihr Segen sich über den Erdtheil verbreiten. TagksschüU. Freiberg, den 23. April. Wir haben es Henle zunächst mit einigen Berichtigungen zu thun. Wie man sich erinnern wird, erklärte Fürst Bismarck unlängst im preußischen Herrenhaus«, Kardinal Antonelli habe seiner Zeit die Bildung der Centrumssrak- tion im deutschen Reichstage gemißbilligt Darauf bringt denn das päpstliche „Osservatore romano" ein entschiedenes Dementi, indem es sich sehr demonstrativ auf den Grund satz der römischen Kurie berust, sich niemals in innere Angelegenheiten eines fremden Staates einzumischen. Bon einer solchen Einmischung hat aber der deutsche Reichskanzler mit keiner Silbe gesprochen, ionder» lediglich den einsichtigen Blick Antonelli's jener Fraktionsbildung gegenüber hervor gehoben. Aus einer bloßen Mißbilligung aber könnte das deutsche Reich schwerlich Nutzen ziehen und hat dies auch niemals versucht. Das römische Dementi schießt also über das Ziel hinaus und dient nur dazu, die Behauptung, welche cs widerlegen soll, zu bekräftige». Sodann erweckt die deutsch-belgische Angelegenheit namentlich im Anslande noch immer grogs Befürchtungen und zwar hauptsächlich deshalb, weil Fürst Bismarck den übrigen Garantiemächten Miltheilung von den deutschen Feuilleton. Der Sinflns; des Theaters aus dle Volksbildung. Das gebildetste Volk des Alterthums waren die Griechen. Bei ihnen hat die dramatische Poesie und die Darstellung der Dramen eine hohe Stiise erreicht. Besonders zeichneten ihre Tragödien-Dichtcr sich durch höchste Fruchtbarkeit aus ; noch heute bewundern wir theilweise deren Poesien. Es waren nationale Stoffe, welche die griechischen Dramatiker bearbeiteten, vornämlich dem mythischen und heroischen Zeit alter ihrer Nation entnommen. I» dieser Bearbeitung legten sie einen Gedankenreichthum und eine Menschen- kenntniß, eine sittliche Kraft und eine religiöse Tiefe an den Tag, daß wir noch heute diese Tragödien lesen und einzelne von ihnen mit vollster Theilnahme unserer Empfindungen und unserer sittlichen Gesinnungen auf der Bühne reproduzirt sehen; denn der Dichtcrgcnius schafft für alle Zeiten und weiß das ewig Menschliche zu verkünden. In allen gebildeten Völkern der Neuzeit ist dasselbe Bedürsniß vorhanden, welches die Griechen bewegte und zu den dramatischen Schöpfungen sowie zu ihrer Darstellung aus der Bühne sührte. Sobald die Italiener, die Spanier, die Engländer, die Franzosen und die Deutschen zu einem selbstbewußten Leben erwacht waren, sobald sie höhere geistige und künstlerische Bedürsnisse in sich empfanden, entwickelte sich auch das Drama und die dramatische Darstellung. Rian kann Gedanken und Handlungen und den Konflikt von Gedanke» und Handlungen nicht zum vollen Leben bringen, ohne daß man sie einem mitempfindenden Zuhörer kreise vorsührt. Jedes gebildete Volk hat den innersten Drang, seine Gedanken, Wünsche, Schicksale, seine Leiden und Freuden künstlerisch gestaltet vor sich zu sehen, um sie m dieser Gestalt zu empfinde», zn erlebe» und durchzudenken. Was sind Volksfeste anders als unwillkürliche dramatische j Gestaltungen der VolkSgefühle? Ans deu Volkesesten hat sich überall das Drama entwickelt zuerst in sehr unvoll kommener, dann in immer mehr verfeinerter Forni. Für das deutsche Volk entwickelte sich die Erkenntnis! des echt Dramatischen an einem fremden Dichtergenius, deu man weder zu den Zeilen, da er lebte, noch z>i der Zeit, wo man ihn in Dentschland bereits begeistert feierte, in seiner ganzen Bedeutung kannte und würdigte — Shake speare. Dies war der Mann, der durch seine Gedanken und Gemüthstiese, durch de» genialen Blick in die bewegende Macht der Geschichte, uns Deutsche ergriff. Ihm haben Lessing und Schiller nachgeeiscrt, mit ebenbürtige» drama tischen Talent und mit einer schöpserischen Kraft, die in das Gedanken- und Gefühlsleben der deutschen Nation ein drang. Dieses Dreigestirn war es, welches die deutsche Bühne gestaltete und durch welches Deutschland sosort in die hohe sittliche und national- Bcdeutnng des Theaters eingeweiht wurde. Daher kommt es auch, daß wir in der Schauspiel kunst so Großes und nirgend Uebertroffenes leisten und in allen deutschen Gauen die hervorragendsten Vertreter der Schauspielkunst besitzen Tas Ausland hat manchs brillante Größen, nirgends aber findet sich eine gleiche beharrliche' Tradition und Schule wie in Deutschland. Es ist ein Zeichen eines gebildeten Volkes, wenn die Liebe zum Theater sehr in ihm verbreitet ist. Unsere Jugend, auch in den Volksschulen, hört von Deutschlands und des Auslandes großen Dichtern, wird mit ihren herr lichsten Werken mehr oder weniger bekannt; weich' ei» Glück, wenn sie dann heranreisend einmal Gelegenheit findet, ein solches Drama zu schauen! Kann es sür das Leben etwas Ergreisenderes und Veredelnderes geben? Denn die künstlerisch gefaßte und dargestellte Handlung ist das Mächtigste, was aus den Geist wirkt. Kein Lehrsatz, kein Beispiel übt solche Gewalt. Das Theater ist die wirksamste Schule der Bildung, wem, es vor Allem diese veredelnde und versittlichende Aufgabe sesthält. Jeder tüchtige Mensch strebt nach einer fruchtbaren An wendung seiner Mußestunden. Sie sollen ihm ein Quell für geistige Anregungen, für freudigen Lebensgenuß sein. In den großen Städten findet sich hierzu reiche Gelegenheit. Wir sehen dort die Zahl der Theater sich fortwährend vermehren. Alls Volksklaffen fühlen das Bedürsniß, an dieser Gelegenheit zur bildenden Unterhaltung theilzunehmen. Nur ein oberflächlicher Beurtheiler kann darin eine Zu-' nähme der Genußsucht erblicken. Ohne Zweifel ist Theater besuch besser als gewohnheitsmäßiges Verkehren in Restau rationen, als Kartenspiel und derartige Unterhaltungen. Es wird nicht lange dauern, so wird jede, auch die kleinste Stadt in Deiitschland ihr Theater besitzen. Gerade hierin sind in letzter Zeit große Fortschritte gemacht worden, weniger ans Liebe zum Genuß, sondern weil man aller- wärts sühlt, daß dem durchweg regen BildungSbedürsniß etwas Besseres geboten werden mnß, als die sonst vorhan denen UnterhaltungSgelegenheiten. Die Bretter, weiche die Welt bedeuten, werden in alle» VolkSschichte» dazu bei trage», das Lebe» richtiger zu erfassen. Wir sagen nicht, daß das Theater das ausschließliche und unentbehrlichste Bildungsmittel sei, aber wir sind überzeugt, daß cs eines der wirksamsten und ersolgreichsten ist. Keine Stadt, welche finanziell es nur irgend ermöglichen kann, sollte sich ver sagen, ein solches Institut nicht nur zu besitze», sondern auch äußerlich so ausznstatten, daß man von ihrem Kunst- tempel sagen kann, es spiegle sich in ihm das Verständniß der Bevölkerung für die Kunst und ihre Aufgaben ab. Und in dieser Beziehung, glauben wir, hat auch die Bewohner- schast Fr-ibergS alle Ursache, dem Projekt des Theater- Neubaues die thäligste Unterstützung zu gewähren.