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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 07.02.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188502076
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850207
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850207
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-02
- Tag 1885-02-07
-
Monat
1885-02
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 07.02.1885
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Rnlerhällnngs-Vlall M „Lhmniher Anzeiger". Nr. 21. — Sonnabend, 7. Februar Verlag--Expedition: Alexander Wiede, Buchdrnckerei, Lhemnitz, Theaterstrahe -i8 (ehemaliges Bezirksgericht, gegenüber dem Kasino). 1885. — 5. Jahrgang. Ererbte Schuld Kriminal-Roman von Adolf Belor. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) «Mein Gott! Das bestreite ich ja nicht — das ist möglich —" «Es ist gewiß," sagte Moule, «aber schließlich, wie Du eben erwähntest, hast Du an den verschiedenen Orten, wo Du warst, wirk liche Dienste geleistet; ich selbst habe mich, obwohl man mir m iue Unvorsichtigkeit vorgeworsen hat, nicht über Dich beklagen können Nur diese einzige, etwas zweideutige Geschichte macht man Dir zum Borwurf. Gut! Angenommen, Du wärst durch einen Zufall oder vielmehr Dank Deinem Scharfsinn, den Niemand anzweifelt, in der Lage, dem Gericht eine wichtige Miltheilung zu machen, Du hättest zum Beispiel von einem jener Verbrechen, die in letzter Zeit die öffentliche Meinung am meisten beschäftigt haben, einen bisher ver gebens gesuchten Beweisgrund entdeckt —" „Ol Herr Moule, wenn ich ein solches Glück hätte —" «Das würde ein schwerwiegendes Argument zu Deinen Gunsten sein, verstehst Dn? Nicht nur, daß man Dich wegen dieser Geschichte nicht mehr chikaniren würde, sondern man würde Dich bevorzugen, um Dir Dein Geheimniß abzulocken. Du könntest Dich bitten lassen, könntest Bedingungen stellen —" „Ja, ja!" rief Lubin. «Aber um was handelt es sich . . . denn Sie kommen doch nicht ohne Absicht hierher?" «Allerdings hatte ich meine Absicht . . . aber beruhige Dich; frei kommst Du deshalb doch noch nicht. Der Kerl, den Du aus heben sollst, ist ebenso wie Du ein Gast im vefängniß ..." «Das ist mir sehr gleichgiltig," versetzte Lubin, obgleich er lieber in Freiheit «gearbeitet" hätte. «Gut!" versetzte Moule. «So höre, um was es sich handelt Ich habe hier einen hübschen, strammen, verschmitzten Burschen von 25 Jahren in Hast; er ist etwas wild und hat einen von den Wärtern gestern halb todt geschlagen ... er ist noch nicht vorbestraft, aber er hat gleich bei seinem ersten Streich so gut „gearbeitet", wie Du nur je in Deiner Lausbahn. Der Thatbestand ist folgender: Er heißt Paul Simonin, war Elementarlehrer in Villaiue bei Choisy, wurde vor sechs Monaten wegen lüderlichen Lebenswandels ent lasten und trieb sich seitdem herum, ohne daß man wußte, wovon er lebte. Eines Abends, Ende des letzten Februars, geht seine Nach barin, eine Bäckerswittwe aus und läßt ihre Tochter, ein dreizehn jähriges Kind, allein zu Hause. Als sie nach einer halben Stunde heimkehlt, findet sie ihren Schrank erbrochen, ihr Geld gestohlen, ihre Tochter ermordet und nach ärztlichem Gutachten geschändet. Wie Du siehst, drei Verbrechen, und auf jedes steht Zuchthaus; ja, die An fänger sind die schlimmsten. In der ganzen Gegend erscholl nur ein Schrei: „Das ist Simonin!" Man überrumpelte ihn noch denselben Abend; er ist ganz starr. Man sucht nach, keine Spur, kein Finger zeig an ihm oder in seiner Wohnung. Er wird nichtsdestoweniger verhaftet. Es folgt eine lange, genaue Untersuchung — die erst vor gestern abgeschlossen wurde — sie führt zu nichts. Alle Zeugen er klären, daß er vollkommen fähig zu einem solchen Streiche, daß uur er ihn hat verüben können; aber keine Aussage bietet einen Anhalt. Und daß man ihm selbst ein Geständniß abgewinnen, ein unvorsichtiges Wort entlocken könnte, darauf ist nun gar nicht zu rechnen; erst vorgestern hat er einem Wärter, der ihn zum Schwatzen bringen wollte, schön mitgespielt. Doch zum Schluß! Er handelt sich darum, aus diesem Schuft auf irgend eine Weise ein Geständniß oder wenigstens eine Andeutung herauszubringen. Willst Du es über nehmen? Du trägst nicht einmal Deine Haut dabei zu Markte, denn er trägt in diesem Augenblick die Zwangsjacke. Jetzt bedenke, was ich Dir gesagt habe. Wenn es Dir gelingt. .. „O! wenn es mir gelingt," fiel Lubin ein, „daun weiß ich schon, was ich fordern werde, und man soll es mir wohl bewilligen. Inzwischen aber wäre es mir nicht unangenehm, wenn man die Strenge meiner Hast etwas milderte." „Soweit es das Reglement erlaubt, soll es geschehen," er wiederte Moule. „Danke," sagte Lubin. „Nun können sie mich, sobald es Ihnen beliebt, zu ihrem Simonin führen. Er müßte ja ein verteufelter Kerl sein, wenn ich nicht mit ihm fertig werden sollte." „Gut!" meinte Moule. „Sogleich!" Damit ging er hinaus. Laureut schloß seinerseits vorsichtig den Schieber, durch welchen er die ganze Verhandlung angehört hatte, schlüpfte vom Tisch her unter und trat auf den Korridor hinaus, wo er de» Polizeiinspektor bald traf. „Nun, Simonin," fragte dieser, «haben Sie gesehen und gehört?" „Ja," antwortete Laureut. „Ich verstehe meine Rolle und Werde sie so gut es mir möglich spielen. „Sie ist nicht schwierig. Sie sind schweigsam, wild, finster. Eie sehen in dem Ihnen zugeführten Kameraden einen Spion. Sie hüten sich wohl, ihm jenes angebliche Verbrechen einzugestehen —" „Ja, aber er — wie ihn zum Geständniß des seinigen bringen? Wenn ich Miene mache, ihn auszufragen, wenn ich die geringste An spielung mache —" «Bei Leibe nicht! Sie würden Alles verderben. Es kommt darauf an, nach und nach sein Vertrauen zu gewinnen." „Aber das ist ja die mißtrauischste, »«schlagendste Kreatur —" „Das Laster ist dumm — und sein Laster kennen Sie." „Sein Laster?" „Aha!" meinte Moule. „Sie sind noch nicht mit sich im Reinen?" „Doch I" „Nun also I Ich fing schon an, wieder an Ihnen zu zweifeln." „Zweifeln Sie nicht mehr und führen Eie mich in meine Zelle!" Zehn Minuten später war Laurent in die Zwangsjacke gesteckt und in einer niedrigen dunklen Zelle eingeschloffen. Als er sich in dem Raume allein sah, die Arme in einen weiten Sack gewickelt, überkam Laurent plötzlich ein Gefühl des Entsetzens. Er gedachte des Tages, an dem sich zum ersteumale die Riegel einer Gefängnißzelle hinter ihm, dem unter einer so furchtbaren Anllage Stehenden ge schloffen hatten. Die Erinnerung überkam ihn mit einer solchen Leb haftigkeit, daß Zweifel in ihm aufstiegen, ob diese neue Einkerkerung wirklich eine freiwillige sei, oder ob das, was er schon einmal er litten, sich nicht in der That wiederholen sollte. Bald aber wurden diese Phantasiegebilde von der ängstlichen Spannung, welche er em pfand, verscheucht. Lubin konnte jeden Augenblick eintreten. Welche Haltung, welche Sprache sollte er ihm gegenüber einnehmen? Er warf sich auf eine von den schmutzigen Pritsche», welche sich «uf zwei gegenüberliegenden Winkeln der Zelle befanden, und sann, da- Gesicht gegen die Mauer gekehrt, über seine Lage nach. Nach einer Viertelstunde öffuete sich die Thür und, Lubin vor sich herschiebend, trat ein Wärter ein. Laurent richtete sich, so schnell als es ihm seine Zwangsjacke erlaubte, auf. Er sah Lubin sich mit flehender Miene au den Wärter wenden. „Herr Wärter," sagte der kleine Mann flüsternd, „ich bitte Sie —, man hat mir gesagt, dieser Mensch sei tobsüchtig. Schließen Sie mich ein, wo Sie wollen, nur hier nicht! Soll ich denn todt- geschlagen werden, daß Sie mich gerade in diese Zelle führen? „Ruhig!" unterbrach ihn der Wärter. „Simonin," wandte er sich dann an Laurent, „ich bringe Ihnen da einen Kameraden. Neh men Sie sich in Acht, daß Sie ihm kein Leid ant.mn und Ihre Streiche von neulich wiederholen. — UebrigevS sollte Ihnen das, so eingewickelt wie Sie sind, nicht leicht werden! — Lasten Sie doch einmal sehen, ob Ihr Korset Ihnen auch die Taille gehörig zu sammenschnürt!" Er besichtigte die Zwangsjacke flüchtig, dann sagte er: „Schön! DaS Leibchen fitzt Ihnen zum Entzücken! Und nun sucht Euch zu vertragen, Kanaille und Kompagnie. — Sonst! —" Damit wachte er die Thür hinter sich zu und die beiden Ge fangenen befanden sich allein, (Fortsetzung folgt.) Verloren! Roman von Ewald August König. (Fortsetzung.) . (Nachdruck verboten.) Die Freude des Wiedersehens, nach der er so lange sich gesehnt hatte, ließ ihn in den ersten Stunden alles Uebrige vergessen, er wollte sie sich und den Seinigen nicht trüben durch Vorwürfe, die vielleicht nicht einmal berechtigt waren. Es wurden auch so viele Fragen an ihn gerichtet, die er alle beantworten mußte, daß er gar keine Zeit fand, jenes Thema zur Sprache zu bringen, und weder die Mutter noch Emma brachten auf Heinrich die Rede. Seine eigenen Kriegserlebniffe gaben so reichen Stoff, dann auch war während seiner Abwesenheit in den heimathlichen Bekannten kreisen so ^manches passirt. daß die Unterhaltung keinen Augenblick stockte, und als alle diese Themata einigermaßen erschöpft waren, sprach mau über die Zukunft Gustav's, der nun von vorne wieder beginnen und alle früheren Kunden besuchen mußte, um sich Arbeit zu verschaffen. So war die Zeit des Mittagsefsens und auch der Nachmittag verstrichen, und Gustav erinnerte sich jetzt des Versprechens, daß er dem Freunde gegeben hatte. Emma saß mit ihrem Stickrahmen am Fenster, die Mutter stand in eleganter Toilette vor dem Spiegel und betrachtete wohlgefällig ihr rundes, heiter lächelndes Antlitz. Erst jetzt bemerkte Gustav die vielen Schmucksachen, die Mutter und Schwester trugen, er entdeckte auch im Zimmer viele überflüssige Dinge, die nur zum Prunk dienen und von dem kargen Einkommen der Beiden nicht angeschafft worden sein konnten. > Diese Entdeckung mußte freilich den Verdacht Heinrichs bestä- tigen, aber er hatte nichtsdestoweniger wohl zu schwarz gesehen. „Ihr habt ja in Toilette und Mobiliar viele Anschaffungen gemacht", sagte er mit scheinbarer Gleichgiltigkeit, „find das Geschenke Heinrichs oder habt Ihr so viel verdient?" «Geschenke Heinrichs?" spottete Emma achselzuckend. .Seinen Geiz müßtest Du doch kennen!" „Und wenn Du es in der Nähe betrachtest, so wirst Du finden, daß es nur werthloses Zeug, nur Flitterkram ist", fügte die Mutter hinzu, „lieber Gott, ein junges Mädchen hat Gefallen daran, weshalb soll man ihr die Freude nicht gönnen!" Gustav hatte den bedeutungsvollen, warnenden Blick wohl ge sehen, den sie bei diesen Worten verstohlen der Tochter zuwarf. «Für solches Zeug würde ich kein Geld ausgeben", erwiederte er. «Uns wäre es auch angenehmer, wenn wir echte Diamanten tragen könnten," sagte Emma, ohne von ihrer Stickerei aufzublickeu «Heinrich würde sie Dir schenken, wenn Du ihn darum bätest", sagte er ruhig. „Wenn Du das glaubst, kennst Du ihn schlecht", erwiederte die Mutter in wegwerfendem Tone, ihm mißfällt jeder Schmuck, den Emma trägt. Er hofmeistert jedes Mal, so oft er kommt, er macht Deiner Schwester das Leben unerträglich." «Ein pedantischer, mißtrauischer, kleinlicher Mensch ist er", sagte Emma erregt, «mir graut, wenn ich daran denke, daß ich seine Frau werden soll. Ich glaube, daß er in der Ehe ein Tyrann sein wird, die Buckligen sollen ja Alle boshaft sein, und nimm es mir nicht übel, ich bin Dir nicht danlbar dafür, daß Du mich zur Verlobung mit ihm gedrängt hast!" Gustav hatte sich von seinem Sitz erhoben, das Blut war ihm heiß in die Krone gestiegen. „Heinrich Grafenberg ist ein braver, ehrenhafter und gutherziger Mensch, Du selbst hast ihn so genannt, als Du ihm das Jawort gabst," erwiederte er mit herbem Vorwurf. Von Geiz und Bosheit habe ich noch keine Ader in ihm entdeckt. Und wenn er Dir Miß trauen zeigt, so wird dieses Mißtrauen auch begründet sein —" «Hat er Dir schon geklagt?" unterbrach die Mutter gereizt, während Emma ihr Taschentuch hervorholte und es vor die Augen drückte. «Es sähe ihm ähnlich, übrigens wird er von seiner heim tückischen Schwester täglich gegen uns aufgehetzt." g DZ «Das wag ja sein," fuhr Gustav fort, «von dem häßlichen Charakter seiner Schwester habe ich nie Gutes erwartet, aber be gründet ist sein Mißtrauen dennoch. Robert Raven soll Dir näher stehen, wie Dein Bräutigam es dulden darf —" «Da haben wir die Verleumdung!" fiel seine Mutter ihm aber mals in die Rede. «Ein Eifersüchtiger macht ja gleich aus einer Mücke ein Kameel; ohne selbst za prüfen, glaubt er sofort Alles. Der junge Herr Raven ist freundlich gegen uns, Emma kann doch nicht so ungezogen sein, ihm die Antwort schuldig zu bleiben, wenn er eine Frage an sie richtet!" «Er macht ihr auch Geschenke, die sie annimmt!" «Wenn das einmal geschehen ist, so that er das in einer so höflichen und zarten Form, daß wir das Keine, unbedeutende Ge schenk nicht zurückweisen dursten! Du lieber Gott, wegen dieser Kleinigkeit solchen Lärm zu machen! Aber wenn er selbst von den Straßenjungen verhöhnt wird, und wir Zeugen seiner Schmach sein müssen, da»n sollen wir das natürlich ruhig hinnehmen und kein Wort darüber verlieren!" «Wen trifft die Schmach, ihn oder die Lotterbuben, die ihn verspottet?" warf Gustav unwillig ein. „Seine Ehre wird dadurch nicht befleckt —" «Ich aber danke dafür, mein ganzes Leben lang gefesselt zu sein!" rief Emma in leidenschaftlichem Tone. «Ich dürfte mich ja draußen nicht mit ihm sehen lassen, und im Hause selbst würde ich von meinem eifersüchtigen Tyrannen mit Argusaugen gehütet." „Du willst doch nicht die Verlobung lösen?" fragte Gustav, mehr und mehr erbittert. «Wenn sie es thäte, so könnte ihr kein Borwurf deshalb gemacht werden," sagt» di« Mutter in begütigendem Tone, die sich in eine Sophaecke niedergelassen hatte und mit den kleinen, runden Fingern ungeduldig auf der Tischecke trommelte. „Die Verhältnisse haben sich während Deiner Abwesenheit geändert, Gustav, Du kennst sie nicht und kannst darum auch nicht uriheilen." „An dieser Aenderung trägt Heinrich keine Schuld," erwiederte er» „seine Liebe ist nur noch inniger und glühender geworden —" „Ja, so glühend, daß sie mir zur Last und zur Qual wird," fiel Emma ihm ins Wort. „Und im Laufe der Zeit habe ich auch die Schattenseiten seines Charakters kennen gelernt, sie geben mir keine Bürgschaft sür eine glückliche Zukunft." „Und von alledem abgesehen, wäre es doch wahrhaftig vorzu ziehen wenn Emma die Gemahlin Robert Raven's würde," fnhr die Mutter mit einem forschenden Blick auf das Antlitz ihres erregten Sohnes fort. «Die Verbindung mit dieser reichen Familie brächte auch Dich rascher vorwärts, mein Sohn." Gustav wanderie rastlos auf und nieder, es war ihm jetzt klar geworden, daß sein Freund sich nicht ohne Grund beschwert hatte. «Für solche Protektion muß ich danken!" sagte er mit heiserer Stimme, „ich finde meinen Weg auch ohne sie. Im Uebrigen kenn« ich diesen Herrn Robert Raven besser, er denkt nicht daran, «in mittelloses Mädchen zu heirathen, und wollte er eS, so würde sein« Mutter es nicht zugeben. Das sind große Rosinen, auf di« Ihr verzichten müßt, zudem werde ich niemals die Auflösung dieser Verlobung zugeben, die meinen braven Freund unglücklich machen würde. Du hast ihm Dein Wort verpfändet, Emma, Du mußt es nun auch einlösen, das bist Du Deiner und unserer Ehre schuldig. Die Hochzeit ist bis zu meiner Heimkehr verschoben worden, sie wäre besser längst gehalten worden, nun aber soll sie gefeiert werden und zwar binnen sechs Wochen " Er war in der Ecke stehen geblieben, dort hing sein Säbel, den er hastig umschnallte. «Ich glaube denn doch, daß ich allein darüber zu bestimmen habe," sagte die Mutter unwirsch, die Aussteuer ist noch nicht fertig, und es müssen auch noch andere Vorbereitungen getroffen werden." «So beeilt Euch damit," erwiederte er» «diesen ««erquickliche» Zuständen muß schleunigst ein Ende gemacht werden, und das sage ich Euch, ich dulde nicht, daß mein Freund betrogen und unglücklich gemacht wird. Seid verständig und überlegt es Euch noch einmal, die Zukunft Lmma's kann nicht besser gesichert werden, als durch die Heirath mit Heinrich Grafenberg. Ich gehe jetzt mit ihm aus, er soll heute Abend nicht hierher kommen, wir sind alle in gereizter Stimmung, da könnte schon ein unbedachtes Wort den Bruch herbei- führen!' Dann verließ er das Zimmer und er hatte die Thür noch nickt hinter sich geschlossen, als seine schöne Schwester mit dem Fuß zornig auf den Boden stampfte. «Das ertrage ich nicht länger," sagte sie, ihm einen zorn- flammenden Blick nachsendend, «mag daraus entstehen, was will, ich zerreiße diese Fesseln. Eine gesicherte Zukunft? Lieber todt und be graben sein, als solcher Zukunft entgegengehen!" (Fortsetzung folgt ) Am Abgrund. Novelette von Adolf Gassert. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Herr Tannenberg — noch nicht munter?" Die Thür des Schlafzimmers öffnete sich fast geräuschlos und durch die Oeffnuug schaute schelmisch-erwartungsvoll ein überaus liebliches Mädchengeficht. ..Bin eben aufgestanden» Kleine!" war die Antwort, die da- Mädchen veranlaßte, ganz hereinzutreten und mit eimr unbewußte« unnachahmlichen Liebenswürdigkeit das spiegelblanke Kaffeegeschirr mit dem anh eimelnd süßen Tranke, mit den braunen Brödchen und der üblichen Beigabe: Butter und Honig auf den vor dem Bette stehenden, mit blendend weißer Decke versehenen runden Tisch zu stellen. „Köstlicher Schlaf, wunderbarer Schlaf, süß und traumlos!" sagte Tannenberg, halb zu sich, halb zu dem wartenden Mädchen. „Was ist die Uhr?" „Halb neun Uhr, Herr, und die anderen Herren haben schon drei mal nach Ihnen gefragt und sind schließlich den Weg nach Brucksdorf, den sie mit Ihnen verabredet hatten, allein gegangen. Bin aber nicht daran schuld, dreimal habe ich geweckt, aber der Herr schlief so fest, so fest, wie de» Schlaf des Gerechten, oder den des Todes I" „Kommt vielleicht aus Eins heraus, Mädchen! Jndeß schadet mein langes Schlafen nicht, es warten keine Pflichten gegen Andere auf mich, und schließlich ist der Weg auch ohne Begleitung zu er tragen." Das Mädchen empfahl sich. Tannenberg fühlte sich wunderbar gekräftigt, das Gefühl großer Stärkung, das seinen Körper wohlthätig durchrieselte, weckte in ihm die Stimmung seiner Jugendjahre, die sich mit der Erinnerung an dieselben verband und es ihm fast sonderbar erscheinen ließ, daß so viel Zeit seines Daseins in das unergründliche Gewässer de- Gewesenen geflossen war, erschien ihm doch seine ganze Umgebung noch die alte: Das war noch die biedere, wortkarge Umgangsmanier der Bewohner seiner Heimath, das noch der alte, längstverlernte Dialekt, das war noch ganz der Typus der GesichtsauSdrücke — war er denn wirklich alt geworden, alt, ohne seine- Lebens froh geworden zu sein, alt, ohne auch nur Jemandem Gelegenheit gegeben zu haben, dereinst, wenn man ihn die lange Straße mit den melancholisch im Morgenwinde rauschenden Pappeln hinab auf den einsamen Kirchhof trug, eine Thräne im Auge zu erdrücken? Was aber war es eigentlich, das in ihm Gedanken und Em pfindungen durch Reflexionen verdrängen ließ, die nun einmal nicht freudiger Art sein kannten, war er ein thatenloser Träumer geworden? Das war kaum möglich, snn Naturell war nie dazu angelegt gewesen, und die Bewohner der Berge nehmen nichiS von den krankhaften Empfindereien der ihre Gegenden heimsuchenden Touristen an. Er grübelte wieder und vor seinem geistigen Auge erstand dar Bild des dienenden Mädchens — das war es, das hatte ihn so eigenthümlich bekannt geschienen, es war das leibhaftige Ebenbild des Nannerl. Das waren ihre Augen von unbeschreiblicher Farbe und noch unbe schreiblicherem Ausdruck, das war ihre Gestalt, so schlank und dennoch voll, das war ihr Mund, ibrc Wangengrübchen, ihr ganzes Wesen. Bor seinem Geist erstand sie — so wie er sie zum ersten Male ge sehen, wie sie ihm zum ersten Male die schwellenden Lippen zum Kuß gereicht. Es giebt Menschen, die eine satte, frohe Morgenstimmung znm wankellosen Glauben an den Erfolg selbst ihrer kühnsten Unternehme»
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