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Merger Anzeiger / und Tageblatt. Amtsblatt des Kgl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Kgl. Gerichtsämter und der Stadträche zu Freiberg u. Brand. ä-80. Srscheint I. Freiberg jed. Wochent. Ab. k U. für dm and. Tag. Jnser. werden bi« V. 11 U. für nächste Nr. angen. Dienstag, den 9. April Prei« vierteljährl. 20 Ngr. Inserat« werden die gespaltme Zeile oder derm Raum mit 8 Pf. berechnet. 1872. 4- Freiberg, 8. April 1872. Mit der Eröffnung des deutschen Reichstages richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf die gemeinsamen deutschen Angelegenheiten. Wichtige Gesetze liegen auch dieser Session zur Berathung vor, trotz der Kürze der Zeit, die dafür ausgesetzt ist, und die der Umstand bedingt, daß der Reichstag sich in die Ver handlungen des preußischen Landtags einschiebt, den man nicht gar zu lange aus die Wiederaufnahme der Berathungen warten lassen möchte. Wichtig ist z. B. die Vorlage über die Militärge richtsbarkeit und zeitraubend zugleich. Auch hat das Gesetz über die Reichs beamten, das so lange hinausgeschobene, Anrecht auf eingehende gründliche Behandlung. Doch läßt andererseits die Natur dieser Vorlagen, die nicht einmal politische sind, eine abge- kürzte geschäftsmäßige Berathung erwarten, wie denn überhaupt die diesmaligen Regierungsvorlagen nur geringen Anlaß zur Geltendmachung von politischen Parteigrundsätzen bilden. Eine Ausnahme davon würde allerdings das Preßgesetz bilden, dessen Berathung zur scharfen HerauSkehrung der Parteigegensätze auf- sordert, indessen ist es noch nicht einmal gewiß, ob dieses wichtige Gesetz diesmal dem Reichstage vorgelegt werden wird. Glaubt man aus diese« Gründen der Session einen ruhigeren Verlauf als sonst vorhersagen zu dürfen, so bestärkt die Absicht der Reichs regierung, die sie durch officiöse Zeitungsstimmen ausdrücklich hat kundgeben lasten, daß ihrerseits durch entsprechende Anträge kein Anlaß zur Erregung der ultramontanen Parteileidenschaften gegeben werden soll, in diesem Glauben. ES fragt sich freilich, ob die Centrumspartei den Waffenstillstand wird gelten lassen wollen, den ihr die Staatsgewalt gewähren will; ob die Jesuiten es nicht viel mehr für zweckmäßiger halten werden, durch wohlberechnete Parla- mentSreden die Erregung der Gemüther zu vertiefen und den Haß gegen das Reich und den Liberalismus in der ihnen unterthänigen Bevölkerung noch mehr zu schüren. In den vorangegangenen Sessionen wenigstens hat diese Partei öfters die Gelegenheit zum Streit geflissentlich herbeigeführt. Der von Windthorst angekündigte Anttag, das Briefgeheimniß betreffend, sowie die Interpellation wegen der Westerwelle'schen Verhaftung, legen die Vermuthung sehr nahe, daß es doch zu kirchenpolitischen Auseinandersetzungen kommen wird. Die Bischossconferenz in Fulda, die an demselben Tage wie der Reichstag zusammentritt, dürfte für den FeldzugSplan und für die Parole sorgen. Andererseits werden die Petitionen gegen die Agitation des Jesuitenordens, die von altkatholischer Seite in Aus sicht gestellt sind, den Reichstag nöthigen, aus die kirchlichen Fragen zurückzukommen. Erfreulich ist, daß schon in dieser Session dem im Herbst ge äußerten Verlangen des Reichstages, die Bundesvorlagen recht- zeitig an das Parlament gelangen zu lassen, entsprechen wird. Die Gesetzentwürfe liegen größtentheilS fertig vor. Zu wünschen wäre nur, daß durch das Forttagen der bayerischen und württem- bergischen Kammern die Beschlußfähigkeit des Reichstages nicht für längere Zeit in Frage gestellt wird. Die Verhandlungen der Reichsregierung mit den luxembur gischen Bevollmächtigten bezüglich der luxemburgischen Eisen bahnen sind auf gutem Wege und der baldige Abschluß wird nicht bezweifelt. Die Nachricht einiger süddeutscher Blätter indessen, ein Vertrag sei schon abgeschlossen, ist jedenfalls verfrüht. Hat man sich auch über das Princip der Uebertragung des Betriebes an die kaiserliche Commission im Elsaß geeinigt, so sind doch noch einige Fragen, namentlich finanzielle, zu erledigen, die mit dem Entwürfe der Uebereinkunst zusammenhängen und jetzt erörtert werden. Eine Verständigung auch über diese Punkte soll nahe bevorstehen. Um in Preußen den bekannten Conflict zwischen dem Kriegs- minister und dem Armeebischos zu lösen, schlagen einzelne Blätter die gänzliche Aufhebung der Kirchenparaden vor. Der Staat dürfe den Gewissenszwang im Heere ebensowenig dulden, wie in der Schule; er werde auch jedem Soldaten fretstellen müssen, welches Gottesdienst er besuchen will. Beim Militär tritt die Frage wegen der lediglich fakultativen Theilnahme am Gottesdienst noch ent schiedener in den Vordergrund, als bei den höheren Lehranstalten die Frage der fakultativen Theilnahme am Religionsunterrichte, da schließlich Niemand gezwungen ist, eine bestimmte Lehranstalt zu besuchen, während er sich der Ableistung der Wehrpflicht nicht zu entziehen vermag. — Von den Rechten, welche das Schulauf sichtsgesetz der Regierung einräumt, macht dieselbe, wie zu erwarten war, in vollem Umfange Gebrauch, um die Mißstände zu beseitigen, zu deren Abstellung daS Gesetz erlassen worden ist. Unterrichtete Leute versichern, daß die Schulinspection in nicht zu ferner Zeit eine völlig veränderte Gestalt angenommen haben werde. Während der Parlamentsserien in Oesterreich ziehen nur Böhmen und Ungarn die Aufmerksamkeit auf sich. Infolge energischer Regierungsmaßregeln gegen die czechischen Wühlereien scheint sich in Böhmen ein Umschwung zu Gunsten der Regierungspartei anzubahnen; wenigstens wird ein Schwanken im Großgrundbesitz bemerkbar. In Ungarn ist man endlich doch zu der Einsicht ge- kommen, daß die Haltung der Opposition jede fernere legislatorische Berathung fruchtlos mache. Wie derPefther „Lloyd" erfährt, soll der Reichstag am 11. April geschlossen werden. Mit einer vor sichtigen Sorgfalt wirv vermieden, das Wort „Auflösung" auSzu- sprechen, weil dasselbe in der Opposition böses Blut Hervorrufen könnte. Der Pesther „Lloyd" wünscht, daß vor der Auflösung wenigstens die L»-bIoe-Annahme des Gemeindegesetzes von der Regierung durchgeführt werde. Die bedeutenderen italienischen Blätter hatten sich sehr unzufrieden darüber ausgesprochen, daß die großen kirchlichen Oster feierlichkeiten diesmal in Rom nicht abgehalteo worden find. Diese Beschwerden hat der Papst Pariser Blätter zufolge indirect in einer in französischer Sprache an verschiedene Personen gerichteten Ansprache dahin beantwortet, daß er den Vatikan nicht verlasse, weil er überall Anlaß zu Schmerz und Verdruß finden würde und daß er die Ceremonien wegen der Profanirung mehrerer Kirchen verboten habe. In Frankreich herrscht augenblicklich auch politische Wind stille, seitdem die Nationalversammlung sich vertagt. Die Verhand lung wegen Räumung des französischen Territoriums durch die deutschen Occupationstruppen, sowie wegen Bezahlung deS Restes der Kriegsentschädigung werden eifrigst fortgesetzt. Der ehemalige Finanzminister Pouyer-Quertier soll im Laufe dieser Woche dieser halb in Berlin eintreffen. Wie wenig jedoch die patriotische Opfer willigkeit zur Befreiung beizutragen bereit ist, beweist der Umstand, daß die mit so viel Eclat eingeleitete patriotische Subscription in Allem nur 51 Millionen Francs — statt drei Milliarden, also kaum den sechzigsten Theil der erforderten summen — ergeben hat. Die Nationalversammlung tritt bekanntlich am 23. d. M. wieder zu sammen; nun hofft die Regierung, sie werde sofort den deutsch- französischen Postvertrsg in Berathung nehmen, so daß man noch vor Ablauf des Monats in Berlin vom Resultat unterrichtet sein werde. Die spanischen Wahlen find zu Gunsten der Regierung aus gefallen. Fast zwei Drittel der abgegebenen Stimmen gehörender Sagasta-Partei an — ein Erfolg, wie ihn der Ministerpräsident wohl selbst kaum geahnt haben dürfte. Daß diese Mehrheit für den Bestand des Ministeriums und der Dynastie nicht viel bedeutet, läßt sich leicht aus der Geschichte des spanischen LonftitutionalismuS Nachweisen. Wahlen, welche zu Gunsten jeder Regierung oder der Regierung jeder Partei ausfallen, können unmöglich der Ausdruck hetz Polk-Men-, sondern müssen eine mit größerer oder geringerer