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Paris, 22. Juni. Die Wahlbewegung ist in vollem Gange. Ja Anbetracht des Belagerungszustandes hat in Paris noch keine Wahlversammlung stattgefunden. Heute Abend fand eine große Anzahl von Privatversammlungen statt, um die Mitglieder des republikanischen CentralcomitöS zu. ernennen. Die Stimmung in Paris ist eine sehr erregte, nicht sowohl wegen der bevorstehenden Wahlen, als wegen der Frage betreffs der Miethen , indem, wie es scheint, die Regierung sich an das letzte, von der Nationalver sammlung votirte Gesetz halten will. Nicht nur die Parteien, son dern selbst die verschiedenen Nüancen der politischen Parteien sind so uneinig unter einander, daß im Departement des Loiret, wo eS nur einen Candidaten zu wählen giebt, 11 Candidaten sich präsen- tiren. Ist also hier die Confusion schon so groß, so ist sie in Pyris womöglich,yoch größer. Der Mangel an Einverständtüß in der konservativen Partei könnte zuletzt noch den Sieg den Radicalen in die Hände spielen, wenn die Glieder der Internationale wirklich eine Lifte aufstellen. Es scheint aber doch, daß die Zahl der Mit glieder dieser Gesellschaft in Paris abgenommcn hat. — Der Verlust, welchen die Internationalen während der letzten Jnsurrection an ihren 55,000 Pariser Mitgliedern verloren haben, wird auf 8000 Todte und 20,000 Gefangene geschätzt. Von den 30,OM Mitgliedern der Gesellschaft, welche aus den Departements und dem AuSlande gekommen waren, sollen 800V getödtet und gefangen worden sein Der Verlust an Geld der Internationalen beläuft sich auf 3 Millionen. Die Gesellschaft soll deshalb aber keines wegs verzweifelt oder entmuthigt und der Befehl aus London ge kommen sein, sich neu zu constituiren Eine der geheimen Druckereien deS CentralcomitöS ist jetzt entdeckt worden. Dieselbe befand sich in der Stube eines Bedienten eines der vornehmsten Hotels des Fau- bourg-St.-Honore. — 150 Musikanten der Nationalgarde und 40 Aerzte der Ambulancen der Cymmune wurden heute in Frei heit gesetzt. ES hat sich nämlich herauSgeftellt, daß dieselbn alle ihren Dienst gezwungen versehen hatten. — Die, welche falsche Denunciationen machen, werden ziemlich streng behandelt. Man Nimmt sie fest und verurtheilt sie zu drei Monaten Gefängniß. — Heute wurden in der Wohnung der russischen Gräfin Puerow zwei Polen verhaftet, die der Commune gedient hatten. Die Gräfin selbst ist verschwunden. Nach einem, am 11 Juni unter dem Vor sitze ThierS gefaßten Beschlusse des Ministerraths sollen alle im französischen Staatsdienste angestellten polnischen Emigranten so fort entlassen und alle in Frankreich lebenden Polen, die sich auf irgend eine Weise verdächtig gemacht haben, ausgewiesen und unter polizeilicher EScorte bis an die französische Landesgrenze trans- portirt werden. Die französischen Eisenbahngesellschaften sind diesem Beschlusse der Regierung bereits zuvorgekommen und haben sämmtliche bei der Eisenbahnverwaltung angeftellte Polen aus ihren amtlichen Stellen entfernt. Die polnische Ingenieurschule auf Montparnasse in Paris ist vor einigen Tagen auf Anregung der Regierung geschlossen worden, und dasselbe Schicksal steht dem polnischen Lyceum in der Vorstadt Batignolles Ende dieses Jahres bevor. Paris, 23. Juni. In den Katacomben und Abzugscanälen ist wohl jetzt kein einziger Insurgent mehr. Die Agenten sind wohl und munter von ihrer gefährlichen Jagd zurückgckommen, wo zu ihrem Glücke die Geflüchteten von ihren Waffen, der übergroßen Erschöpfung wegen keinen Gebrauch mehr machen konnten. Von den dort gefundenen 400 Mann waren wenigstens bereits 150 an Erschöpfung gestorben, andere 150 Mann rangen im letzten Todes- kampse bei Ankunft der Aerzte, welche die Expedition begleiteten, die übrigen wurden nach verzweifelten Fluchtversuchen an den Aus gängen selbst festgenommen, ohne daß sie einen weitern Widerstand leisteten. Keine Persönlichkeit von Wichtigkeit wurde unter ihmn gefunden. — Unter den Persönlichkeiten von Bedeutung, welche in den letzten Tagen zurückgekommen sind, befindet sich auch die Prin zessin Mathilde. Sie hat ihren Landsitz St. Gratien bei Enghien bezogen. — Einer Mittheilung der „Gazetta de France" zufolge wirv der Graf von Paris in St. Germain erwartet Derselbe wird sich von dort nach Versailles begeben, um dem Chef der Exekutiv gewalt einen Besuch zu machen. Paris, 23. Juni. Gambetta hat ein Mandat für die National versammlung abgelehnt. — Ein interessantes Document fand man in der Wohnung deS Münz-Directors der Commune. Dasselbe constatirt, daß das Umwerfen dpr Vendome-Säule 25,OM Fres, gekostet bat; der Transport det Stücke nach der Münze war darin auf 15,MO Fres, und die 1- und 2-Sousstücke, welche aus derselben geschlagen werden sollten, waren auf die Summe von 845,OM Frcs. veranschlagt. Die Pariser Polizeidiener sollen eine neue Organisation erhalten. Man wird sie in Compagnien eintheilen. An der Spitze emer jeden derselben wird ein Lieutenant stehen und ein Polizei-Commtsfar die Compagnien seine« Viertel« als Hauptmann befehlige«. — Der . Figaro" giebt eine approximative Schätzung des zu Paris in den letzten Monaten angerichteten Schadens in folgender Liste: Finanz-Ministerium 12,000,000 Frcs., Tuillerien 27,000,000 FrcS., PalaiS royal 3,000,000 Frcs., Stadthaus 30,OM,MO Fr., Justiz palast 3,000,000 Frcs., Conciergerie 500,000 FrcS., Polizeipräfectur 2,MO,MO Frcs., Theater lyrique 1,OM,000 Frcs., Cbatelet-Theater 2M OM Frcs., Porte St. Martin und Umgebung 4 000,000 Frcs., Delassements coniqueS 200,OM Frcs-, Speicher (ohne die Vor- räthe) 5,000,000 FrcS., Arsenal l.OOO.MO FrcS., St. Eustache 200,OM Frcs., Gobelin- (ohne Inhalt) 1,000,000 FrcS., Mairie des 4 Arrondissements 300,000 Frcs., Kaffe von Poisy und Bäckerei 2,500,000 Frcs., Assistance publique 2,000,000 FrcS, PalaiS der Ehrenlegion >,OM,000 FrcS.,StaatSrath und Mchnungs- kammer 8,000 000 FrcS., Depositenkasse 4,MO,000 FrcS., Archive der Rechnungskammer 900,000 Frcs., Caserne Bonaparte 500,OÖO FrcS, Docks von La Billette 3,000,000 FrcS., Lyoner Bahn 3M,OM Frcs. rc. und viele Privathäuser, in Summa 132,700,000 FrcS., wobei nur der bauliche Schaden berechnet und die Vorstädte Passy, Auteuil, Neuilly u. s. w. nicht einbegriffen sind. — Im „Journal officiel" werden alle Besitzer von Requi sitionsbons aufgefordert, dieselben innerhalb 2 Mopsten bei dem Präfecten einzureichen; auch diese Ziffer wird nicht ganz klein sein. Paris, 26. Juni. Das „Journal officiel" veröffentlicht einen Erlaß des Finanzministers, daß die Einzahlungen für die Anleihe bei der Centralcasse des Staatsschatzes in allen im Artikel sieben des Frankfurter Friedensvertrages bezüglich der Bezahlung der Kriegsentschädigung aufgeführten Werthen entrichtet werden können. Werthpapiere werden nur angenommen, insofern die Verfallzeit 90 Tage nicht überschreitet und werden dieselben mit sechs Procent escomptirt. Die Würdigung der Unterschriften von Wechseln be hält sich der Ftnanzminister vor. Per Pfund Sterling wird ein fixirter CourS von 25 FrcS. 30 Centimes angenommen. Ein weiterer Erlaß des Finanzministers verfügt, daß in London eine französische Finrnzagsntur zur Abwickelung des Anleihegeschäfts und zur Be zahlung der Coupons errichtet werde. „Figaro" erklärt, daß alle Prinzen von Orleans sich nach Frohsdorf begeben und keinen Schritt unternehmen werden, welcher geeignet sei, Frankreich zu beunruhigen oder den gegenwärtigen Zustand des Landes zu er schüttern. Aus Algier, 24. Juni, wird gemeldet: Der Belagerungs zustand in Algerien ist ausgehoben. 11 neue Stämme haben dem General Lallcmand ihre Unterwerfung angekündigt, 9 andere wün schen mit ihm in Unterhandlung zu treten. Die Situation soll be reits gestattet haben, die kabylische Tclegraphenlinie von Algerien nach DellyS wieder herzustellen. England. Aus London wird geschrieben: ES liegen jetzt die ersten Zahlenangaben über das Gesammtergebniß der am 7. April vorgenommenen Volkszählung vor. Am genannten Tage stellte fich die Bevölkerung des vereinigten Königreichs auf 31,465,480 Seelen, und zwar kamen aus England und Wales 22,704,108; auf Irland 5,402,759; auf Schottland 3,358,613. Für England und Wales zeigt dieser Ausweis im Vergleich zu dem Ergebnisse des Census von 1861 einen Zuwachs von 2,637,884 Einwohnern, welche sich mit 1,264,144 auf das männliche und mit 1,373,740 auf das weibliche Geschlecht vertheilen. Irl Ganzen hat jetzt England nebst Wales 11,040,403 männliche und 11,663,705 weibliche Einwohner, so daß es mit dem vielbesprochenen Uebergewicht des Femininums doch nicht gar so schlimm bestellt ist. Bezüglich der Aufnahmen in Irland sind zumal die Religionsstatistiken interessant. Unter der Gesammtbevölkcrung von 5,402,659 Seelen sind nämlich 4,141,933 Katholiken, 683,295 Angehörige der protestantischen Episcopalkirche und 558,238 Presbyterianer, während sich die übrigen 19,283 auf verschiedene kleinere Secten vertheilen. Nach einer officiösen Mittheilung auS Wien sind die Re gierungen eben jetzt in einem Ideenaustausch über die Nothwendig keit und eventuell über die Mittel begriffen, wie die Bestrebungen der „Internationale" im Zaume zu halten sind. — Nach einer Mittheilung der „Boh." hatte der Fürst Hohenlohe, während er dem heiligen Vater die Glückwünsche seines kaiserlichen Herrn in einer Form überbringt, die von der treukatho- lichen Gesinnnung desselben ein beredtes Zeugniß ablegt, gleichzeitig den gemessenen Auftrag, dem Cardinal - Staatssekretär gegenüber kein Hehl daraus zu machen, daß sich der Kaiser damit wedcr von den von ihm freisanctionirten Gesetzgebungsakten seiner Regierung loSzu- sagen Willens sei, noch daß er sich in einer Weise in die zwischen dem römischen Stuhl und Italien schwebenden Fragen einznmijchen beabsichtige, mit andern Worten, daß die gegenwärtige Sendung ein Act rein persönlicher Pietät und jedes politischen Hinterge dankens baar sei. Der heilige Vater hat hierauf den Fürsten mit