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1184 „Arbeiter! Obgleich für den Augenblick besiegt, zählen wir «och nach Hunderttausenden. Zur Wahlurne! Die Gesellschaft von heute muß dem Recht der großen Mehrzahl deS Volkes weichen." — Die „Berits" meldet: Die Finanzstellung mehrerer unserer Kredit anstalten ist erschüttert. Die Gesellschaft des Credit-agricole hat schwer gelitten, die deS Credit-foncier hat soeben von den Actionären die Capitalzahlung im Betrage von 100 Francs pro Actie einge fordert, da sie ihre Schuldner nicht belangen kann. Die Gesell schaft des Credit-industriel befindet sich in derselben Lage wie 1870. Versailles, 15. Juni, s Nationalversammlung, s General Trochu ergriff beute nochmals das Wort. Der erste Theil seiner längen Rede hatte in und außerhalb Versailles großes Gefallen gefunden. Seine gestrigen Auslassungen, worin er seine kopflose Vertheidigung von Paris zu beschönigen suchte, hatten dagegen kalt gelassen, und der Mann, den man bisher für einen sehr loyalen, wenn auch gerade nicht sehr geschickten General hielt, scheute sich nicht, um die schlechte Wirkung seiner Worte wieder gutzumachen, den Fürsten v. Bismarck als Hauptmitschuldigen der Pariser Communisten hinzustellen. Die Kammer protestirte nicht gegen die Andeutungen des Generals; die Minister schwiegen ebenfalls. „Meine Herren!" — so beginnt Trochu — „als ich den Bericht der gestrigen Sitzung las, constatirte ich in meiner Rede eine Lücke, eine Vergeßlichkeit meinerseits; ich bitte, mir zu gestatten, dies gutzumachen. Ich habe Ihnen eine Art von Geschichte der Pariser Sectiter während der Belagerung gegeben. Ich habe bewiesen, daß jede ihrer Unternehmungen gegen die öffentliche Ordnung einem unserer Uvglücksfälle entsprach, als wenn sie dieselben vervoll ständigen und daraus Nutzen ziehen wollten; so war eS am 8. October nach der Kapitulation von Straßburg; am 31. October nach der Kapitulation von Metz; am 22. Januar nach der Schlacht von Buzenval. Ich blieb dabei stehen, ohne daraus einen Schluß zu ziehen. Wollen Sie mir gestatten, eS in einigen Worten zu thun. Alle Unternehmungen waren von ihnen in einem immer heftiger ausgedrückten Gefühle gemacht worden: nämlich in dem Hasse gegen die Preußen und in der Ansicht, daß die Regierung der Vertheidigung das Land verrathe, weil sie nicht die Massen- erhebung befehle. Sie verlangten den Krieg bis zum Messer und behaupteten, daß sie ihn selbst mit oder ohne die Regierung machen würden. In der nämlichen Gesinnung bemächtigten sie sich deS Platzes Wagram, der Kanonen, welche sich dort befanden und führten sie nach Montmartre, wo sich vie Citadelle der Jnsurrection organisirte. Am 18. März sind die Scctirer Herren von Pari- in Folge der schmerzlichen Ereignisse, welche Sie kennen; sie sind Herren der Stadt, der Wälle, der Forts, sie sind Herren der Waffen, der Munition, von Allem. Und im nämlichen Augenblicke, zu meinem großen Erstaunen und ohne daß unglücklicher Weise Paris darüber erstaunt gewesen wäre, erklären sie, alle Klauseln der Friedens Präliminarien annehmen zu wollen. Sie treten in Beziehungen, die man herzliche nennen könnte, zum Feinde. EM preußischer General ist genöthigt, einen Brief zu erklären, welchen er an die Commune oder den militärischen Commandanten von Paris unter der Commune gerichtet; der Delegirte beim Kriegs wesen, wie man ihn nannte, erläßt eine Reihe sehr strenger Ver ordnungen, welche zum Zwecke haben, dem Feinde den freien Ge brauch aller Rechte zu sichern, welche die schwebenden Unterhand lungen erforderten; Männer, welche auf meinen Befehl während der Belagerung al- preußische Agenten eingekerkert worden waren, wurden die Leiter der militärischen Angelegenheiten der Commune. Dombrowski war in diesem Falle. (Trochu vergißt hier ganz, daß er gar nichts von der Verhaftung Dombrowski'S wußte; der selbe wurde einfach festgenommen und nach Maza- gebracht, da et, wie viele Andere, als preußischer Spion von einer öffentlichen Dirne denuncirt worde« war. Er saß ungefähr vier Wochen, al- ihn Gambetta per Brieftaubenpost rcclamirte, da ihn Garibaldi für sein CorpS haben wollte. Man suchte nach ihm acht Tage; da Niemand, besonders Trochu nicht, wußte, wo er war. Trochu be nutzte heute Dombrowski, um sich rein zu waschen, obgleich dieser Vorfall ihn damals in'ganz Paris lächerlich machte) MeMHerren! Ich habe genug gesagt, denn ich fürchte, daß mein Gedanke M meine Spräche zu weit gehen, um zu beweisen, was meiner Ansicht nach der Ursprung der Pariser Jnsurrection ist. Ich habe sie ' be ttachtet und betrachte sie noch als die Fortsetzung des unter aMM Gestalt erscheinende« fremden Krieges. (Sehr gut!) Und'ich kM sticht vergessen, ich -sage dies mit Schmerz, der Fürst v.' Bis marck, welcher der Pariser Jnsurrection zweimal die-Ehre angethan hat , sich mit ihr in seinen offieiellen Reden zu beschäftigen, nicht den Abscheu auSgedrÜckt hat, welcher der ganzen Welt, der allge meinen Moral (sehr gut!) die Verbrechen der Kommune eingeflößt haben. (Ja; ja, sehr gut! Bestall.) ..." — Gaölondt: Sehr Ml ES ist ein Wort, da« von oben herab kommt und bleiben wird. — Trochu (fortfahrend): „Tlnd daß er endlich gesunden hüt, daß die München, 17. Juni. Der StäatSMittister Graf Brah hat wegen einer Differenz mit dem Kultusminister seine Entlassung etngereiwt. Die Entscheidung deS Königs ist noch nicht erfolgt. (Graf Bray billigt bekanntlich nicht die von Herrn v. Lutz beab sichtigten energischen Maßregeln in Sachen des Kirchenstreites.) — Für die beiden Rathsstellen am BundeSoberhandelSgericht zu Leip zig, welche mit Juristen aus Bayern besetzt werden sollen, sind von unserer Staatsregierung der Oberappellationsgerichtsrath Joh. Wernz und der Abgeordnete Advocat Dr. Marquard Barth in Vorschlag gebracht, und dürfte deren Ernennung durch den Kaiser in den nächsten Tagen zu erwarten sein. Herr Wernz gilt als ein ausgezeichneter Kenner deS franiöstschen Rechts, und dürste wohl auch deshalb mit Rücksicht auf Elsaß und Lothringen für den höchsten deutschen Gerichtshof bestimmt sein. AuS Paris, 13. Juni, schreibt man: In Deutschland pflegt man zu sagen: Jeder Tag hät seine Last, hier muß jeder Tag sein „ErtiMß" haben. DaS Ereigmß von heute ist der Brief von Alexander Dumas bis an einen Freund, und die Abendblätter fallen mit Begier darüber her Der Verfasser der Cameliendame tritt in diesem eigentlich an Frankreich gerichteten Briese ebenfalls als Moralist auf und hält den Franzosen alle Sünden der letzten hundert Jahre vor. Et sagt: „Seit 70 Jahren leben wir nur ist Fitttonen, von Worten, die absolut nichts enthalten, und die Hauptsache ist, daß wir fett'dem Anfänge dieses JahrhundertS alle unstte Institutionen angegriffen und uMgeworfeu haben, für so solid und annehmbar wie wir sie auch immer erklärt haben mochten. Die Freiheit, die Gloire, die Charte, die Republik, das allgemeine Stimmrecht, die Opposition, die Nation; die Politik, die Diplomatie, die Alliancen, die Mitrailleusen, der Kaster, Berlin, die Marseillaise, die Gleichheit, die Brüderlichkeit, die Gesetze, die Justiz, die Obrig keit, Alles ist nach einander bekämpft, lächerlich gemacht und unter graben worden. An dem Tage, au welchem Herr ThierS uns aufforderte, uns 24 Stunden zu besinnen, ehe wir uns in den Krieg mit Preußen stürzten, wollten wir ihm sein HauS einreißen, und nun, da wir geschlagen sind, machen wir einen Gott aus ihm und votiren eine Million, damit er sich ein neues baue. Wir lasten 30,000 unserer Söhne todtschlagen, da« ist hart, wir bezahlen 5 Milliarden für eine Phrase deS Herrn JuleS Favre , daS ist theuer, und wir klagen Trochu des VerratheS an, weil er uns nicht bis auf den letzten Mann umkommen lasten will — das ist dumm. Und wir erdulden die Belagerung von Paris wie Helden, und erlauben den Preußen, den Siegern, nicht, ein Glas Bier in einem Cafs zu trinken, lasten aber zu, daß Freudenmädchen, Leier kastenspieler, verworfene Journalisten, Italiener aus la Billette mid Polen aus allen Ländern Paris besetzen, plündern und in Brand stecken. Und zuletzt verlangen wir noch aus voller Kehle alle unsere exilirteu Prinzen wieder zurück; mit anderen Worten, wir erklären vor den Augen aller Welt, daß wir seit achtzig Jahren nicht mehr wissen, was , wir thun: daß 1789 ein Mißverständniß, 1804 ein Jrrthum, 1830 eine Dummheit, 1848 ein Fehler, der 10. Dezember eine kleine Zerstreuung, der 4. September ein Gassen- jungeustreich, daß dies Alles nicht mehr zählt, daß eS nur was zum Lachen war und mau wieder von vorn anfangen will. Du lieber Gott! Welch ein Volk! Ich begreife, daß eS die anderen Völker genirt und daß Preußen von ihnen den Auftrag bekommen hat, eS zu vernichten — und dahin wird eS auch noch kommen, denn Preußen ist zähe und hartnäckig, — wenn wir uns nicht bald entschließen, zu wissen, waS wir wollen." — Es ist gewiß ein Zeichen der Zeit, und die Franzosen mögen eS wohl beachten, daß zwei Elsässer, welche während der Herrschaft der Regierung vom 4. September zu den Vertretern deS äußersten französischen Patriotismus gehörten, nun auS freiem Antriebe Deut sche geworden sind. Der eine, Advocat Moritz Engelhardt, ehe maliger Prüftet des Maine-et Loire-Departements, der selbst Gam betta zu fanatisch patriotisch war, hat vor Gericht erklären lassen, daß er als ElMer nunmehr äufhöre, Franzose zu sein. Einen gleichen Schritt hat der ehemalige Vertreter der Regierung vom 4. September in Brüssel, der Bürger Tachard, ebenfalls ein Elsässer, gethan. Paris, 16. Juni. Heute wurde daS Gesetz über die Miethen, Welches während der Pariser Jnsurrection in Versailles votirt wor- den ist, an.den Mauern von Paris angeschlagen, also vollständig auftechterhalten. We fast alle Blätter constatiren, Macht dieses den schlechtesten Eindruck. — In den möblirten Wohnungen des WeichhildeS von Pari- fanden gestern viele Verhaftungen statt. Die Sonaten tiom 88. Linftnregiment, welches aM 187 März zur JnsuiretttoN ürergegflngen ,ist, bifinden M M alle in Haft. Seit gestern nehmen die Pölizeidiener allein die HauS,uchungen und Ber- Haftungen vor. Sie sind mit EhasiepotS und Revvlvern bewaffnet. — 17. Juni. Das „PariS-Journal" diröffentlicht das Wahl- Manifest des Central-Tomitss der JWrÜativtmlen, worin e- heißt: