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zu müssen geglaubt, weil bereits von Dippoldiswalde aus der eben falls der freisinnigen Partei angehörige bisherige LandtagSabgeord- nete, Herr Uhrensabrikant Lange in Glashütte, aufgestellt worden ist, von dessen Candidatur dem städtischen Verein zur Zeit noch nichts bekannt war. Das „L. T." berichtet aus Leipzig vom 19. September: Während des kurzen Aufenthalts des Fürsten Bismarck auf dem Berliner Bahnhofe ereignete sich ein scherzhafter Zwischenfall da durch, daß der dort stationirte wohlbekannte Bücher- und ZeitungS- Colporteur an den Salonwagen, aus dessen geöffnetem Fenster der Reichskanzler herausblickte, herantrat und an denselben eine An zahl von Tagesblättern verkaufte. Hierbei entschlüpfte dem Ver käufer die von Fürst Bismarck mit herzlichem Lachen aufgenommene Bemerkung: „Ich habe mit Euer Durchlaucht schon vor 8 Jahren, als Sie damals durch Leipzig nach Karlsbad reisten, in Geschäfts verbindung gestanden. Wir waren zu jener Zeit Beide Anfänger; Eure Durchlaucht hatten begonnen zu regieren und ich hatte mein Colportage-Geschäft angefangen." Der neckische Zufall fügte eS ferner, daß sich unter den, an den Reichskanzler überreichten Zei tungen und Schriften auch das von dem Berliner Landtagsabge ordneten Ludolf Parusius herausgegebene sathrische Schriftchen: „Ein preußischer CultuSminister, der seinen Beruf verfehlt hat", befand. Der Colporteur wollte es rasch wieder zurücknehmen, doch Fürst BiSmarck wehrte ihn lächelnd ab und kaufte das Flugblatt sammt den übrigen Zeitschriften. — In Bezug auf die in Kurzem bevorstehenden Ergänzungs wahlen zum Landtage hat der geschäflsleitende Vorstand der national- liberalen Partei Sachsens den nachstehenden Ausruf erlassen: „Die Ergänzung-Wahlen zum Landtage stehen vor der Thür und dringend tritt an die Wähler in den dethnligten Wahlkreisen die Pflicht heran, sich über die Männer ihre- Vertrauen« zu verständigen. Zwar handelt es sich nur um Erneuerung eine« Drittels der II Kammer; gleichwohl steht für die freisinnigen Wähler die Möglichkeit offen, der ganzen Kammer ihren Eharacter aufzuprägen, indem sie der bisher nur zweifelhaften und schwankenden liberalen Mehrheit durch den Hinzutritt von aufrichtig freisinnigen, bewährten Männern ein entschiedenes und ausdauernde- Uebergewicht sichern. Mögen die Wähler diele Gelegenheit nicht versäumen! Nicht scharf genug kann dem nur zu verbreiteten Jrrthume entgegengetrete» werden, al« habe der Reichstag den Landtagen ihre Hauptbedeutung vorweg genommen. Befreit von der erdrückenden Last derjenigen GesetzgebungS- zweige, in denen ein einzelner Theil des großen deutschen Verkehr«» gebleteS für sich allein eS beim redlichsten Willen doch nimmermehr zu gesundem Gedeihen zu bringen vermochte, kann jetzt der Landtag seine Kräfte um so ungethettter und segengsreicher den Fragen der Verfassung und der innern Verwaltung zuwenden und, im Wettbewerb mit den zu Einem Reiche geeinten Bruderstaaten, unserm Sachsen die ehrenvolle Stellung wiedererrlngen Helsen, welche eS in den ersten Perioden seines Verfassungsleben« durch sein Vorangehen in freisinnigen Einrichtungen unbestritten eingenommen, in einer langen Zelt der Reaction und dumpfen Erstarrung aber mehr und mehr verloren hatte, und die doch einem der rührigsten und geistig regsamsten Stämme de« deutschen Volke« in der That gebührt. Wir brauchen, um die Bedeutung der zunächst vorliegenden Auf gaben zu kennzeichnen, nur an die auf dem vorigen Landtag ange- bahnte Reorganisation der Verwaltung einschließlich der Gemeindever- saffung und an die Schulgesetzgebung zu erinnern, bei welcher eS gilt, den Uebergriffen der Synode zwar maßvoll, aber mit aller Entschiedenheit entgkgenzutreten. Wir stellen kein Programm auf. Die national-liberale Partei in Sachsen hat durch ihr einmüthiges und klar bewußte« Handeln in einer Zeit, wo sie noch vielfach verkannt wurde, gezeigt, was sie will; sie wird jetzt, wo die glorreiche Geschichte de« texten Jahre- ihre patriotischen Hoffnungen und Wünsche veiwuklicht hat, wo Viele, die sie ungern in den Reihen ihrer Gegner erblickte, ihrer Richtung näher getreten sind, um so zuversichtlicher und freudiger daran sistpalten. In der Lösung der Ausgaben, welche de- bevorstehenden Landtages harren, darf sie aus ein ungetrübtes und feste- Hand in Handgehen aller wahrhaft Liberalen im Lande rechnen." — Die „Berl. VolkSztg." schreibt: Für die zahlreichen Freunde der genossenschaftlichen Selbsthilfe wird es von Interesse sein, zu er fahren, daß bereits eine Anzahl solider und lebenssähiger Productiv genossenschaften auS dem Schooße der deutschen Gewerkvereine ent sprungen sind. ES sind dies: die Productiogenoffenschaft der Leine weber zu Oderwitz bei Zittau, die der Tuchmacher zu Forst (Nieder- Lausitz), die der Baumwollenweber zu Plauen im Voigtlande und die der Cigarrenmacher zu Magdeburg. Die Leinenwaaren der Oderwitzer Genossenschaft haben sich durch ihre große Reellität und Preiswürdigkeit schon allgemeine Anerkennung erworben, nicht min der verdienen solche dis Erzeugnisse der genannten jüngeren Asso« 1779 ctationen, wie die Tuch- und Hosenstoffe von Forst, die fettigen wei ßen brochirten Gardinen und der glatte Mull von Plauen. — Am 19. September konnten die letzten 9 Soldaten, welche sich zur Wiederherstellung von ihren bei dem Zschorlauer Eisea- bahn-Unglück erlittenen Verletzungen noch im Militär-Baracken« Lazareth in Leipzig befanden, in ihre Heimath entlassen werden. Schneeberg, 17. September. In dem Hause deS Kauf mannes B. Härtel hier wurde man am 14. d. M., glücklicher Weise noch früh genug, aus dem Holzbodenraume ein im Entstehen befindliches Feuer gewahr. Die 19jährige Dienstmagd Marie Reinwardt auS Schwarzenberg wurde als der Brandstiftung ver dächtig, sofort in polizeiliche Haft gebracht, und ist der Brand stiftung auS Rache bereits geständig. Bautzen, 19. September. Gestern ist der 33 Jahre alte unverheirathete Schneider Peter Bierich aus Cossern von dem Morgens ^3 Uhr von hier nach Dresden abgehenden Eilzug zwischen Cossern und Demitz überfahren und sofort getödtet worden. Ein Selbstmord ist kaum anzunehmen, da der Verunglückte sich eines guten RufeS erfreute; in jener ^acht herrschte sehr große Dunkelheit. Crimmitschau, 18. September. Heute ist dem Redacteur > des „Bürger- und Bauernsreund", Herrn L Hirsch, das Erkennt« niß des hiesigen Gerichtsamts in Sachen der dem „Dresdner Volksboten" entnommenen „Zehn Gebote im Reiche der Gottes furcht und frommen Sitte" publicrrt worden. Es sind ihm in demselben weitere drei Monate Festungshaft zuerkannt worden, : und zwar wegen Beleidigung des deutschen Kaisers. ^Vermischtes. * Aus Berlin wird der „N. A. Z." über das räthselhafte Verschwinden einer bedeutenden Geldsumme berichtet: Ein hiesiges Bankhaus, R. u. C., hat am 14. d. AaendS eine Sendung von 3000 NapoleonSd'orS unter 1060 Thlr. Werthangabe bei der Post« expedttion Nr. 9 am Potsdamer Thor zur Beförderung nach Wien ausgegeben. Diese Sendung soll mit 14 anderen Paketen nach dem Hofpostamte in der KönigSstraße expedirt worden, daselbst jedoch mcht angekommen sein. Das betreffende Packet war verschwunden und Londucteur und Postillon behaupten, über den Verdleiv dessel« den nichts angeben zu können. CS scheint indesfen gegen den einen der Beamten doch ein Verdachtsgrund vorzuliegen, da von den betreffenden Behörden seine Haftnahme angeoronet worden ist. * Ueber die WohnungSnoth rc. in Berlin berichtet die „A. Z.": Am 1. April v. I. befanden sich bereits in Berlin 350 Familien mit 1604 Köpfen wohnungsloS, wovon 131 Familien bis dahin eine Miethe bis zu 30 Thlrn., 175 eine solche von 31 bis 60 Thlrn., 36 eine solche von 61 bis 100 Thlrn., und 18 eine Miethe über 100 Thlr. gezahlt hatten Seitdem haben sich die WohnungS- verhältnisse in Berlin sehr erheblich verschlimmert. Zunächst ist statistisch seftgestellt, daß die Vermehrung der Wohnungen nicht entfernt mit dem Zuwachs der Bevölkerung gleichen Schritt gehalten hat. Von großem Einfluß darauf war die Unsicherheit der politischen Verhältnisse, welche die Baulust stark beeinträchtigte, dann der vor herrschende Trieb nach Herstellung von Luxusbauten, und endlich der Unfug der Arbeitseinstellungen. Zu dem so entstandenen Woh« nungSmangel gesellte sich eine ganz unerhörte Verteuerung der MiethSpreise, welche gerade die kleinen und die mittleren Wohnungen am härtesten getroffen hat. Wohnungen unter 30 Thaler werden überhaupt nicht mehr aufzutreibeu sein, oder haben keinen Anspruch auf die Bezeichnung menschlicher Wohnungen. Für feuchte elende Keller- oder unheizbare Dachwohnungen, bestehend auS Kammer und Küche, werden durchweg 50—60 Thlr. Miethe gezahlt, während sogenannte Mittelwohnungen, welche vor wenigen Jahren noch um den Preis von 100 bis 120 Thlr. zu haben waren, heute fast daS Doppelte kosten. Die Ursachen dieser unglaublich klingenden Steige« rung der Miethpreise find nicht allein in der gewachsenen Nachfrage zw suchen, sondern auch in der Vertheuerung der Bauarbeiten und deS Baumaterials und in der äußerst ungünstigen Rückwirkung der Freigebung deS Zinsfußes auf die Hypotheken und in einer nahezu an Gaunerei streifenden Speculation. So ist eS hier zu einer förm lichen Industrie geworden, daß die Specmanten Häuser ankaufen, um die Miethen sofort ins Maßlose hinaufzuschrauben, und dann den eben erworbenen Besitz nach Maßgabe deS MiethertrageS mit großem Gewinn wieder zu veräußern. Daher kommt es, daß MiethSverträge in Berlin meist nur noch auf die Dauer emeS JahreS abgeschlossen werden, und daß viele Haustr ihren Besitzer innerhalb Jahresfrist zwei- oder gar dreimal wechseln. Gegenüber so beklagenswerthen Zuständen ist eS denn allerdings nicht zu ver wundern, wenn man hier und da Aufschriften an Mauern und Breterverschlägen begegnet, wie der : „Ein Schuft ist der, welcher