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936 Die Ministerkrisis, von welcher Italien wieder bedroht ist, gilt für eine recht ernste. Jedoch glaubt man, daß der Finanz minister zu vorsichtig sei, um sich der Gefahr einer parlamentari schen Niederlage auSzusetzen. Er wird jedenfalls zuvor das Ter rain genau untersuchen, und wenn er es nicht hinlänglich sicher fin det, sich bei Zeiten und in guter Ordnung zurückziehen. Die Sprache der ministeriellen Blätter deutet auf eine solche Tacttk hin. Nach Mittheilungen österreichischer Blätter hat das Wie ner Cabinet zu der neuesten Differenz zwischen der Pforte und dem Vicekönig von Egypten vorerst freilich nur ganz im Allgemeinen, aber doch sehr bestimmt Stellung genommen, mit der Erklärung, daß es weder die Loslösung EgyptenS von der Oberhoheit der Pforte, noch die Herabdrückung Egyptens zu einer einfachen türki schen Provinz zugeben werde. In der diesfalls nach Konstantinopel gerichteten Aeußerung soll überdies die Bemerkung einen Platz ge funden haben, daß die Pforte in neuerer Zeit ihren Vasallen gegen über eine, eher aggressive (angreifende) als defensive (vertheidigeyde) Stellung annehmen zu wollen scheine. DaS wichtigste Ereigniß für unser Deutschland ist der am 20. d. M. zu Frankfurt a/M. erfolgte Austausch der Ratifi cationen über den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich, nachdem die Versailler National-Versammlung mit 443 gegen 98 Stimmen die Friedensvorlage genehmigt hatte. Jetzt erst tritt die deutsche Gesetzgebung über Elsaß und Lothringen, das nun dem deutschen Volke nach völkerrechtlichen Begriffen gehört, in ihr vol le- Recht, und so hat denn auch der Präsident Vr. Simson keinen Augenblick gezögert, unmittelbar auf die Mittheilung der FriedenS- Ratificationen die zweite entscheidende Bcrathung über die Wieder vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem deutschen Reich auf die Tagesordnung deS Reichstags zu setzen. Die Fassung, welche der Entwurf von der Commission erhalten, ist folgende: 8 1. Die von Frankreich durch den Art. 1 des Präliminar-FriedenS vom 26. Februar 1871 abgetretenen Gebiete Elsaß und Lothringen werden, unbeschadet der in diesem Artikel vorbehaltenen endgültigen Bestim mung ihrer Grenze, mit dem deutschen Reiche für immer vereinigt. 8 2. Die Verfassung des deutschen Reiches tritt in Elsaß und Loth ringen am 1. Januar 1873 in Wirksamkeit; Art. 3 derselben fin det jedoch sofort Anwendung. Durch Verordnung des Kaisers mit Zustimmung des Bundesrathes können einzelne Theile der Verfas sung schon früher eingcführt werden. Die erforderlichen Aenderun- gen und Ergänzungen der Verfassung bedürfen der Zustimmung deS Reichstags. 8 3. Die Staatsgewalt in Elsaß und Lothringen übt der Kaiser aus. — Bis zum Eintritt der Wirksamkeit der Reichsverfassung wird für Elsaß und Lothringen das Recht der Ge setzgebung in seinem ganzen Umfange vom Kaiser mit Zustimmung deS BundeSrathS auSgeübt. — Dem Reichstage wird für diese Zeit über die erlassenen Gesetze und allgemeinen Anordnungen und über den Fortgang der Verwaltung jährlich Mittheilung gemacht. — Nach Einführung der Verfassung steht bis zu anderweitiger Rege lung durch Reichsgesetz das Recht der Gesetzgebung auch in den der ReichSgefetzgebung in den Bundesstaaten nicht unterliegenden An gelegenheiten dem Reiche zu. Z 4 Die Anordnungen und Verfü gungen deS Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, der dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. — Die mehrstündige Debatte kam nicht über § 1 hinaus, welcher mit allen gegen 2 Stimmen — Schraps und Sonnemann — An nahme sand. Montag, den 22., Fortsetzung der Berathung. Berlin. Nach der „B. Z." wird der Einzug der Garde truppen in Berlin in der Zeit zwischen dem 20. Juni und 3. Juli stattfinden. Aus Frankfurt a. M. berichtet die „Fr. Z.": Schon seit längerer Zeit sind Tischler, Maler und Tapezier beschäftigt, die erste Etage der Post zum Empfange des Kaisers herzurichten. Wie wir ausS Bestimmteste vernehmen, wird derselbe im Laufe d. r nächsten Woche zu einem viertägigen Besuch hier eintreffen. Mau sprrcht auch von Unterhandlungen über Ankauf des TariS'sck u PalaiS für die kaiserliche Familie. München, 21. Mai. In einer äußerst zahlreich besuchten Ver sammlung der Altkatholiken spricht Prof. Michelis soeben unter don nerndem Beifall gegen die heutige Hierarchie und ihren „Wechsel- balg", die Unfehlbarkeitshäresie; er bezeichnet die Hierarchie als ein Verbrechen an Gott, Kirche und Menschheit. Huber geißelt die Jämmerlichkeit deS Verfahrens des Münchener Erzbischofs gegen -ie Altkatholiken und weist den Vorwurf, als wollten diese die Re ligion umMrzea, energisch zurück. Wie der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" aus Straßburg vom 19, berschtet wird, sollen von der Regierung zehn Millionen Francs und zwar vorlW vorschußweise bewilligt worden sein, um mit dem Wiederaufbau der in Straßburg zerstörten Gebäude Veßinfteü zu WM, > London, 19. Mai. Der Prinz von Wales hat dem Kaiser Na poleon in Chislehurst einen Besuch abgestattet. Dachsen. Freiberg. Oeffentliche Gerichtssitzung den 2. Juni Vor mittags 9 Uhr zur Linspruchverhandlung in der Untersuchung wi der Carl Gottlob Kaden aus Hallbach wegen Diebstahls. -i- Dresden, 20. Mai. Der Synode gingen heute wieder einige Petitionen wegen Abschaffung des Patronats und deS Re- ligionSeides, sowie wegen Abänderung des tz 3 der Kirchenvor stands- und Synodalordnung zu. Ebenso eine Petition aus Chem nitz wegen Einführung allgemeiner directer Wahl für die Synode. DaS Petitionscomitv in Ostritz petirt um Unterstützung für den dortigen evang. Pfarrer ; während der Kirchenvorstand zu Kolditz die Beschränkung der Zahl von Tauszeugen beantragt. — Zur Tages ordnung übergehend, erstattete Res. Franz Bericht des Verfassungs- Ausschusses, die Wahl von Wahlmännern der Mutter- mit Tochter« oder Schwesterkirche betreffend. Der Antrag auf Interpretation des 8 38 lautet: Die Kirchenvorstände verbundener Kirchspiele, bei welchen nur ein confirmirter Geistlicher angestellt ist, wählen ge meinschaftlich einen weltlichen Wahlmann. Sind mehrere conftr- mirte Geistliche bei einer Mutterkirche (oder Schwesterkirche) ange stellt, so wählt der Kirchenvorstand derselben mit dem Kirchenvor stande der Nebenkirche (Tochter- oder Schwesterkirche) gemeinschaft lich so viele weltliche Wahlmänner, als von diesen Geistlichen in beiden Kirchen amtiren. Haben dagegen Geistliche nur in der Mutter« kirche oder nur in der Tochterkirche zu amtiren, so hat in jenem Falle der Kircheuvorstand der Ersteren, in diesem der Kirchenvor stand der Letzteren eine gleiche Anzahl weltlicher Wahlmänner allein zu wählen. — Abg. vr Wille motivirt folgenden Zusatz: „Ist end lich ein Geistlicher an zwei Kirchen mit besonderen Kirchenvorständen angestellt, so wählt der Vorstand des OrteS, an dessen Kirche er das höhere Amt verwaltet." — Die Abgg. Beyer und Heubner verwenden sich für die größere Selbstständigkeit der Tochter- und Schwcsterkirchen, während Vicepräsident Hosmann glaubt, daß der Vorschlag des BersassungsauSschusses das Richtige treffe. — Abg. Kretzschmar will jeder Gemeinde das Wahlrecht gesichert wissen, weshalb er mit Heubner hoffe, das Kirchenregiment werde bei der neuen Redaction des 8 38 der Kirchenvorstands- und Synodalord nung in dieser Richtung hin dem Wahlrecht der Gemeinde Rech nung tragen. — Referent Franz vertheidigt den Antrag deS Ber- fassungsausschusseS. — Abg. Haberkorn bekämpft den vr. Wille'schen Antrag, denn eS lasse sich in vielen Fällen gar nicht unterscheiden, welches das höhere Amt sei. — Abg. vr. Zapfs: Auch er sei mit dem Vorschlag des Verfassungsausschusses nicht ganz einverstanden und beantrage, die Petition resp. Beschwerde deS Kirchenvorstandes zu Plauen (durch den die Frage angeregt wsrden) dem Kirchenre giment zur Berücksichtigung zu überweisen. — Abg. v. Zahn tritt dem vr Wille'schen Antrag entgegen, ebenso Abg. Höffner, während vr. Wille die Zweckmäßigkeit desselben vertheidigt. — Abg. Körner: Ihm scheine, daß bei den Filialien weniger kirchliches Interesse vor herrsche, als bei Mutterkirchen; deshalb sei es gut, Filialien größere Selbstständigkeit zu geben, um ihr Interesse zu erhöhen. — Schluß der Debatte wird beantragt, aber abgelehnt. — Es betheiligen sich noch an der weiteren Discussion die Abgg. Niethammer, der Referent, Schwcingel, Geh. Kirchenrath Feller, worauf vr. Wille seinen An trag zurückzieht. — Hieraus Schluß der Debatte. — Bei der Ab stimmung tritt die Synode dem Vorschläge des Ausschusses bei, lehnt jedoch den vr. Zapff'schen Antrag ab. — Nunmehr erstattet Referent von Zehmen Bericht desselben Ausschusses über den Kretzsch- mar'schcn Antrag wegen Revision der Kirchenversassung. Der Aus schuß schlägt vor: Den Antrag auf sich beruhen zu lassen. — AuS der Debatte Folgendes: Abg. Kretzschmar: Ganz abgesehen davon, ob die politische Landesvertretung zum Erlaß einer Kirchenversassung competent gewesen, sei es Pflicht der Synode, den Bau zu prüfen, den eine fremde Körperschaft auf Grund und Boden der Kirche auS« geführt hat. Auch die Kammer habe daS AuSbaucn ver Verfassung ausdrücklich der Synode Vorbehalten, und nun wolle man dieser Arbeit aus dem Wege gehen? In solchem Falle erfülle die Synode ihre heiligste und wich tigste Pflicht nicht. Redner weiset nun an einzelnen Punkten der Verfassung die Nothwendigkeit einer Revision nach, und geht dann auf eine Wiederlegung der Motive über, mit denen der Ausschuß sein Votum begründet. — Abg. Friedrich: Seit der Reformation habe man die politische Vertretung auch für kirchliche Dinge kom petent gehalten und deshalb unterliege eS keinen Zweifel, daß unsere Kirchenversassung auf ganz legalem Wege entstanden sei. Sollten im Einzelnen Verbesserungen sich uothwendig machen, so könne man dieselben auch im Einzelnen ausführen, ohne die gesammte Ver fassung einer Revision zu unterziehen. — Abg. Günther: Hätte der