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Merger Anzeiger und Tageblatt. Amtsblatt des Kgl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Kgl. Gerichtsämter und der Stadträthe zu Freiberg u. Brand. ^116. Erscheint jeden Wochentag Ad. K U. für den and. Tag, Inserate werden bis V, 11 U. für nächste Nr. angen, Dienstag, den 83. Mai Preis vierteljährl. 20 Ngr. Inserate werden die gespaltene Zeile »der deren Raum mit 8 Ps. berechnet. 1871. 4- Freiberg, den 22. Mai. Noch immer wird in Frankreich der längst angekündigte „große Schlag" gegen Paris vergeblich erwartet; es deutet aber Alles darauf hin, daß die Katastrophe nicht mehr lange auSbleiben kann, da die Lage der Insurgenten sich immer verzweifelter gestaltet. Ein Aufruf Grousset's an die großen Städte, Paris zu Hilfe zu eilen, beweist, daß die Commune zwar ihren Untergang vor Augen sieht, dennoch aber fest entschlossen ist, den äußersten Widerstand zu leisten, d. h. hinter den Barricaden von HauS zu HauS zu kämpfen. Hinter der Enceinte (Ringmauer) sind bereits Verschanzungen aller Art angelegt, die den Versailler Truppen noch große Opfer kosten werden. Auch wartet Herr ThierS noch immer vergebens, daß sich die Ordnungspartei in der Hauptstadt rühre; entweder ist eine solche nicht vorhanden, oder sie wagt nicht, gegen die Männer des 18. März etwas zu unternehmen. Inzwischen ruinirt sich die Commune selbst durch ihre unerhörten Gewaltmaßregeln immer mehr. Das HauS des Herrn Thiers und die Vendome-Säule find ihr zum Opfer gefallen. Die Vendome-Säule war zur Feier der glorreichen Feldzüge von 1805 und 1806 durch Senatsbeschluß aus dem Me tall von 1200 erbeuteten Kanonen errichtet worden. Schon 1814 hatten die Ultra-Royalisten nicht die Säule, sondern den auf ihr stehenden Kaiser Napoleon I. umwerfen wollen. Später wurde die Statue heruntergenommen und zur Wiederherstellung der Reiter statue Heinrichs IV. umgeschmolzen. 1833 stellte man Napoleon im grauen Rock und kleinen Hut wieder auf die Säule und 1865 ersetzte ihn der Kaiser in altrömischem Gewand. Die Höhe des Mo numents betrug 44 MetreS, das Gewicht des für sie verwendeten ErzeS 251,367 Kilogramm. Wenn die siegreichen Versailler in Paris einziehen werden, müssen sie jedenfalls als Repressalien die Juni-Säule des BastillenplatzeS niederwerfen, und so wird es dann fortdauern mit gegenseitiger Entrüstung, bis in dem gelobten Lande der nationalen Gloire kein historischer Stein mehr auf dem andern steht. Allein aus all diesem Wahnsinn erwächst für uns eine Lehre. AIS wir sahen, wie die Franzosen uns gegenüber nicht allein die Genfer Convention in grober Weise verletzten, sondern alle Gesetze einer humanen Kriegssührung außer Augen ließen und dabei wahr heitswidrig uns der Schandthaten ziehen, die in der That sie begingen; als wir sahen, wie in verlogener Weise sie die Erfolge, die wir errungen, herabzusetzen versuchten — da erblickten wir hierin einen Ausbruch furchtbaren RacenhasseS, dem wir nicht anders als mit gleichem Haß begegnen zu können glaubten. Wir sehen jetzt, daß wir unS getäuscht. Was die Franzosen heute einander anthun, ist gerade so schlimm, als das, was sie an unS gethan. Sie sind mit uns nicht schlimmer umgegangen, als mit ihren ei genen Landsleuten. Nicht weil sie auf uns einen besonders tief gehenden Haß empfunden hätten, haben sie uns in so unerhörter Weise geschmäht und unsere wehrlosen Landsleute mißhandelt, wenn sie ihnen gefangen in die Hände fielen; nein, sie verstehen es nicht, einem Feinde anders zu begegnen, als sie uns begegnet find. Bis her glaubten wir, der sittliche Herzschlag sei bei allen Völkern ein und derselbe; wir ahnen jetzt, daß Gewissen, Rechtsgefühl, Ver nunft, kurz alle sittlichen und geistigen Eigenschaften in dem Fran zosen sich auf andere Weise bethätigen, als im Deutschen. Um das Gebiet der Reflexion zu verlassen, fügen wir hier die neuesten Depeschen an: Paris, 19. Mai. Die Commune hat das Silberzeug, sowie die anderen Kostbarkeiten aus der DreifaltigkeitS- kirche entnommen. Selbiges steht allen Kirchen nebst ihrer Schlie ßung bevor. Die Demolirung der Sühncapelle hat heute begonnen. Flourens mit seinem Corps der Rache vollführt alle Arrestationen und Requisitionen. DaS Anklagegericht unter dem Präsidium von Migault gegen die gefangenen Geißeln hat seine Sitzungen begonnen. Paris, 20. Mai, Abends. Seit zwei Stunden hat sich ein leb haftes Gefecht zwischen Auteuil und Pafsh entspannen. — DaS Journal „Reveil" dementirt das in der Stadt verbreitete Gerücht von einer Räumung des Fort Montrouge. Oberst Cecilia steht mit 12,000 Mann bei Petit Vanve; die erlittenen Schäden wer den rasch ausgebessert. Bei den Vorposten befinden sich Mitglie der der Commune. — Die Pariser fangen an, Petroleum-Bomben und Raketen nach Neuillh, Courbevoie und Boulogne zu werfen, um diese Orte in Brand zu stecken. Größere Brände sanden noch nicht statt. Nur wurde die Teppichfabrik in Neuillh, die über 500 Arbeiter beschäftigte, durch das Feuer zerstört. — Die Reiterstatue Heinrichs IV. ist vom Hotel de Ville entfernt. Die Kirche Notre Dame wurde geplündert und ist jetzt militärisch besetzt. — Heute Nachmittag hat ein heftiger Kampf im Westen und Südwesten von Pari« stattgefunden. Die Föderirten hatten sehr starke Verluste an Todten und Verwundeten. Die Commune läßt in ihren Or ganen erklären, daß sie mit den heutigen Erfolgen zufrieden sei. Die Batterien auf dem Montmartre haben die Batterien der Ver sailler bei Gennevillier demontirt. — In Saint Lazare befinden sich 70 Nonnen nebst 200 andern Frauen, die auf Befehl der Commune verhaftet worden find. — Berichte von Dombrowski und Wrobleski bestätigen die bereits gemeldeten Erfolge der gestrigen Operationen; ihrer Behauptung zufolge find die Approche-Arbeiten der Versailler Truppen zerstört worden. Die Versailler haben gestern und heute die Zufuhr von Lebensmitteln nach Paris ver hindert. — 21. Mai, Morgens. Die Versailler Truppen haben drei schwere Breschbatterien errichtet, welche Auteuil beschießen. Im Bois de Boulogne ist Alles zu dem bevorstehende« großen Kampfe vorbereitet. Eine heftige Kanonade hat stattgefunden, welche die ganze Nacht hindurch dauerte. Die Föderirten behaupten, alle Angriffe der Versailler Truppen zurückgeschlagen zu haben. Phat verlangt im „Vengeur", daß die Beichte abgeschafft und allen unverheiratheten Leuten eine besondere Steuer auferlegt werden möge. — DaS Centralcomitä fordert diejenigen Grundbesitzer, welche die Stadt verlassen haben, auf, binnen 48 Stunden zurück zukehren, widrigenfalls ihre Befitzdocumente vernichtet werden wür den. — Das „Journal officiel" veröffentlicht eine militärische De pesche ohne Datum, welche folgende Nachrichten bringt: Gegen Choisy le Roi zu hat eine erfolgreiche Recognoscirung stattgefun den. Die Föderirten haben den Feind vom Kirchhofe von Bagneux vertrieben. Fort Montrouge hat alle Angriffe mit Erfolg abge schlagen. Bei Neuillh steht Alles gut. Die Föderirten haben die Versailler Truppen aus Petit Vanve vertrieben und außerdem in der Richtung auf Clamart zu Vortheile errungen. — Versailles, 20. Mai, Abends. Gleichzeitig mit Rochefort wurde ein gewisser Mouret zu Meau verhaftet. Beide sollen unverzüglich nach Ver sailles gebracht werden. — Ein Circular Thier's, welches von heute Nachmittag datirt ist, besagt, daß einigen Präfecten, welche um Auskunft über die gegenwärtige Situation gebeten haben, folgende Antwort ertheilt worden sei: Diejenigen, welche sich über den Stand der Dinge beunruhigen, haben durchaus keinen Grund hierzu. Unsere Truppen find eifrig mit den Approche-Arbeiten beschäftigt und legen überall Breschen. Wir sind niemals dem erstrebte» Ziel- näher gewesen als im gegenwärtigen Augenblicke. Die Mitglieder der Commune denken nur noch daran, sich zu retten. Rochefort ist zu Meaux verhaftet worden. — Die Nationalversammlung zu Ver sailles nahm bezüglich folgender Anträge die Dringlichkeit an:i) Die Behörden möchten sich mit den Anführern der deutschen Trup pen in Einvernehmen setzen, um diejenigen Städte zu bezeichne«, wo die deutschen Truppen während der Occupation Garnison be- ziehen sollen 2) die Behörden möchten die betreffenden Municipali- täten auffordern, die Arbeiten bezüglich der Sinquarttrung dieser Gruppen auSzuführea.