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ImöMr Anzeiger und . Tageblatt. Amtsblatt des Kgl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Kgl. Gerichtsämter und der Stadträthe zu Freiberg u. Brand. ^?ss. Erscheint jeden Wochentag Ab. K U. für den and. Tag, Inserate werden bi» V, II U. für nächste Nr. angen, Dienstag, den 2. Kh»ril- Prei« vlerteljährl. 20 Ngr, Inserate werdm die gespaltene Zeil« »der deren Raum mit 8 Pf. berechnet. 1871. -i- Freiberg, 1. Mai. Ls scheint nun doch der Entscheidungskampf vor Pa ris begonnen zu haben; wenigstens kündete ihn Thier- mit einer überschwenglichen Rede in der Nationalversammlung an. Wenn der alte Mann dabet „der tapferen Soldaten von Gravelotte" ge dachte, die, Einer gegen Zwei kämpfend, ohne zu wanken, eine der größten Schlachten dieses Jahrhunderts geschlagen, so beweist dies nur, daß Herr Thiers gegenwärtig wieder mit vollen Segeln in das Meer des Chauvinismus hineinsteuert, auf welchem soeben das französische StaatSschiff so schmählich Schiffbruch gelitten. Seine gefeierten „Helden von Gravelotte" sind Leute, die als Kriegs gefangene aus Deutschland zurückkehren. UebrigenS konnte man trotzdem aus der Rede merken, daß ThierS den Beginn der allsei tigen Operationen nicht mit leichtem Herzen verkündet, denn er hielt für nothwendig, sich und die Volksvertretung vor dem Vor wurf zu schützen, als sei von ihnen die Nothwendigkeit der jetzigen Kämpfe durch politische Fahrlässigkeit heraufbeschworen. Dem mag sein, wie ihm wolle; darüber wird die Geschichte richten. That- sache ist, daß der Kampf gegen Paris jetzt ernstere Gestalt ange nommen hat. Die unglücklichen Orte ASniöreS, Neuillh, Sablon- ville — bisher Haupttummelplatz der Insurgenten — sind zum größten Theil eingeäschert und die beklageuswerthen Einwohner, die nicht rechtzeitig die Flucht ergriffen, waren gezwungen, in den Kellerräumen Schutz zu suchen, bis auch ihnen der Waffenstillstand vom 25. d. M. Gelegenheit gab, Hab und Gut zu verlassen, um nur das Leben zu retten. Unter solchen Umständen ist natürlich jeder Gedanke an eine friedliche Verständigung ausgegeben, zumal mancherlei Anzeichen darauf hindeuten, daß es mit der Herrschaft der Commune zu Ende geht. Bor einigen Tagen fand sogar im Schooße der Commune selbst eine kleine Revolution statt. Es wurde nämlich die bis dahin fungirende sogenannte Executiv- Com Mission, welche durch ihr eigenmächtiges Vorgehen bei den Freunden wie bei den Feinden der socialistischen Richtung gleich großen Anstoß erregt hatte, abgeschafft und eine aus je einem Dele- girten der 9 Commune-Commissionen bestehende neue Commission gewählt. Diese 9 Delegirten haben sich gleichsam als ebenso viele Fachminister in die öffentlichen Functionen zu theilen. Die Seele dieser neuen Combination ist General Clus er et, der diesen kleinen Staatsstreich auch in Hinweis auf die durch den bevorstehenden Hauptangriff nothwendig gewordene Concentrirung der Gewalt an geregt und durchgesetzt hat. Von den früheren Mitgliedern der Executiv-Commission ist nur Vaillant beibehalten worden. Die übrigen — worunter DeleScluze und Cournet als die Hauptver treter der Jacobinischen Richtung — wurden durch Socia listen ersetzt. Das große Wort sührt aber Cluseret, der, wenn es zum Aeikßersten kommt, wohl die Dictatur an sich reißen dürfte. Was an neuesten Nachrichten vorliegt, stellen wir in Folgen dem zusammen: Paris, 28. April. Die „Agence HavaS" meldet: Der Kampf wurde heute hauptsächlich zwischen den FortS Montrouge und Jssh, Chatillon und Clamart, ferner zwischen AsniKreS, GenevillierS und Neuillh fortgesetzt; das Geschütz- und Gewehrfeuer, welches Nach mittags schwächer geworden war, gewinnt gegen Abend wieder an Lebhaftigkeit. Der Angriff der Versailler Truppen ist ein allge meiner und bedroht fortgesetzt alle Punkte. Die Föderirten ent wickeln große Thätigkeit in der Errichtung riesiger Barrikaden zur Vertheidigung der strategisch wichtigen Punkte im Innern der Stadt. Die Zufuhr von Lebensmitteln mittelst Eisenbahn beginnt spärlicher zu werden. Die der Commune ergebenen Blätter ver sichern, die Versailler Regierung habe mehrere für Paris bestimmte Züge mit Lebensmitteln angehalten. — Ein Befehl der Commune vom gestrigen Tage legt der Nord-, Ost- und Westbahn, ferner den Bahnen von Orleans und Lyon die Bezahlung von 2 Millionen Francs innerhalb 48 Stunden auf, welche Summe den genannten Gesellschaften als Vorausbezahlung ihrer Steuern in Anrechnung gebracht werden soll. — Der Director der National-Bibliothek, Vincent, wurde seiner Stelle entsetzt. Die Arbeit bei den Bäckern darf nach einem neueren Befehle nicht vor 5 Uhr Morgens beginnen. Versailles, 28. April. In letzter Nacht nahm das Bombar dement mit entscheidender Kraft seinen Fortgang, der Horizont war hell erleuchtet. — Die Commune verbreitet die Nachricht, daß die Deutschen den Versaillern erlaubt haben, sich Krupp'scher Kanonen und Mitrailleusen zu bedienen. Versailles, 28. April. Nach einer HavaSmeldung ist Mac Mahon nach Revil gereist und wird Abends zurückkehren. Jssh be antwortet das Feuer nicht mehr; der Angriff wird erwartet. In der Nationalversammlung legte der Finanzminister einen Gesetzent wurf vor, worin der Regierung ein neuer Credit zur Bezahlung der DerpflegungSkosten für die deutschen Truppen eröffnet wird. Der Finanzminister betont, der Credit werde durch die Verlänger ung des Aufstandes nothwendig. Paris, 29. April, Morgens. Eine HavaS-Depesche meldet: Das Feuer schweigt auf der ganzen Linie. Die SüdfortS find durch die Beschießung stark mitgenommen. Das Fort Jssh stellte das Feuer gänzlich ein. ES verlautet, die Föderirten werden die selben in die Luft sprengen, falls sie dieselben aufgeben müssen. Das Hauptquartier des Generals Dombrowsky ist in La Muette. Paris, 29. April. Zwei Communeblätter verlangen die Zu sammenberufung sämmtlicher Wähler, welche durch absolute Majo rität entscheiden sollen, ob der Krieg noch weiter fortdauern soll oder nicht. Versailles, 29. April. sNationalversammlung.j Der Justiz- Minister Dofaure legt einen Gesetzentwurf vor, welcher alles in Paris mit Beschlag belegte Eigenthum für unveräußerlich erklärt; es solle dieses Eigenthum beständig zurückgefordert werden können. Diejenigen Individuen, welche sich bei der Beschlagnahme bethei ligen, öffentliche Aktenstücke vernichten, sollen den gesetzlichen Strafen unterworfen werden. Die Dringlichkeit für diese Vorlage wird an genommen. Ein Abgeordneter, Marineosficier, protestirt gegen die durch den Feind verbreitete Beschuldigungen gegen die Ehre der Armee, welche behaupten, daß Verpflichtungen eingegangen und nicht gehalten worden seien. Der Kriegsminister, General Lefio, hält diese Frage für inopportun und fügt hinzu, daß nach dem Kampf« eine Ehren-Jurh in der Sache entscheiden werde. — Nach Berichten aus Paris zog die von den Freimaurern gestern Nachmittag ver anlaßte Procession mit grünen Zweigen und weißen Fahnen vom Stadthause durch die elyseeischen Felder der Porte-Maillot zu. 'Als dieselbe dort ankam, schwieg das Feuer , der Zug wurde aber be nachrichtigt, daß er sich nicht nähern solle und daß matt nur zwei Parlamentäre empfangen werde. ES zeigten sich darauf zwei Par lamentäre, die Abends in Versailles eintreffen werden. Die Regierungen von Rußland und der Türkei spinnen gegenwärtig an einem Freundschaftsbündnisse, welches in Wien bösen Eindruck macht. Ohne gerade kriegerische Besorgnisse zu hegen, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß Rußland vorläufig handelspolitische und maritime Zwecke dabei im Auge hat, welche den österreichischen Interessen sehr nachtheilig werden können. Die Abmachungen zwischen Petersburg und ConstaMinopel können übrigens leicht zu dem Vertrage von Hunnar-JSkelessi zu« rücksühren, der Rußland zu der Einmischung in die inneren Ange legenheiten der Pforte berechtigt. Die Sache verdient jedenfalls die ernstlichst- Aufmerksamkeit, denn die schlimmste Wendung der orientalischen Verwickelungen wäre eine russische Schutzhenschast iu der Levante,