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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 03.05.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-05-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188505036
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850503
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850503
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-05
- Tag 1885-05-03
-
Monat
1885-05
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 03.05.1885
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UriterhalluugS-Blatt zum „Chemnitzer Anzeige^. Die „gute" Stube. Eine Skizze von Gräfin Mathilde Luckner. (Nachdruck verboten.) Mehrere Wochen hielt ich mich in der kleinen Provinzialstadt auf, um dort Chroniken, alte Kirchenbücher und mündliche Ueber- lieferungen zu studiren, welche mir zu einem bestimmten literarischen Unternehmen von Nutzen werden sollten. Man kam mir, wohl schon aus Oppositionsgeist gegen alles Fremde, wenig freundlich entgegen; )a, hie und da erschwerte man mir meine Aufgabe nach jeder Richtung. Da ward mir von einem Freunde die gewünschte Aufklärung über de» mir bisher unbegreiflichen Widei stand. „Sie haben wahrscheinlich," so schrieb mein alter, welterfahrener Freund, „die erste Bedingung zum Gelingen Ihres Unternehmens außer Acht gelassen, Sie haben versäumt, den Honorationen einen Besuch zu machen." Also dar war der Gmnd. Muthig griff ich zu Hut und Handschuhen und ließ mir vom Wirth der „grünen Eule," so hieß mein Gafthof, — „eine Liste „der Großen dieser kleinen Erde" geben." — „Der Herr Bürgermeister sind beschäftigt, bitten aber in die gute Stube einzutreten", beantwortete das Dienstmädchen meine Frage nach dem Vater der Stadt. Gerade wollte ich ihrer Weisung folgen, als ein Passus in meines Freundes Brief mich erinnerte: „daß man vorzüglich die Frauen jener wohlweisen Rathsherrn zu gewinnen suchen müßte!" — „Frau Bürgermeisterin?" fragte ich. Das Mädchen, damit beschäftigt, in aller Eile die Polstermöbel von den darauf liegenden Staubdecken zu befreien, wurde verlegen, so weit hatte man sie nicht instruirt. „Bitte, geben Sie meine Karte auch der Frau Bürgermeisterin," sagte ich. Sie entfernte sich in schlürfendem Geschwindschritt, den ganzen Haufen Staubdecken unterm Arm, ich blieb allein in der guten Stube. Man ließ mir Zeit, hier eingehende kulturhistorische Studien zu machen; ich bemühte mich auch, dies zu thun, die Gelegenheit aus- zunutzen, aber es ward mir schwer, nachzudenken, zu beobachten. — Der modrige Geruch im Zimmer legte sich bleischwer auf meine Sinne. Die Fenster waren gewiß seit dem letzten Scheuer- und Schrubbfest nicht geöffnet worden, — wir befanden uns im September, — also seit Juni: dem Pflügst-Monat, — ein Vierteljahr! — Kein Wunder, daß mich ein heißes Sehnen nach frischer Luft erfaßte! — Man sah übrigens auch, daß hier zuletzt eine festliche Stimm ung gewaltet hatte, davon zeugten unter Anderem die, noch nicht augebranuten Stearinkerzen, welche noch in ihrer ganzen Jugendfrische auf de» silbernen Leuchtern prangten. „Silbern," — o nein, — so hieß man sie nur in dem Glasladen von Müller u. Ko. an der Marktecke, aber sie waren von geblasenem GlaS, mit eingegofsenem Quecksilber. Als Lichtmauschctten dienten kunstreiche Häkeleien; eine Rose, auS blutrother Wolle angefertigt, mit langen Gehängen von weißen Perlen. Von früheren Zeiten her war der Stearin zwischen die Perlen gelaufen, uud die „genaue" Frau Bürgermeisterin hätte ihre schönen Manschetten sicher gereinigt, wenn nicht die Eigenart derselben jedweden Reinigungsversuch von vornherein unmöglich gemacht haben würde! Ich entsann mich beim Anblick der Leuchter einer jüngst gehörten Vorlesung „über Zimmereinrichtung" — „zweckentsprechend," „der Grundidee entsprechend" waren die Stichworte des Professors gewesen. Was würde er wohl zu diesen gehäkelten Rosen sagen, aus deren Kelchen die Lichter hcrauswuchsen? Frau Bürgermeisterin schien diese blutdürstige Wolle en xroo gekauft zu haben, — sie begegnete mir wieder, in ähnlicher Art ver wandt, auf den Gardinenhaltern. Auch hier erblühten Rosen in üppigster Fülle. „Sie flechten und weben, himmlische Rosen in's irdische Leben" — dem schien die Hausfrau nachzustreben, — dieser Wahlspruch schrieb sich in blauen, grünen oder violetten Rosen auf rothem Grunde der Gardinenhaller, mir deutlich in die Seele! Sicher rührte sie „ohne Ende die fleißigen Hände," denn, aus allen Ecken und Enden, von allen Stühlen und Tischen, ja sogar von den Wänden hernieder, redeten die bunten Kinder ihrer Stick muse von dem ihr hier erblühenden Kultus. Auf dem Tisch, über dem blauen Filztuch, hatten die „fleißigen Hände" eine Weiße Decke gehäkelt, in deren Palmen - Muster ein prächtiger Hirsch und eine, offenbar lahme Ente (denn sie schritt auf einem Bein) sich in lieblicher Reihenfolge abwechselten. Hie Franzen der Decke hingen in gefährlicher Länge zur Erde, ein Knopf meines Paletots hatte sich schon gleich zu Anfang darin fcstgenestelt, und als ich dann eine Bewegung machte, that die Krücke meines Sonnen schirms dasselbe und eS gab einen beängstigenden Ruck, — der Schirm zog fast die Decke vom Tisch und zitternd klirrte das Geräth zu sammen. Entsetzt löste ich die verderbliche Verbindung und rückte das gläserne Tablett mit der leeren Wasserflasche und den sechs Liqueur- gläsern wieder an den alten Platz; dabei wurde eine neue Industrie der Frau Bürgermeisterin sichtbar: eine runde Arbeit von aufge zogenen Kürbiskernern. Sie diente dem Glasteller zum Untersatz. Seinen eigentlichen Lebenszweck konnte ich nicht recht einsehen, da vor etwaigen Uebergicßungcn bereits die blaue Filzdecke, die weiße Zoologika und der Glasteller den Tisch schützten! — Aber ich war ja überhaupt Neuling in dieser Welt der guten Stube — darum begriff ich sie nicht! Ich lehnte mich auf dem Sofa zurück, nicht ohne geheime Angst mit seinem halben Dutzend „Schonern" in Kollision zn geralhen, wußte ich doch aus jüngster Erfahrung, wie leicht sich diese groß- löchrigen weißen Gewirke überall anhäugen, wo sie nicht hiugehören. O weh! mein armer Kopf — Das hatte ja die Härte des Marmors, — sollte das ein Ruhekissen sein? Ich besah es näher, da hing es über dem Sofa an langer Schnur, das gewisse Etwas, in Gestalt einer Wurst und von einer Festigkeit des Materials, um die cs von dem ersten, besten Granit block beneidet werden konnte. Darauf stand zwischen Veilchen und Kornblumen: „aus Liebe" gestickt! Diese Granilwurst mit den schottischen Bandschleisen an beiden Enden, stammte sicher von derselben Ludmilla Mondkalb, welche ihre „Freundschaft" der geliebten Freundin in Perlen und Seide auf Popiercanevas bewiesen hatte, und zum Dank dafür unter Glas und Rahmen an jener Wand aushängt worden war. Gerate über der Wurst, zwischen den beiden Oeldruckbildern, (rechts eine Ueberschwemmung „Bei Mondschein", links eine idyllische Familienszene „Eltcrnglück"), deren Rahmen die sorgliche Hausfrau mit gelbem Tarlaian gegen Fliegenattentate geschützt hatte, schmückte Ludmilla Mondkalbs Angebinde die Wand. Es wehen die Winde aus Ost und Nord. Besteh' uns're Freuudschast noch immerfort. Und wenn auch gar keine Winde mehr weh'», Soll unsere Freundschaft dennoch besteh'n las ich durch das Glas durch. Sollte der schwungvolle Reim auch rin Produkt Ludmilla's sein? Der bescheiden links in der Ecke für staunende Kinder und KindeSkiuder hineingestickte Namen ließ eS annehmen, daß man sie nicht umsonst so genial: „Ludmilla" getauft hatte. ES wehte so innig — freundschaftlich, — so zart — altjüngferlich aus diesen Liebeszeichen! Welch' ein Gegensatz zu dem Derberen, — aber kräftig — tüchtigen Erzeugnissen der Frau vom Hause! Diese kannte ich schon ganz und gar, sie nnd ihren tiesinnerlichen Schaffensdrang! Uebcrall trat sie mir wie eine liebe Freundin ent gegen — so z. B. von dort hinterm Ofen her leuchtete cs so anhei melnd blutrolh; wirklich rührend! die Pantoffel des Vaters der Stadt — daraus ein charakteristischer Hirschkopf mit faßt unmöglichem Ge weih, mit Augen von weißen Kalkperlen, treuherzigdumm in die gute Stube glotzend, umgeben von einem Hintergrund der e»-»,o8 Wolle. Wie gern wüßte ich den Namen der Stickerin! Sollte er denn nirgend eingenäht sein? Vergebens suchte ich ihn in dem seinsäuberlich in Plüschblumen ausgeführten Rand des Spucknapfes, vergebens im bestickten Schirm- Halter! Dort am Fenster stand im Blumentisch statt der Blumen ein Goldfischbehälter, ich bückte mich, um gauauer forschen zu können, hinunter zu dem Fischer aus grünlicher Bronze, der mit in die Seile gestemmten Arm der leeren Goldfischbütte als Träger diente. Sein Haarnetz kennzeichnete den Venezianer und über die rechte Schulter trug er eine Stange mit rothfilirtem Wollennetz — einen Namen fand ich nicht. Vielleicht aus dem Zylinderhütchen der großen Kugellampe? Dieses Mal hatte die „Nimmerruhende" sich in rothen Nelken aus getobt, von denen eine blaue Quaste melancholisch herabhing. Enttäuscht wandte ich meine Blicke von der blauen Quaste ab, der großen Fliegenklatsche zu, die in der Ecke hing. Sie war aus Leder und mit grüner Seide bestickt. Ich begab mich an das Entziffern der etwas undeutlichen Schrift, las dann aber leider nicht den erhofften Namen, sondern den zwar schönen, aber hier etwas ironisch angehauchten Spruch: „Was man aus Liebe thut, das geht noch mal so gut." Ich ließ enttäuscht den Kopf hängen. Mir wurde schließlich die Zeit lang. Es kam Niemand! Sollte man mich vergessen haben? Unmuthig schritt ich auf und ab; meine verzagenden Lebens geister erfrischten sich noch eine Weile an der Betrachtung des Glas schranks und seines Inhalts; vorzüglich ein ausgestopfter Kanarien vogel, ein Donnerkeil und ein Packet silberner Löffel (dieses Mal aber nicht von Glas) reizten meine Beobachtungssucht. Die Löffel hingen, zierlich an einem Bändchen gebunden, hinter den Scheiben. Das Bändchen war blau, am obersten Ringe des Schranks angenagelt und die Löffel waren kunstvoll auseinander gespreizt. Ich sah nach meiner Uhr, — bereits Mittag! In der „grünen Eule" wurde jetzt die Suppe aufgetragen — die wollte ich nicht versäumen! — Entschlossen zog ich den Glockenzug, welcher in Gestalt einer Glakperlenflcchte herunter hing; ich lauschte auf das Resultat! Unheimliche Stille ringsum! Ich zog stärker, horchte abermals: doch nichts, gar nicht- war zu hören. Ein wilder Verdacht veranlaßte mich, das obere Ende der Schnur genau zu betrachten — da sah ich das Vergebliche meiner Mühen ein; «S gab gar keinen Draht dort in der Höhe, — die Flechte hing nur zum Putze da! Als ich mich zum Verlassen der guten Stube anschickte, hörte ich draußen Schritte, die Thüre ward geöffnet, ein Herr im Reise anzug, eine Reisetasche in der Hand, trat ein und stellte sich vor: der Vater der Stadt! Er bedauerte, keine Zeit für mich zu haben, da er auf Reisen müsse. Ob ich nicht warten wolle, — seine Gattin käme gleich, wäre nur bei der Toilette! Ich zog vor, mit ihm zugleich das HauS zu verlassen, anstatt zu warten, bis die „Sorgliche" sich erst in das „seidene Kleid" ge worfen haben würde. Wir gingen eine Strecke nebeneinander auf der Straße hin. Während der Bürgermeister mir auseinaudersetzte, daß es ihm, aus Rücksichten auf Tobte und Lebendige, unmöglich sei, mir irgend welche Auskunft zu geben, hingen sich meine wonnetrunkenen Blicke an seftrr gestickte Reisetasche. / Dort fand ich das erlösende Wort für das, was seit ^tiner Stunde mein Herz bedrückte. Mitten in einem dicken Vergißmemnicht- kranz stand in zollgroßcn Buchstaben: „Aus ewig Deine Emma " So wußte ich doch wenigstens den Namen der Holden mit den fleißigen Händen. Der Mensch muß sich beschränken können, — darum freute ich mich des kleinen Erfolges, — wo mir der große versagt war. Befriedigt kehrte ich zu meiner „Eule" zurück und schrieb, »Heils aus Rachsucht gegen Bürgermeisters, theils um meine lieben Mit menschen mit dem Muster einer besten Stube bekannt zu machen, diese Zeilen über die „gute Stube." Glänzendes Elend. Skizze von Hans Emir. (Nachdruck verboten) Toinctte ist schön. Und wenn ihre Mutter sie ansieht, denkt die Gute, wie vorthcilhast diese schlanke Gestalt sich in einem Seiden kleid ausnehmen würde und wenn sie in ihren Gedanken einmal bis zum Seidenkleid gekommen, steht es vor der santafievollen Frau herrlich uud leuchtend, wie das Bild einer Fata Morgana. ... Sie sieht ihre schöne Tochter, und ihre Tochter ist — gnädige Frau! Es ist auch — so träumt die zärtliche Mutter — ein Schwieger sohn da: etwas alt vielleicht, etwas verlebt vielleicht — vielleicht auch etwas schlafmützig. Aber er hat einen klangvollen Namen und einen Titel, vor Allem aber ist er reich, sehr reich! Und der gutmüthige reiche Schwiegersohn ist sehr liebenswürdig gegen seine Frau Schwieger mama. Im Winter, in der Saison lebt nun die vortreffliche Dame in dem schönen Hause ihrer Tochter, die gnädige Frau ist. Sie bringt eigentlich Opfer; Schwiegermütter bringen ja stets Opfer, aber ihr Schwiegersohn ist eben so „liebenswürdig", und ihre Tochter ist so „glücklich", wenn Mama da ist. Und Mama ist da. Weiter träumt die liebevolle Mutter. Da ist Toinette, ihre geliebte, theure Tochter; und ihre Tochter trägt Seide, schmückt sich mit Diamanten, hat eine Equipage, ein Landhaus, eine Loge im Theater: und ihre Tochter ist eine glückliche Frau. So sieht sie sich in ihrem Wonnetraume. Wer aber sagt: Träume bedeuten Nichts, Träume sind Unsinn — den Mann kann ich bedauern; Toinette's Mutter erlebte den Traum. Da war der ersehnte Schwiegersohn, da war er leibhaftig, und — Wunder, o Wunder! er war da, ganz so, wie das zärtliche Muttcrgemüth sich ihn für seine Tochter gewünscht: etwas schlaf mützig, sehr gutmüthig, unendlich reich. Toinette verlobte sich. Er sagte: „Da ist dieses Mädchen; ich liebe sie nicht, sie liebt mich nicht; aber sie ist schön uud ich bin reich, also " Sie sagte: „Da sind die Thränen der Mutter, da ist da- Flehen des Vaters, und da ist dieser Mann, der mich will. Er liebt mich nicht, ich liebe ihn nicht; aber ich bin schön und er ist reich, also " ES stimmte; die Sache war abgemacht. Toinette wurde gnädige Frau. Sie trägt Seide, schmückt sich mit Diamanten, hat eine Equipage und eine Loge. Im Sommer lebt sie auf ihrer Villa aus dem Lande, im Winter in ihrem „Hotel" in der Hauptstadt. Sie giebt Diners, Soireen und Maskenseste; sie wird gefeiert, bewundert, beneidet. Die ganze Herrlichkeit, die die zärtliche Mutter sich für ihre Tochter erträumt, ist Wahrheit gcwordeu. Es ist alles genau eingetroffen; das schöne Bild ist da, aber es macht leider nicht den befriedigenden Eindruck, den die gute Mutter erwartet. Der gerührte, unbedeuteude Vater und im Hintergrund der Schatten des gutmüthigen Schwiegersohnes sind dieselben; jedoch die Hauptgruppe: Mutter und Tochter — die fällt anders aus, als die liebenswürdige Dame entschieden zu hoffen berechtigt gewesen. Die Mutter ist entsetzt, empört, außer sich. Vor ihr steht die Tochter, kalt, vornehm, und sagt ihr: sie Werse den elenden Glanz von sich, sie sei ein bejammernswerthes Weib. Ja, das war sie in d:r That — bejammernswerth! Ihr, die ihr den Stein aufhebt, was schreit ihr?! Das Mädchen wurde verkauft und wußte es; die Eltern wußten es, der Bräutigam, auch der Prediger, der über sie das Amen sprach — alle Welt wußte es. Was wollt ihr? So ein Mädchen denkt mehr an das, Wa der Mann ihr giebt: Namen, Rang, Reichthum, als an das, was der Mann ihr sein wird — Gemahl. Jedoch als Gattin, als Weib . . . Eine stolze Frauenseele wird, was ihr Glück und Seligkeit sein sollte, als Erniedrigung empfinden. Man kann einwenden, und das mit Recht: eine stolze Fraueu- seele verkauft sich nicht. Nein, gewiß nicht! Man hat auch auf diese Frage keine andere Antwort, keine andere Entschuldigung, als die Wiederholung: Was wollt ihr — ein junges Mädchen! Und daun . . . man denke auch an die Thränen der Mutter, an das Flehen des Vaters. . . . Mit einem ungeliebten Manne zu leben, — das stolze Weib mit ihrer zu spät zum Bewußtsein gekommenen Seele fühlt sich entwürdigt. Natürlich begreift das Niemand, nicht der Mann, nicht die Mutter, nicht die Welt. Aber Toinette ist entschlossen; sie thut, was sie gesagt hat. Sie wirst Alles von sich; sie will frei sein — frei sein um jeden Preis! Selbst wenn der gluthäugige Künstler ihre Phantasie nicht belebt hätte mit dem verführerischen Bilde eines Zusammensein- in Liebe. Es giebt einen „Skandal"; es kommt als pikantes Feuilleton in die Zeitung; Toinette bleibt unbewegt. Der Mann, auch jetzt noch schlafmützig und gleichgiltig, willigt ein. Die Scheidung wird eiugeleitet. Die Frau ist der schuldige Theil. Bor dem Richtenden entrollt sich die Geschichte dieser vornehmen Ehe; sie ist eine tragische: die Frau hat Jahre lang an der Seite ihres Mannes dahin vegetirt; sie ist dem Wahnsinn nahe, sie wird sterben, nur Befreiung kann sie noch retten und dem Leben zurück geben, ihr Glück ist doch für immer zerstört und vernichtet. Die Scheidung wird abgewieseu. „Nicht zerrüttet genug," lautet das Urtheil der weisen Richter. Ja — die Scheidung wird abgewiesen! Eine Ehe, die sozu sagen nur ideell unsittlich ist, das heißt, unsittlich in ihrem innersten Wesen, unsittlich in jeder Regung, eine solche Ehe wird nicht getrennt. Toinette/vleibt die Frau ihres Mannes. - > - srus den E^inn-rungen eines alten ff . Chemnitzers. / lX. ^ Die Neukirchen er Kompagnie rückte gegen Abend, von Hunderten ,»vn Menschen begleitet, wieder ab. Beim Gasthaus zum Wind au- 'gekommen, wurde nochmals Abschied genommen; die Herren Offiziere konnten aber die Soldaten nicht halten, selbige warfen ihre Gewehre hin in's Gras, und eine brüderliche Umarmung war der herzliche Abschiedsgruß. Noch ein Fall sei mit erwähnt: Ein großer Elephant war auf dem Schießplatz zu sehen; der Wärter hatte ein böses Bein und konnte den Elephanten nächste Woche darauf nicht nach Stollberg führen, es mußte mithin ein anderer Mann dieses thun. Wie er nun mit dem Elephanten an die Stollbergerstraße kommt, geht mein Elephant in ein Wickenfeld und fängt zu grasen an. Der Führer schlägt ihn leicht mit dem Rohistock, und der Dickhäuter, ärgerlich darüber, macht linksum und direkt wieder nach dem Schießplatz in seine Bude. Früh zertrümmerte er am alten Schießhaus die Fenster und noch mehrere- Andere, bis sein alter Wärter ihn wieder be sänftigte. Es vergingen noch vier Wochen bis der alte Wärter wieder gesund geworden, und eher brachten sie den Elephanten auch nicht fort. In dieser Zeit war auch ein neues Schießhaas gebaut worden, welches jetzt noch steht. Noch muß ich von der Kommunalgarde, ehe selbige in Folge des Marsches mit den Freischärlern zur Revolution nach Dresden aufgelöst wurde, eine hübsche Episode erwähnen. Zum „warmen" wie auch „kalten" Jahrmarkt zog eine Kompagnie Kommunalgarde Mittags 11 Uhr aus Wache, von der Wohnung des betreffenden HauptmannS aus und zwar des Sonntag?, Montags und Dienstags unter der Rcgimenlsmusik der Kommunalgarde, des Stadtmusikchores in Parade uniform und noch eines drillen Musikchorcs. Luch die gesummte Generalität und ebenso das Osfizierkorps, sowie ferner die Kommnnal- garde zogen mit Es waren diese Wachparaden auch ein hübsches Schauspiel für die hiesigen Einwohner und nicht minder die Fremden, zumal da alle drei Tage weder in Fabrik noch Werkstatt gearbeitet wurde. Es freute sich Jedermann ehrlich darauf, schon der ausgezeich neten Regimentsmusik halber, welche fast eine Stunde lang dauerte. Auch die Wachmannschaften theilten diese Freude, denn es gab auf der Wache immer viel Spaß. An „Getränken" gab es auch genug, Wein sowohl als Grog, Bier und Branntwein gab es gratis. Ich komme nun mit meinen hiesigen Rückerinnerungen in die fünfziger Jahre hinein; da nun noch sehr viel Zeitgenossen dieser Tage leben, so kann ich weitere hiesige Ereignisse unerwähnt lassen, z. B. größere Feuersbrünste, große Waffersluthen, wie im Jahre 1854, wo in Kappel beim ersten Rundtheil nach dem Friedhof zu zwei Häuser weggeschwemmt wurden, und am Kaßbergsteg die Hintergebäude der Färber in Folge des Hochwassers einfielen. Vielleicht findet sich später eine geeignete Persönlichkeit, hiesige Vorkommnisse von 1860 an der Bewohnerschaft in Erinnerung zu bringen. Mich soll eS nur aufrichtig freuen, durch diese flüchtigen Skizzen Manchem einige unter haltende Stunden bereitet zu haben. r. zv. r. Die mit der Bitte um Abdruck als „Eingesandt" aus dem Leser kreise uns zugehendcu Artikel stehen mit der Redaktion in keiner Beziehung. Selbstverständlich finden auch von anderer Seite einlaufende „Eingesandt (von allgemeinen, Interesse) ebenfalls gem unentgeltliche Ausnahme. Wir bitten, die einzusendcnden Blätter möglichst nur einseitig und nicht zu eng zu beschreiben. Verantwortlicher Redakteur Franz Götze in Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
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