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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 03.05.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-05-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188505036
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850503
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850503
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-05
- Tag 1885-05-03
-
Monat
1885-05
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 03.05.1885
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UnterhMmgs-Vlatt M ..Lhemmher Anzeiger". Nr «s — Sonntaa 3 Mai Verlags-Erpedttton: «lexande» Wiede, Buchdruckeret, «V. S. -vllll. »hE«itz. «heaterstra», Nr. IS (»h»«aNg«, »„trkSgericht - gegenüber de« Last«.) 1885. - 5. Schuld und Sühne. Novelle von Milly Pabst. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. Reinhard ließ Johanna nicht aus den Augen. Auf die Plauderei der jungen Dame an seiner Seite gab er nur zerstreute Antworten, sein ganze- Sinnen und Denken konzentrirte sich darauf, wie er Wohl Johanna allein und unbeobachtet zu sprechen bekommen könnte. Sie machte eS ihm bis jetzt unmöglich. Nachdem die Gesellschaft eine geraume Zeit promenirt hatte, meldeten die Diener, daß servirt sei. Frau Philippsen hatte in wohlmeinender Absicht Johannas Platz neben dem Bruder bestimmt. Johanna bemerkte eS mit heimlicher Unruhe. Sie pries den Zufall, der ihr den redseligen alten Herrn zum rechten Tischnachbar bestimmte. Der nahm sie denn auch dermaßen in Anspruch, daß eine Unter- Haltung mit dem Doktor gar nicht zu Stande kommen konnte. Die Tafel verlief iu heiterster Weise. Nachdem sie aufgehoben, näherte sich Frau Philippsen Johanna und flüsterte: »Können wir auf ein Lied hoffen, Fräulein Arnold?" „Wie gern käme ich Ihrem Wunsche nach, gnädige Frau," ent gegnet« Johanna, „mir ist aber die Kehle wie zugeschnürt, ich brächte keinen Ton hervor!" Sie sah dabei Frau Philippsen flehend an. „Wenn Sie mit einem Musikstück vorlieb nehmen wollten?" „Auch das geht," versetzte Frau Philippsen schnell, „kommen Sie, wir spielen etwas Vierhändiges!" Angeregt durch das Beispiel der Hausfrau, fanden sich noch einige Damen und Herren, die ihr Talent zum Besten gaben. Nur der Doktor ließ sich nicht bewegen, wieder die Tasten zu berühren. Johanna benutzte die Gelegenheit und entfernte sich geräusch los. Sie mußte einen Augenblick allein sein, mußte neue Kraft schöpfen, um den sie fixirenden Blicken Stand halten zu können Tiefaufathmcnd wandte sie sich dem Parke zu. Wie Schutz suchend, schlang sie die Arme um einen Fichtenstamm und lehnte die zarte Wange an den knorrigen Stamm. Unwillkürlich kamen ihr Göthe'S SehnsuchSworte nach Frieden in den Sinn und halblaut sprach sie vor sich hin: „Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all' das Leid — die Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust!" Da nahten sich hastige Schritte und aufschreckend gewahrte sie Reinhard Saalfeld, welcher flehend die Hände gegen sie ausstreckte. Im Ru gewann sie ihre stolze Haltung wieder und wollte ge messenen Schrittes an ihm vorbei. Hastig vertrat er ihr den Weg. „Johanna, so entkommst Du mir nicht, Du mußt mich hören!" rief er mit erregter Stimme. „Ich wüßte nicht, was Sie mir zu sagen hätten, Herr Saal feld," sprach Johanna eisig. „Ich ersuche Sie, mir Raum zu geben!" „Dein Stolz Hilst Dir nichts und sollte ich Gewalt brauchen müssen — so darfst Du nicht von mir gehen! — Johanna!" fuhr er schmeichelnd fort, „bist Du so hart und unver söhnlich geworden, daß Du nicht einmal meine Vertheidigung hören willst?" „Vertheidigen wollen Sie sich noch? Sie haben wirklich noch den Muth dazu?" rief Johanna verächtlich. Glauben Sie doch nicht, daß Sie noch immer das leichtgläubige, vertrauensselige Mädchen von 16 Jahren vor sich haben, welches Ihren heuchlerischen Worten unbedingten Glauben schenkte, sich durch Schmeicheleien und leere Versprechungen bethören ließ! Ich habe Ihren Charakter im rechten Lichte gesehen, ich weiß ihn jetzt nach seinem wahren Gehalt zu schätzen!" „Sprich nicht so grausam, Johanna, Du weißt nicht, welche unbezwinglichen Hindernisse mir's unmöglich machten, mein Wort Dir einzulösen I Du ahnst nicht, was ich gelitten, als —" „Als Du der Berrathenen Geld schicktest, um jede Verbind lichkeit damit abzukaufen I" unterbrach sie ihn schneidend. „Für die geraubte Unschuld — den gestörten Seelenfrieden — für das gebrochene Herz glaubtest Du — der Kaufmann — 2000 Thaler genug — wahrlich," sie lachte gellend auf, „Du hattest genau ge rechnet, nur die Lösung des Exempels stimmte nicht! Du wagtest mir Geld zu bieten — elende-, schnödes Geld für meine zertretene Ehre, mein vergiftetes Leben — Erbärmlicher, der Du so handeln konntest! Und als dieser bequeme Ausweg klug und schlau in's Werk gesetzt war, als die unliebsame Geschichte damit für alle Zeit abge- than war — da warf sich der junge Herr vergnügt in Gala und fuhr davon — fuhr stolz und selbstzufrieden zu seiner zweiten Braut, während die erste am Feldrande halbtodt vor Erschöpfung, der Ver- zweiflung preisgegeben, zusammengebrochen war! Haha! und Du willst auch gelitten haben!" Sie stand hochaufgerichtet vor ihm. Ihre Augen sprühten, ihre Wangen flammten, jeder Nerv, jede Muskel bebte an ihr vor Zorn Entrüstung und Schmerz. Reinhard starrte sie wie gebannt an. Kaum verstand er de» Sinn ihrer Worte, er sah nur, daß sie hin reißend schön war in ihrem Zorn, mit unwiederstehlicher Gewalt zwang'S ihn, zu ihren Füßen niederzufinken. Sein halbes Leben hätte er jetzt darum gegeben, hätte er damit die Vergangenheit aus löschen, ihre Liebe sich wieder zurückgewinnen können. Johanna hatte sich von ihm abgewandt. Zorn, Schmerz, Ver achtung stritten in^ihr um die Oberherrschaft. „O die Schmach," murmelte sie, „die wird kein lange- Leben voll Reue und Buße wieder auslöschen, wie Furien verfolgt sie mich und nagt an meinem Herzen!" „Johanna," tönte es flehend zu ihr hinauf, „kannst Du dem Reuigen nicht vergeben? Bittet keine Stimme in Deinem Innern für den Vater Deines KindeS?" Sie zuckte zusammen. „Fort!" rief sie bebend, „ich zürne Dir nicht mehr, aber ich verachte Dich — verachte Dich aus Herzensgrund, Du hast wie ein elender Bube gehandelt!" Mit einem Ruck sprang er auf, jetzt flammten auch seine Augen. „DaS wagst Du mir zu bieten? Bin ich ein Schulknabe? Das sollst Du büßen und zwar — sofort!" Mit einem Satz war er an ihrer Seite. Ehe jedoch sein Arm sie umschlingen konnte, fühlte er einen heftigen Schlag auf seiner linken Wange; zu gleicher Zeit wurden seine Arme vom Rücken aus zurückgerisie». Wüthend riß er sich los. „Wer wagt es —" Das Wort blieb ihm im Munde stecken, als er in die zorn funkelnden Augen Doktor Walden's blickte. „Sie sind es, Doktor?" stammelte er bestürzt. „Darf ich Sie vielleicht in's Haus führen, Fräulein Arnold?" wandte sich der Doktor ernst aber höflich zu Johanna. Diese hielt sich nur mit Aufgebot aller Kräfte aufrecht. «O, mein Gott, welche Schmach!" stöhnte sie. Dann, sich gewaltsam aufraffend, winkte sie abwehrend mit der Hand und eilte fort dem Hause zu. Finster drohend wandte sich Reinhard, der sich inzwischen von seiner Bestürzung erholt hatte und nun seine schmachvolle Situation empfand, an den ruhig dastehenden Doktor. „Sie werden mir Genugthuung geben, Herr Walden!" rief er mit unterdrückter Heftigkeit. „Wer gab Ihnen ein Recht, sich in meine Angelegenheiten zu mischen?" „Es ist Pflicht jedes Mannes, wehrlose Frauen vor Willkür und ehrlosen Angriffen zu schützen," entgegnete Doktor Walden fest und kalt. „Das werden Sie büßen," knirschte Reinhard. „Wann kann ich Ihnen meinen Sekundanten schicken?" „Wann es Ihnen beliebt! Jedoch wird das für Sie seine Schwierigkeiten haben, da Sie gänzlich fremd iu dieser Stadt sind." Die ruhige Haltung des Doktors brachie Reinhard noch mehr in Wuth. „Da- lasse« Sie meine Sorge sein!" entgegnete er brüsk und ging davon. Drinnen im Salon war die Abwesenheit der drei Personen kaum bemerkt worden. Die Gesellschaft hatte sich gruppenweise vertheilt, die Unter- Haltung war lebhaft, besonder- unter den jugendlichen Damen und Herren. Frau Hedwig hatte es so einzurichten gewußt, daß sie mit der Haussrau allein ein wenig abseits von den Uebrigen saß. „Haben Sie schon lange diese Erzieherin im Hause?" fragte sie nach einigen einleitenden Redensarten. „Eigentlich nicht lange," entgegnete Frau Philippsen, „aber Johanna Arnold'S Wesen war mir schon nach einigen Tagen so sympathisch und angenehm, daß mir ist, als kenne ich sie seit ihrer Kindheit. Sie ist nicht nur eine treffliche Erzieherin meiner Kinder, sondern zugleich mir eine liebe Gesellschafterin." „Hm," räusperte sich Frau Hedwig etwas verlegen, „ich bin überzeugt, wenn Sie diese Arnold von Kindheit an gekannt hätten, würden Sie sie wohl schwerlich in Ihr Haus genommen haben!" Frau Philippsen sah die Sprecherin mit grenzenlosem Er staunen an. „Wie, Frau Saalfeld, Sie kennen Johanna Arnold von früher her?" „Bis zu meiner Konfirmation lebte diese Johanna auch in H. Dann sah ich sie während eines Besuches bei Helene wieder — aber wie!" „Warum sprechen Sie das in so wegwerfendem Tone?" fragte Frau Philippsen forschend. „Weil sich diese Arnold eben weggeworfen hat!" platzte Hedwig heraus. Dann, als Frau Philippsen traurig, gedankenvoll zu Boden schaute, fuhr sie eifrig fort: „Verzeihen Sie, Frau Philippsen, daß ich Ihnen heute an diesem schönen Festtage so unerquickliche Dinge offenbare, ich hielt eS aber für meine Pflicht, Ihnen die Augen über diese Johanna Amold zu öffnen, di« sich so scheinheilig in Ihr Haus und Ihr Vertrauen zu schleichen gewußt hat. Sie ließen sich durch ihre zur Schau ge tragene stolze Zurückhaltung täuschen, Ihr reines, argloses Gemüth kann an solchen moralischen Schmutz nicht glaube». Damit aber, liebe Frau Philippsen, die Ehre Ihres Hauses nicht länger durch die Anwesenheit dieser Person Ihnen unbewußt geschädigt wird, mußte ich Ihnen dieses sagen! Sie werden mir später für diese Ihnen jetzt so unangenehme Mittheilung Dank wissen, wenn Ihnen auch von anderer Seite vielleicht Ausklärungen über die Vergangenheit dieser angeblichen Erzieherin zugehen und Sie werden bereuen, der- selben Ihr Haus geöffnet zu haben!" Frau Philippsen schlug das klare, milde Auge voll zu der er eiferten Sprecherin auf. „Nein — das werde ich nicht, daß weiß ich voraus!" sprach sie fest. „Sind Sie wirklich der Ueberzeugung, Frau Saalfeld, daß die Ehre meines Hauses dadurch geschädigt wird, daß ich ein ver waistes, von einem gewissenlosen Manne vielleicht betrogenes Mädchen aufnahm und ihm Gelegenheit gab, sich wieder aufzurichteu von dem Fall? Auf Johanna's Seele haftet kein moralischer Schmutz, das sagt mir eine untrügliche Stimme meine- Innern. Ich weiß zwar von ihrer Vergangenheit nichts weiter, als daß sie die Eltern früh zeitig verlor. Wer weiß, in welche Verhältnisse das verlassene, un erfahrene Kind dann gerathen sein mag I Wie leicht findet Schmeichelei und Hinterlist den Weg zum Herzen eines kindlich vertrauenden GemüthS, wenn keine fürsorgliche, liebende Mutter, kein schützender, warnender Vater zur rechten Zeit der Bethörten die Gefahr zeigt? Wie viele jungen Seelen wären nicht untergegangen in dem entsetz lichen Schmutz der Sünde, wenn in ihres Lebens bitterster Stunde eine rettende Hand hilfreich und liebevoll sie emporgezogen hätte? O nein, Frau Saalfeld, so hart und lieblos können Sie nicht denken, wo bliebe da unser Christenthum, das Liebe und Vergebung predigt?" Frau Hedwig hatte erstaunt die sonst so ruhige, sanfte Frau angestarrt, wie sie so entschieden und fest dieses Mädchen in Schutz nahm. Sie biß sich zornig in die Lippen. Nahm denn alle Welt diese abscheuliche Person in Schutz, nur weil sie ein glattes Gesicht hatte? Schon der alte Saalfeld halte Sie warm vertheidigt, weil sie ihm in der Dämmerstunde was vorgeklimpert und vorgesungen hatte — und hier geschah das Gleiche? Sollte diese Person nur zu ihrem Aerger auf der Welt existiren? Man sah ihr den Unmuth deutlich au. Frau Philippsen ließ sich aber dadurch nicht beirren. Leuchtenden Auges fuhr sie fort: „Und blicken Sie nur ins Gesicht dieses armen, unglücklichen Kindes, wie tief hat sich der Zug des Leides und der überstaudenen Seeleukämpfe in die weichen Linien gegraben! Ich habe so oft nach gedacht, warum Johanna wohl stets so schwermüthig ausschaut, jetzt verstehe ich ihr Leid und möchte ihr aufmunternd zurufen: Verzage nicht, wenn Du einmal fehltest — Deine ganze Reue sei eine bess're That! Nein, Frau Saalfeld, Sie haben mir durch Ihre Mittheiluug meine Erzieherin nicht verleitet, sondern mir nur einen Weg gezeigt, auf welchem ich Christevpflicht und Liebe in rechter Weise bcthätigen kann. Solche Gelegenheiten muß mau nicht vorübergehen lassen man könnte sich sonst einer Unterlassungssünde schuldig machen!" „Dann verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit, gnädige Frau, unsere Ansichten gehen in diesem Punkte gar zu weit auseinander!" Mit kühler Verbeugung trennte sich Frau Hedwig von der Haus frau und rauschte in's Nebenzimmer, um nach Reinhard zu sehen. Da sie ihn nicht fand, trat sie auf die Veranda hinaus, um ihn im Garten zu suchen. Da kam er hastigen Schrittes auf sie zu. Offenbar erkannte er sie nicht; denn er wollte an ihr vorüber in's HauS eilen. „Reinhard, was ist Dir, Du sichst ja ganz verstört aus?" ries Hedwig, ihn am Arme ergreifend. Er blickte sie wie geistesabwesend an. „Nichts — nichts I" Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht hin. „Ich habe heftiges Kopfweh — die drückende Hitze im Salon — der feurige Wein — Hedwig, wir wollen ins Hotel zurückfahren!" vollendete er hastig. „Mir ist es auch recht," meinte sie, „ich finde weiter kein Ver gnügen hier; ich habe mich zu sehr über diese Johanna geärgert!" Sie fühlte bei den letzten Worten einen plötzlichen Ruck von Reinhard's Arm. „Sag mir nur, was Dir widerfahren ist?" forschte sie. „Du bist so eigenthümlich, so verändert . . ." „Nichts ist mir widerfahren — nichts!" wehrte er. „TS ist mir nur, als läge eine herannahrnde Krankheit in meinen Gliedern!" (Fortsetzung folgt.) Wiener Brief. Original-Feuilleton. (Nachdruck verboten.) Wien, 29. April 188S. dl. V. Mau wird eS vergebens in Abrede stellen: das Wetter bildet denn doch ein interessantes Thema zur Unterhaltung, besonders wenn man kein besseres hat. Ja, giebt eS überhaupt etwas Schöneres, als das Wetter, welches wir jetzt in Wien haben? Der eiserne Mann auf der Thurmspitze unsere- Fünfzehn-Millionen Rathhauses scheint seine eiserne Rüstung mit einer goldenen vertauscht zu haben, so glänzend verklärt steht er im Sonnenschein da, und wenn er dann hinüberblickt, mitten in den VolkSgarten hinein, wie lustig es darinnen zugeht. Die Ammen mit ihren Soldaten, die Gouvernanten mit ihren Studenten und Backfischchen, die fürsorglichen Hausfrauen mit ihren Strickstrümpfen, sie Alle tummeln sich da im VolkSgarten herum und lauschen den Walzerklängen, welche dem Fiedelbogen Eduard Strauß' entspringen. Dabei wird getratscht, geliebt, geküßt und gestrickt und iu der Mitte steht der Tritone und speit das Wasser verächtlich in die Höhe, gleichsam als möchte er sagen: Liebt und strickt so lange es Euch gefällt, mir kann das völlig gleich sein. Für die nächsten zwei Monate erhält Wien ein größeres Still leben als selbst die kleinsten Dörfer da draußen am Laude. Die Väter des Landes haben die Vaterschaft verloren und nun tummeln sie sich bereits draußen am Lande, in den Dörfern und Städten herum, um sie wieder zu erlangen. So eifrig macht der pomadisirteste SpezereiwaarenhandlungSkommis der Lehrmamsell der dlarolmnä äs moäos nicht den Hof, wie jetzt die Abgeordneten den struppigsten Wählern den Hos machen, damit sie wieder eingehen können in das Reich der Seligkeit, so da heißet Parlament. ES mag ein hehreS Gesühl erwecken, über das Wohl und Wehe eines ganzen Landes zu berathen, aber Jeder empfindet dieser Hochgefühl denn doch nicht, so zum Beispiel der Sohn eines hiesigen reichen Schnittwaarenfabrikanten. Der besagte Herr Sohn hat schon sehr viel Geld verklopst und ist dreißig Jahre alt geworden ohne da.an zu denken, daß mau am Ende denn doch Etwas werden oder sich doch mindestens entschließen müsse, Etwas zu werden. Dem alten Henn lag dies sehr am Herzen, da kamen die ReichsrathS- wohlen und mit diesen dem Herrn Papa eine glückliche Idee. Er besitzt in Böhmen mehrere größere Güter und Fabriken, die Wähler des dortigen Bezirkes sind mehr oder minder von ihm abhängig, so beschloß er denn, seinen Sohn dahin zu senden und einen Abgeord neten aus ihm zu machen. Du mein Gott! Zum Abgeordneten ist bald einer gut. ES ist aber eine alte Geschichte, daß jede Ab geordnetenwahl Geld zu kosten pflegt und so gab der Schnittwaren fabrikant seinem Sohne 30,000 fl. mit aus die Reise. Der läßt aber keinen Abgeordneten, sondern einen Narren aus sich machen, denn er hat sich mit einer sehr — bekannten Soubrette für einige Wochen in Paris niedergelaffen und dort werden sie Beide in Selig keit und Freude so lange weilen, bis die 30000 Gulden verklopst sind. Das wird in vierzehn Tagen geschehen sein und im selben Augenblicke, da das Geld „alle" geworden, geht auch die Soubrette ihrer Wege und sucht sich einen Andern. Der Abgeordnetenkandidat aber kann dann um frisches Geld Heimreisen, nur ist es fraglich, ob der Papa so viel für ein Mandat riskiren wird. Etwas mehr als 30,000 Gulden, es waren sogar 50,000, wurden diese Woche von einem reichen Kavalier für etwas weniger geopfert, als ein Mandat ist. Er ist der Rivale eines Bankiers bei einem einstigen Blumenmädchen, welche- es durch die Gunst des Schicksals dahin gebracht hat, eine prachtvoll möblirte Wohnung und sogar eine Equipage zu besitzen. Der Kavalier stand in der Gunst deS Fräuleins und auch der Bankier, denn sie ist klug und nimmt das Geld, von beiden Seiten. Natürlich wußten aber die beiden Blumenmädchenanbeter nichts von ihrer gegenseitigen Existenz. Aber der Zufall pflegt ja manchmal borhast zu sein und so geschah eS denn, daß sich die Beiden am verflossenen Montag bei der Erkorenen ihre- Herzen- überraschten. Dem Kavalier war die Geschichte sehr unangenehm, der Bankier ist zwar sehr reich, aber nicht von der Sorte, mit welchen man gemeinhin gerne zu verkehren pflegt. Nun standen sich die Beiden bei dem Fräulein Hermine Aug in Aug gegenüber und von selbst warf sich die große Frage auf, wer den Schein der Feigheit auf sich ladend, dem Anderen den Platz räumen werde. Der Bankier pocht auf seine Brieftasche und flüstert dem Fräulein zu: „Hermine, Ihr Nadelgeld beträgt von heute ab 5000 Gulden monatlich." Nun setzte er voraus, der Graf werde sofort so kühl behandelt werden, daß er nichts Eiligeres zu thun haben werde, als sich zu entfernen. Der Graf ging aber nicht, sondern wartete so lange, bis in dem Börsenmann das Blut zu kochen be gann. Der Moment traf sehr bald ein. Der Bankier spie Feuer und Flammen und übermannt von seinem Dünkel riß er zehn Stück Tausendernotcn aus seiner Brieftasche und legte sie mit den Worten .Erlauben Sie, mein Fräulein, Ihnen das Geld zu überreichen, welches Sie mich von Ihrem Bankier zu holen beauftragten," vor sie hin. Der Graf lächelte und griff ebenfalls nach der Briestasche; es befanden sich 50,000 Gulden darin. Diese legte er Hermine in den Schoß. „Für zwei hand feste Dienstmänner", sagte er. Das Fräulein verstand den Wink. Das Stubenmädchen holte zwei Eckensteher und nach zehn Minuten befand sich der Bankier etwas unsanft geführt auf der Treppe. Das ist ihm noch nicht passirt, aber eS wäre nicht so arg gewesen, wenn diese Geschichte am anderen Tage auf der Börse nicht das Tagesgespräch gebildet hätte. Noch ein Tagesgespräch! Sonnabend, am 2. Mai, wird in Budapest die ungarische Landesausstellung eröffnet, der ganze Hof wird dort anwesend sein und halb Wien rüstet sich ebenfalls, um die Ausstellungen der schönen ungarischen Hauptstadt zu besuchen, die wohl eine der schönsten werden dürfte, welche in letzterer Zeit ver anstaltet wurden!
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