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Parlament-Verhandlungen. Berlin, 26. März. (19. Sitzung) Specialdiscussion über Abschnitt III—V. des Verfassungsentwurfes (Art. 6—29). Zur Erleichterung des Verständnisses geben wir den zur Debatte kom menden Artikel seinem Wortlaute nach wieder. Art. 6 lautet: „Der Bundesrath besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes, unter welchen die Stimmführung sich nach Maßgabe der Vorschriften für das Plenum des ehemaligen deutschen Bundes vertheilt, so daß Preußen mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 Stimmen führt, Sachsen -4, Hessen 1, Mecklenburg-Schwerin 2, Sachsen-Weimar 1, Mecklenburg-Strelitz. 1, Oldenburg 1, Braunschweig /, Sachsen- Meiningen 1, Sachsen-Altenburg I, Sachsen-Coburg-Gotha I, Anhalt 1, Schwarzburg-Rudolstadt 1, Schwarzburg-Sondershausen 1, Waldeck 1, Reust ä. L. 1, Reuß j. L. 1, Schaumburg-Lippe 1, Lübeck 1, Bremen 1, Hamburg 1." Es sprach zunächst Abg. Haberkorn seinen Abscheu vor den Ansichten aus, nach welchen ein völliges Aufgehen der Kleinstaaten, einschließlich Sachsens, in Preußen als nothwendige Folge der Bun desverfassung bald eintreten werde (l)r. Jäger), oder nach denen die Kleinstaaten, einschließlich Sachsen, bisher in Wirklichkeit eine Souveränität nicht gehabt, also auch in dieser Beziehung wenig durch die neue Verfassung zu verlieren hätten (Miquel), und ver langte deshalb eine für Preußen günstigere Vertheilung der Stimmen. Abg. 0r. Braun (Wiesbaden) beantragt die Streichung der Worte: „nach Maßgabe der Vorschriften für das Plenum des ehe maligen deutschen Bundes", weil diese Erwähnung des glücklich be seitigten deutschen Bundes zu der Annahme führen könne, als habe die ehemalige Bundesgesetzgebung, namentlich in Bezug auf Ver eins- und Preßgesetze, Giltigkeit. Graf Bismarck vertheidigt die Vertheilung der Stimmen, weil sie schon früher gegolten habe, dagegen sei die Vermuthung des Abg. l)r. Braun, daß die frühere Bundesgesetzgebung noch subsi diäre Geltung habe, eine ganz unbegründete, in der Absicht der preu ßischen Regierung durchaus nicht liegende. Hierauf zog Abg. Dr. Braun seinen Antrag zurück, und wird Art. 6 fast einstimmig — dagegen die Polen und SchleSwig-Hol- steiner — angenommen. Hierauf folgt Art. 7, derselbe lautet: Jedes Mitglied des Bundes kann so viel Bevollmächtigte zum BundcSrath ernennen, wie es Stimmen hat; doch kann die Gesammt- heit der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. Nicht vertretene oder nicht instruirte Stimmen werden nicht gezählt. Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschläge zu machen und in Vorschlag zu bringen, und das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Beratbung zu übergeben. Die Beschlußfassung erfolgt mit einfacher Mehrheit mit Ausnahme von Beschlüssen über Verfassungsveränderungen, welche zwei Drittel der Stimmen erfordern. Bei Stimmengleichheit giebt die Prä- fidialstimme den Ausschlag. Zu Art. 7 kam ein Amendement der national-liberalen Frac- tion: „Zu Verfassungsveränderungen ist außer der Majorität im Reichstage eine solche von zwei Dritteln im Bundesrathe nothwen dig", obschon es für einen späteren Artikel gestellt war, zur Ver handlung. — Abg. Kratz verlangt zu Verfassungsveränderungen auch eine Majorität von zwei Dritteln im Reichstage. Abg. Windhorst (ehemaliger hannöver'scher Minister) spricht für dieses Amendement, weil die jetzige Verfassung, wie er offen ausspreche, den Einheitsstaat sehr bald nothwendig herbeiführen werde, ja schon in der jetzigen Gestalt involvire. Bei der Abstimmung wird der Antrag des Abg. Kratz abge lehnt, das Amendement der National-Liberalen (Lasker und Gen.) mit großer Majorität angenommen. Dagegen die Partikularisten von Hannover, Sachsen und Holstein, die Polen, Dänen und — Waldeck. Ebenso wurde nunmehr Art. 7 in der abgeänderten Fas sung angenommen. Art. 8 ist einer der wichtigsten ; derselbe lautet: Art. 8. Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauernde Aus schüsse 1) für das Landheer und die Festungen, 2) für das Seewesen, 3) für Zoll- und Steuerwesen, 4) für Handel und Verkehr, 5) für Eisenbahnen, Post und Telegraphen, 6) für Justizwesen, 7) für Rech nungswesen. In jedem dieser Ausschüsse werden außer dem Präsidium mindestens zwei Bundesstaaten vertreten sein, und führt innerhalb der selben jeder Staat nur eine Stimme. Die Mitglieder der Ausschüsse zu 1 und 2 werden von dem Bundesfeldherrn ernannt, die der übrigen von dem Bundesrathe gewählt. Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrathes bez. mit jedem Jahre zu er neuern, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wählbar sind. Den Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nöthigen Beamten zur Ver fügung gestellt. Abg. v. Hammerstein (Hannover) langweilt zuerst die Ver sammlung mit sehr unerquicklichen Ausstellungen gegen den Art,lei und stellt die Anfrage an den Minister v. Bismarck, wie er sich die Ausschüsse des BundeSrathS und deren Thätigkeit gedacht habe. Graf Bismarck erklärt, daß hier nicht die Geschäftsordnung für den Bundesrath berathen werde, die übrigen Ausstellungen seien Silbenstechereien; dahin falle auch das Amendement des Abg. Zachariä, nach welchem statt Bundesfeldherr die Bezeichnung Bun despräsidium gesetzt werden soll. Abg. Twesten hält es für ein Mißverständniß, daß diese Aus schüsse regelmäßig an der Executive Theil nehmen sollen. Die Aus schüsse seien eigentlich intern» des Bundesraths, nur dem Ausschuß für das Rechnungswesen stehen gewissermaßen verfassungsmäßige Befugnisse zu. Graf Bismarck erklärt, daß die Ausschüsse wohl in der Regel nur zur Zeit, wenn der Bundesrath tagt, zusammen sein werden, und daß e» nicht die Absicht des Präsidiums sei, sich dieser Aus schüsse als eines Präsidialorganes zu bedienen. Abg. Ausfeld (Gotha) und Abg. Zachariä (Hannover) sprechen gegen den Entwurf. Der letztere hält die Bezeichnung seines An trages als müßig von Seiten des Grafen Bismarck für ungerecht fertigt. Nachdem Graf Bismarck einige Worte erwidert hat, wird Art. 8 in unveränderter Fassung angenommen. Die Art. 9 und 10 werden ohne DiScussion angenommen. Dieselben lauten: Art. 9. Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, im Reichstage zu erscheinen, und muß daselbst auf Verlangen jederzeit ge hört werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrathes nicht adoptirt wor den sind. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundesrathes und des Reichstags sein. Art. 10. Dem BundeSpräfidium liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrathes den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren. Es folgt die Specialdiscussion über Abschnitt IV. (Art. 11 bis 20) „Bundespräsidium". Art. 11 lautet: Das Präsidium des Bundes steht der Krone Preußen zu, welche in Auübung desselben den Bund völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Bundes Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu be glaubigen und zu empfangen berechtigt ist. Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Art. 4 in den Bereich der Bundesgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Ab schluß die Zustimmung des Bundesrathes erforderlich. Hierzu liegen zahlreiche Amendements vor, und zwar von den Abgg. Ausfeld, Schulze und Genossen (darunter die sächsischen Li beralen), Erxleben (Hannover), Zachariä, v. Bennigsen, Lette und v. Carlowitz. Eine große Anzahl von Redner sind für und gegen den Ent wurf eingeschrieben. An der DiScussion betheiligen sich auch die sächsischen Abgg. v. Wächter gegen und v. Gerber für die Vorlage. Nach längerer Debatte wird Art. 11 mit dem v. Bennigsen'- schen Zusatzamendement (hinter die Worte „die Zustimmung des Bundesrathes" einzuschalten: „und zu ihrer Giltigkeit die Geneh migung des Reichstages") fast eistimmig angenommen. Dafür stimmten fast alle Sachsen. Art. 12 des Entwurfs, welcher nun zur Debatte kommt, lautet: „Das Präsidium ernennt den Bundeskanzler, welcher im Bundes rathe den Vorsitz führt und die Geschäfte leitet," Hierzu hat Vicepräsident v. Bennigsen folgenden Zusatzantrag gestellt: „ferner die Vorstände der einzelnen Verwaltungszweige, welche nach dem Inhalt dieser Verfassung zur Kompetenz des Präsidiums gehören." Die DiScussion hierüber wird eine sehr lebhafte. Es bethei ligen sich daran die Abgg. Kitz, v. Bennigsen, v. Thielau (Sachsen) und v. Windthorst. Nachdem noch Twesten sich für den v. Bennigsen'schen Antrag ausgesprochen, äußert hierauf Graf v. Bismarck: „Ich hatte den Antrag so verstanden, daß mit diesen Chefs der Verwaltungszweige preußische Mitglieder des Bundesrathes gemeint sein sollten, wie es in der Intention liegt, diese preußischen Mitglieder des Bundes rathes, die man auf 17 theilen darf, aber nicht theilen wird, den verschiedenen Zweigen der Verwaltung zuzutheilen. Wenn das aber nicht der Fall sein sollte, wenn hiermit Beamte gemeint sind, die außerhalb des Bundesrathes stehen, dann scheint mir der An tragsteller in eine sehr enge Verwandtschaft mit dem soeben (bei Art. 1l) abgelehnten unitarischen Anträge in Bezug auf das Bun despräsidium zu stehen. (Rechts und von den konservativen Sach sen: Sehr richtig!) Diesem stehen aber schwere Bedenken entgegen. Außer denen, die schon erwähnt sind, möchte ich nur noch eines her- vorheben, was bisher noch nicht so stark hervorgehoben worden ist. Wir würden z. B. mit einem solchen Bundesfinanzminister, z. B. den kgl. sächsischen, den großherzoglich hessischen oder weimarischen Finanzminister, mediatisiren und zu Unterbeamten diese« Bunde«, finanzminister« machen. Die« wollen aber diese Regierungen nicht